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Altes Bahngrundstück in neuem Glanz

Weltgrößte Passivhaussiedlung entsteht in Heidelberg

In Heidelberg entsteht auf 116 ha die weltgrößte Passivhaussiedlung.

Für frische Luft in den Häusern sorgt ein aufwendig geplantes Lüftungssystem, das sich in das Gesamtkonzept integriert.

Auf den Passivhausstandard müssen sich die Bewohner erst einstellen, etwa beim Lüften oder Beschatten der Fenster bei Sonnenschein.

 

116 ha, also knapp 200 Fußballfelder, umfasst die weltgrößte Passivhaussiedlung in Heidelberg und reicht damit flächenmäßig an die Hamburger Hafen-City heran. Dafür wurde ein altes Bahngrundstück „urbar“ gemacht und umgewidmet. Der Name „Bahnstadt-Heidel­berg“ ist vor diesem Hintergrund auch wenig überraschend. Zwei alte Wassertürme und ein Bahnbetriebswerk bleiben erhalten, um auf die Historie zu verweisen.

Bereits für die Bauanträge war eine Energiebilanz des geplanten Gebäudes erforderlich, die über die normalerweise nötigen Anforderungen der Energieeinsparverordnung hinausging. Sie beinhalteten u. a einen Wärmebrückenkatalog, das Energiekonzept und den Nachweis eines maximalen Jahres-Heizwärmebedarfs von unter 15 kWh/m². Dieser wurde für alle Gebäude mit dem Planungstool „PHPP“ des Passivhaus-Instituts Darmstadt berechnet. Zudem führte die Stadt Heidelberg eine dreistufige Qualitätssicherung ein – den Ergebnissen nach zu urteilen recht erfolgreich.
Der Passivhausstandard forderte die Gewerke zusätzlich. Zu installieren waren eine kontrollierten Be- und Entlüftungsanlage, die gleichzeitig der Wärmerückgewinnung dient. Dies war für alle Bauherren vertraglich festgeschrieben. Die Crux dabei: Ein Wechsel mit der Außenluft ist auch aus energetischen Gründen so gering wie möglich zu halten, da sonst die angesaugte kältere Luft wieder aufwendig erwärmt werden muss. Dennoch gelingt das nicht in jedem Fall. In einigen Gebäuden ist ein hoher Luftwechsel nötig. Hier mussten geringere Druckverluste und damit ein niederer Stromverbrauch der Ventilatoren gewährleistet werden. Die Regelung des Luftvolumenstroms erfolgt durch Sensoren und Regler. Durch die bedarfsorientierte Drehzahlregelung der Ventilatoren wird zudem auf Energieeinsparung geachtet. Insgesamt wird so energetisch der Niederdruckbereich mit einer Strömungsgeschwindigkeit von unter 3 m/s bei Volumenströmen kleiner als 1000 m³/h erreicht.
Nach den Ergebnissen des Monitorings verlief die Installation der Lüftungsanlage nicht überall perfekt. „Das kann an nicht optimalen Einstellungen oder technischen Fehlern bei der Haus- oder Lüftungstechnik liegen“, vermutet das Passivhaus-Institut. Vermutlich führt dieser Umstand zu einer Verbrauchserhöhung. Mögliche Ursachen seien Bypässe im internen Fernwärmeverteilnetz oder Fehler bei den Thermostaten.

Passivhaus eher low-tech
„Das haben wir schon immer so gemacht“, ist für Sören Peper vom Passivhaus-Institut der Hintergrund für solche Probleme. Denn sie traten immer dann auf, wenn der Arbeitsablauf anders aussah, als bei den Installateuren üblich, oder neue und damit unbekannte Produkte montiert werden sollten. „Und das, obwohl ein Passivhaus eher eine low-tech-Lösung mit schlanker Technik ist. In der Bahnstadt wird beispielsweise mit Fernwärme geheizt, wodurch keine dezentralen Heizkessel oder Ähnliches notwendig sind.

Holz sorgt für Restwärme
Ein Holz-Heizkraftwerk der örtlichen Stadtwerke sorgt für diese restliche Wärme und Strom, die auch ein Passivhaus benötigt. Für die Verteilung hat die Netzgesellschaft der Stadtwerke Heidelberg einen besonderen Weg gewählt: Die einzelnen Baufelder sind per Übergabestelle an das Fernwärmenetz angeschlossen. Der Bauherr schließt sich über ein Mininetz daran an. So wird die Wärme höchst effizient zum Haus gebracht, weil der Gleichzeitigkeitsfaktor genutzt wird. Das wiederum ermöglicht geringere und somit günstigere Anschlusswerte. Selbst morgens oder abends fragen nicht alle Haushalte gleichzeitig das Höchstmaß an Energie nach. Daher brauchen zehn Häuser zusammen einen kleineren Anschlusswert als zehn einzelne Häuser. Das reduziert die Kosten für den Eigentümer deutlich. Und: Mininetze sind sehr flexibel und offen für neue Technologien. Verlegt wurden insgesamt 7,1 km Trinkwasser- und 6,1 km Fernwärmeleitungen, die in 1,3 m Tiefe lagern. Darunter wurde praktischerweise gleich das Stromnetz von insgesamt 30 km Länge eingebettet.

Ein ganzheitliches Konzept sorgt für positive Ergebnisse
Um Fehler, die das Gesamtkonzept stören könnten, zu vermeiden, ist laut Investor GGH eine integrale Planung aufgrund der energieeffizienten Bauweise unerlässlich. Dabei müssen alle am Bau Beteiligten einbezogen werden und gegenseitig Verständnis für die jeweiligen technischen Notwendigkeiten des anderen aufbringen. Detailfragen, etwa bei der Ausführung der Fassadendämmsysteme wie der Attika am Dachrand oder der Durchdringungen zur Verankerung von Absturzsicherungen, mussten immer wieder mit allen Beteiligten geklärt werden.
Der Investor IWP, der insgesamt 380 Wohnungen in 15 Häusern in der Bahnstadt errichtete, stützte sich beispielsweise mangels Erfahrung von Passivhäusern in Geschossbauweise auf die Spezialisten von Solares Bauen aus Freiburg. Die Firma entstand aus dem Fraunhofer Institut für Solare Energiesysteme und übernahm komplett Planung und Koordination der Gewerke – eine Vorgehensweise, die für Investoren mit wenig Erfahrung in diesem Baustandard zu empfehlen ist. Wichtig dabei ist die Verbindung von Bauphysik und Haustechnikplanung, bei der von Anfang an durch Systemanalysen und gesichertes Datenmaterial ein stimmiges Energiekonzept entsteht: An der Fassade musste ein Wärmedämm-Verbundsystem angebracht werden. Das Dach erhielt eine 30-cm-Dämmung. Die Fenster wurden als 3-Scheiben-Isolierverglasung mit passivhaustauglichen Rahmen konzipiert und eingebaut. Größere Kanal- und Rohrdimensionen brauchten zudem eine deutlich stärkere Dämmung.
Wie alle modernen Gebäude benötigen Passivhäuser insbesondere für den Sommer eine Sonnenschutzanlage als Wärmeschutz. Das Bauunternehmen hatte zudem mit der thermischen Trennung zwischen „kalten“ und „warmen“ Bauteilen, etwa Balkonverankerungen oder dem Auflager der Tiefgaragendecke, zu kämpfen. Trotz dieser Schwierigkeiten beliefen sich die Mehrkosten nach Angaben des Immobilienunternehmens nur etwa 5 bis 8 % über denen einer konventionellen Bauweise.
Doch wird nun der Passivhausstandard überhaupt geschafft? Beim ersten Monitoring durch das Passivhaus-Institut traten unterschiedliche Messergebnisse auf. Zwischen 9 und 24 kWh/m² und Jahr Heizenergie brauchten die Bewohner. „Wir wandten eine Methode an, die es erlaubt, aus den Gesamtverbrauchswerten für Heizung, Warmwasser, Verteil- und Speicherverlusten des Fernwärmezählers den Anteil der Heizwärme abzuschätzen“, so Peper. Das Ergebnis der mittleren Heizwärmeverbräuche sei als sehr positiv zu bewerten; die Werte lägen tatsächlich im beabsichtigten niedrigen Bereich.

Passivhaus für Nutzer ungewohnt
Der Grund für die geringen Mehrverbräuche liegt vermutlich im sehr unterschiedlichen Nutzungsverhalten wie gekippte Fens­ter, zusätzliche Fensterquerlüftungen und höhere Temperaturen im Wohnbereich. „Wenn die Gebäude vollständig belegt sind, wird der nächste Winter zeigen, wie sich die Werte entwickeln“, blickt Peper voraus. Generell gebe es immer und unabhängig vom energetischen Standard des Gebäudes eine breite Streuung von Verbrauchswerten zwischen Einzelwohnungen oder Häusern.
Beim Stromverbrauch ist es ähnlich. In Häusern, mit geringerer Belegung oder Nutzung und niedrigerem Luftwechsel kommt es eher zu einem geringeren Stromverbrauch. Dagegen produzieren Bewohner, die permanent eine Höchstlüftung einstellen, am Ende moderat höhere Kosten. Doch eines hat die Planer überrascht: das teilweise fehlende Verständnis für das Passivhaus-Prinzip. Insbesondere die Erwartungshaltung an die Lüftungsanlage sei zu hoch. So glauben manche, dass die Lüftung auch zur Kühlung herangezogen werden könnte, was wiederum einen höheren Stromverbrauch bedingt. Ausgelegt werden die Lüftungsanlagen allerdings, um den hygienischen Grundluftwechsel einer Wohnung sicherzustellen.
Der beste Weg um auch im Hochsommer angenehme Temperaturen in der Wohnung zu haben: Wärmedämmung und Nutzung der Außenverschattung der Fenster. Denn bei inkonsequenter Verschattung kühlen einmal aufgeheizte Räume nur sehr langsam wieder ab. Im Winter hingegen gibt es kaum Probleme. Nur selten ist es jemandem zu kalt. Doch auch hier wird Aufklärung und langsame Gewöhnung an die Passivhaustechnik helfen.

Autor: Frank Urbansky

Bilder: GGH/Christian Buck

 


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