Flachdächer digital überwachen
Damit Extremwetter nicht zulasten der Sicherheit gehen
„Smart Roof Monitoring System“ (SRMS): Basisstation (im Vordergrund. Das Solarpanel befindet sich hinter dem Kasten mit der Mobilfunktechnik) mit Schneewaage und Windsensor. Etwas abseits: der Niederschlagssensor. (envitron systems Gmb)
Typische Situation auf einem Flachdach: Großflächige Pfützenbildung über verstopftem Abfluss, darin Laubreste, hier auch schmelzendes Eis. (envitron systems GmbH)
Bei Wetterereignissen wie Starkregen oder heftigem Schneefall kann die Traglast von Flachdächern großer Industrie- und Logistikhallen an ihre Grenzen geraten. Dies gilt umso mehr, wenn dort zusätzliche Dachaufbauten wie Photovoltaik- oder Klimaanlagen installiert werden. Ein System zur digitalen Überwachung mit Sensorik warnt Betreiber, ehe die Tragfähigkeit ihres Dachs überschritten ist und die Sperrung des Dachs oder gar ein Einsturz drohen.
Am 2. Januar 2006 stürzte das Dach der Eishalle in Bad Reichenhall ein. 15 Menschen kamen ums Leben, zahlreiche weitere wurden verletzt. Die Schneemassen auf dem Flachdach waren der Auslöser; die Eishalle war marode. Aufgrund fehlender Instandhaltungen waren weder Bau- noch Materialmängel aufgefallen.
Wie viel Schnee ein Flachdach aushalten kann, bestimmt die sogenannte Traglast. Sie wird in Kilogramm pro Quadratmeter (kg/m2) angegeben. Das durchschnittliche Flachdach hält eine Last von 75 kg/m2 aus. Nach dem Unglück wurden die Normen für Schneelasten und Baustatik, insbesondere die DIN 1055-5 „Einwirkungen auf Tragwerke – Schneelast“, überarbeitet und die Bemessungsgrenzen für Schneelasten erhöht. Industriehallen, Sporthallen und Gebäude mit großen Dachflächen müssen nun höhere Lasten aushalten. Abhängig von der geografischen Lage, der Nutzungsart sowie vorhandenen Dachaufbauten müssen Flachdächer in Deutschland zwischen 75 bis 150 kg/m2 tragen können. Dieses Gewicht ist schnell erreicht, zum Beispiel mit einer Schicht Pulverschnee von etwa 80 cm. Nasser Schnee ist schwerer, hier reicht eine Schicht von 20 bis 30 cm, bei Eis sind es nur 7 cm.
Auch Starkregen kann Statikprobleme verursachen. Sind zum Beispiel die Abflüsse verstopft und eine 10 cm hohe Wasserschicht sammelt sich an, ist die zulässige Dachlast um ein Drittel überschritten. Dies kann innerhalb kürzester Zeit geschehen. Dachabläufe sollen eigentlich verhindern, dass sich Wasser auf dem Flachdach sammeln kann, doch wird ihre Kontrolle in der Praxis oft vernachlässigt.
Werden Dächer mit Photovoltaikanlagen ausgestattet, bedeutet dies, dass die Schnee- und Regenlast, die das Flachdach aushalten kann, um ein Gewicht von etwa 20 kg/m2 reduziert ist. Dies ist bei der Berechnung der Dachlastreserve zu berücksichtigen. Die Faustregel besagt, dass diese bei mindestens 20 kg/m2 liegen sollte, wobei im Neubau Dachaufbauten mitgeplant werden können, dann ist das Dach entsprechend ausgerüstet.
Grundsätzlich gilt: Wird die Dachlast überschritten, darf ein Dach nicht mehr betreten werden. Das Gebäude muss gesperrt werden, da der Einsturz droht. Der Betreiber hat also ein Interesse da ran, Schnee oder Stauwasser zum passenden Zeitpunkt entfernen zu lassen, nicht zu früh und damit womöglich mehrmals, und insbesondere nicht zu spät.
Systemkomponenten
Auf der sicheren Seite sind Hallenbetreiber mit einer Echtzeit-Überwachung der Dachlast. Das gelingt mit einem digitalen, Sensorik-basierten IoT-System, zum Beispiel dem „Smart Roof Monitoring System“ (SRMS) der envitron systems GmbH.
Damit können kontinuierlich Daten zu Schneemengen, Regenwasserständen und Windstärke erfasst werden: Schneesensoren messen das Gewicht des Schnees pro m2. Wasserstandsensoren überwachen den Pegel in den Regenabläufen, Windmesser die Auswirkungen von Wind und Böen auf eine Photovoltaik- oder Klimaanlage.
Ein Schneelast- und Stauwasser-Monitoring System kann aus bis zu 14 Sensormesspunkten bestehen, die mit einer Basisstation kommunizieren. Die Sensoren sind autark und benötigen keine externen Stromquellen, da sie über Akkus betrieben werden. Die Basisstationen sind mit Solarpanels ausgestattet. Im beschriebenen System liegt der Messbereich für die Schneelast bei bis zu 500 kg/m2. Die Regensensoren messen Wasserhöhen zwischen 10 und 250 mm und arbeiten bei Temperaturen zwischen -40 und +70 °C.
Die Datenübertragung zur Basisstation funktioniert mittels Satelliten. Jeder Sensor ist damit ausgerüstet. Die Daten werden per WLAN zur Basisstation übertragen. Diese wiederum übermittelt per Modem die Daten über das LTE-Mobilfunknetz an ein Onlineportal. Der Betreiber der Halle hat darüber jederzeit Zugang zu seinen Daten und kann die Situation auf dem Dach nachvollziehen. Er kann Schwellenwerte für Alarme eintragen und Verantwortliche per SMS, E-Mail oder Voicemail benachrichtigen lassen, sobald diese Werte überschritten sind.
Neben den Sensordaten, die auf dem Dach selbst erhoben werden, greift das System auf Daten von Meteoalarm zu, einem europäischen Wettersystem. Alle zwei Stunden kann das System dort die aktuelle Wetterlage abrufen und betroffenen Hallenbetreibern Unwetterwarnungen für Starkregen, Wind und Schnee und zur Verfügung stellen.
Situation auf dem Dach
Die Komponenten des SRMS haben selbst gewisse Ausmaße. Die Basisstation befindet sich auf einem Betonsockel von 50 x 50 cm Grundfläche, ist 1,20 m hoch und wiegt etwa 30 kg. Ein Schneesatellit steht auf einem 40 x 40 cm großen Sockel und wiegt 3 kg. Bei der Auswahl der Messstellen auf dem Dach ist das Eigengewicht der Mess ausrüstung nur ein Aspekt. Ausschlaggebend ist die Situation auf dem Dach. Zum Beispiel entwickelt sich die Höhe einer Schneeschicht nicht überall gleich. An manchen Stellen, etwa an Dachaufbauten wie Brandschutzmauern oder Photovoltaik anlagen, ist Schneesackbildung wahrscheinlich. Flächige Pfützen bilden sich in einer Senke zum Dachablauf, wenn dieser durch Laub oder Schmutz verstopft ist.
Es gilt, die Messpunkte gut durchdacht auszuwählen, Sensoren sollten in ausreichender Anzahl aufgestellt werden. Auf großen Hallen mit Tausenden m2 Fläche können bei Bedarf zwei Basisstationen und mehr als 14 Sensoren installiert werden. Die Satelliten des Schnee- und des Stauwassersystems lassen sich dabei beliebig kombinieren.
Autor: Reiner Reisch, Geschäftsführer envitron systems GmbH
Von der autarken Schneewaage zum Monitoring
Mehr als 600 Logistik- und Industriehallen hat die envitron systems GmbH europaweit mit solchen Überwachungssystemen ausgestattet. Die Technik ist konzipiert für extreme Witterungsbedingungen. Die Geräte sind wetterfest, wasserdicht und widerstandsfähig gegenüber UV-Strahlung. Entwickelt hat das System der Inhaber, Dipl.-Ing. Reiner Reisch. 2011 stellte er die erste autarke Schneewaage vor. Sein System snowcontrol erhielt 2013 eine Auszeichnung für Produktinnovation. In den Folgejahren wurde die Komplettüberwachung von Schneelasten, Stauwasser und Windstärke auf großen Dachflächen entwickelt. Dieses „Smart Roof Monitoring System“ (SRMS) erhielt 2021 den German Business Award, es ist europaweit patentiert.