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Suche nach der Infektionsquelle Häufung von Legionelleninfektionen in Ulm legt Hygiene-Mängel in Rückkühlwerken offen

Eine ungewöhnliche Häufung von Legionellen-Infektionen im Raum Ulm sorgte im Januar 2010 für großes Aufsehen. Dabei wurden 64 Erkrankungen, darunter 5 Todesfälle gemeldet. Der Fall stellte die Gesundheitsbehörden vor die intensive Suche nach der Infektionsquelle. Nachdem die Trinkwasser-Versorgung von Ulm und Neu-Ulm als Ursache ausgeschlossen werden konnte, nahmen die Behörden Klimaanlagen und Nass-Kühltürme ins Visier und wurden fündig. Inzwischen konnte die Infektionsquelle eindeutig identifiziert werden. Die Suche nach dem Schuldigen geht indes weiter.

30 Rückkühlanlagen im Stadtgebiet von Ulm wurden auf eine bakterielle Verkeimung untersucht. Tatsächlich fand das Gesundheitsamt Legionellen in 9 Anlagen.

 

Am 5. Januar 2010 war das Robert Koch-Institut über eine ungewöhnliche Häufung von Legionellen-Erkrankungen im Raum Ulm informiert worden, bei der es zu 64 gemeldeten Erkrankungen kam. Während die allermeisten Infektionen glimpflich verliefen, führte die Legionellose in fünf Fällen zum Tod der Patienten.

9 VON 30 ANLAGEN VERKEIMT
Schnell gerieten neben Klimaanlagen auch Nass-Kühltürme in den Verdacht, die Erreger in Umlauf gebracht zu haben. Nach der Auswertung von Luftaufnahmen hatten die Behörden die Untersuchung von 30 Rückkühlanlagen im Stadtgebiet angeordnet. Das Ergebnis: 9 der untersuchten Anlagen waren tatsächlich mit Legionellen verkeimt. Die Anlagen wurden umgehend gereinigt und desinfiziert, in zwei Fällen erfolgte eine vorübergehende Stilllegung.
Inzwischen war es den Ärzten vom Universitätsklinikum Ulm gelungen, den mutmaßlichen Erreger aus den Atemwegen einer Patientin anzuzüchten und molekular zu untersuchen. Wie das Landratsamt des Alb-Donau-Kreises mitteilte, wurden die Proben aus den Anlagen mit denen der Patienten anhand des "genetischen Fingerabdrucks" verglichen. Das nationale Referenzlabor für Legionellen in Dresden konnte mithilfe dieses Verfahrens den Infektionsherd zweifelsfrei ermitteln.

NASSKÜHLTURM DER TELEKOM VERTEILTE LEGIONELLEN
Ein Nasskühlturm als Teil einer neu gebauten Prozess-Kühlanlage innerhalb eines Telekom-Gebäudes im Stadtzentrum von Ulm war demnach die Quelle der "Legionella pneumophila"-Infektionen. Udo Harbers, Pressesprecher der Telekom für die Region Süd. "Die Klimaanlage ist im Auftrag der Telekom errichtet worden. Sie ist Ende vorigen Jahres in Probebetrieb gegangen." Dabei seien technische Mängel festgestellt worden. Mitte Januar ist die Anlage nach Angaben der Telekom abgeschaltet worden.
Derzeit ist die Ursache für die Verkeimung der Anlage noch nicht abschließend geklärt. Das von der Telekom genutzte Gebäude gehört der Strabag, die ihrerseits mitteilte, dass die Anlage noch nicht in die Betriebsverantwortung der Strabag Property and Facility Services GmbH als Auftraggeberin bzw. in die Verantwortung der Power and Air Solutions - einer hundertprozentigen Tochter der Telekom - als Eigentümerin übergegangen sei.
Die Verantwortung für die Anlage liege demzufolge bei dem mit dem Einbau beauftragten Generalunternehmer. Wie die Pressesprecherin des Strabag-Dachkonzerns in Wien, Diana Klein, mitteilte, handelt es sich dabei um ein SHK-Unternehmen mit Sitz im sächsischen Gottschdorf, bei Hoyerswerda.

ERMITTLUNGSVERFAHREN EINGELEITET
Die Staatsanwaltschaft Ulm hat indes ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Die Behörde will herausfinden, ob beim Einbau oder beim Betrieb der Klimaanlage Fehler gemacht worden sind und in welchem Zusammenhang diese mit der Ausbreitung der Legionellen-Infektionen bei den Betroffenen stehen. Sollte sich dies bewahrheiten, stünde der Vorwurf der fahrlässigen Tötung und der fahrlässigen Körperverletzung im Raum. Es bleibt also abzuwarten, inwieweit den Baubeteiligten fahrlässiges Handeln nachgewiesen werden kann. Klar ist hingegen, dass dem hygienisch einwandfreiem Betrieb von Raumlufttechnischen und - wie der Fall in Ulm zeigt - insbesondere von Lufttechnischen Anlagen, wie offenen Rückkühlwerken, eine größere Bedeutung und Sorgfalt beizumessen ist.

Der regelmäßigen Hygieneinspektion von Lufttechnischen Anlagen, wie sie die VDI-Richtlinie 6022 formuliert, wird allzu häufig noch zu wenig Bedeutung beigemessen.


NACHGEFRAGT

IKZ-FACHPLANER: Nachdem die Trinkwasserversorgung in Ulm als Infektionsquelle ausschied, hatte die Stadt Ulm eine Überprüfung von Klimaanlagen und Rückkühlanlagen angeordnet. Geraten Klimaanlagen in solchen Fällen unter eine Art Generalverdacht?

DR. ACHIM KEUNE: Wie man zwischenzeitlich weiß, handelt es sich bei der bewussten Anlage um einen Nasskühlturm für Prozesskälte. Bekannt ist, dass Nasskühltürme ein gutes Umfeld für die Vermehrung von Legionellen bilden, da sie im entsprechenden Temperaturbereich arbeiten. Solche Rückkühlsysteme gibt es eben nicht nur bei Klimaanlagen, sondern auch für andere Prozesse, in denen Abwärme abgegeben werden muss. Leider wird sehr oft vorschnell und falsch in der Öffentlichkeit eine Klimaanlage als Verursacher genannt. Unsere Branche wehrt sich gegen solche Vorverurteilungen viel zu wenig. Dabei ist gerade bei Lüftungsanlagen durch Einhaltung der vorhandenen allgemein anerkannten Regeln der Technik eine Vermehrung von Legionellen gut zu vermeiden.

IKZ-FACHPLANER: Nasskühltürme stehen meist auf dem Dach, weit weg von Menschen. Wie kann es trotzdem zu einer Übertragung von Keimen auf den Menschen kommen?

DR. ACHIM KEUNE:
Das in einem Nasskühlturm zur Rückkühlung versprühte Wasser hat Wassertemperaturen meist in einem Temperaturbereich oberhalb von 30 bis 35°C. Diese Temperaturspanne ist geradezu ideal zur Vermehrung von Legionellen. Das versprühte und ggf. mit Legionellen angereicherte Wasser ist in einem offenen System und die Wassertropfen können beispielsweise durch Windeinflüsse recht weit getragen werden. So können auch viele Menschen in den zweifelhaften Genuss kommen, diese Wassertröpfchen mit der Umgebungsluft einzuatmen. Die mit Legionellen angereicherten Aerosole in der Atemluft gelangen so in die Lunge.

IKZ-FACHPLANER: Der Fall zeigt, dass die regelmäßige Hygiene-Inspektion und Wartung geradezu ein Muss ist. Welche Arbeiten sollten dabei in welchem Zyklus durchgeführt werden?

DR. ACHIM KEUNE: Generell ist die regelmäßige Wartung, Hygienekontrolle und -inspektion aller Komponenten, die Einfluss auf die Qualität unseres Lebensmittels Luft nehmen, zu empfehlen. Da schließe ich neben den Klimaanlagen alle offenen Rückkühlwerke, aber auch Duschen und Whirlpools mit ein. In Klimaanlagen stehen hauptsächlich die Rückkühlwerke und ggf. vorhandene Luftbefeuchter im Fokus. Für Klimaanlagen haben wir in der VDI 6022 "Hygiene-Anforderungen an Raumlufttechnische Anlagen und Geräten" klare Forderungen u. a. zur Vermeidung von zu hohen Legionellenkonzentrationen in der Luft formuliert. Kurz zusammengefasst gilt in der Wartung unter anderem: Luftwäscher müssen in zweiwöchigem Abstand mit Dip-Slids* hinsichtlich der Gesamtkoloniezahl kontrolliert und alle 2 Jahre in einer Hygieneinspektion auch gründlich auf bakterielles Wachstum, einschließlich Legionellen, untersucht werden.
Rückkühlwerke müssen alle 3 Monate mit Dip-Slids hinsichtlich der Gesamtkoloniezahl kontrolliert und ebenfalls alle 2 Jahre einer Hygieneinspektion unterzogen werden.

IKZ-FACHPLANER: Gilt diese Methodik eigentlich auch für Rückkühlwerke, die beispielsweise in BHKW-Anlagen oder - wie die Anlage in Ulm -  zur Prozess-Kühlung und nicht im Rahmen von Klimaanlagen eingesetzt werden?

DR. ACHIM KEUNE: Eigentlich müssten die Forderungen für alle Rückkühlwerke gelten. Die VDI-Richtlinie 6022 beschäftigt sich aber nur mit Luft- und Klimaanlagen - also Raumlufttechnischen Anlagen.

IKZ-FACHPLANER: Im Zusammenhang mit der regelmäßigen Hygieneuntersuchung kann das Kostenargument für Betreiber nicht gelten, geht es doch um die Sicherheit von Mitarbeitern, Kunden oder der Bevölkerung insgesamt. Trotzdem werden bei Weitem nicht alle Anlagen regelmäßig inspiziert.

DR. ACHIM KEUNE: Das ist richtig. Leider hat eine Art der Baumusterprüfung als unzureichende Hygienezertifizierung in Deutschland "fruchtbaren Boden" gefunden. In vielen Veröffentlichungen und Vorträgen habe ich darauf hingewiesen, dass diese "Label" auf einzelnen Komponenten oft falsch aber auf jeden Fall unzureichend sind. In der VDI 6022 wird sehr deutlich gemacht, dass neben Planung und Komponentenherstellung insbesondere auch die hygienebewusste Erstellung, Betrieb und die Instandhaltung entscheidend für eine "gesundheitlich zuträgliche Zuluft" sind. Eine Baumusterprüfung besagt ja bestenfalls, dass die zum Zeitpunkt der Musterung vorgeführte Komponente den Forderungen der VDI 6022 entsprach. Wichtig sind deshalb regelmäßige Hygienekontrollen und -inspektionen der Anlage. Wenn dies häufiger der Fall wäre, würden wir nicht immer noch massenhaft schlimme Hygienezustände in Lüftungsanlagen, insbesondere auch in Wohnungslüftungsanlagen vorfinden.

IKZ-FACHPLANER: Eine Frage zur Raumluftqualität: Mitte des Jahres soll eine völlig neue VDI-Richtlinie zu diesem Thema als Entwurf erscheinen. Auch hier sind Sie Obmann. Können Sie schon sagen, mit welchen Änderungen gegenüber der VDI 6022 zu rechnen ist?

DR. ACHIM KEUNE: Die VDI 6022 hat sich darauf konzentriert, konkrete Forderungen zu formulieren, mit denen gesichert werden kann, dass die Zuluft den notwendigen Hygieneforderungen entspricht. Eine gute Zuluftqualität allein sichert aber noch nicht gute Raum- oder gar Atemluft. Dazu bedarf es auch eines, an die vorhandenen Raumlasten angepassten, Zuluftvolumenstroms und einer geeigneten Luftströmung im Raum.
Die EN 13779 oder EN 15251 setzt als Maßstäbe für eine Raumluftqualität einen bestimmten zu wählenden Außenluftvolumenstrom und eine zulässige Konzentrationserhöhung des CO2 im Innenraum gegenüber der zeitgleich vorhandenen Außenluft. Der Außenluftvolumenstrom wird aber meist in Lüftungsanlagen nicht gemessen, sichert also allein, ohne Berücksichtigung der Luftfilterung und Raumluftströmung, auch keine gesunde Raumluft. Da helfen nur Absolutwerte für maximale CO2-Konzentrationen im Raum, wie wir dies jahrzehntelang erfolgreich seit Pettenkofer praktiziert haben. Zu solchen haben wir uns in der neuen VDI-Richtlinie 6038 verpflichtet.

IKZ-FACHPLANER: Wie sollen die Anforderungen an die Raumluftqualität konkret umgesetzt werden?

DR. ACHIM KEUNE: Die VDI 6038 nennt Grenz-, Leit-, Richt- und Orientierungswerte für die häufigsten hygienerelevanten Innenraumstoffe. Mithilfe dieser soll ein Maßstab für eine "gesundheitlich zuträgliche Atemluft" geschaffen werden. Mehrere Leitfaden und Musterprotokolle sollen bei der konkreten Prüfung vor Ort je nach Situation bei der Umsetzung helfen, wie auch einige notwendige Hinweise zur Messtechnik. Ohne gute Zusammenarbeit insbesondere in Lufthygienefragen zwischen Architekt, Bauunternehmen, Innenarchitekt, Betreiber, Nutzer und Lüftungstechniker ist das Ziel aber nicht erreichbar.

Mit Dr.-Ing. Achim Keune, TBB Technisches Beratungsbüro, Bargteheide, und Obmann der VDI-Richtlinien 6022 und 6038, sprach die IKZ-FACHPLANER-Redaktion über notwendige Verbesserungen der Hygiene in Luft- und Raumlufttechnischen Anlagen.

 


*) Dip-Slids sind Probenahmestreifen, die als Nährboden für die Bestimmung von Keimzahlen verwendet werden.

 


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