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Fassaden mit variablen Wärmedämmwerten

Am ZAE Bayern werden Dämmungen entwickelt, die Wärme zuführen oder ableiten können

Thermografie einer Gebäudehülle. ­Konventionelle Wärmedämmungen zielen auf Optimierung ab – indem sie bestmöglich isolieren. Das am ZAE entwickelte Konzept hingegen kann ­isolieren, Wärme zuführen oder ­abführen. Bild: Tim Reckmann, Pixelio

Prinzipielle Funktion einer Schaltbaren Wärmedämmung (SWD) an einer Gebäudefassade zur Heizungsunterstützung. Während der Heizperiode einfallende solare Strahlung wird an der Absorberschicht der SWD absorbiert und erwärmt die Vorderseite der SWD. Gleichzeitig wird die SWD auf wärmeleitend geschaltet. Die Wärme kann so von der heißen Vorderseite in die Gebäudewand fließen und zeitlich verzögert in den Innenraum abgegeben werden. In der Nacht oder bei Bewölkung bleibt die SWD hoch wärmedämmend und minimiert die Wärmeverluste über die Gebäudehülle. Bild: ZAE

Die Grafik zeigt die Abhängigkeit der ­Wärmeleitfähigkeit innerhalb der SWD für verschiedene Wasserstoffdrücke. Im ­wärmedämmenden Zustand, d.h. für ­Gasdrücke unter 0,01 hPa, kann die SWD eine Wärmeleitfähigkeit von 0,003 W/(m · K) annehmen, dagegen ist im wärmeleitenden Zustand eine Wärmeleitfähigkeit von bis zu 0,16 W/(m · K) erreichbar. Dadurch ergibt sich ein Schaltfaktor von etwa 50 zwischen den Wärmeleitfähigkeitswerten beider ­Zustände. Die Schaltzeiten dafür liegen dabei im ­Minutenbereich. Bild: ZAE

Solare Energieeinträge auf eine Südfassade während eines Jahres für den Standort Würzburg (links) und die mit einer SWD erzielbaren ­Wärmeerträge (rechts). Bild: ZAE

Bislang können Gebäude mit konventionellen Wärmedämmungen solare Wärmegewinne nur über Fenster erzielen. In Zukunft könnten das bei Bedarf schaltbare Wärmedämmungen unterstützen. Bild: Pixabay

 

Eine am ZAE Bayern in Entwicklung befindliche schaltbare Wärmedämmung (SWD) soll die während der Heizperiode auf die Wände fallende Solarstrahlung absorbieren und bei Bedarf in das Gebäudeinnere transportieren. Der Bericht stellt die zugrunde liegenden Überlegungen und die daraus resultierende Konzeption vor. Mit einer Markteinführung von SWD ist in 5 Jahren zu rechnen.

Gute Beispiele anpassungsfähiger „Wärmedämmung“ findet man in der Natur. So plustern Vögel bei Kälte ihr Federkleid auf und vergrößern damit das wärmedämmende Luftpolster um ihren Körper. Auch für unsere Gebäude wäre es von Vorteil, auf Kälte und solare Einstrahlungen aktiv zu reagieren und gezielt den Wärmehaushalt mit variablen Wärmeverlusten und -gewinnen über die Fassade zu beeinflussen. Bereits seit den 90er-Jahren wird die schaltbare Wärmedämmung (SWD) am Bayerischen Zentrum für Angewandte Ener­gieforschung e. V. (ZAE Bayern) in Würzburg erforscht und entwickelt. Durch den Einsatz dieser innovativen Technologie lässt sich die Energieeffizienz durch die gezielte Nutzung des Außenklimas verbessern. In der Heizperiode entstehen bei Sonneneinstrahlung auf die Außenfassade solare Wärmegewinne. Diese werden durch das Absenken des Wärmedämmwertes der Wand gezielt in das Gebäudeinnere transportiert. In den Sommermonaten kann gleichermaßen die nächtliche Abkühlung der Umgebung genutzt werden, um Gebäuden Wärme zu entziehen.

Aufbau und Funktion
In ihrem Grundzustand stellt die schaltbare Wärmedämmung einen thermischen Superisolator dar, da sie im Aufbau einem Vakuumisolationspaneel (VIP) entspricht. Dabei spricht man von einem Superisolator, wenn die Wärmeleitfähigkeit deutlich unter 0,026 W/(m · K), d. h. der Wärmeleitfähigkeit von Luft liegt. Beim VIP wird eine Platte aus hochporösem, offenporigem und druckstabilem ­Kernmaterial (z. B. Glasfasermatten) mit einer Dicke von wenigen Zentimetern von einem möglichst gasdichten Hüllmaterial aus Metallfolie oder einem mehrlagigen Kunststoffverbundlaminat mit integrierten Metallschichten umschlossen und evakuiert. Innerhalb der Hülle herrscht dann ein ausreichend niedriger Restgasdruck kleiner 0,01 hPa, um die Wärmeübertragung über die Gasphase zu unterdrücken.
Die verbleibenden wesentlichen Wärmetransportmechanismen der Wärmestrahlung und der Festkörperwärmeleitung im Kernmaterial führen zu Wärmeleitfähigkeitswerten von unter 0,005 W (m · K). Im Vergleich zu konventionellen Wärmedämmstoffen, wie Polystyrol-Schaum mit einer mittleren Wärmeleitfähigkeit von etwa 0,032 W/(m · K), ist dies eine Reduzierung des Dämmwertes um mindes­tens den Faktor 6.
Die SWD unterscheidet sich zu einem VIP prinzipiell durch die Möglichkeit, den Gasdruck in dem Paneel ändern zu können. Auf diese Weise kann die Wärmeleitfähigkeit der SWD bei Bedarf erhöht werden, da durch einen steigenden Gasdruck in den Poren des Kernmaterials die jetzt dominante Gaswärmeleitung die gesamte Wärmeübertragung der SWD signifikant erhöht. Um diesen Effekt weiter zu erhöhen, wird hochwärmeleitender Wasserstoff als Füllgas eingesetzt. Wasserstoff besitzt eine Wärmeleitfähigkeit von 0,18 W/(m · K) bei Normaldruck und bei 25 °C im Vergleich zu Luft mit einer Wärmeleitfähigkeit von 0,026 W/(m · K). Entscheidend ist, dass sich Wasserstoff durch sogenannte Metallhydridgetter zeitweise chemisch binden und sich dieser Vorgang durch eine Temperaturregulierung zuverlässig steuern lässt. Solche Metallhydridgetter bestehen z. B. aus Legierungen von Übergangsmetallen wie Chrom, Vanadium, Titan oder Mangan. So wird Wasserstoff bei Raumtemperatur im Hydridgetter gebunden, was dazu führt, dass in der SWD ein ausreichend niedriges Vakuum erzeugt wird und eine Superisolation vorliegt. Bei Temperaturen im unteren dreistelligen Celsiusbereich, die durch Beheizen des Getters erreicht werden, wird der Wasserstoff freigegeben und die SWD wärmeleitend. Allerdings beträgt die notwendige elektrische Heizleistung für 1 m2 SWD nur 5 W. Die notwendige elektrische Leistung kann tagsüber zeitgleich durch Photovoltaik bereitgestellt werden.

Nutzung einer SWD an einer Gebäudefassade
An südorientierten Gebäudefassaden ermöglicht die SWD vor allem die Nutzung von solaren Einträgen zur Wärmegewinnung während der Heizperiode, so z. B. an sonnigen Wintertagen. Die an der nach außen gerichteten Seite der SWD absorbierte Solarstrahlung erwärmt dort die SWD. Diese Wärme wird bei Bedarf durch die nun wärmeleitend geschaltete SWD und das dahinterliegende Mauerwerk in das Gebäudeinnere transportiert. Das massive Mauerwerk bewirkt zusätzlich einen Zeitverzug der Wärmewelle um einige Stunden. Zur Vermeidung von konvektiven Wärmeverlusten, d. h. durch Windströmung abtransportierte Wärme, wird vor der SWD eine transparente Verglasung angebracht. Die Temperaturen an der Absorberschicht der SWD können dabei bis zu 100 °C betragen. Nachts oder bei ausbleibender solarer Einstrahlung bleibt die SWD in einem passiven Zustand und hat hier einen exzellenten Wärmedämmwert von kleiner 0,005 W/(m · K). In den Sommermonaten kann die SWD auch zur passiven nächtlichen Kühlungsunterstützung von Gebäuden genutzt werden. Die SWD lässt sich sowohl bei Sanierungen an Bestandsgebäuden montieren als auch im Neubau an unterschiedlichen Wandkonstruktionen einsetzen, wie z. B. Massiv- und Holzständerbauweise sowie Pfosten-Riegel-Konstruktionen.

Ergebnisse aus der Praxis
Prototypen von schaltbaren Wärmedämmungen in einer Edelstahlhülle wurden bereits in den 1990er-Jahren am ZAE ­Bayern entwickelt und erfolgreich getes­tet. Als nachteilig für die Marktreife erwiesen sich dabei die relativ hohen Kosten für die Bereitstellung der gasdichten Edelstahlumhüllung und die Wärmebrücken am Rand der Edelstahlumhüllung. Zwischenzeitlich wurden (nichtschaltbare) Vakuumisolationspaneele mit einer Hülle aus Kunststoff-Folien erfolgreich entwickelt, die in großer Zahl schon in verschiedenen Märkten eingeführt sind. Eine bauaufsichtliche Zulassung für den Einsatz in verschiedenen Bereichen für Neubau und
Renovierung wurde ebenfalls schon erreicht.
Im erfolgreich abgeschlossenen, vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) geförderten Forschungs- und Entwicklungsprojekt Enotec (2015) wurde eine hinsichtlich thermischer und produktionstechnischer Eigenschaften optimierte SWD entwickelt, im Labor vermessen und unter realen Bedingungen auf ihr Energieeinsparpotenzial untersucht.
Durch den Einsatz von beschleunigten Alterungsverfahren konnten Langzeitbeständigkeiten von mehreren Jahrzehnten bei der Verwendung von Hochbarrierelaminaten aus Kunststoff- oder Aluminiumverbundfolien als Hüllfolie nachgewiesen werden. Das Konzept einer schaltbaren Wärmedämmung auf Basis von VIP wurde deshalb erfolgreich neu aufgegriffen und soll nun zur Marktreife geführt werden.

Erstaunliche Effizienz
Die möglichen Wärmegewinne und -verluste im Heiz- und Kühlfall lassen sich rechnerisch ermitteln. Hier wird beispielhaft die Heizanwendung an einer Südfassade im Zeitraum vom 1. Oktober bis 30. April für Klimadaten aus dem Testreferenzjahr für Würzburg betrachtet. In der Heizperiode können bei einer Schaltdauer von insgesamt 762 Stunden Wärmegewinne von 89 kWh pro Quadratmeter Fassadenfläche generiert werden.
Will man die Effizienz einer SWD beleuchten, dann bietet sich ein Vergleich mit einer Heizung mit Wärmepumpe an. Auch hier wird mit einem Anteil Strom ein Vielfaches an Wärme bereitgestellt. Für den Vergleich wird mit einer Wärmepumpe mit einer Leistungszahl von 3,5 gerechnet und wieder die Heizperiode betrachtet.
Es zeigt sich, dass, spezifisch bezogen auf den m2 Fassadenfläche, die Wärmepumpe deutlich mehr elektrische Energie benötigt (ca. 25 kWh), um die gleiche Wärmemenge bereitzustellen als die SWD (ca. 4 kWh). Im Winter ist somit die fiktive Leistungszahl der SWD mit 23 das 6-Fache der Wärmepumpe.

Vergleich der SWD zu konventionellen Dämmstoffen
Betrachtet man die Kosten für eine SWD, so führt derzeit der Einsatz teilweise kos­tenintensiver Materialien noch zu einem verhältnismäßig komplexen und investitionsintensiven Bauteil. Dem entgegen steht jedoch ein hohes Einsparpotenzial bei Heiz- und Kühlenergie, was prinzipiell zu einer Verkürzung der Amortisationszeiten führt.
Ein anderer wichtiger Gesichtspunkt ist die ökologische Bewertung der SWD. Im direkten Vergleich der Ökobilanz für eine SWD und einem konventionellen Wärmedämmverbundsystem schneidet die SWD in fast allen wichtigen ökologischen Faktoren positiver ab. Wichtigster Pluspunkt: Die SWD als aktives Element kann thermische Einträge generieren und somit Heizenergie substituieren.

Fazit
Bei Gebäuden mit konventionellen Wärmedämmsystemen werden solare Wärme-
gewinne nur über die Verglasungsflächen erzielt. Auch nächtliche Abkühleffekte in Sommermonaten werden in den gut „verpackten“ Gebäuden in der Regel nur durch die Lüftung über geöffnete Fens­ter und Türen erreicht. Die SWD aktiviert dahingegen die lichtundurchlässigen Fassadenflächen und ermöglicht die verstärk­te Nutzung solarer Einträge durch die Gebäudehülle und unterstützt die sommerliche nächtliche Auskühlung durch die Reduzierung des Wärmewiderstands der Gebäudehülle.
Im Rahmen des laufenden vom BMWi öffentlich geförderten Demonstrationsprojektes VIDI wird die schaltbare Wärmedämmung großflächig an einer Testfassade mittels Langzeitmessungen in der Heizperiode als auch in Sommermonaten auf sein Energieeinsparpotenzial untersucht. In der Folge des Projektes kommt es mittelfristig zu einer Produktentwicklung der schaltbaren Wärmedämmung, die eine Markteinführung innerhalb der kommenden 5 Jahre erwarten lässt.

Autor: Hans-Peter Ebert, Bereichsleiter ­Energieeffizienz am ZAE Bayern

 


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