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Bau- und Wohnkultur für das 21. Jahrhundert - Ein Gespräch mit Winfried Schneider zur Nachhaltigkeit von Gebäuden

Für eine wirklich nachhaltige Gebäudeplanung und Realisierung reichen die Nutzung Erneuerbarer Energien und ein hoher energetischer Standard der thermischen Hülle allein nicht aus. Vielmehr geht es neben der Gebäudesystemtechnik als Symbiose aus Baukonstruktion und Haustechnik auch um die öko-sozialen Auswirkungen des Bauens.

 

Der Begriff „Nachhaltigkeit“ wird in unserer Informationsgesellschaft sehr unterschiedlich wahrgenommen und verwendet. Aus diesem Grund wird sich die IKZ-ENERGY diesem Thema ab dieser Ausgabe verstärkt widmen und es im Diskurs mit den verschiedensten Akteuren mit konstruktiven und sachlichen Inhalten füllen.
In diesem Jahr feiert das Institut für Baubiologie + Ökologie (IBN) in Neubeuern sein 30-jähriges Bestehen. Grund genug, um mit einem Vertreter dieser Institution, die in diesen 30 Jahren wesentliche Aspekte der Nachhaltigkeit im Umfeld des Bauens und Modernisierens von Gebäuden erarbeitete und realisiert, ein Gespräch zu führen.
In dieser Zeit wurden mit dem „Fernlehrgang Baubiologie IBN“ im In- und Ausland mehrere Tausend Baubiologen ausgebildet. Zudem entstanden mehr als 100 Baubiologische Beratungsstellen IBN in Deutschland und dem benachbarten Ausland. Unter anderem in Belgien, Frankreich, Kanada, Japan, Niederlande, Österreich, Spanien, USA und einigen südamerikanischen Ländern gibt es baubiologische Partnerinstitute.
IKZ-ENERGY-Redakteur Frank Hartmann sprach mit dem Architekten und Geschäftsführer des Institut für Baubiologie + Ökologie IBN in Neubeuern, Winfried Schneider, über Wege zu einer Nachhaltigkeit von Gebäuden, die den damit verbundenen Ansprüchen auch gerecht werden.

IKZ-ENERGY: Herr Schneider, welche Kriterien sind für Sie im Sinne der Nachhaltigkeit von Gebäuden ausschlaggebend und wie wu?rden Sie ein nachhaltiges Gebäude definieren?
Winfried Schneider: Aktuell besteht die Gefahr, dass der Begriff Nachhaltigkeit zu einer beliebigen positiv besetzten Leerformel verkommt. Alles kann heute nachhaltig sein, sogar die Gewinne, die man mit dem Bauen, Sanieren oder Vermieten von Gebäuden machen kann.
Um dem vorzubeugen, braucht es einfache nachzuvollziehende Erklärungen. Deshalb schließe ich mich dem bereits 1994 definierten Leitbild des Sachverständigenrates für Umweltfragen (SRU) an, der unter Nachhaltigkeit „dauerhafte und umweltgerechte“ Lösungen, also auch Gebäude versteht. Ergänzen möchte ich hierzu aber folgende Kernforderungen der Baubiologie: Gebäude dürfen nicht krank machen und auch keine sozialen Folgelas­ten (z.B. Aggressionen aufgrund zu gro­ßer Baudichte, Lärm oder menschenunwürdiger Gestaltung) verursachen. Von einer 100%igen Nachhaltigkeit sind wir heute im Bauwesen i.d.R. weit entfernt.  

IKZ-ENERGY: D.h., in der Konsequenz können wir also nur Optimierungen in diesem Sinne anstreben?
Winfried Schneider: Nachhaltige Gebäude dürfen nicht größer als nötig sein, sollen so wenig wie möglich Energie verbrauchen und mit Erneuerbaren Energien versorgt werden. Sie sollen aus Baustoffen mit optimaler Ökobilanz möglichst aus der Region bestehen. Nachhaltige Gebäude müssen übrigens nicht zwingend lange haltbar sein. Im Einzelfall kann es auch nachhaltiger sein, so zu bauen, dass sie z.B. wieder demontierbar und an anderer Stelle wieder aufbaubar sind, wie z.B. in der Doktorarbeit des Baubiologen IBN und Holzbauingenieurs Dr. Hans Löfflad „Das globalrecyclingfähige Haus“ beschrieben. Auch beweglicheBauten können ganz besonders dem Prinzip der Nachhaltigkeit entsprechen, wie z.B. die kürzlich zusammen mit Baubiologen IBN entwickelte Ökowohnbox (www.ökowohnbox.ch). Grundsätzlich bietendie „25 Grundregeln der Baubiologie“ (www.25grundregeln.baubiologie.de) eine kompakte und gute Orientierung zum nachhaltigen Bauen.
Das IBN fordert schon lange eine Novellierung der Energieeinsparverordnung in dem Sinne, dass auch weitere Aspekte der Nachhaltigkeit wie u.a. die Ökobilanz und Toxizität der verwendeten Baustoffe und -teile mit berücksichtigt werden, um die Erfolgsgeschichte der EnEV nicht ad absurdum zu führen.

IKZ-ENERGY: Welche Voraussetzungen sind fu?r die Umgebung (Standort, Infrastruktur usw.) von nachhaltigen Gebäuden wichtig?
Winfried Schneider: Gebäude können nur dann nachhaltig sein, wenn sie sich den Rahmenbedingungen ihrer Umgebung anpassen. Nicht jede Umgebung ist für Gebäude geeignet, das hat uns aktuell gerade die Hochwasserkatastrophe vor Augen geführt. Wichtig ist ein günstiges Kleinklima (viel Sonne, wenig Wind, wenig Schatten, wenig Nebel) und ein trockener (nicht hochwassergefährdeter!) und tragfähiger Baugrund, der auch frei von Alt- und vermeidbaren Elektrosmogbelastungen ist. Das Wohnumfeld sollte menschlichen Bedürfnissen und Gestaltungswünschen möglichst weit entgegen kommen. Die nötige Energie aus Erneuerbaren Energiequellen sollte im Sinne einer dezentralen Energieversorgung direkt am Gebäude oder zumindest in der näheren Umgebung erzeugt werden, was den derzeitig politisch gewollten Zielvorstellungen (Offshore-Windparks in der Nordsee, Desertec...) widerspricht. Auch im Sinne der Nachhaltigkeit sind Pflanzenkläranlagen vor Ort anstatt aufwendiger Rohrsysteme, Pumpen und Kläranlagen.
Wer weiter denkt, schafft auch die Infrastruktur, die weniger kurzfristige wirtschaftliche Interessen bedient, sondern im Sinne der Nachhaltigkeit langfris­tig zukunftsfähig ist und sich vorrangig an den Bedürfnissen der Menschen orientiert. Hier wohnen, dort arbeiten, hier Freizeit, dort Einkaufen usw. verursacht viel Straßenbau, Verkehr, Parkflächen und auch häufig leerstehende Gebäude. Alle Lebensbereiche sollten wieder mehr zusammenrücken, dies wäre auch gut für Familien und Lebenspartnerschaften mit Kindern und den sozialen Zusammenhalt insgesamt.

IKZ-ENERGY: Ist im Sinne der Nachhaltigkeit von Gebäuden eine Unterscheidung von Wohn- und Nichtwohngebäuden sinnvoll oder notwendig?
Winfried Schneider: Letztendlich nein. Die Kriterien für nachhaltige Lösungen sind für alle Gebäude gleich. Natürlich braucht jede Bauaufgabe entsprechend ihren individuellen Anforderungen unterschiedliche Detaillösungen. So müssen auch technische oder bauphysikalische Anforderungen (Schallschutz, Brandschutz, Luftqualität, hohe Tageslichtausbeute, Beleuchtung...) mit Anforderungen im Sinne der Nachhaltigkeit aufeinander abgestimmt werden. Auch sollte stets geprüft werden, ob man wirklich immer zwischen Wohn- und Nichtwohngebäuden unterscheiden muss. Oft ist es auch unter Nachhaltigkeitsaspekten sinnvoll, Gebäude und ihre Räume sowohl als auch zu nutzen, am besten sogar flexibel je nach aktuellem Bedarf. Die heutige Arbeitswelt fordert von allen ein hohes Maß an Flexibilität, (städte)baulich sehe ich hier erheblichen Nachholbedarf.

IKZ-ENERGY: Wu?rden Sie ein Niedrigenergiehaus, ein Passivhaus, oder ein „greenbuilding“ allgemein als „nachhaltig“ bezeichnen? Wenn ja oder nein, warum?
Winfried Schneider: Wie bereits erwähnt, gibt es derzeit keine 100%ig nachhaltigen Gebäude. Die genannten Gebäudekonzepte sind allesamt ein Schritt in die richtige Richtung. Wieviel Prozent Nachhaltigkeit im Einzelfall erreicht werden, bedarf einer komplexen Untersuchung. Neben dem Energiekonzept müssen auch andere baubiologische, ökologische und soziale Kriterien erfüllt sein.

IKZ-ENERGY: Welches Szenario könnten Sie sich vorstellen, um die Nachhaltigkeit von Gebäuden deutlicher zu bewerten und darzustellen?
Winfried Schneider: Ein fertiges wissenschaftlich belastbares Konzept, das alle in diesem Interview genannten Anforderungen ähnlich einer Checkliste konsequent abbildet, gibt es noch nicht. Die Anforderungen sind sehr komplex und erfordern umfassendes Wissen und fachübergreifende Zusammenarbeit.
Wichtige Bausteine sind Kriterien der Baubiologie, das Wissen um ener­giesparendes Bauen einschl. entsprechender Haustechnikkonzepte, die Lebenszyklusanalysen von Baustoffen, wie sie z.B. die Software Legep (www.legep.de) bietet, sowie
wissenschaftlich belegbare Erkenntnisse der Architekturpsychologie. Im IBN sind wir aktuell zusammen mit Dipl.-Ing. Rudy Köhler dabei, aus diesen Aspekten ein nachvollziehbares und wissenschaftlich anerkanntes Konzept zu entwickeln.
Bei allem Eifer sollte man aber nicht den Fehler machen, vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr zu sehen. Schließlich können zu hohe Ansprüche auch entmutigend wirken und deshalb kontraproduktiv sein. Mit etwas Grundwissen und gesundem Menschenverstand kommen oft schon sehr brauchbare Lösungen im Sinne des nachhaltigen Bauens und Sanierens zustande.

IKZ-ENERGY: Herr Schneider, vielen Dank für dieses Gespräch.

 


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