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Energiewende weiter vorantreiben

Wie eine Energiewende 2.0 eine neue Innovationsführerschaft einleiten kann

Prof. Uwe Leprich, Leiter der Abteilung „Klimaschutz und Energie“ des Umwelt­bundesamtes. Bild: Autor

 

Unsere jetzige Strom- und Wärmeversorgung wird sich nicht nur im technischen Bereich weiterentwickeln müssen, wenn die Energiewende nicht auf halbem Weg stehen bleiben soll. Das verdeutlichten mehrere Vorträge auf der „7. Handelsblatt Jahrestagung Erneuerbare Energie“ in Berlin, die sich mit energiewirtschaftlichen Themen beschäftigten.
Eine außergewöhnliche Antwort auf die Frage, wo die Erneuerbaren Energien im Energiesystem der Gegenwart und Zukunft zu verorten sind, gab der Vortrag eines Regisseurs (!): „Eine echte Energiewende wird behindert. Sie wird in der zur Verfügung stehenden Zeit, also maximal bis 2030, nur durch eine massive Bewegung von unten – durch eine Energie-Rebellion – zustande kommen.“ Insgesamt eine interessante audiovisuell unterstützte  Darbietung, in der allerdings die euphorische Sicht des Referenten auf die Erneuerbaren Energien und das Angebot, die Welt zu retten („mit Erneuerbaren ­Energien sind Kriege zu verhindern“), mitunter übertrieben wirkten. Der Referent wagte keine kritische Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten der alternativen Energieversorgungs-Technologien, womit er allerdings nicht alleine
stand.

Mit einer Energiewende 2.0 zu erneuter Innovationsführerschaft

Detlef Neuhaus, CEO der Solarwatt GmbH aus Dresden, zeichnete in einem beeindruckenden Referat den Weg nach, den die deutsche Solarindustrie von den Anfängen bis zum „Verlust der Weltführerschaft“ genommen hat. Vor 1990 sei das German Engineering ideologiegetrieben gewesen – Stichworte: Ressourcenbewusstsein, grüne Bewegung, Klimawandel, Faszination Technik. Danach habe sich ein Bewusstsein für Lösungspotenzial entwickelt, auf dessen Basis u. a. das Stromeinspeisegesetz (1991), das 1000-Dächer- und 100 000-Dächer-Programm sowie das EEG 2000 entstanden seien. „Endgültig zum Erfolgsmodell wurden die deutschen ­Innovationsbemühungen dann mit dem EEG 2004 und steigenden Zubauzahlen bei den PV-Anlagen“, wie Neuhaus zu berichten wusste. „Die Bezeichnung Energiewende wurde zu einem internationalen Begriff, andere Länder ahmten das deutsche Erfolgsmodell nach.“
Was dann folgte, bezeichnet Neuhaus als rendite- und investitionsgetriebenes Modell, mit ungeregeltem Wachstum und als Reaktion darauf einer Notbremse vonseiten der Politik. Eine notwendige Diskussion über einen nachhaltigen Ausbau der Energiewende sei unterblieben. Die asiatische Konkurrenz habe die nachlassende deutsche Innovationskraft erkannt, ihre Fertigungskapazitäten ausgebaut und über niedrige Preise einen Verdrängungswettbewerb begonnen. Damit sei dann das renditegetriebene Geschäftsmodell an sein unrühmliches Ende gekommen, mit der Insolvenz einer ganzen Branche und dem Verlust der Weltführerschaft. „Wir müssen uns jetzt überlegen, wie wir wieder die Nr. 1 werden können“, forderte Neuhaus. „Als erstes müssen wir uns überlegen, worum es eigentlich geht, nämlich um die Klimabedrohung mit hohen volkswirtschaftlichen Kosten.“ Man müsse von der im Jahr 2011 teilweise latent vorhandenen Einstellung, regenerative Energie sei nicht sinnvoll und wettbewerbsschädigend, zu der Überzeugung gelangen, dass sie volks- und betriebswirtschaftlich richtig und unabdingbar sei. Dazu sei es u. a. notwendig, CO2-Emissionen zu minimieren, unabhängig von Öl zu werden sowie den Kohle- und Atomausstieg endgültig umzusetzen. Neuhaus rief die Politik dazu auf, die für einen Neustart  erforderlichen Rahmenbedingungen zu schaffen und die Wahrnehmung in der Gesellschaft so zu gestalten, dass der ­Energiewende 2.0 die notwendige Wertschätzung entgegengebracht werde. Von der Industrie forderte er, verstärkt über innovative Systemlösungen nachzudenken. Ähnliches verlangte er von den Versorgern, sie sollten immer wieder alte Strukturen auf den Prüfstand stellen und beispielsweise neue Geschäftsmodelle kreieren. Er sei davon überzeugt, so Neuhaus zum Schluss seines Referats, dass die Energiewende zukünftig vom Managen der Verfügbarkeiten geprägt sein werde. „Technologien zu Dezentralität und Energiespeichern sind der Schlüssel, die verlorene Innovationsführerschaft zurückzugewin-
nen.“

Strom für Alles
Den Kern des Referats von Dr. Holger Krawinkel, Leiter der Stabsabteilung Customer Experience und Innovation bei der MVV Energie AG in Mannheim, bildete die sogenannte Sektorkopplung. Gemeint ist damit die Verzahnung der drei Sektoren der Energiewirtschaft, nämlich Elektrizität, Wärme und Mobilität. Sie wird als Schlüsselkonzept bei der Energiewende und dem Aufbau von Energiesystemen mit 100 % Erneuerbarer Energien betrachtet.
„Ab 2018/2019 wird der Preis für Strom aus PV-Anlagen in Kombination mit Batteriespeichersystemen konkurrenzfähig sein zum Haushaltsstrompreis!“ Davon ist Krawinkel fest überzeugt. „Das Potenzial dieser Kombination steht erst am Anfang und könnte zu einer neuen Botschaft der Stromwirtschaft führen: 100 % Erneuerbare Energien für 100 % Elektrifizierung, also Strom für Alles.“ Dieser Ansatz könnte also bedeuten, dass zukünftig z. B. im Sektor Mobilität der Individualverkehr komplett elektrisch rollt. Der Güterverkehr nutzt dann neben elektrischem Strom noch zu etwa 30 % einen Betriebsstoff, der seine Entstehung einem „Power-to-Gas“-Verfahren verdankt, bei dem mithilfe überschüssigen Stroms aus Windenergie- oder PV-Anlagen Gase wie Wasserstoff oder Methan hergestellt werden.
Strom lässt sich aber auch zu Wärme umwandeln, nämlich auf altbewährte Weise mit Elektroheizern oder umweltbewusst über Elektrowärmepumpen. Krawinkel sieht die Umstellung aller Sektoren auf Elektrizität als Modernisierungsstrategie, die neue Perspektiven in den klassischen Märkten aufzeigt: „Durch die Elektrifizierung des Wärme- und Verkehrssektors entstehen auch im klassischen Geschäft erhebliche Wachstumschancen, denn bei einer Umstellung des Pkw-Verkehrs auf Elektroantriebe entsteht ein großer zusätzlicher Strombedarf. Das Gleiche gilt für die Umstellung von Heizung auf Strom. Ferner dürften die Vermarktungschancen für Überschussstrom durch den Einsatz von Power-to-Gas-­Technologie langfristig interessant werden.“ Er erwarte einen Markt für Produkte und Dienstleistungen in Höhe von mindestens einer halben Billion Euro.

Unternehmen der Branche empfiehlt ­Krawinkel, sich an folgenden Merkpunkten zu orientieren:

  • Die neuen Technologien machen die Energiewelt kleinteiliger und zum Konsumgut.
  • Wesentliche Komponenten sind Photovoltaikanlagen, Batterien und eine Flat­rate für Reststrom.
  • Kunden werden zum Akteur und damit zum Mittelpunkt zukünftiger Geschäftsmodelle, sie wollen begeistert werden.
  • Digitalisierung erleichtert den Marktzugang für alle Marktteilnehmer.
  • Neue Geschäftsmodelle bieten erhebliches Wachstumspotenzial, bedürfen aber einer intensiven Kommunikation mit den Kunden.

Auch für Politik und Verbände hielt Krawinkel einige Anregungen parat: „Es fehlen glaubhafte Szenarien für umwälzende Technologiebrüche und Vorschläge für eine neue Finanzierungsstruktur des Stromsystems.“ Außerdem brauche man eine Kampagne für die Elektrifizierung aller Sektoren der Energiewirtschaft und ein neues Leitmotiv für die Energiewende und den Klimaschutz.

CO2-Minimierung ohne Kohleausstieg nicht möglich
Die Energiewende befinde sich im Übergang und sei noch stark kohlelastig, berichtete Dr. Patrick Graichen, Direktor der Berliner Denkfabrik „Agora Energiewende“. Die Politik habe ambitionierte Klimaschutzziele ausgegeben. So wolle man bis zum Jahre 2050 eine CO2-Minderung von 80 bis 95 % gegenüber 1990 erreichen. Dazu müssten alle Sektoren, nämlich Strom, Wärme und Verkehr, massiv beitragen.
„Eine solche Minderung ist ohne Kohleausstieg nicht zu erreichen“, betonte Graichen. Der sei aber nicht von heute auf morgen realisierbar. Sein Institut habe 11 Eckpunkte für den Abschied von der Kohleverstromung aufgestellt. Ganz oben auf der Liste stünde ein „Run-der Tisch Nationaler Kohlekonsens“, der schrittweise zu einem gesetzlich geregelten Kohleausstieg bis zum Jahr 2040 führen müsse. Dieser Weg – Graichen nennt ihn den Kohlekonsenspfad – verspreche eine langfristige und einvernehmliche ­Lösung, schaffe Planungssicherheit und ermögliche einen gerechten und schrittweisen Übergang.
Das Agora-Team erhofft sich in ihrem Szenario ein kontinuierliches Sinken der installierten Leistung aus der Kohleverstromung von aktuell 45 GW auf null im Jahr 2040. Dazu müsse man auf den Neubau von Kohlekraftwerken verzichten und ältere Anlagen nach und nach vom Netz nehmen. Parallel dazu sei allerdings der Neubau von Gaskraftwerken mit einer Gesamtleistung von etwa 20 GW erforderlich.
Der skizzierte Kohlekonsenspfad biete, so Graichen abschließend, folgende Vorteile: Insgesamt wird durch einen Mix aus fossilen Kraftwerken, Erneuerbare-Energien-Anlagen und Lastflexibilität die Versorgungssicherheit gewährleistet.

  • Die Stromerzeugung aus Gaskraftwerken liegt im Kohlekonsens-Szenario um etwa 40 TWh/a höher als in einem Business-as-usual-Szenario.
  • Im Kohlekonsenspfad sinkt der Stromexportüberschuss und führt zu einer in etwa ausgeglichenen Stromhandelsbilanz.
  • Durch den Ausstieg aus der Kohleverstromung ist im Mittel eine geringe Steigerung der Börsenstrompreise von etwa 0,2 – 0,3 ct/kWh zu erwarten.


Autor: Wilhelm Wilming, freier Fachautor


Bisherige Klimapolitik ist gescheitert
Vorsitzende der Tagung waren Klaus Stratmann von der Verlagsgruppe Handelsblatt und Prof. Uwe Leprich, der seit dem 1. April 2016 die Leitung der Abteilung „Klimaschutz und Energie“ des Umweltbundesamtes in Dessau innehat. Mit ihm sprach IKZ-ENERGY-Autor Wilhelm Wilming.

IKZ-ENERGY: Herr Professor, einer der Referenten der Handelsblatt Jahrestagung beklagte sich, dass die Energiewende behindert werde. Sie könne nur noch durch eine massive Bewegung von unten – also durch eine Energierebellion – zustande kommen. Sehen Sie das auch so?
Uwe Leprich: Die Aussage, die Energiewende sei behindert worden, finde ich übertrieben. Ich würde sagen, sie ist ein Stück weit entschleunigt worden. Wir waren schon mal schneller unterwegs, wir haben mehr Dynamik zugelassen.  Das hat die Politik in Berlin abgebremst, weil man möglicherweise Angst vor dem eigenen Tempo hatte. Aber es geht schon noch in die richtige Richtung weiter.

IKZ-ENERGY: Welche Behinderungen könnte der Referent gemeint haben?
Uwe Leprich: Wahrscheinlich meint er die Tatsache, dass die Ausbauziele gedeckelt wurden. Das EEG erlaubt nur noch maximal 2900 MW an Windenergieleistung, möglich wären aber mehr, das Gleiche gilt für den Bereich Photovoltaik, wo der Deckel ja bei 2500 brutto liegt, also noch niedriger, von der ­Bioenergie ganz zu schweigen. Der
dynamische Zuwachs, den wir mal hatten, wird so nicht mehr zugelassen. Das kann der eine oder andere natürlich schon als Behinderung auffassen. Ich würde allerdings von einem Einbremsen sprechen. 

IKZ-ENERGY: Wessen Interessen stecken dahinter?
Uwe Leprich: Es ist insgesamt natürlich ein großes Problem geworden, dass über die EEG-Umlage die Kostenbelastung des Ausbaus so plakativ darstellbar ist. Die  Politik hatte wohl das Gefühl, da nicht noch mehr draufsatteln zu können. Je schneller und je mehr ausgebaut wurde, desto stärker stieg die Umlage, und desto stärker wurde der Druck auf die Politik, dort einzubremsen.

IKZ-ENERGY: Weltweit werden 86 % der Energie mithilfe fossiler Energieträger erzeugt, die Erzeugung durch Wasserkraft liegt bei 11 %, bei Sonne und Wind sind es weltweit gerade einmal 3 %. Selbst wenn Deutschland den Anteil der Erneuerbaren Energien wie geplant massiv steigern würde, dürfte sich das bei den weltweit wirkenden CO2-Emissionen kaum bemerkbar machen. Sollte man das nicht bei allen Diskussionen bedenken und nicht immer das Reduzieren von CO2-Emissionen in den Vordergrund schieben – obwohl das, was wir aus Deutschland dazu beitragen, kaum eine Rolle spielt?
Uwe Leprich: Ja, das ist richtig. Unser Anteil an den weltweiten CO2-Emissionen liegt bei 2,3 %. Wir haben allerdings einen Pro-Kopf-Ausstoß von über neun Tonnen, China liegt bei unter sieben, Indien bei unter zwei. Wir können unser Energiesystem also nicht als vorbildlich darstellen. Wenn China und Indien das kopieren würden, was wir schon machen, bekämen wir weltweit ein großes Problem. Zum Ausbau der Erneuerbaren Energien: Es ist in der Tat so, dass der Anteil weltweit noch nicht besonders groß ist. Wenn wir aber die Entwicklungszahlen betrachten, stellen wir fest, dass wir in den letzten zehn Jahren weltweit über 400 GW Windenergie installiert haben. Das ist so viel wie die gesamte Kapazität der Kernenergie. Bei der Photovoltaik liegen wir bei über 250 GW. Die Nahziele beim Ausbau weltweit liegen bei weit über 1000 GW. Das sind Dynamiken, die hat es so bisher noch nicht gegeben.

IKZ-ENERGY: Seit 1990 ist der Weltenergiebedarf um rund 60 % gestiegen, und mit ihm die CO2-Emissionen um 50 %. Muss man deshalb nach 21 Klimakonferenzen nicht sagen, dass die bisherige Klimapolitik gescheitert ist?
Uwe Leprich: Ja, so ist es. Aber wir haben mit Paris ein sehr deutliches Signal für einen Neuanfang bekommen. Jetzt ist klar: Jedes Land muss in einem nationalen Klimaplan darstellen, was es konkret an Klimaschutzmaßnahmen durchführt. Ich habe die große Hoffnung, dass die beiden Hauptverursacher von CO2-Emissionen, sprich China und USA, ihre Hausaufgaben machen. Und sie werden sehr darauf achten, dass alle anderen Staaten das auch tun.

IKZ-ENERGY: Wird sich denn ohne Sanktionsandrohungen überhaupt etwas tun? Das Abkommen haben 195 Staaten unterschrieben, und wenn man sieht, wie andere Verträge, beispielsweise im außenpolitischen Bereich, eingehalten werden oder eben nicht, ist die Hoffnung auf ein Gelingen doch sehr begrenzt. Wie beurteilen Sie vor diesem Hintergrund das Abkommen von Paris?
Uwe Leprich: Wie gesagt, die Schlüsselländer sind China und die USA, die auch existenziell vom Klimawandel betroffen sind. Wenn dort immer häufiger Küstenregionen überschwemmt werden und Städte bedroht sind, werden sie selber mit notwendigen CO2-Reduktionen vorangehen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass dann irgendein Staat sagt, das alles interessiert mich nicht. Das wird so nicht passieren.


IKZ-ENERGY: Die Energiewende wird nur dann gelingen, wenn wir funktionstüchtige Energiespeicher nutzen können. Wie lange wird das noch dauern?
Uwe Leprich: Wir kommen noch relativ lange ohne Energiespeicher aus, weil im System noch genügen Flexibilitäten vorhanden sind. Der Impuls einer dynamischen Entwicklung wird aber nicht aus dem Energie-, sondern aus dem Automobilbereich kommen. Wenn wir von dort kostengünstige Lösungen in den Energiebereich hineinbekommen, wird das die Energiewelt noch mal gewaltig verändern.

IKZ-ENERGY: Sind Sie der Meinung, dass wir für die Energiewende als Übergangslösung weiterhin die Kohleverstromung brauchen?
Uwe Leprich: Ja, und es wird sicherlich nach der nächsten Bundestagswahl erste Konsensgespräche geben, die auch dringend nötig sind, weil der Kohlebereich eine belastbare Zukunftsperspektive braucht. Dabei ist klar, dass die Kohleverstromung ein Ausstiegsmodell
ist, das nach 20 bis 25 Jahren auslaufen muss.

IKZ-ENERGY: Herr Prof. Leprich, vielen Dank für dieses Gespräch.

 


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