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Mit Ökostrom die Wärmewende ankurbeln

Sektorkopplung ist das neue große Thema der Energiewende – Teil 11)

Wärmepumpen, wie hier eine Luft-/Wasser-Wärmepumpe, könnten die großen Gewinner der Sektorkopplung sein. In energetisch sanierten Gebäuden machen sie aus einer Kilowattstunde Strom mehrere Kilowattstunden Wärme. Bild: Viessmann

Windstrom soll zusammen mit Strom aus Photovoltaikanlagen schrittweise zum wichtigsten Energieträger im deutschen Energiesystem werden. Der EnBW-Windpark Baltic 1 in der Ostsee deckt den jährlichen Strombedarf von umgerechnet 50000 Haushalten und spart dabei 167000 Tonnen CO2 ein. Bild: EnBW

Bioenergie trägt heute den größten Anteil an der Bereitstellung Erneuerbarer Energien. Doch die heimischen Potenziale sind durch Nutzungskonkurrenzen mit der Nahrungsmittelproduktion und der Holzindustrie sowie durch Naturschutz- und Nachhaltigkeitsauflagen begrenzt. Bild: Agentur für Erneuerbare Energien

Der Anteil der Erneuerbaren Energien am Endenergieverbrauch erreichte 2015 insgesamt 14,9 %. Während die Ökostromerzeugung boomt, geht der Ausbau im Wärme- und Verkehrssektor nur langsam vor sich. Bild: Agentur für Erneuerbare Energien

Im Rahmen der Sektorkopplung wird überschüssiger Ökostrom nicht mehr abgeregelt, sondern zur Erzeugung von Wärme und Antriebsenergie mit Power-to-X-Technologien genutzt. Bild: EnBW

Ökostrom aus Windkraft- und PV-Anlagen lässt sich mit Power-to-Gas-Technologien in Gas umwandeln. Durch Elektrolyse wird Wasserstoff erzeugt, der in Brennstoffzellenheizgeräten eingesetzt werden kann. Alternativ wird aus Wasserstoff durch die Zugabe von Kohlenstoffdioxid Methan gewonnen und ins Erdgasnetz eingespeist. Bild: EnBW

 

Durch die Verzahnung der Sektoren Strom, Wärme und Verkehr will die Bundesregierung den endgültigen Abschied von den fossilen Energieträgern einläuten. Überschüssiger, erneuerbarer Strom aus Windkraft- und Photovoltaikanlagen soll künftig Wärme, Kälte und Antriebsenergie erzeugen. Technische Lösungen sind längst verfügbar, doch noch hat erneuerbarer Strom im Wärme- und Verkehrsbereich einen Wettbewerbsnachteil.

Es war ein historischer Durchbruch, dem endlose Verhandlungen vorausgingen: Knapp 200 Staaten einigten sich im Dezember 2015 auf der Klimaschutzkonferenz in Paris erstmals auf ein rechtsverbindliches, weltweites Klimaschutzübereinkommen. Als Nachfolgeregelung für das 2020 auslaufende Kyoto-Protokoll umfasst das Pariser Abkommen einen Aktionsplan, der die Erderwärmung auf deutlich unter 2 °C und möglichst auf unter 1,5 °C gegenüber der vorindustriellen Zeit begrenzen will. Negative Folgen der Klimaerwärmung wie der Anstieg des Meeresspiegels und zunehmende Wetterextreme, die Milliardenschäden verursachen und die globale Ernährungssicherheit gefährden, sollen so verhindert werden. Dazu muss der Ausstoß von klimaschädlichem Kohlendioxid (CO2), das vor allem bei der Verbrennung von fossilen Energien2) entsteht, in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts nahezu auf null reduziert werden. Ziel ist die Dekarbonisierung und damit das Ende des fossilen Zeitalters.
Statt kohlenstoffhaltiger Brenn- und Kraftstoffe wie Erdgas, Erdöl und Kohle sollen künftig nur noch CO2-freie, Erneuerbare Energien zum Einsatz kommen. In nationalen Klimaplänen (Nationally Determined Contributions NDC) muss jeder Staat künftig alle fünf Jahre seine CO2-Einsparziele neu definieren. Die Bundesregierung hat als größter Treibhausgasemittent der EU das Pariser Abkommen im Oktober 2016 ratifiziert und zur Klimaschutzkonferenz in Marrakesch im November einen eigenen Klimaschutzplan vorgelegt. Die Koalition bekräftigt darin die bereits im Energiekonzept von 2010 formulierte Absicht, bis 2050 den Ausstoß der CO2-Emissionen um 80 bis 95 % gegenüber 1990 zu senken. Dies soll etappenweise geschehen und zwar um 40 % bis 2020 und um 55 % bis 2030.

CO2-Emissionen weiterhin zu hoch
Bei der Umsetzung der ehrgeizigen Ziele hapert es jedoch gewaltig: Mit einem Anteil am Bruttostromverbrauch von 31,6 % sind Erneuerbare Energien inzwischen zwar die dominierende Energiequelle bei der deutschen Stromproduktion3). Im Jahr 2015 erzeugten sie mit 194 Terawattstunden (TWh) mehr Strom als jemals ein anderer Energieträger zuvor. Da jedoch nach wie vor große Mengen Braun- und Steinkohle zunehmend auch für den Export verstromt werden, sind die CO2-Emissionen nicht so stark gesunken wie von der Politik erwartet. 2015 betrug der Rückgang im Stromsektor nur 5 Mio. t. Zugleich stieg der CO2-Ausstoß im Wärmesektor durch den kühleren Winter und den dadurch bedingten höheren Heizenergieverbrauch an. Denn der deutsche Gebäudebestand ist noch immer durch fossile Verbrennungssys­teme geprägt, die nur langsam ausgetauscht werden.
Für die Energiewende besitzt der Wärmesektor eine wichtige Schlüsselfunktion. Auf ihn entfallen inklusive Prozesswärme rund 54 % des Endenergieverbrauchs und etwa 40 % der gesamten deutschen CO2-Emissionen. Ein dynamisches Wachstum der Erneuerbaren Energien wie im Stromsektor fand bisher nicht statt. Beim derzeitigen Modernisierungstempo würde allein die Sanierung der veralteten 8,7 Mio. Gasheizwertgeräte in deutschen Heizungskellern rund 30 Jahre dauern, hat der Bundesverband der Deutschen Heizungsindustrie (BDH) ausgerechnet.
Bei den 5,1 Mio. veralteten Ölheizwertkesseln rechnet der BDH sogar mit einer Sanierungsdauer von über 90 Jahren. Selbst wenn Gebäudeeigentümer modernisieren, fällt die Entscheidung oft wieder für ein fossiles Heizsystem. 2015 ist der Absatz erneuerbarer Heizungen im siebten Jahr in Folge geschrumpft. Nur 19 % der Hausbesitzer, die in eine neue Heizung investierten, koppelten auch Erneuerbare Energien mit ein. Noch im Jahr 2009 war dies laut BDH bei 45 % der Investitionsfälle der Fall.

Klimaziele nicht einzuhalten
Der gesamte CO2-Ausstoß der drei Sektoren Strom, Wärme und Verkehr erreichte nach einem zeitweiligen Anstieg in den Vorjahren im Jahr 2015 wieder das Niveau von 2011. Dies entspricht einer Reduktion der Treibhausgasemissionen von nur 26 % im Vergleich zu 1990. Um das deutsche Klimaschutzziel für 2020 von -40 % einzuhalten, müssten die Emissionen in den kommenden vier Jahren um weitere 13 % sinken und der Anteil Erneuerbarer Energien müsste massiv wachsen.
Tatsächlich ist jedoch das Gegenteil der Fall: Im Verkehrsbereich ist der Beitrag der Erneuerbaren Energien im Jahr 2015 um 0,4 % auf 5,2 % zurückgegangen. Im Wärmesektor steigerte sich ihr Anteil am Endenergieverbrauch um lediglich 0,7 % auf 13,2 %. Im Stromsektor wird regenerativ erzeugter Strom immer öfter abgeregelt, da es in Zeiten hoher Einspeisung von Wind- und Solarenergie zu einem Überangebot kommt, dem noch keine entsprechende Nachfrage und nur wenige Speichermöglichkeiten gegenüberstehen. Auch die Exportmöglichkeiten für erneuerbaren Strom in die Nachbarländer sind beschränkt.
Die Drosselung ist teuer: Für 2015 summieren sich die Entschädigungsansprüche für die Zwangsabregelung gegenüber den Betreibern nach Schätzungen der Bundesnetzagentur auf 478 Mio. Euro. Das sind 291 Mio. Euro mehr als 2014. Die Entschädigungszahlungen haben sich damit innerhalb eines Jahres fast verdreifacht. Über die Netzentgelte werden sie von den Stromkunden bezahlt.

Sektorkopplung als Win-Win-Situation
Abhilfe soll die Sektorkopplung bringen. Darunter versteht man die engere Verzahnung der einzelnen Sektoren Strom, Wärme und Verkehr. Überschüssiger Strom soll künftig Wärme erzeugen und Fahrzeuge antreiben. Der Wärme- und Verkehrssektor würde damit im Rahmen eines Lastmanagements die fluktuierende Einspeisung von erneuerbarem Strom ausgleichen, zur Stabilität des Stromsys­tems beitragen und hohe Entschädigungszahlungen für die Abregelung vermeiden. Über intelligente Stromnetze, sogenannte Smart Grids, könnten beispielsweise Wärmepumpen bei hohem Stromaufkommen gezielt vorzeitig eingeschaltet werden, damit sie Wärmespeicher beladen, deren Leis­tung erst später abgerufen wird. Denn generell lässt sich Wärme leichter speichern als Strom. Zeitgleich könnten die Batterien von E-Autos aufgeladen werden.
Auch für den Wärme- und Verkehrssektor böten sich Vorteile: Wind- und PV-Strom könnte fossile Energien ersetzen und eine Alternative zur Bioenergie darstellen, die derzeit noch den Löwenanteil der Erneuerbaren Energien im Wärme- und Mobilitätsbereich ausmacht. Denn die heimischen Potenziale von Biomasse sind durch Nutzungskonkurrenzen mit der Nahrungsmittelproduktion und der Holzindustrie sowie durch Naturschutz- und Nachhaltigkeitsauflagen begrenzt. Durch die globale Dekarbonisierung lässt sich Biomasse künftig auch nur noch eingeschränkt importieren, da die meisten Staaten darauf angewiesen sein werden, die vorhandenen Potenziale so weit wie möglich selbst zu nutzen.

Vorfahrt für Wind- und Solarstrom
Nachdem die Bundesregierung bereits im Koalitionsvertrag von 2013 pauschal die Absicht bekundete, erneuerbaren Strom, der sonst abgeregelt werden müsste, künftig im Wärmebereich zu nutzen, hat sie ihre Vorstellungen mittlerweile in weiteren Strategiepapieren konkretisiert. Im Weißbuch „Ein Strommarkt für die Energiewende“ vom Juli 2015, im „Grünbuch Energieeffizienz“ vom August 2016 und im Diskussionspapier „Strom 2030“ vom September 2016 geht das Bundeswirtschaftsministerium (BMWI) inzwischen davon aus, dass eine effektive und wirtschaftliche Dekarbonisierung nur durch die Sektorkopplung möglich sein wird. Wind- und Solarstrom sollen das Energiesystem zunehmend prägen und schrittweise zum wichtigsten Energieträger im Gesamtsystem werden. Das BMWI will die Sektorkopplung dabei ausdrücklich nicht als reines „Instrument zur Abnahme von Überschussstrom“ missverstanden wissen.

Technologien zur Sektorkopplung bereits vorhanden
Technologische Lösungen um die drei Sektoren Strom, Wärme und Verkehr miteinander zu verbinden, werden mit dem Begriff „Power-to-X“ bezeichnet, wobei „Power“ für elektrische Energie steht und „X“ für die Energieform, in die der Strom umgewandelt wird.
Power-to-Heat-Technologien erzeugen Wärme aus Strom. Dabei kommen z. B. herkömmliche Elektroheizungen oder Luft-, Sole- und Grundwasserwärmepumpen in Kombination mit Wärmespeichern zum Einsatz. Wie effizient Wärmepumpen den Strom zur Wärmegewinnung einsetzen, hängt dabei von mehreren Faktoren wie der Temperatur der Wärmequelle, der Jahresarbeitszahl des Wärmepumpenmodells und der Vorlauftemperatur des Heizsystems ab. Durch die Erschließung von Umweltwärme verstärken Wärmepumpen grundsätzlich den Dekarbonisierungseffekt.
In Zukunft sollen vorrangig solche Technologien zum Einsatz kommen, die Strom möglichst effizient in Wärme, Kälte oder Antrieb umwandeln und mit wenig erneuerbarem Strom viel fossile Ener­gie ersetzen. Heizstäbe in dezentralen Einzelheizungen oder Elektrodenkessel, die Wärme für Fernwärmenetze liefern, sollen laut „Strom 2030“ wegen ihres höheren Strombedarfs künftig nur dort genutzt werden, wo keine effizientere Technik verfügbar ist oder erneuerbarer Strom bei negativen Preisen oder Netzengpässen ansonsten ohne Alternative abgeregelt werden müsste.
Auch Sektorkopplungstechnologien, die mehrere Umwandlungsschritte beinhalten, z. B. Power-to-Gas, bei dem Ökostrom zunächst in EE-Gas (Methan, Wasserstoff) umgewandelt wird, das dann ins öffentliche Gasnetz eingespeist oder gespeichert wird, sind aus BMWI-Sicht weniger effizient und auch aus Klimagründen aufgrund der CO2-Emissionen nur temporär eine Option. Durch direkte Power-to-Heat-Anwendungen lässt sich im Wärmesektor wesentlich mehr Erdgas einsparen als aus Strom durch Power-to-Gas erzeugt werden kann.

Neue Rolle für die Kraft-Wärme-Kopplung
Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen (KWK) bilden schon längst eine Schnittstelle zwischen dem Strom- und Wärmemarkt. Nach den Vorstellungen der Bundesregierung sollen sie nur noch bis zum Jahr 2030 weiter ausgebaut werden. Dann geht ihre Bedeutung allmählich zurück, da auch der Bestand an Niedrigenergiegebäuden wächst. Diese decken ihren geringen Wärmebedarf z. B. durch Solarthermie oder Wärmepumpen. Den Strom liefern Erneuerbare Energien.
Nach 2030 produzieren KWK vor allem Wärme für Industrieprozesse sowie Raumwärme für Gebäude, die sich nicht energetisch sanieren lassen. Langfristig haben KWK-Anlagen laut BMWI in der deutschen Energieversorgung nur dann eine Chance, wenn sie mit Erneuerbaren Brennstoffen betrieben werden.
Da Brennstoffzellen-Mikro-KWK höhere Wirkungsgrade als konventionelle KWK-Anlagen erzielen, hat das BMWI im August ein Technologieeinführungsprogramm für Brennstoffzellensysteme in Wohngebäuden gestartet. Die Heizgeräte arbeiten mit einer Brennstoffzelleneinheit, die an das Erdgasnetz angeschlossen ist. Ein interner Reformer spaltet zugeführtes Erdgas in ein wasserstoffreiches Gas auf, das in den Brennstoffzellen mit Luftsauerstoff zu Wasser reagiert. Dabei entsteht Gleichstrom und es wird Wärme frei. Der zum Betrieb der Brennstoffzellen nötige Wasserstoff könnte in Zukunft durch Elektrolyse mithilfe von Ökostrom gewonnen werden (Power-to-Gas). Brennstoffzellenheizungen wären dann nahezu emissionsfrei. Wegen ihres hohen Strombedarfs soll das Elektrolyseverfahren
laut „Grünbuch Energieeffizienz“ im Rahmen der Sektorkopplung jedoch nur dann betrieben werden, wenn keine effizienteren Technologien zur Verfügung stehen.

Ungleiche Wettbewerbsbedingungen
Auch wenn sich die Sektorkopplung technologisch realisieren lässt, würde sie derzeit an den ungleichen Wettbewerbsbedingungen auf dem Energiemarkt scheitern. Fossile Brennstoffe, die im Wärme- und Verkehrssektor genutzt werden, sind noch immer kostengünstiger als der durch zahlreiche Umlagen, Steuern und Abgaben verteuerte Strom, insbesondere seit dem massiven Rückgang der Ölpreise.
Staatliche Fördergelder können den Preisunterschied nur teilweise auffangen. So hat das verschlechterte Preisverhältnis zwischen Heizstrom und Erdgas nach Angaben des Bundesverbands Wärmepumpe (BWP) zu einem kontinuierlichen Absatzrückgang von Wärmepumpen im Sanierungsmarkt geführt. Lösungsmöglichkeiten wären dynamische Strompreise für Verbraucher, eine Senkung der Stromsteuer sowie geringere Umlagen für überschüssigen Strom. Diskutiert wird in diesem Zusammenhang auch immer wieder die Einführung einer CO2-Steuer für fossile Brennstoffe.

Autorin: Almut Bruschke-Reimer, freie Energiejournalistin

1)    Teil 1 des Artikels befasst sich mit den Grundlagen der Sektorkopplung, Teil 2 zeigt die Positionen der unterschiedlichen
Akteure in der Strom- und Wärmebranche; Veröffentlichung vorgesehen in der IKZ-HAUSTECHNIK 6/2017

2)    Zu den fossilen Energieträgen zählen Braunkohle, Steinkohle, Torf, Erdgas und Erdöl

3)    Stromproduktion aus den Erneuerbaren Energien Wind, Biomasse, PV und Wasserkraft

 


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