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Beendigungsschutz gegen Kündigungen außerhalb des KSchG - Kündigungsschutz 2. Klasse

Irrtümlich meinen viele Arbeitgeber immer noch, Arbeitverhältnisse könnten frei gekündigt werden, wenn das KschG nicht anzuwenden ist, wie z.B. in der Wartezeit nach § 1 Abs. 1 KSchG oder im Kleinbetrieb nach § 23 Abs. 1 KSchG. Unter bestimmten Voraussetzungen gibt es jedoch auch einen Beendigungsschutz gegen Kündigungen außerhalb des KSchG (sogenannter „Kündigungschutz 2. Klasse“). Dieser Kündigungsschutz wird in dem nachfolgenden Beitrag näher beleuchtet.

 

Kündigungsschutz 2. Klasse bedeutet, dass der Arbeitgeber nach der Rechtsprechung vor einer Kündigung auch dann ein Mindestmaß an sozialer Rücksichtnahme gegenüber Arbeitnehmern wahren muss, wenn das KSchG nicht anwendbar ist und daher „an sich“ kein Kündigungsschutz besteht.
Daraus folgt, dass Arbeitnehmer auch außerhalb des Geltungsbereichs des KSchG vor sitten- oder treuwidriger Ausübung des Kündigungsrechts des Arbeitgebers geschützt werden, was z.B. bei willkürlichen oder auf sachwidrigen Motiven beruhenden Kündigungen der Fall sein kann.

„Sozialauswahl“ ohne Kündigungsschutz?

Praktisch geworden ist die Rechtsprechung zum Kündigungsschutz 2. Klasse bei der Frage, ob der Arbeitgeber in einem Kleinbetrieb einen deutlich älteren Arbeitnehmer betriebsbedingt kündigen darf, wenn er einem wesentlich jüngeren Arbeitnehmer nicht kündigt.
Unbestritten ist, dass dem Arbeitgeber eine „echte“ Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG nicht abverlangt werden darf, da ansonsten die gesetzliche Differenzierung aufgehoben würde. Dennoch muss der Arbeitgeber in einem solchen Fall ein Mindestmaß an sozialer Rücksichtnahme einhalten. Ein durch langjährige Mitarbeit verdientes Vertrauen in den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses darf nicht unberücksichtigt bleiben.
Hat der Arbeitgeber keine spezifischen eigenen Interessen, einem bestimmten Arbeitnehmer zu kündigen bzw. anderen Arbeitnehmern nicht zu kündigen, und entlässt er dennoch den Arbeitnehmer mit der bei weitem längsten Betriebszugehörigkeit, dem höchsten Alter und den meisten Unterhaltspflichten, so spricht dies dafür, dass der Arbeitgeber bei seiner Entscheidung das verfassungsrechtlich gebotene Mindestmaß an sozialer Rücksichtnahme nicht berücksichtigt hat.

Personen- und verhaltensbedingte Kündigungen

Vorgenannte Grundsätze gelten nicht nur bei betriebsbedingten, sondern auch bei Kündigungen, denen eine personen- oder verhaltensbezogene Motivation des Arbeitgebers zugrunde liegt.
So sind von der Rechtsprechung z.B. Kündigungen wegen Religionszugehörigkeit oder wegen einer HIV-Erkrankung nach § 242 BGB für unwirksam erklärt worden.

Darlegungs- und Beweislast

Kündigungsgrund
Problematisch ist aus Arbeitnehmersicht die Darlegungs- und Beweislast. Während diese nach dem KSchG hinsichtlich des Kündigungsgrundes dem Arbeitgeber obliegt (§ 1 Abs. 2 letzter Satz KSchG), ist diese Vorschrift außerhalb des KSchG nicht anwendbar.
Daraus ergibt sich, dass grundsätzlich der Arbeitnehmer die Darlegungs- und Beweislast für diejenigen Umstände, aus denen sich die Treu- oder Sittenwidrigkeit der Kündigung ergeben soll, trägt.
Diesen Anforderungen gerecht zu werden ist vor allem deshalb für den Arbeitnehmer schwierig, da die Überlegungen, die der Kündigung zugrunde liegen, in der Sphäre des kündigenden Arbeitgebers liegen.
Vor diesem Hintergrund ist die Rechtsprechung gehalten, die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast so zu gestalten, dass auch der Kündigungsschutz 2. Klasse einen effektiven Anwendungsbereich hat. Kurzschlüssige Entscheidungen zugunsten des Arbeitnehmers wegen „unzureichenden Vortrags“ des Arbeitgebers sind ebenso unzulässig wie die Akzeptanz allgemeiner Floskeln des Arbeitgebers als „schlüssige Darlegung eines legitimen Kündigungsgrundes“. Im Zweifel hat das Gericht durch gezielte Auflagen darauf hinzuwirken, dass sich beide Parteien hinreichend zu den vom Arbeitsgericht als Streit entscheidend angesehenen Tatsachen und Motivlagen erklären. Die Arbeitgeberseite sollte an einem solchen effektiven Rechtsschutz schon deshalb ein besonderes Interesse haben, da ansonsten die Abschaffung der Kleinbetriebsklausel durch den Gesetzgeber oder die Unwirksamkeitserklärung durch das BVerfG wegen ungerechtfertigter Differenzierung zwischen Arbeitnehmern mit und ohne Kündigungsschutz droht.

Praktisch bedeutet dies Folgendes:

  • In einem ersten Schritt muss der Arbeitnehmer, soweit er die Überlegungen des Arbeitgebers, die zu seiner Kündigung geführt haben, nicht kennt, lediglich einen Sachverhalt vortragen, der die Treuwidrigkeit der Kündigung nach § 242 BGB indiziert.
  • Der Arbeitgeber muss sich sodann mit dem Vortrag befassen, um ihn zu entkräften.
  • Kommt der Arbeitgeber dem nicht nach, gilt der Sachvortrag des Arbeitnehmers als zugestanden. Ist dieser schlüssig, ist die Kündigung unwirksam.
  • Trägt der Arbeitgeber einen Sachverhalt vor, der die Kündigung als nicht treuwidrig erscheinen lässt, muss der Arbeitnehmer darlegen und beweisen, dass doch ein Sachverhalt vorliegt, der die Treu- bzw. Sittenwidrigkeit und damit die Rechtswidrigkeit der Kündigung begründet.

Sozialauswahl
Will sich der Arbeitnehmer auf die fehlerhafte Auswahl in Bezug auf andere, nicht gekündigte Arbeitnehmer stützen, sind folgende Maßstäbe anzulegen:

  • Der Arbeitnehmer hat zunächst einen Sachverhalt vorzutragen, bei dem sich auf den ersten Blick ergibt, dass der Arbeitgeber einen erheblich weniger schutzbedürftigen, vergleichbaren Arbeitnehmer als ihn weiter beschäftigt. Geringfügige Unterschiede in der sozialen Schutzbedürftigkeit bleiben von vornherein außer Betracht.
  • Gelingt dies dem Arbeitnehmer, muss der Arbeitgeber auf einer zweiten Stufe substantiiert darlegen, welche Überlegungen er seiner Personalauswahl zugrunde gelegt hat. Ergibt dieser Vortrag, dass seiner Auswahl sachliche Überlegungen zugrunde gelegen haben, sind die Voraussetzungen einer treu- und sittenwidrigen Kündigung streitig, sodass der Arbeitnehmer die volle Beweislast trägt für diejenigen Tatsachen, aus denen sich die Treu- bzw. Sittenwidrigkeit der Kündigung ergeben soll.

Daraus wird deutlich, dass die Anforderungen an den Vortrag des Arbeitnehmers im Rahmen des Kündigungsschutzes 2. Klasse erheblich höher als bei Anwendung des KSchG liegen, er jedoch keineswegs schutzlos gestellt ist.

Anwendbarkeit der allgemeinen Unwirksamkeitsvorschriften
Auch bei einer Kündigung außerhalb des KschG bleiben die allgemeinen Unwirksamkeitsvorschriften, wie z. B. § 612 a Abs. 4 BGB, § 102 BetrVG, § 9 MuSchG., § 18 BErzGG, § 2 ArbPlSchG, §§ 85 ff. SGB IX, zu beachten.
Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass zwar der durch das KSchG vermittelte Kündigungsschutz nicht auf Arbeitsverhältnisse, die nicht dem KSchG unterliegen, nicht „ein zu eins“ zu übertragen sind, jedoch dem Arbeitnehmer, der dem KschG nicht unterliegt, ein Mindestschutz vor willkürlichen, treu- und sittenwidrigen Kündigungen, die ein legitimes Interesse des Arbeitgebers an der konkreten Kündigung nicht erkennen lassen, gewähren.

Autor: Prof. Dr. ­Ulrich Dall, Essen, ist seit 1993 als Rechtsanwalt auf wirtschaftsrechtlichem Gebiet tätig. Sein Leis­tungsspektrum erstreckt sich auf die Beratung (insbesondere Vertragsgestaltung) sowie die bundesweite Prozessführung (einschließlich Schiedsverfahren) in den Bereichen Handels- und Gesellschaftsrecht sowie Wettbewerbsrecht und Arbeitsrecht. Seine umfangreichen Erfahrungen bringt Prof. Dr. Dall auch in seine Vortrags- und Lehrtätigkeit ein. Im März 2002 wurde er zum Professor ernannt und ist Herausgeber mehrerer Gesetzeskommentare.

 


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