Werbung

Projekt Heizen 2020

Verkaufen wir dem Kunden, was er wirklich möchte?

Bild 1: Gegenüberstellung: Vorgefundene Raumtemperatur versus Wunschtemperatur der Befragten.

Bild 2: Ergebnis der Fragestellung: „Können Sie Sich vorstellen, dass durch eine Lüftungsanlage das Fensteröffnen überflüssig wird?“

Bild 3: Die Frage nach Kühlung rückt weiter in den Vordergrund. Dabei reicht es offensichtlich aus, wenn die Raumtemperatur „etwas“ gegenüber der Außentemperatur abgesenkt wird.

Bild 4: Aufwertung der Geräteauswahl im Gespräch mit dem Kunden.

 

In den letzten Jahren wurde die gesamte Technik auf höchstes Niveau getrimmt. Dabei wurde allerdings der Nutzer ein Stück weit aus den Augen verloren. Es wird Technik verkauft, ohne zu fragen, ob der Nutzer die damit verbundenen Veränderungen in seinem Verhalten wirklich möchte. Dass das im Detail bedenklich sein kann, zeigt ein Forschungsvorhaben des ZVSHK und der VdZ mit dem Namen „NutzTech“ bzw. „Heizen 2020“.

Der ZVSHK hat in Kooperation mit der VDZ und mit Förderung durch das BBSR (ZukunftBau-Programm) das Forschungsvorhaben Heizen 2020/NutzTech durchgeführt. Dabei wurden über 600 Nutzer in ihren Wohnungen zu ihren Vorlieben befragt und Messungen der Anlagenwerte durchgeführt. Parallel wurde zudem ein verkürzter Fragebogen von 2600 Online-Nutzern vollständig beantwortet. Die Ergebnisse sind als repräsentativ zu betrachten. Es handelt sich um die größte Befragung ihrer Art in Deutschland.

Der Wunsch nach mehr
Wie weit Nutzerwunsch und technische Realität auseinander driften können, zeigen die gelebten und tatsächlich gewünschten Raumtemperaturen. Üblicherweise wird die komplette Heizungsanlage auf 20 °C Raumtemperatur ausgelegt. Die zugrunde liegende Normung (DIN EN 12831) gibt durchaus die Möglichkeit, andere Raumtemperaturen zu verwenden. Einen Anhaltspunkt, welches Niveau alternativ sinnvoll ist, gibt es bislang nicht. Bei den Interviews in den Wohnungen wurden nun die tatsächlich gelebten Raumtemperaturen im Wohnzimmer in der Heizperiode gemessen. Gleichzeitig wurde nach der Wunschtemperatur gefragt. Dieser Zusammenhang ist in Bild 1 dargestellt. Die blaue Heizkurve stellt den Anteil der jeweilig vorgefundenen Raumtemperatur an der Gruppe der Befragten dar. Die rote Kurve zeigt die Wunschtemperatur der Befragten. Es zeigt sich, dass 20 °C als Annahme für eine Raumtemperatur zur Auslegung erst einmal nicht abwegig sind. Als problematisch erweist sich jedoch die Spreizung zwischen sparsamen und komfortablen Temperaturen. Fast die Hälfte lebt mit Temperaturen von teilweise deutlich unter 20 °C im Wohnzimmer. Oberhalb von 20 °C werden jedoch Temperaturen von 23 °C und auch höher vorgefunden. Es gibt dabei einen im Nachhinein nicht überraschenden Zusammenhang zwischen Raumtemperatur und u. a. finanziellen Spielräumen der Nutzer. Prinzipiell werden diese Messwerte auch von anderen Forschungsvorhaben bestätigt. Vergleicht man jetzt die Wunschtemperatur mit den gelebten Messwerten, sieht man eine deutliche Diskrepanz. Der Nutzer möchte es offensichtlich wärmer haben, als er es in seiner aktuellen Situation ausleben kann.
Wunsch und Wirklichkeit liegen bekanntermaßen nicht immer auf einer Linie. Im Vergleich mit anderen Forschungsvorhaben zeigt sich jedoch, dass die Wunschkurve sehr gut die Verhältnisse vorwegnimmt, wie sie in energetisch anspruchsvollen Gebäuden (EnEV und besser) vorgefunden werden. Eigentlich ein logischer Zusammenhang: Wenn die Heizkosten den Nutzer nicht mehr belasten, weil er so wenig verbraucht, dann wird er die Raumtemperatur höher drehen. Damit stimmt dann aber die gesamte Auslegung nicht mehr. Mit den im Vergleich zur Auslegung höheren Raumtemperaturen sind dann auch höhere Systemtemperaturen notwendig. Eine Verschlechterung der Jahresarbeitszahl einer Wärmepumpe von 10 % ist schnell erreicht. Verbrauchs­prognosen nach einer Sanierung gaukeln einen niedrigeren Verbrauch vor, als tatsächlich in der Praxis erreicht wird. Das sind alles Folgen einer Fehleinschätzung: Der Nutzer möchte eben in der Regel nicht nur 20 °C Raumtemperatur haben. Jede Auslegung auf diesen Wert ist eigentlich zu niedrig, zumindest wenn man sich im Bereich von wenig verbrauchenden Gebäuden bewegt.

Exkurs Raumtemperatur
Aufgrund dieses Forschungsvorhabens laufen Bestrebungen, in der DIN V 18599 (Energieausweis) die Raumtemperatur an den Dämmstandard zu koppeln. Bezüglich der Heizlastermittlung (DIN EN 12831) gibt es Diskussionen, die Heizlast optional mit einem komfortableren Wert zu berechnen. Letzteres sollte aber mit einem Regelkonzept gekoppelt sein, das für den einzelnen Nutzer, der durchaus als Einzelperson mit 20 °C zufrieden sein kann, eine regeltechnische Begrenzung der bereitgestellten Leistung ermöglicht. Derzeit wird zwischen ZVSHK und Herstellern diskutiert, wie eine geeignete regeltechnische Umsetzung aussehen sollte.

Lösungsstrategie
Wenn jetzt so etwas scheinbar Selbstverständliches wie die Raumtemperatur am Nutzer vorbei geplant wird, wie sieht das erst aus, wenn man das komplette Heizungssystem betrachtet? Es zeigte sich im Laufe der Studie, dass der Nutzerwunsch in der Heizungstechnik an vielen Punkten nicht ausreichend berücksichtigt wird. Die gute Nachricht ist jedoch, dass man diesem Fakt nicht ausgeliefert ist. Es genügt, wenn man den Nutzer bei der Beratung gezielt auf neuralgische Punkte anspricht. Jede Technik, die ein anderes Verhalten benö­tigt, als der Nutzer gewohnt ist, sollte gezielt besprochen werden. Dazu muss man wissen, dass es offensichtlich „Treiber“ gibt, die für den einzelnen Nutzer interessant sind. Für den Nutzer sind das Komfort, Kosten und Umwelt. Diese erscheinen ihm so wichtig, dass er möglicherweise bereit ist, mit den eventuellen Einschränkungen durch eine für ihn neue Technik zu leben. Im Gegenzug erhält er dafür andere, für ihn wichtigere Eigenschaften.
Meist unabdingbar für moderne Gebäude sind Lüftungsanlagen. Die Verwendung einer Be- und Entlüftungsanlage mit Wärmeübertrager sorgt auf dem Papier für die notwendige Effizienz. Die Investitionen für Lüftungsanlagen sind hoch. Der Nutzer muss sich in der Heizperiode daran gewöhnen, die Fenster in der Regel geschlossen zu lassen. Dazu ist er aber mehrheitlich nicht bereit, wenn man das Antwortverhalten auf die Frage „Können Sie Sich vorstellen, dass durch eine Lüftungsanlage das Fensteröffnen überflüssig wird?“ ansieht (Bild 2). Es ist tatsächlich so, dass über 60 % der Nutzer offensichtlich nicht gewillt sind, sich „ko­operativ“ zu verhalten. Besser ausgedrückt: Man versucht dem Nutzer ein Verhalten aufzuzwingen. Der überwiegende Teil der Nutzer wird sich aber nicht zwingen lassen. Er wird die Fenster in der Heizperiode weiter nutzen. In diesem Fall steht aus Sicht des Nutzers der hohen Investition für eine Lüftungsanlage praktisch keine Energieeinsparung gegenüber. Das kann im Einzelfall natürlich dazu führen, dass man dem Nutzer von einer Be- und Entlüftungsanlage zugunsten einer reinen Abluftanlage, die auf Fensteröffnung weniger sensibel reagiert, abrät. Das ist aber gar nicht Zweck dieser Abhandlung. Es stellt sich die Frage, womit die Lüftungsanlage im Beratungsgespräch eingeführt wird, damit der Nutzer unmittelbar einen Nutzen einsieht und dafür dann bereit ist, sein Verhalten anzupassen. Geeignete Treiber sind immer individuell am Kunden zu betrachten. Das kann natürlich der Umweltgedanke sein („niedrige Verbräuche nur durch eine Lüftungsanlage“), in vielen Fällen wird aber der Komfort ein stärkeres Argument liefern.

Ausnutzung des Kundenwunsches für geeignetes Verhalten
Ein Beispiel liefert hier die Kühlung: 90 % der Nutzer möchten gerne das Schlafzimmer kühlen. Bei allen anderen Wohnräumen bis auf Küche und Bad ist die Zustimmung immer noch über 50 %. Dabei reicht es offensichtlich aus, wenn die Raumtemperatur „etwas“ gegenüber der Außentemperatur abgesenkt wird (Bild 3). Genau dieses schafft eine Nachtlüftung: Immer, wenn es im Sommer draußen kühler als im Haus ist, springt die Lüftung automatisch an und sorgt für angenehme Frische. Das macht sie unabhängig vom Nutzer und auch bei geschlossenen Fenstern (Einbruchschutz). Es leuchtet dem Nutzer vermutlich unmittelbar ein, dass er im Sommer die Fenster geschlossen lässt, damit es in den Räumen nicht zu warm wird. Wir haben damit die gewünschte Verbindung von gewünschtem Verhalten („Fenster zu“) und notwendigem Anreiz („Kühlung“). Wenn das der Nutzer im Sommer freiwillig bewusst praktiziert, ist der Sprung, dieses Verhalten auf die Heizperiode zu übertragen, relativ klein. Damit wird die Lüftungstechnik plötzlich freiwillig und ohne Zwang „richtig“ genutzt. Der prognostizierte Beitrag zur Einsparung durch die Lüftungsanlage wird erreicht. Die Investition des Kunden ist sinnvoll.

Ein neuer Beratungsansatz
Der ZVSHK schlägt daher vor, Beratungsgespräche mit einer Heizungsanlage zu beginnen, die seitens der Nutzer kein verändertes Verhalten erfordert. Es handelt sich gewissermaßen um den kleinsten gemeinsamen Nenner aller Heizungstechniken. Diese sogenannte Referenzanlage (bei aller Ähnlichkeit nicht zu verwechseln mit der Referenzanlage aus der EnEV) besteht im Wesentlichen aus einem Brennwertgerät, einer Zweirohranlage mit Heizkörpern und einer Abluftanlage (in Neubau und energetischer Sanierung). Diese Zusammenstellung ist preiswert und erfordert, wie schon beschrieben, kein verändertes Verhalten. Im Rahmen des Beratungsgespräches erfolgt gezielt eine „Aufwertung“ mit anderen Techniken, die finanziell oder durch entsprechendes Verhalten ein höheres Engagement des Nutzers erfordern. Die verwendeten Argumente sind nutzerabhängig. Hier ist der Handwerker auf sein Gespür angewiesen. Komfort ist meistens ein geeigneter Treiber. Manchen Kunden sind aber Umwelt oder Kosten wichtiger. Entsprechend kann das Aufwerten z. B. bei einer Wärmepumpe über die Kühlungsmöglichkeit („Komfort“), die Energiekosten oder den Umweltaspekt erfolgen („CO2-neutral heizen mit Ökostrom“). Dieser Zusammenhang ist verallgemeinert für unterschiedliche Techniken in Bild 4 dargestellt.

Zusammenfassung
Nutzerwunsch und Planungsalltag sind in den letzten Jahren unbewusst auseinandergedriftet. Um Heizungsanlagen zu bauen, die in der Praxis das liefern, was sie versprechen, müssen neue Techniken im Beratungsgespräch stärker am Nutzer ausgerichtet werden, als es bislang üblich ist. Der neue Beratungsansatz des ZVSHK liefert hier ein geeignetes Gerüst.

Literatur:
Matthias Wagnitz:  Ausrichtung der Heizungs-, Klima- und Lüftungstechnik an den Bedürfnissen der Nutzer im Wohnungsbau unter Zugrundelegung von Wohnkonzepten – Abschlussbericht BBSR (Download unter baufachinformationen.de).
Matthias Wagnitz: Ausrichtung der Heizungs-, Klima- und Lüftungstechnik an den Bedürfnissen der Nutzer im Wohnungsbau – Dissertation (download unter qucosa.de).
Autor: Dr.-Ing. Matthias Wagnitz, Referent für Energie- und Wärmetechnik beim ZVSHK

Bilder, sofern nicht anders angegeben:
Matthias Wagnitz

 


Artikel teilen:
Weitere Tags zu diesem Thema: