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Planen und bauen ohne Hindernisse

Im Jahr 2010 lebten bereits über 20 Mio. Menschen in Deutschland, die das 60. Lebensjahr vollendet haben. Davon wollen aber nur noch etwa 6 % der Menschen ins Altenheim ziehen. Der Rest möchte selbstständig in den eigenen vier Wänden bleiben. Dieser Trend spiegelt sich allerdings nur geringfügig im Baugeschehen wider, obwohl inzwischen ein staatliches Förderprogramm existiert. Im Gegenteil: enge Flure, schmale Türen, Stolperkanten, zu kleine Bäder & Co. prägen häufig das Tagesgeschehen bei der Planung und Ausführung von Altbausanierungen. Der nachfolgende Beitrag will neben einer kleinen Reflektion zur Wohnsituation Planungsbeispiele für eine barrierefreie Wohnraumgestaltung aufzeigen.

Ob zu enge Flure, zu kleine Bäder oder die Treppen vor der Haustüre – nur allzu oft zeigt sich dieses Bild, mit Barrieren in und um Wohngebäuden.

 

Solange man mit beiden Beinen – buchstäblich – fest im Leben steht, werden Hindernisse oft nur unbewusst wahrgenommen. Doch es gibt sie überall: So würde z. B. die Mutter gern ins Haus gelangen, ohne den Kinderwagen über Eingangsstufen heben zu müssen. Im Eingangsbereich würde sie den Kinderwagen gern säubern, abstellen und die Gummistiefel des Geschwisterchens abwaschen, das beim Spaziergang mit dabei war. Aber das ist in dem für Deutschland üblichen Gäste-WC von 1,2 m² Größe neben der nicht üppig bemessenen Diele nicht möglich. Ein von draußen begehbarer Hauswirtschaftsraum ist nicht eingeplant und fehlt.
Die Großeltern würden nun gern in der Erdgeschosswohnung wohnen, aber das ist meist nicht möglich, weil ein Bad auf dieser Ebene fehlt und dies wegen des ungeeigneten Grundrisses oft nicht nachträglich oder nur unter hohem Kostenaufwand geschaffen werden kann.
Das Mitglied der Familie, das sich durch die Lebensumstände bestimmt mit dem Rollator oder im Rollstuhl sitzend in der Wohnung bewegen muss, ist in seiner Bewegung behindert, da die Türen zu ­schmal bemessen wurden und das Bad nicht über geeignete sanitäre Einrichtungsgegenstände sowie die notwendigen Bewegungsflächen verfügt. Diese Aufzählung könnte beliebig fortgesetzt werden und sie zeigt, dass Barrierefreiheit und damit auch Sicherheit für die ganze Familie und nicht nur für Menschen mit Behinderungen oder Einschränkungen sinnvoll ist.
Was die älteren Menschen betrifft, so wird der demografische Wandel in unserer Gesellschaft über einige gut ablesbare Vorgänge dokumentiert: Wir leben länger, die Frauen werden im Durchschnitt 81 Jahre alt und die Männer 75. Auch nimmt der Anteil der Menschen über 60 stetig zu.

Bild 1: Häufige Situation: Eine durch kleine Räume und schmale Flure zerteilte Wohnung.

 

Bild 2: Nach der Sanierung verfügt die Wohnung über einen großzügigeren Eingangs- und Dielenbereich, die Durchgänge zur Küche sowie zum Wohnzimmer wurden erweitert und das Bad bietet nun Wanne und bodengleiche Dusche sowie genügend Bewegungsfreiheit.

 

Da etwa 94 % dieser älteren Menschen selbstständig in ihren eigenen Wohnungen leben und nur im äußersten Notfall in ein Heim umsiedeln wollen, bedeutet dies eine intensive Anpassung bestehender privater und öffentlich geförderter Wohnungen. Diese müssen den im Alter entstehenden Forderungen nach langer, selbstständiger Lebensführung sowie den Komfortanforderungen gerecht werden. Dabei taucht die Frage auf, ob wir nicht auch die Pflege in den häuslichen Bereich verlegen werden müssen, wenn wir Kosten für Heim und Pflegeplatz nicht mehr bezahlen können, und wenn die öffentliche Hand keine ausreichende Zahl von Heimen und Einrichtungen zur Verfügung stellen kann? Deshalb muss im gleichen Atemzug die Frage nach neuen Wohnformen gestellt werden, wie z. B. nach Formen des betreuten Wohnens, des Mehrgenerationenwohnens oder nach Wohngemeinschaften älterer Menschen, die sich so gegenseitig helfen und betreuen können.

Regelwerk
Zur Planung und Ausführung von barrierefreien Wohnungen steht voraussichtlich ab August 2011 die neue DIN 18040 Teil 2 zur Verfügung. Diese wird dann den Teil 1 der DIN 18025 „Barrierefreie Wohnungen; Wohnungen für Rollstuhlbenutzer; Planungsgrundlagen“ sowie den Teil 2 der DIN 18025 „Barrierefreie Wohnungen; Planungsgrundlagen“ ersetzen.
Bereits im Oktober 2010 erschien der Teil 1 der DIN 18040 „Barrierefreies Bauen – Planungsgrundlagen – öffentlich zugängliche Gebäude“, der den Teil 2 der DIN 18024 ersetzt hat.

Bild 3: Ob mit Stützgriffen oder Duschsitz – die barrierefreie Gestaltung einer bodengleichen Dusche ermöglicht viele Variationen. Bild: Geberit

 

Planungsbeispiele
Die Anpassung bestehender Wohnungen bedeutet z. B. die Verbreiterung und Veränderung der Öffnungsrichtung von Türen. Im Sanitärbereich müssen meist veraltete Armaturen ausgetauscht, Toiletten erhöht und die Badewannen gegen bodengleiche Duschen ausgewechselt werden. Die Küchen sind meist zu klein und bieten keine ausreichenden Bewegungsflächen, was unter Umständen das Zusammenlegen der Küche mit dem Wohnraum notwendig macht.
Die Anpassung bestehender Wohnungen soll nachfolgend an zwei Beispielen gezeigt werden. Beispiel 1 zeigt in Bild 1 eine ältere, typische Stadtwohnung, die durch kleine Räume und schmale Flure gekennzeichnet ist. Die Kinder sind inzwischen aus dem Haus und die Eltern wollen die Wohnung sanieren und sich für die späteren Lebensjahre noch einmal neu einrichten. Die Lösung in Bild 2 ergibt einen großzügigeren Eingangs- und Dielenbereich; die Durchgänge zur Küche sowie zum Wohnzimmer wurden erweitert und das Bad bietet nun Wanne und bodengleiche Dusche sowie genügend Bewegungsfreiheit. Zudem wurde eine neue Küche ins­talliert, die zum Teil unterfahrbar und höhenverstellbar ist. Allgemein sollte bei der Planung die Überlegung eine Rolle spielen, wie die Bewohner vom Schlafbereich in den Sanitärbereich – nicht nur heute sondern auch später – gelangen. Was geschieht, wenn zunehmend das Schlafzimmer zum Wohnzimmer wird, wenn für eine Person häusliche Pflege erforderlich wird? Je kürzer die Entfernungen und je breiter die Durchgänge, umso besser die vielleicht einmal erforderliche Mobilität und Versorgung.

Bild 4: Typische Reihenhaussituation. Das Badezimmer ist im Obergeschoss angeordnet und im Erdgeschoss befindet sich meist nur ein Gäste-WC.

 

Bild 5: Nach dem barrierefreien Umbau verfügt das Reihenhaus über zwei separate Wohnungen. Dazu wurde in der Wohnung im Erdgeschoss ein Badezimmer installiert und die Küche zum Wohnraum offen gestaltet.

 

Beispiel 2 zeigt die Wohnraumanpassung eines typischen Reihenhauses, das in der Regel platzsparend gebaut ist (Bild 4). Die Treppen in den Keller, in das Ober- und Dachgeschoss sind eng, gewendelt und lassen es oft nicht zu, einen Treppenlift zu installieren. Im Erdgeschoss ist wie meist üblich nur ein Gäste-WC vorhanden. Das eigentliche Bad befindet sich im Obergeschoss. Die Lösung in Bild 5 sieht zwei abgeschlossene Wohnungen vor, im Erdgeschoss für eine einzelne Person und im Obergeschoss für eine Familie. In der Erdgeschoss-Wohnung wurde ein barrierefreies Duschbad geschaffen und die Küche zum Wohnraum offen gestaltet.
Die Forderung nach Anpassung bedeutet konsequent auch die Forderung nach entsprechenden Produkten, die diese Anpassung ermöglichen und die entstandenen Bedürfnisse erfüllen. Höhenverstellbare Waschtische und WCs, kippbare Spiegel, Haltegriffe und angepasste Accessoires – und dies auch zu erschwinglichen Preisen.
Sinnvoll und volkswirtschaftlich richtig wäre es, sowohl in der Phase des Neubaus als auch in der Phase der Renovierung bereits vorausschauend barrierefrei zu planen und zu bauen – oft ohne oder nur zu geringen Mehrkosten. So kann z. B. das Bad im Funktionszusammenhang mit dem Schlaf- und Ankleidebereich geplant werden. Dazu passend könnte schon jetzt die Tür des Bades nach außen aufgehen und die auf dem Rohfussboden platzierte Badewanne würde sich im Bedarfsfall durch eine bodengleiche Dusche ersetzen lassen.

Bild 6: Barrierefreiheit im Generationenbad vorsehen. Um zu einem späteren Zeitpunkt z. B. Stützgriffe ohne viel Aufwand installieren zu können, sollten bereits bei der Planung bzw. bei der Ausführung der Installation vorbereitende Maßnahmen getroffen werden. Bild: Geberit

 

Bild 7: Beim Umbau für eine barrierefreie Küche sollte u. a. die Ausführung der Kücheneinrichtung beachtet werden. Hier können beispielsweise die Arbeitsplatten und die Oberschränke höhenverstellbar sein, sodass für die Anschlüsse (Trinkwasser/Abwasser) eventuell normabweichende Maße notwendig sind. Bild: Küchen Quelle

 

Küchenumbau
Vor diesem Hintergrund sollten auch Überlegungen im Bereich der Küche angestellt werden. Ist die Arbeitsplatte unterfahrbar oder kann diese durch Höhenverstellung unterfahrbar gemacht werden? Sind Inhalte von Oberschränken und Gerätebedienungen auch aus einer sitzenden Arbeitsposition zu erreichen? Ist die Bewegungsfläche vor der Küche ausreichend oder muss die Küche durch Herausnahme einer Zwischenwand an den Wohn- oder Essbereich angegliedert werden, um dies zu erreichen?
Fazit

Das Bewusstsein für das Thema Barrierefreiheit für alle Generationen, vom Säugling bis zum Urgroßvater, wird sich in den kommenden Jahren im Zuge der Veränderung der Altersstruktur bilden müssen. Es kann nicht länger aufgeschoben werden. Barrierefreiheit nützt der ganzen Familie und sie bedeutet auch Sicherheit.


Lehr-DVD: Barrierefreier Umbau eines Wohnhauses

Das Institut Wohnen im Alter dokumentiert zurzeit die Planungsanforderungen für einen realen barrierefreien Umbau eines Wohnhauses, das von einem älteren Ehepaar und dessen behindertem Kind bewohnt wird. Die Lehr-DVD soll in zwei Sprachen (deutsch/englisch) Ende August dieses Jahres beim Institut Wohnen im Alter e. V. erscheinen.


Autor: Joachim F. Giessler, Institut Wohnen im Alter e. V., Murnau

Bilder, soweit nicht anders angegeben: Institut Wohnen im Alter e. V., Murnau


www.institut-wohnen-im-alter.de

 


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