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Ungewöhnliches Duo

Die Kombination aus Hackschnitzel und Geothermie versorgt künftig eine 50 Jahre alte Wohnanlage mit 675 Wohnungen in München

Ralf Gundelach.

Wohnanlage mit 675 Einheiten im Münchner Stadtteil Neuaubing. Ein Hackschnitzelkessel ­sichert die Grundlast der Wärmeversorgung. Die Spitzenlast wird durch Fernwärme gedeckt.

Fließschema der Unterstationen.

Im Zuge des Umbaus wurden die verbleibenden zwei alten Gaskessel demontiert.

Insgesamt 15 Unterstationen mussten für die künftige Versorgung durch Fernwärme umgerüstet werden.

 

Die Ausgangslage in vielen Wohnungen aus den 1960er-Jahren ist oft gleich: Der wesentliche Bestandteil der Energiezentrale ist über 50 Jahre alt. So war es auch bei einer Wohnanlage mit 675 Einheiten im Münchner Stadtteil Neuaubing. Sie bestand viele Jahre aus drei Kesseln mit jeweils 2300 kW Leistung. 2005 begann man, einen der drei Kessel durch eine Hackschnitzelanlage zu ersetzen. Seitdem werden etwa 80 % der Energie aus erneuerbaren Quellen hergestellt. Nun wurden die verbleibenden zwei alten Kessel stillgelegt, die Spitzenlast wird durch eine Fernwärmeversorgung gedeckt – in Verbindung mit Hackschnitzel in der Grundlast.

Die Stadtwerke München (SWM) unternehmen große Anstrengungen, um das Ziel der hundertprozentigen CO2-freien Erzeugung der Fernwärme bis 2040 zu erreichen. In unmittelbarer Nähe der Wohnanlage in Neuaubing wurde im letzten Jahr eine Geothermieanlage in Betrieb genommen. Das Fernwärmenetz besteht in diesem Stadtteil bereits seit 2010. Die große Herausforderung bestand darin, alle 15 Unterstationen der Wohnanlage inklusive Zentrale auf Fernwärme umzurüsten. Zumal die Stadtwerke München bei ihren technischen Bedingungen hohe Qualitätsanforderungen gesetzt haben. Gemäß Datenblatt der Stadtwerke muss die Fernwärme-Rücklauftemperatur im arithmetischen Mittel über den Zeitraum einer Woche 40 °C betragen. Für die Wohnungswirtschaft war das eine große Herausforderung. Neubauten kann man beispielsweise mit Fußbodenheizung ausstatten, um so geringe Rücklauftemperaturen zu erreichen. Aber eine 50 Jahre alte Wohnanlage? Die Heizung aus dem Jahr 1964 war damals auf Temperaturen von 90/70 °C ausgelegt worden. Im Laufe der Jahrzehnte wurden die Temperaturen etwas abgesenkt. Umfangreiche Sanierungen in Form von Dämmungen an den Gebäudehüllen oder aber eine Anpassung der Heizflächen hat es nicht gegeben. Mit den Stadtwerken wurde daher vereinbart, dass die die Anlage so umgebaut wird, dass ein Zielwert von 50 °C innerhalb von fünf Jahren erreicht wird.

Umbau der Unterstationen nach vorheriger Simulation
Um dies zu erreichen, mussten alle Unterstationen der Wohnanlage umgebaut werden. Zusammen mit der Heizungsbaufirma Weigerstorfer in Freyung hat das Ingenieurbüro Gundelach aus Wildflecken (Lkr. Bad Kissingen) ein Konzept entwickelt, das die Rücklauftemperatur deutlich absenkt. Ralf Gundelach bringt die wesentlichen Anforderungen auf den Nenner: „Früher lautete die Philosophie: Immer gleichmäßig hohe Wassermengen über den Kesselkreis mit hohen Rücklauftemperaturen, was in der Regel eine lange Lebensdauer bedeutete. Heute lautet die Philosophie: Möglichst kleine Wassermengen im Kesselkreis, dafür niedrige Rücklauftemperaturen. Das bedeutet: „Weniger Stromverbrauch für die Pumpe, weniger Wärmeverlust und ein besserer Wirkungsgrad“, erläutert der Diplom-Ingenieur.
Das Ingenieurbüro hat verschiedene Varianten simuliert und mit der Heizungsbaufirma abgestimmt. In einem weiteren Schritt wurde eine Unterstation als Muster umgebaut. Dabei hat sich herausgestellt, dass die Bestandsventile gegen kleinere mit geringerem KVS-Wert getauscht werden müssen. Der Stellantrieb des Ventils für die Warmwasserbereitung wurde mit kürzerer Laufzeit gewählt. Die ersten Messungen und Versuche waren vielversprechend. Weitere Tests im Winter müssen zeigen, ob die technischen Anschlussbedingungen der SWM ganzjährig eingehalten werden können. „Wir sind zuversichtlich“, sagt Ralf Gundelach, seit 2001 Geschäftsführer des gleichnamigen Ingenieurbüros in Wildflecken.

Umbau der Heizzentrale
Der Hackschnitzelkessel soll auch zukünftig weiter in der Grundlast betrieben werden. Dafür musste allerdings die Einbindung geändert und ein neues Regelungskonzept erstellt werden. Bis dato befand sich die Einbindung im Nahwärme-Rücklauf. Dieser wurde vorgeheizt und durchströmte dann die alten Gaskessel. Für die alten Gaskessel war das optimal, nicht aber für die neue Fernwärmestation. Diese sollte ja die möglichst niedrigsten Temperaturen bekommen, um die Technischen Anschlussbedingungen der SWM einhalten zu können. Beim Umbau der Heizzentrale musste also die Einbindung in den Vorlauf versetzt werden. Der Kessel heizt nun nach und wird gleichzeitig in der Grundlast betrieben, was die Leistung betrifft.
Der Einbau der neuen Fernwärmestation ist inzwischen erfolgt. Mit der Heizperiode beginnt damit ein neues Heiz-Zeitalter. Dass der Betreiber einer Hackschnitzelanlage zusätzlich Fernwärme aus zukünftiger Geothermie bezieht, ist bislang einmalig im Fernwärmenetz der Stadtwerke München.

Bilder: Ingenieurbüro Gundelach
www.ingenieurbuero-gundelach.de


Nachgefragt
IKZ-ENERGY: Vor den Beginn des Fernwärmeanschlusses hat der Gesetzgeber eine große Hürde gelegt: den Betriebskos­tenvergleich gemäß Mietrecht. Das bedeutet konkret, dass die Umstellung auf Fernwärme für die Mieter kostenneutral sein muss. Wie wurde der Nachweis in dem Projekt erbracht?
Ralf Gundelach: Wir haben den Betriebskostenvergleich gemäß Mietrecht – § 556c BGB und §§ 8, 9, 10 WärmeLV – durchgerechnet. Die Berechnung haben wir den Stadtwerken München (SWM) zur Prüfung vorgelegt und nach positiver Bewertung der Heimbau Bayern übergeben.

IKZ-ENERGY: Die große Herausforderung bestand darin, alle Unterstationen inklusive Zentrale auf Fernwärme umzurüsten. Wie ist das technisch umgesetzt worden?
Ralf Gundelach: Im Kern sind einige Stellglieder umfunktioniert und verkleinert worden. Die vorhandenen 3-Wege-Ventile werden nun als Durchgangsventile benutzt. Zudem wird der Heizungsrücklauf zur Warmwasservorwärmung genutzt. Inzwischen sind alle Stationen umgebaut worden. Wir warten auf einen Kälteeinbruch, um die Heizkreise und die Regelungstechnik korrekt einzustellen.

IKZ-ENERGY: Ob der Umbau der Unterstationen erfolgreich war und die Fernwärme-Rücklauftemperaturen gemäß der technischen Anschlussbedingungen der SWM ganzjährig eingehalten werden, wird die Praxis zeigen. Was macht Sie so zuversichtlich, der Umbau war doch alles andere als trivial und Blaupausen dazu gibt es kaum?
Ralf Gundelach: Wir haben es berechnet und in Teilen auch simuliert. Letztendlich hängt es noch davon ab, mit welcher Temperatur die Rückläufe aus den Wohnungen kommen. Ggf. sind hier weitere Optimierungen notwendig, wie z. B. ein hydraulischer Abgleich durch Einbau moderner Heizkörperthermostate. Das wäre aber erst ein zweiter Schritt. Wir haben ja fünf Jahre Zeit, den Zielwert zu erreichen.

IKZ-ENERGY: Gibt es bereits ähnliche Anfragen oder konkrete Projekte dieser Art?
Ralf Gundelach: Es gibt immer wieder Anfragen, einen Betriebskostenneutralitätsvergleich zu rechnen. Bisher leider immer ohne Erfolgt. Die Kombination mit vorhandenem Biomassekessel ist bis jetzt einmalig. Ein weiteres ähnliches Projekt könnte aber im nächsten Jahr kommen. Bis dahin haben wir belastbare Messwerte und eine Auswertung der Anlage der Heimbau Bayern.

 


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