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War es 2004 richtig, die Handwerksordnung zur reformieren?

Im Jahr 2003 war sich die damalige Regierungskoalition aus SPD und Grünen einig, die Handwerksordnung seit ihrem Inkrafttreten (1953) in ihrer Ausrichtung zu verändern. So wurde die Altgesellenregelung eingeführt, bei einfachen Tätigkeiten Ausnahmen zuge­lassen und aus der Liste der ehemals 94 Vollhandwerke 53 ausgewählt, die nicht länger einen Meistertitel als Voraussetzung für das Führen eines Handwerksbetriebs benötigen. Freiwillig ablegen darf der Betriebsinhaber eine Meisterprüfung allerdings schon, z.B. wenn er den Titel als Qualitätssiegel versteht und damit werben möchte. Will er Nachwuchs ausbilden, ist der Meistertitel wieder Pflicht. Im Rahmen der Novellierung wurden auch die beiden Anlagen in der Handwerksordnung neu strukturiert: Die Anlage A enthält zulassungspflichtige, die Anlage B zulassungsfreie Handwerke und handwerksähnliche Gewerbe. Kriterium für die Aufteilung der ehemals 94 Berufe war, ob bei der Ausübung Gefahren für die Gesundheit oder das Leben Dritter entstehen können. Aus den SHK-Berufen fiel der Behälter- und Apparatebauer aus der Anlage A heraus und wird seitdem in der Anlage B geführt. Das hatte Proteste ausgelöst, doch die Entscheidung wurde nicht zurückgenommen.

Am 1. Januar 2004 wurde die damals neue Handwerksordnung wirksam. Mit dem 1. Januar 2014 sind zehn Jahre vergangen, in denen man Erfahrungen mit der geänderten HWO gesammelt hat. War die Novellierung der Handwerksordnung nun ein richtiger Schritt?

Dr. Wolfgang Schwarz, Hauptgeschäftsführer des Fachverbands Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik Bayern

 

PRO

Die Novellierung der Handwerksordnung, die 2004 von der damaligen rot-grünen Bundesregierung umgesetzt wurde, war richtig und notwendig. Sie stärkte die wirtschaftliche Entwicklung des Handwerks, erleichterte Existenzgründungen, sicherte Arbeitsplätze und führte zu einer besseren Bekämpfung der Schwarzarbeit.
Mit der Novelle wurde erstmalig auch der Meistervorbehalt, der die Meisterprüfung als Grundvoraussetzung zur Führung eines Handwerksbetriebs vorsah, eingeschränkt. Mit der Abschaffung des Meisterzwangs für 53 Berufe wurden Marktzugangsbeschränkungen beseitigt und somit mehr Wettbewerb zugelassen. Dieses Mehr an Wettbewerb nutzte nicht nur den Verbrauchern durch mehr Wahlfreiheit, sondern auch den vielen Handwerksgesellen, die aufgrund der hohen Hürde des Meisterzwangs vorher nicht selbstständig arbeiten konnten und daher häufig in die Schwarzarbeit getrieben wurden.
Vergessen wir nicht die Entwicklung im Handwerk: Der Anteil des Handwerks an der Bruttowertschöpfung reduzierte sich von 10,7% in 1994 auf gerade mal 8% im Jahr 2002. Die Umsätze blieben kontinuierlich hinter dem Wachstum der Wirtschaft insgesamt zurück und die Zahl der Unternehmen mit Meistervorbehalt sank ebenfalls von Jahr zu Jahr. Nach einer Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) ist unmittelbar nach der Gesetzesänderung die Zahl der Betriebe im zulassungsfreien Handwerk sprunghaft gestiegen. In der Zeit von Anfang 2004 bis Mitte 2007 hat sich die Zahl der Betriebe mehr als verdoppelt und der Anteil der Betriebe im Handwerk ohne Meisterzwang stieg auf mehr als 20% aller Handwerksbetriebe. Die Auffassung einzelner Handwerksbetriebe, die Liberalisierung der Handwerksordnung führte zu einem dramatischen Stellenabbau, teile ich nicht, sie lässt sich auch empirisch nicht untermauern.
Aber auch aus gesamtwirtschaftlicher Sicht trägt die Kritik an der Novelle nicht. Gerade der Konkurrenzdruck, den die Novellierung ausgelöst hatte, führte zu einem Umdenken und zu einer Dynamik in der Branche: Neue Betriebe wurden gegründet, zusätzliche Nachfrage erschlossen und ein deutlich größeres Innovationspotenzial aktiviert.
Die Novelle darf aber nicht die letzte Reform im Handwerk gewesen sein, weitere Schritte müssen folgen. So ist nicht nachzuvollziehen, dass inländische Anbieter von Handwerksleistungen nach wie vor gegenüber Anbietern aus anderen EU-Ländern dadurch diskriminiert werden, dass ihnen höhere Marktzutrittsschranken auferlegt werden. Die EU-Dienstleistungsrichtlinie und das Freizügigkeitsprinzip verlangen, dass ein Bürger, der beispielsweise in Spanien einen Handwerksbetrieb eröffnen kann, auch in Deutschland diese Möglichkeit haben muss. Dies bedeutet, dass es für fast jeden EU-Bürger faktisch einfacher ist, einen Handwerksbetrieb in Deutschland zu eröffnen als für einen inländischen Handwerker. Inländerdiskriminierung ist Sache des betroffenen Landes, die EU mischt sich hier nicht ein. Daher ist es auch Sache der deutschen Gesetzgebung, eine Regelung zu finden, die diese Diskriminierung verhindert.
Für eine genauere Analyse fehlen uns noch die entscheidenden Zahlen. Eine umfangreiche Evaluierung der Auswirkungen der Novellierung der Handwerksordnung, wie von uns schon lange gefordert, scheiterte bisher an den nachfolgenden Regierungen. Diese ist aber unabdingbar, um weitere Rückschlüsse und ggf. Korrekturen an der Handwerksordnung durchführen zu können. Hier steht die neue Bundesregierung in der Verantwortung.

Dr. Tobias Lindner, MdB, Wirtschaftsexperte der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen


CONTRA

Die Handwerksreform aus dem Jahr 2004 war aus Sicht des bayerischen SHK-Fachverbands nicht richtig, weil sie vielen Handwerken, die vorher dem Meistervorbehalt unterlagen, ihre Zukunft deutlich erschwert haben. Durch die Freigabe vieler Gewerke trat eine bisher nicht gekannte Wettbewerbssituation auf, die häufig ausschließlich über den Preis geführt wurde. Dies führte vielfach zu deutlichen Wettbewerbsverzerrungen durch die Zulassung unqualifizierter Bewerber, die oftmals als Ein-Mann-Firmen und mit einer anderen Kostenstruktur am Markt tätig wurden. Die eigentlich beabsichtigte Zurückdrängung von sogenannter Scheinselbstständigkeit wurde durch diesen Schritt konterkariert, weil sich in mehreren Gewerken Ein-Mann-Betriebe pro forma selbstständig gemacht haben, welche aber nur einen Auftraggeber hatten. Diese Subunternehmer wurden als billige Arbeitskräfte (oftmals sozialversicherungsfrei) auf den Markt geworfen. Gegen diese teilweise unqualifizierte Billigkonkurrenz sind alteingesessene Handwerksbetriebe, die seit Jahrzehnten ausbilden, einen erfahrenen Mitarbeiterstamm haben und als stehendes Gewerbe ausgeübt werden, nahezu machtlos.
In dem von uns vertretenen Behälter- und Apparatebauer-Handwerk hat die Zurückstufung in die Anlage B der Handwerksordnung anfangs eine extrem negative Auswirkung auf die Anzahl der Lehrlinge gehabt. Die Lehrlingszahl hat sich von 2003 bis 2007 um ca. 40% reduziert. Erst nach einiger Zeit konnte sich die Lehrlingszahl wieder erhöhen. Wir führen dies nicht darauf zurück, dass die neu am Markt tätigen Unternehmen zusätzlich ausbilden, sondern dass die vorher bereits am Markt tätigen Unternehmen wieder Fuß gefasst und ihre Ausbildungsbereitschaft wiedererlangt haben. Das Behälter- und Apparatebauer-Handwerk, in dem derzeit ca. 45 Lehrlinge ausgebildet werden, ist nicht Spitzenreiter der Lehrlingsstatistik.
Allerdings war auch die sogenannte Gefahrgeneigtheit eines Gewerks ausschlaggebend, solche Gewerke in der Anlage A zu belassen. Diese Gefahrgeneigtheit ist bei den Behälter- und Apparatebauern in vielen Teilen ihrer Tätigkeit durchaus gegeben. Die Fertigung und Montage von Druckbehältern aller Art, von Anlagen für die pharmazeutische Industrie, Lebensmittel- und Getränkehersteller sowie in Kraftwerken sind durchaus verantwortungsvolle und gefahrgeneigte Tätigkeiten. Ein hoch spezialisiertes Handwerk wie das des Behälter- und Apparatebaus ist nicht von jedermann erlern- und ausübbar. Das war weder vor, noch nach der Handwerksreform so. Der Erwerb des Meisterbriefes, welcher bis zum Jahr 2004 obligatorisch zu erfolgen hatte, hat einen anspruchsvollen Qualitätsstandard im Markt etabliert und dafür gesorgt, dass unqualifizierte Bewerber keinen Zugang zum Markt hatten. Dies ist im besten Sinne des Wortes Verbraucherschutz.
Der Gesetzgeber hat sich mit seiner Reform daher an diesem Punkt eindeutig gegen den Verbraucherschutz und für den populistischen Schritt der Vermehrung von prekären, quasi selbstständigen Arbeitsverhältnissen ausgesprochen. Die Handwerksreform von 2004 hat aus Sicht des Fachverbandes alle zurückgestuften Handwerke über einen Kamm geschoren und entsprechend vor schwierige Aufgaben gestellt. Auch durch das Zusammenrücken der gesamten freiwilligen Berufsorganisation ist es gelungen, die Betriebe in ihrem Bestreben zu unterstützen, die Qualität- und Leistungsstandards im Sinne des Verbraucherschutzes aufrechtzuerhalten und weiterhin erfolgreich am Markt tätig zu sein.

Dr. Wolfgang Schwarz,
Hauptgeschäftsführer des
Fachverbands Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik Bayern

 


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