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„Der erzielte Kompromiss ist ein Meilenstein für demokratischere Energieerzeugung“

Bislang hatten die Dachbesitzer ein Photovoltaik-(PV)-Privileg. Das Ganze wird sich öffnen

Bild: Wista-Management

Das Konzept von ready2plugin basiert u. a. auf einem Algorithmus, der die Einspeisung in unbekannte Elektroinstallationen regelt. Das Gerät soll vor kritischen Leitungstemperaturen schützen, wenn Strom aus Steckermodulen in die Leitungen fließt. Bild: Indielux

Häufig werde das Risiko eines Stromschlags am Schukostecker der Stecker-Solar-Geräte angeführt. Jedoch schlössen Wechselrichter mit NA-Schutz diesen aus, sagt die DGS. Bild: BirgitH, Pixelio

Die DGS lehnt für Anlagen bis zur Bagatellgrenze von 2,6 Ampere separate Stromkreise als unnötig ab. In den meisten Fällen – für den Dauerbetrieb von steckbaren Stromerzeugungseinrichtungen – hätten Elektroinstallationen hierzulande normative Reserven. Bild: Klicker, Pixelio

Über Steckdosen-Module können auch die „Dach-Unterprivilegierten“ an der ­Energiewende teilhaben: Mieter und natürlich Bewohner (Mieter und auch Wohnungseigentümer) in ­Großstädten. Bild: Indielux

 

Die sogenannten Balkonmodule waren nicht nur unter Elektrikern und Installateuren als „PV-Guerilla“ verschrien, sondern auch bei Netzbetreibern und beim VDE. Es entstand eine rege Diskussion über Sicherheitsbedenken. Wir sprachen mit Marcus Vietzke zum Thema „PV-Guerilla“, steckbare Solargeräte und wie sich das Thema weiterentwickeln wird, z. B. über seine Erfindung ready2plugin.

IKZ-Energy: Herr Vietzke, was war das Problem mit der sogenannten „PV-Guerilla“ und was wurde mit diesem Begriff überhaupt so bezeichnet?
Marcus Vietzke: In der Öffentlichkeit besteht ein großes Interesse an Kleinst-Photovoltaik-(PV)-Systemen im Leistungsbereich von etwa 150 W bis 600 W, die an einer gewöhnlichen Steckdose angeschlossen werden können. Diese Geräte – auch oft bezeichnet als Balkon-Kraftwerke, Mini-PV-Anlagen oder eben „Guerilla-PV“ – erlauben auch Mietern, einen Teil ihres Stromverbrauches selber solar zu erzeugen.
Nachdem das Thema 2012 in Deutschland prominent wurde, veröffentlichte das Forum Netztechnik/Netzbetrieb (FNN) im VDE eine Warnung vor der Benutzung von steckerfertigen PV-Anlagen, ohne eine wissenschaftliche Untersuchung durchgeführt zu haben. Diese wurde vom Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft e. V. (BDEW) 2013 in Form von Hinweisen zum Anschluss von „Plug-in“-Solarstromanlagen aufgegriffen. Beide Lobbyorganisationen der zentralen Energiewirtschaft behaupteten darin, dass „diese Art der Einspeisung zu erheblichen gesundheitlichen und technischen Risiken führen kann“.
Dies wurde von vielen Netzbetreibern dankbar aufgenommen und als Vorwand benutzt, um Kunden, die ihre Solar-Geräte nach Niederspannungsanschlussverordnung – NAV § 16 – meldeten, den Betrieb zu untersagen. Zwischenzeitlich haben verschiedene Verfahren festgestellt, dass Netzbetreiber keine Rechtsgrundlage für das Verbot des Laienanschlusses haben bei Geräten, die fest angeschlossen der VDE-Anwendungsregel AR-N-4105 entsprechen.

IKZ-Energy: Was waren diese „erheblichen gesundheitlichen und technischen Risiken“, die angeführt wurden?
Marcus Vietzke: Damals wurde alles Denkbare angeführt. Zwischenzeitlich haben wir aber die fadenscheinigen Argumente abgeräumt, sodass wir heute bei der Deutsche Kommission Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik (DKE) zwei Risiken diskutieren: Erstens das Risiko eines elektrischen Schlags am Schuko-Stecker und zweitens das Risiko einer Leitungsüberlastung durch die Einspeisung hinter der Sicherung.

IKZ-Energy: Wie ging es dann weiter?
Marcus Vietzke: 2016 folgte eine Studie des Fraunhofer ISE, die dem österreichischen Regulierer E-Control die Unbedenklichkeit für die Netze bescheinigte. 2017 führte die Deutsche Gesellschaft für Sonnenenergie (DGS) zusammen mit Indielux sowie der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin (HTW-Berlin) und dem PI Photovoltaik-Institut Berlin eine Studie durch, welche die Auswirkungen auf die Hausinstallation untersuchte.

IKZ-Energy: Was waren die zentralen Ergebnisse dieser Studien?
Marcus Vietzke: Die Fraunhofer ISE Studie bescheinigte, dass der Betrieb von Kleinst-PV-Anlagen in Österreich technisch unproblematisch und eine Gefährdung des Netzbetriebes ausgeschlossen ist. Die PI Studie kam zu dem Schluss, dass die aktuellen Modulwechselrichter keine Beeinflussung des Fehlerstrom-Schutzschalters verursachen und bei einer Strombegrenzung auf 2,6 Ampere keine Brandgefahr durch die thermische Überlastung von Leitungen besteht.
Auf Basis der PI Studie wurde der DGS Sicherheitsstandard für steckbare Strom­erzeugungsgeräte DGS 0001:2017-08 entwickelt, bei dem beim Anschluss bis 600 W auf die Prüfung der Leitungsreserve verzichtet werden kann. Bei der DKE konnte diese Regelung nicht in die VDE 0100-551 aufgenommen werden, da sie Bestandteil der VDE 0298-4 Belastbarkeit von Kabeln und Leitungen ist. DKE-interne und -externe Anfragen an das Gremium der VDE 0298-4 wurden 2016 gestellt, aber bisher nicht beantwortet.

IKZ-Energy: Wie kam es dann, dass die DKE die Vorschläge der DGS aufgriff und sie in die Norm aufnahm?
Marcus Vietzke: Die DKE ist nur die Plattform für verschiedene Experten, um gemeinsam die deutschen Elektrotechniknormen zu erarbeiten. Jeder Teilnehmer vertritt natürlich die politischen und wirtschaftlichen Interessen seines Auftraggebers, kann diese aber nur in Form von technischen Anforderungen platzieren. Diese technischen Anforderungen müssen begründet sein. Wir haben jede einzelne Anforderung hinterfragt, falls möglich wiederlegt und so die Norm auf das technisch Nötige reduziert.

IKZ-Energy: Ist die DGS jetzt zufrieden?
Marcus Vietzke: Der erreichte Kompromiss ist einerseits ein Meilenstein für eine demokratischere und regenerativere Ener­gieversorgung, da erstmals Laien stromerzeugende Geräte in jedem Stromkreis normgerecht anschließen können. Andererseits erfordert er nach wie vor einen Elektriker, der die Leitungsreserve nach VDE 0298-4 bestimmt und die Einspeisesteckdose mit der Leitungsreserve kennzeichnet.
Da gerade bei den kleinen Generatoren, die für die Demokratisierung unserer Energieversorgung unverzichtbar sind, der Elektrikerbesuch die Stromgestehungskosten verdoppelt, haben wir bei Indielux nach einem anderen Weg gesucht, der den normkonformen Anschluss ohne Elektriker möglich macht und haben ready2-plugin entwickelt.

IKZ-Energy: Ist das nicht gefährlich, wenn jeder einfach so ein Solarmodul anschließen kann?
Marcus Vietzke: Nein. Die neue Norm ermöglicht auch die Kommunikation zwischen Stromerzeuger und Schutzgeräten zur Vermeidung von Überlastungen. Wir nutzen diese Möglichkeit und bieten dabei eine höhere Stufe der Sicherheitstechnik als die Bestimmung der Leistungsreserve durch den Elektriker, da es verhindert, dass versehentlich zu viele oder zu starke Generatoren angeschlossen werden.

IKZ-Energy: Und wie soll das funktionieren?
Marcus Vietzke: ready2plugin besteht aus zwei Komponenten: Erstens einem Algorithmus, der die Einspeisung in unbekannte Elektroinstallationen regelt und auf jedem Energiemanagementsystem und auf Smart-Home-Zentralen installiert werden kann. Zweitens einem Protokoll für Erzeugungsgeräte, das die Einspeisung innerhalb der normativen Vorgaben regelt.
Anders als klassische Wechselrichter, die angebotsabhängig einspeisen, sind ready2plugin-Geräte zunächst ausgeschaltet. Generatoren mit ready2plugin speisen nur bedarfsabhängig ein, nachdem sie ein Datenpaket mit der benötigten Einspeisung und der maximalen Einspeisedauer erhalten und verifiziert haben. Neue Datenpakete halten die Einspeisung aufrecht. Ohne neue Datenpakete stellt der Wechselrichter die Einspeisung ein, bevor eine kritische Leitungstemperatur auftreten kann.
Die maximale Einspeisedauer bestimmt der Algorithmus in zwei Schritten. Zunächst wird die Erwärmung einer fiktiven Leitung basierend auf allen Energieflüssen berechnet. Gemäß der DGS-Studie setzt der Algorithmus die ungünstigsten anzutreffenden Parameter für die Leitung an. Anschließend bestimmt der ready2plugin-Algorithmus die Zeit, bei der die zusätzliche Einspeisung zu einer Überhitzung der elektrischen Anlage führen würde.
Dadurch wird es möglich, dass Erzeugungsgeräte wie Solarmodule, Windkraftanlagen, Mikro-Blockheizkraftwerke etc. und Speicher Energie über die vorhandene Elektroinstallation austauschen können. Zusätzlich lässt sich mit dem System die Netzeinspeisung regeln. Ist sie auf null eingestellt, muss der Zähler nicht getauscht werden und der Abstimmungsbedarf nach Niederspannungsanschlussverordnung (NAV) entfällt. Eine Anzeige nach NAV reicht in diesem Fall aus.

IKZ-Energy: Wie baut ihr es konkret ein?
Marcus Vietzke: ready2plugin wird bei der Markteinführung zwei Schnittstellen zur Energie-Erfassung mitbringen: Zum einen wird es möglich sein, Smart-Meter auszulesen. Zum anderen können Strommesszangen gesetzt werden. Im Gegensatz zum Einbau einer Einspeisesteckdose stellt das Anbringen von Strommesszangen keinen Eingriff in die Elektroinstallation dar und kann von geschultem Personal durchgeführt werden. Weitere Schnittstellen zur Erfassung des Netzbezugs werden folgen.

IKZ-Energy: Gibt es Leistungsgrenzen?
Marcus Vietzke: Die untere Leistungsgrenze wird durch die Wirtschaftlichkeit der Systeme bestimmt. Bei Solargeneratoren liegt diese bei ca. 250 W. Bei anderen steckbaren Erzeugungsgeräten wie Kleinwindrädern oder Mikro-BHKW’s sowie Speichern fehlen noch die Erfahrungswerte.

IKZ-Energy: Was sagen dazu die Versicherungen?
Marcus Vietzke: Auch das Thema Versicherung ist mit einer normkonformen Lösung unproblematisch. Während Versicherungen norm-inkonforme Geräte als Vorwand benutzen können, um Ansprüche zurückzuweisen, ist ein normkonformes Erzeugungsgerät – genau wie jedes andere Verbrauchsgerät – automatisch mitversichert.

IKZ-Energy: Last but not least: Wie sehen die Anschaffungskosten aus?
Marcus Vietzke: ready2plugin wird das preiswerteste Energiemanagementsystem auf dem Markt sein. Es unterbietet preislich sowohl den Elektrikerbesuch als auch die Mehrkosten für einen Einspeisezähler.

IKZ-Energy: Herr Vietzke, vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Dittmar Koop


Zur Person
Marcus Vietzke ist Diplomingenieur für regenerative Energien. Er ist Gründer und Geschäftsführer von Indielux und koordiniert ehrenamtlich die Arbeitsgruppe PVplug der Deutschen Gesellschaft für Sonnenenergie e. V. Diese Arbeitsgruppe war maßgeblich an der Öffnung der Norm VDE 0100-551 für steckbare Solargeräte ­beteiligt und wurde für diese Arbeit mit dem PV Magazine Award 2016 und dem Georg Salvamoser Preis 2018 ausgezeichnet.


Stecken ist im Ausland schon üblich
Steckbare Solarmodule gibt es seit vielen Jahren in den USA und den Niederlanden. Auch in vielen europäischen Ländern wurden von den nationalen Regulierungsbehörden vereinfachte Anschlussbedingungen geschaffen, die den Anschluss von Stromerzeugungsanlagen durch den Laien ermöglichen. Diese Regelungen stehen zum Teil im Konflikt mit geltenden Normen, haben aber dazu geführt, dass europaweit mehr als 250 000 PV-Anlagen an Steckdosen angeschlossen wurden.

 


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