Häusliches Abwasser für Gemüseanbau und Fischzucht
Grau- und Schwarzwasser: eine Ressource für Wasser, Energie und Nährstoffe
Abwasser ist ein Wasser-, Energie- und Rohstofflieferant. Das wissen die Betreiber von kommunalen Kläranlagen ganz genau und ziehen aus diesem Umstand zunehmend Nutzen. Dass das Recycling allerdings auf Gebäude- und Quartiersebene noch deutlich sinnvoller und effektiver ist, beweist der seit mehr als 30 Jahren andauernde Langzeittest im sogenannten „Block 6“ in Berlin-Kreuzberg – aktuell um Fischzucht und Gemüseanbau (Aquaponik) ergänzt.
Das „Integrierte Wasserkonzept“ im Block 6 wurde als Projekt der Internationalen Bauausstellung Berlin 1987 entwickelt, beforscht und dokumentiert. Ab 1993 verwahrloste die Anlage wegen technischer Probleme und unwirtschaftlicher Betriebsweise. Die Revitalisierung gelang 2007.
Langzeittest in Berlin seit mehr als 30 Jahren
Ziel des Landes Berlin war es, im Einvernehmen mit dem Eigentümer den Bestand als technisches Denkmal für Stadtökologie und umweltgerechtes Bauen zu sichern und zu optimieren sowie die Betriebsführung unter wirtschaftlichen Bedingungen zu ermöglichen. In die ursprüngliche Pflanzenkläranlage wird seither das auf dem Gelände anfallende Niederschlagswasser eingeleitet, um zu verdunsten, der Überlauf versickert. Für das Abwasserrecycling wurde 2007 ein Betriebsgebäude erstellt, in dem Abflüsse von Badewannen, Duschen und Handwaschbecken sowie Waschmaschinen und Küchenspülen (Grauwasser) von 250 Bewohnern umliegender mehrgeschossiger Wohnhäuser aufbereitet werden.
Im Jahr 2014 kam eine Versuchsanlage hinzu, die im Innenhof des Blocks 6 in einem Gewächshaus das Recyclingwasser für Fischzucht und Gemüseanbau verwendet. Zusätzlich wird an der Wiederverwendung des Abwassers von Toiletten (Schwarzwasser) zum Düngen und Bewässern der Gemüsekulturen geforscht. Das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte „Roof Water-Farm“-Projekt sucht Antworten auf Fragen, wie in Großstädten trotz begrenzter Ressourcen das Potenzial an Dachflächen und Wasser besser als bisher genutzt werden kann.
Mit aufbereitetem Abwasser Lebensmittel produzieren
Fisch- und Gemüsezucht in der City mit Recyclingwasser? Ein Blick zurück: Bis zur Einführung der Kanalisation wurden Fäkalien der Stadtbewohner als Düngemittel aufs Land hinaus transportiert. Nahrungsmittel zu produzieren war für Jahrhunderte ein Privileg der „Land“-Wirtschaft. Das könnte sich zukünftig aber ein stückweit ändern, wenn Kreislaufwirtschaft im Sinne der ressourcenschonenden regionalen Wertschöpfung in der Stadt Fortschritte macht. Gemüseanbau in der Stadt ist unter dem Namen „Urban Gardening“ bekannt, aber auch belächelt worden. Zu Unrecht, wie das Berliner Modellvorhaben „Roof Water-Farm“ im Block 6 zeigt. Die von dem Jahr 2014 bis 2018 stattgefundene Förderung war Teil des Programms „Forschung für Nachhaltige Entwicklungen“ (FONA). Speziell ging es um „Intelligente und nachhaltige Infrastruktursysteme für eine zukunftsfähige Wasserversorgung und Abwasserentsorgung“ (INIS).
Sämtliches Abwasser wird in biologischen Prozessen aufbereitet und wiederverwendet. Die Recyclinganlage liefert Badegewässerqualität, ohne Einsatz chemischer Mittel. Und diese Qualität kommt den Fischen zugute, die sich im Gewächshaus im Recyclingwasser tummeln. Deren Ausscheidungen wiederum sind Dünger für einen Teil der Pflanzenzucht. Das hat System – es ist die Kombination von Aquakultur und Hydroponik, die sogenannte Aquaponik. Ponik/Ponos bedeutet im Altgriechischen Arbeit, gemeint ist hier die Arbeit des Düngens, die nun das Wasser übernimmt.
Düngemittel sind ausreichend vorhanden
Ebenfalls im Gewächshaus, neben dem Fischbecken, stehen Pflanztische mit Töpfen ohne Erde. Die Wurzeln ragen in das durchfließende Wasser, dem Ablauf der Aquakultur – also des Beckens, in dem Schleien und Afrika-Welse gezüchtet werden. So wird der Fischkot als willkommener Dünger für Endiviensalat und Pak-Choi-Kohl in gelöster Form gleich mitgeliefert. Durch den ständigen Kreislauf sinkt der Wasserstand bei den Fischen. Der Ausgleich dafür kommt aus dem letzten Behälter der Grauwasseranlage. Das dort lagernde glasklare Betriebswasser wird einerseits zur Toilettenspülung in den 73 Haushalten des Blocks 6 genutzt, andererseits zur Versorgung der Aquakultur. Man könnte es auch so ausdrücken: Aquaponik = Betriebswasser aus Grauwasser + Aquakultur + Hydroponik.
Einsatz von Schwarzwasser
Ein weiterer Pflanztisch im Gewächshaus erhält das Betriebswasser direkt, ohne Umweg über die Fischzucht. Damit fehlt der tierische Dünger. Dieser wird ersetzt durch einen Flüssigdünger, erzeugt in der zweiten Abwasserrecycling-„Straße“ des Blocks 6. Hier entsteht aus dem Schwarzwasser von 50 Bewohnern Flüssigdünger – sogenanntes Goldwasser, hausintern aufbereitet und bei der Bewässerung zugesetzt. Er enthält u. a. die für Pflanzenwachstum unerlässlichen Elemente Stickstoff, Phosphat und Kalium. Kurz gefasst: System Hydroponik = Betriebswasser aus Grauwasser + Flüssigdünger aus Schwarzwasser. Zwischenergebnisse der Forscher belegen, dass die Qualität der Aquaponik-Produkte als Nahrungsmittel unbedenklich ist; und dass mit einem 400 m² großen Gewächshaus 70 Bewohner eines mehrgeschossigen Wohnblocks 80 % ihres Bedarfs an Fisch, Gemüse und Obst decken könnten.
Doppeltes Leitungsnetz müsste Standard sein
Der Block 6 in Kreuzberg bot sich für derlei Versuche an, denn die (für die Verwertung interessanten) Wasserströme wurden von vorn herein getrennt. Im Jahr 1987 wurde mit dem Bau der Häuser dort bewusst ein zweites Leitungssystem für Wasserver- und entsorgung eingebaut. Konkret ist außer der Sammelleitung für das Schwarzwasser ein Rohrsystem vorhanden, das nur Grauwasser aufnimmt. Und neben den Leitungen zu den Verbrauchsstellen für Trinkwasser existieren separate Leitungsinstallationen zur Versorgung der Toilettenspülkästen mit Betriebswasser aus aufbereitetem Grauwasser. „Die Investition in doppelte Leitungsnetze kostet erst einmal, bevor mit Gebühreneinsparungen, Wärmerückgewinnung und Flüssigdünger an eine Amortisation zu denken ist“, sagt Erwin Nolde. Als Umweltingenieur ist er Geschäftsführer von Nolde und Partner und betreut neben anderen Grauwasseranlagen in Deutschland auch das Wasserrecycling im Block 6. Die Optimierung und Umgestaltung des Grau- und Regenwasserkonzeptes hier 2006/2007 ging auf seine Planung zurück.
Der reibungslose Betrieb ist seiner regelmäßigen Inspektion und Wartung zu verdanken. „Eigentlich fehlt nur die Wärmerückgewinnung – die haben wir erst 2012 beim Neubau eines Mehrfamilienhauses am Berliner Arnimplatz mit ins Programm genommen“ gesteht der Pionier. „Seither planen, bauen und betreiben wir Klima-positive Grauwasserrecyclinganlagen und tragen damit deutlich zur CO2-Reduktion bei“. Noldes Spezialität ist der objektspezifische Anlagenbau, in Zusammenarbeit mit Rudi Büttner und dessen Sanitär-/Heizungsbetrieb „Lokus“. Beide bevorzugen für die Grauwasseraufbereitung das Wirbelbettverfahren, welches sowohl wenig Energie als auch wenig Wartung benötigt und sich seit mehr als 15 Jahren als sehr robust erwiesen hat – selbst dann, wenn seitens der Mieter versehentlich Wandfarbe und Desinfektionsmittel eingeleitet wurden.
Seit 2011 überwachen und steuern Nolde und Büttner die Abwasseraufbereitung über das Internet. Das heißt, die Anlagensteuerung ist automatisiert und meldet Unregelmäßigkeiten per E-Mail oder SMS an den Betreiber. „Dadurch“, so Nolde, „konnten die Recycling-Erträge deutlich erhöht und der Wartungsaufwand gesenkt werden.“
Mögliches Einsatzgebiet/Einsparpotenzial
Und wer sind die typischen Auftraggeber? Grauwasserrecycling ist insbesondere dort lukrativ, wo viele Bewohner in mehrgeschossigen Gebäuden untergebracht sind, z. B. in Hotels, Wohnheimen und im mehrgeschossigen Wohnungsbau.
Im Ergebnis für Block 6 in Berlin-Kreuzberg dient das separat gesammelte Grauwasser den 250 Bewohnern nach Aufbereitung innerhalb des Gebäudes als Betriebswasser für die Toilettenspülung – und hilft ihnen so, etwa ein Drittel der Trink- und Abwassergebühren zu sparen.
Dauerhaft Grauwasser reinigen ohne Zusätze
Bei der Wirbelbett-Anlage im Berliner Block 6 durchläuft das Grauwasser neun Reinigungsstufen, bevor es „glasklar“ im letzten Behälter als Betriebswasser für die weitere Verwendung lagert. Die besondere Herausforderung bei diesem Objekt ist laut Nolde die hohe Belastung mit organischem Material, da im Gegensatz zu heute üblichen Grauwassersystemen hier zusätzlich Waschmaschinen und Küchenspülen angeschlossen sind. Partikel werden gleich zu Beginn des Reinigungsprozesses herausgesiebt. Erwünschte biologische Abbauprozesse kommen durch Belüftung des Wassers in Gang. Als Folge setzt sich Schlamm am Behälterboden ab, der periodisch abgelassen wird. Die hydraulische Aufenthaltszeit beträgt je nach Belastung etwas mehr als 24 Stunden. Wenn die Bedingungen stimmen, übernehmen Mikroorganismen, die sich von selbst in der Anlage ansiedeln, die Arbeit der Reinigung. Sandfilter und UV-Licht-Desinfektion sind die letzten Aufbereitungsschritte.
Zugaben von biologischen oder chemischen Stoffen sind nicht erforderlich. Ein Teil der Behälter hat Zapfventile, mittels denen Wasserproben zur Analyse gezogen werden können. Besucher erhalten von Nolde üblicherweise an der letzten Station der Prozesskette, dem Betriebswassertank, ein Glas gezapft – nicht zum Trinken, aber zum optischen und olfaktorischen Begutachten. Das Wasser ist, für Laien erstaunlich, frei von Geruch und glasklar. Die jahrelangen Untersuchungen im Rahmen der Forschungsprojekte bestätigen diesen subjektiv gewonnenen positiven Eindruck. Das Betriebswasser im Block 6 hat Badegewässerqualität. Deshalb darf es über die Toilettenspülung hinaus auch für die „Roof Water-Farm“ verwendet werden.
Literatur:
– „fbr-Hinweisblatt H 202“. Hinweise zur Auslegung von Anlagen zur Behandlung und Nutzung von Grauwasser und Grauwasserteilströmen. Hrsg.: Fachvereinigung Betriebs- und Regenwassernutzung e. V. (fbr). Darmstadt, Okt. 2017
– König, K. W.: Grauwassernutzung – ökologisch notwendig, ökonomisch sinnvoll. Fachbuch mit farbigen Abbildungen, 1. Auflage, 130 Seiten. Verlag: iWater Wassertechnik, Troisdorf, 2013.
– Nolde, E.: Getrennte Erfassung von Grauwasser. Ein Weg zu mehr Ressourceneffizienz in der Siedlungswasserwirtschaft. In: fbr-Wasserspiegel, Ausgabe 1/17. Hrsg.: Fachvereinigung Betriebs- und Regenwassernutzung e. V. (fbr). Darmstadt, 2017
Autor: Dipl.-Ing. Klaus W. König, Überlingen
Projektdaten Wasserkonzept Block 6
Adresse: Dessauer Str./Bernburger Str., 10963 Berlin
Fertigstellung: Im Rahmen der Internationalen Bauausstellung Berlin 1987
Begleitforschung: Technische Universität Berlin bis 1993
Optimierung/Umgestaltung: 2006 bis 2007
Auszeichnung: Preisträger des deutschlandweiten Wettbewerbs „365 Orte im Land der Ideen“, 2009
Erweiterung: Integration in das Verbundprojekt „Roof Water-Farm“, 2013 bis 2016
Präsentation: Im Rahmen des Ökologischen Stadtplans Berlin, 2017 unter www.stadtentwicklung.berlin.de/oekologischer-stadtplan/ sowie im Rahmen des „Roof Water-Farm“-Forschungsprojektes unter www.roofwaterfarm.com/neuigkeiten/
Regen- und Grauwasser: Qualität, Einsatzgebiete, Regelwerke
Regenwasser und aufbereitetes Grauwasser eignen sich für dieselbe Verwendung. Beide Arten gelten als Betriebswasser, das keine Trinkwasserqualität hat. Damit darf in Deutschland u. a. der Garten gegossen, die Toilette gespült und die Wäsche gewaschen werden. Mindestanforderung ist eine Wasserqualität gemäß der europäischen Badegewässerrichtlinie. Bei Stichproben werden regelmäßig deutlich bessere Werte, als dort gefordert, gefunden. Eine Nachweispflicht besteht nicht.
Derzeit wird in Abstimmung mit den europäischen Gremien ein einheitliches DIN-EN-Regelwerk erstellt, sowohl für die Regenwasser-, als auch für die Grauwassernutzung. Dies geschieht im DIN-Ausschuss NA 119-05-08 AA „Wasserrecycling“, seit dieser im Jahr 2013 als nationaler Spiegelausschuss des europäischen Arbeitskreises CEN/TC 165/WG 50 benannt wurde. EN 16941 ist als Teil 1 für Regenwasser bereits veröffentlicht, Teil 2 für Grauwasser wird für 2019 erwartet.