„USV-Anlagen erhalten neue Rollen und Aufgaben“
Die unterbrechungsfreie Stromversorgung wird wichtiger denn je
Im November 2017 überstieg der Stromverbrauch des Bitcoin-Netzwerks den der Republik Irland. Immer mehr Rechnerleistung geht weltweit ans Netz, zugleich speisen immer mehr Wind- und Solarkraftwerke Strom in die öffentlichen Netze, jedoch nicht auf Knopfdruck. Das alte Thema unterbrechungsfreie Stromversorgung (USV) gewinnt ganz neu an Bedeutung – auch in überraschender Weise. Dazu sprachen wir mit Reinhard Purzer, Vice President und Managing Director DACH beim Anbieter von Infrastrukturlösungen für Rechenzentren, Kommunikationsnetzwerke sowie kommerzielle und industrielle Anlagen, Vertiv.
IKZ-Energy: Herr Purzer, was ist eine unterbrechungsfreie Stromversorgung (USV), wie funktioniert sie und wo wird sie heute technisch eingesetzt?
Reinhard Purzer: USV-Anlagen und ihr Einsatz haben sich im Laufe der Zeit ziemlich verändert. Vor einiger Zeit waren das nur Systeme, die dazu genutzt wurden, das Stromnetz zu stabilisieren. Sie federten Spannungs- und Frequenzschwankungen ab, griffen bei Stromausfällen ein und überbrückten eine mögliche Down-Time, eine Ausfallzeit. Das ist nach wie vor gerade für Rechenzentren und kritische Infrastrukturen wie Krankenhäuser, Versorgungsunternehmen, Telekommunikationsunternehmen oder auch das Verkehrswesen sehr wichtig, da dort eine andauernde und funktionierende Stromverbindung von elementarer Bedeutung ist. Dementsprechend finden wir USV-Anlagen am häufigsten dort, wo ein Dauerbetrieb benötigt wird, kein Ausfall riskiert werden darf und sensible Geräte vor Spannungsschwankungen geschützt werden müssen.
Mittlerweile zeichnet sich aber ein neues Bild ab. Die Einsatzmöglichkeiten von USV-Anlagen haben sich von einem reinen Stromnetzstabilisator zu einem Energiespeicher weiterentwickelt – und das ist gerade im Kontext der Energiewende ein spannendes Thema.
IKZ-Energy: Die neuen sensiblen „Versorgungseinrichtungen“ werden beispielsweise Rechenzentren sein – die Rolle der USV wandeln sich also, weil wir mehr und mehr volatilen Erneuerbare-Energien-Strom im Netz haben?
Reinhard Purzer: Klar ist: Im Rahmen der Energiewende brauchen wir Energiespeicher, um diese zunehmende Volatilität im Stromnetz auszugleichen. USV-Anlagen, die vornehmlich in kritischen Infrastrukturen wie Rechenzentren zum Einsatz kommen, können sehr gut als Energiespeicher eingesetzt werden, weil sie in der Regel über große Batterien verfügen. Dabei fungieren sie als Puffer, die in Zeiten hoher Stromproduktion Energie speichern und diese wieder abgeben, wenn die Sonneneinstrahlung gering ist oder kein bzw. zu wenig Wind weht.
IKZ-Energy: Es gibt erste Geschäftsmodelle, die für Rechenzentren eine Art Strom-Autarkie-Paket auf Basis von Erneuerbaren anbieten wollen. Windräder und/oder PV-Parks sollen für die Stromversorgung des entsprechenden Rechenzentrums in unmittelbarer Nachbarschaft gebaut werden – plus Speicher. Was halten Sie davon und welche Rolle könnten USV-Systeme darin spielen?
Reinhard Purzer: Genau solche Modelle brauchen wir. Denn mit der zunehmenden Digitalisierung wird künftig die erforderliche Rechenzentrumskapazität und der damit einhergehende Strombedarf immens steigen. 2013 gab es beispielsweise nur 70 große Rechenzentren mit mehr als 5000 m² Fläche in Deutschland, 2017 waren es schon 90 – Tendenz steigend. Und alle brauchen Strom. Schon jetzt verbrauchen die Rechenzentren in Frankfurt mehr Strom als der Flughafen. Wenn Rechenzentren autark werden, ihren Strom selbst produzieren und Energie speichern, entlastet das das öffentliche Stromnetz. USV-Anlagen können auch hier die Funktion des Stromspeichers übernehmen. Diese Entwicklung muss einhergehen mit neuen, effizienteren Rechenzentrumstechnologien wie beispielsweise bei der Kühlung und einer konsequenten Abwärmenutzung.
IKZ-Energy: Wie sieht die Zusammenarbeit von Energieunternehmen mit Betreibern von USV-Anlagen aus?
Reinhard Purzer: Betreiber kritischer Infrastrukturen wie Rechenzentren können in Zeiten geringen Verbrauchs oder hoher Eigenerzeugung den Strom in das öffentliche Stromnetz einspeisen. Damit nehmen sie am Regelenergiemarkt teil, erschließen sich eine neue Einnahmequelle und stabilisieren nebenbei das Stromnetz. Dabei muss die technische Infrastruktur, also die USV-Anlage, mit einer speziellen Steuerung hochgerüstet werden – das machen beispielsweise wir von Vertiv. Energieversorgungsunternehmen übernehmen die Schnittstelle zum Energiemarkt. Die USV-Anlage wird dabei Teil des virtuellen Kraftwerks des Energieversorgers. Hier aggregiert er die verschiedenen Erzeuger und Verbraucher und übernimmt die Vermarktung des eingespeisten Stromes. Die Betreiber kritischer Infrastrukturen erhalten so einen garantierten Erlös oder können den gespeicherten Strom alternativ selbst nutzen.
IKZ-Energy: Welche Herausforderungen sehen Sie noch bezüglich der Energiewende und wie sollte man nun weitermachen?
Reinhard Purzer: Vor allem die stark schwankende Stromerzeugung, die Sorge über mögliche Versorgungsengpässe, Probleme mit der Aufrechterhaltung der erforderlichen Netzfrequenz zur Vermeidung von Abschaltungen oder Ausfällen, der Bau neuer Stromtrassen sowie steigende Strompreise legen sich wie dunkle Schatten über die Energiewende. Natürlich können USV-Systeme als Energiespeicher die Energiewende nicht allein herbeiführen. Aber sie können einen wichtigen Beitrag dazu leisten. Letztlich wird es viele Maßnahmen, Kreativität, Energiesparkonzepte, neue Technologien und Kooperationen geben müssen, um die Energiewende umzusetzen. Wichtig ist, dass jetzt die Weichen gestellt werden bzw. umgesetzt wird, was möglich, sinnvoll und nachhaltig ist. Moderne Kühltechnologien und eine konsequente Abwärmenutzung sind weitere Beispiele dafür.
IKZ-Energy: Herr Purzer, vielen Dank für das Gespräch!
Die Fragen stellte Dittmar Koop.
Zur Person
Reinhard Purzer ist Vice President & Managing Director DACH und seit 2010 bei Vertiv. Sein Aufgabenbereich umfasst den Vertrieb aller Produktbereiche des Unternehmens in den Märkten Deutschland, Österreich und Schweiz. In seiner Rolle als Vice President war er für die geschäftliche Weiterentwicklung in Europa, Mittlerer Osten und Afrika verantwortlich. Ab 2013 kam übergangsweise die Geschäftsführung der Emerson Network Power GmbH (jetzt Vertiv) dazu, die ihm Mitte 2015 fest übertragen wurde.