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Passivhaus: Nicht ob, sondern wie

Mehr als 1200 Teilnehmer aus mehr als 50 Ländern trafen sich vor wenigen Wochen anlässlich der 13. Internationalen Passivhaustagung in Frankfurt. Die 16 zweisprachigen Arbeitsgruppen beschäftigten sich u.a. mit Klimaschutzpolitik, Sanierung, Nichtwohnbau und neuen Anwendungen des Passivhaus-Standards. Neben der Tagung demonstrierte die Fachausstellung mit über 4000 Besuchern in der Messehalle, dass Passivhäuser längst keine exotischen Besonderheiten sind, sondern ein Baukonzept für alle.

 

Prof. Dr. Wolfgang Feist, Leiter des Passivhaus Instituts und Inhaber des Lehrstuhls für Bau­physik an der Universität Innsbruck.
Bild: Passivhaus Institut

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Noch vor wenigen Jahren fragten sich Experten und Politiker, ob sich das Passivhaus als Baustandard bewähren würde. Mit Blick auf die 16 500 weltweit errichteten Wohneinheiten - davon allein in Deutschland ca. 12 500 - lautet die Frage heute vielmehr, wie sie das Konzept am besten anwenden können. "Heute ist der Impuls in alle Länder der Europäischen Union hineingetragen: Tatsächlich gibt es jetzt überall Passivhaus-Initiativgruppen und in fast allen Ländern auch bereits erfolgreich realisierte Demonstrationsprojekte. Wir können auf dieser Tagung über Projekte in Sri Lanka, Produktentwicklungen aus Weißrussland und Ansätze in China berichten", so Prof. Dr. Wolfgang Feist, Leiter des Passivhaus Instituts und Inhaber des Lehrstuhls für Bauphysik an der Universität Innsbruck.

Reaktion auf Klimaveränderung
Für die Europäische Kommission stellte Patrick Lambert, Leiter der Agentur für Wettbewerbsfähigkeit und Innovation (EACI), die EU-Projekte zum Passivhausstandard vor. Das Europäische Parlament hat die Kommission aufgefordert, für alle neuen Gebäude, die Heizung und /oder Kühlung benötigen, den Passivhaus-Standard verbindlich festzulegen.

Bei der Eröffnung der Tagung betonte die Hessische Umweltministerin Silke Lautenschläger die Umsetzung des Passivhaus-Standards als Investition in die Zukunft, insbesondere für die Modernisierung von bestehenden Gebäuden. Das gilt nicht nur für die Komplettsanierung von Objekten: Der Vortrag von Zeno Bastian (Passivhaus Institut) zeigte, dass sich auch eine schrittweise Sanierung in Bezug auf den Energieverbrauch lohnt. Die Verpflichtung der Stadt Frankfurt zum Passivhaus-Standard geht noch über die vorliegenden Beschlüsse hinaus. Bis 2013 werden voraussichtlich 1300 Wohnungen im Passivhaus-Standard errichtet, so die Frankfurter Stadträtin Dr. Manuela Rottmann bei der Eröffnung der Tagung.

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Der Geschäftsführer der ABG Frankfurt Holding, Frank Junker, berichtete, wie er anfangs dem Konzept skeptisch gegenüber stand und nach den ersten Erfahrungen mit den von der ABG selbst gebauten Passivhauswohnungen beschloss, ausschließlich nach dem Passivhaus-Standard zu bauen. Dr. Hans-Joachim Ziesing, ehemaliger Senior Executive im Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) Berlin zeigte die ökonomische Notwendigkeit der Reaktion auf die Klimaveränderung auf. Es koste 1 Mrd., den Klimawandel aufzuhalten (oder in Grenzen zu halten), dagegen mindestens 5 Mrd., einfach abzuwarten, bis die Schäden eintreten.

Entscheidung pro Energieeffizienz
In den vergangenen 10 Jahren entstanden 800 Wohnungen, zwei Schulen und diverse Kindertagesstätten im Passivhaus-Standard in Frankfurt am Main. Heute gibt es bereits über 100 000 m² Nutzfläche in verschiedenen Gebäudetypen im Passivhaus-Standard allein in der Mainmetropole. Für den Leiter des Energiereferats der Stadt Frankfurt, Dr. Werner Neuman, erfolgte diese Entwicklung u. a. aufgrund der Entscheidung, auf Energieeffizienz als Kern der Klimaschutzpolitik zu setzen, und den Beschlüssen, den Passivhaus-Standard verbindlich festzulegen.

Manfred Hochhauser (Stadt Wels) zog Bilanz über 10 Jahre Energiesparkonzept der Stadt Wels und präsentierte erfolgreiche Beispiele von kommunalen Passivhausbauten in der Stadt. Klaus Hoppe, Leiter der Energiefachstelle der Stadt Freiburg, referierte über die Hintergründe und den Prozess bis zum Beschluss des Gemeinderates der Stadt Freiburg. Kay Künzel (raum für architektur) betonte das andere Ende der Kette: Die ehrgeizigen Ziele der Bundesregierung zum Klimaschutz und zur CO2-Reduzierung müssen erst einmal "unten" ankommen. In seinem Beitrag stellte er die Möglichkeiten von Stadtplanern und Kommunen dar, energiesparendes Bauen in die Bauleitung zu integrieren sowie ihren Nutzen für die kommunale Entwicklung. Auffallend in der Arbeitsgruppe "Initiativen und Energieeffizientes Bauen im öffentlichen Raum" waren die vielen Wortmeldungen der Zuhörer aus Kommunen und Behörden auf der Suche nach Erfahrungsaustausch ("Wie setzt man das Thema in den Behörden um?", "Wie stellt man ein professionelles Team zusammen?").

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Wirtschaftlich optimiertes Bauen
Nach dem Beitrag von Andreas Nordhoff über Passivhaus-Lösungen für Pflegeheime wird klar: Typischerweise große Baumassen lassen Spielräume zum Umgang mit Wärmebrücken, dies birgt große Potenziale für die wirtschaftliche Optimierung, hier insbesondere im Gründungsbereich.

Die Fragen nach der Anwendung des Passivhaus-Standards in Sporthallen mit reinem Sportbetrieb wurden von Oliver Kah (PHI) beleuchtet: Eine klassische Passivhauslösung mit Beheizung über Frischluft ist möglich und erlaubt wirtschaftlich optimierte Bauten. Benötigte Luftmengen für Halle, Umkleiden und Duschen sind gleich groß und erlauben die Überströmung von Halle über die Umkleide zur Dusche.  Die Erfahrungen der Stadt Hannover mit Passivhäusern wurden von Stefan Bär (Landeshauptstadt Hannover) vorgetragen. Dort werden kommunale Bauten nur noch im Passivhausstandard konzipiert, dafür sind die Pilotprojekte bereits fertiggestellt. Die Vielzahl der beteiligten Akteure erfordere besondere Aufmerksamkeit für die Planungsprozesse, Interessenkonflikte müssen überwunden werden, und das Projektmanagement gewinnt dabei eine besondere Bedeutung. Die gemachten Erfahrungen ermöglichten von Projekt zu Projekt weitere Kostenreduzierungen. Insbesondere wenn der Passivhausstandard von Beginn an geplant wird, können kosteneffiziente Lösungen gefunden werden. Die Vorteile der Anwendung des Passivhaus-Standards an Schulen und Kindergärten zählte Axel Bretzke (Hochbauamt der Stadt Frankfurt) in seinem Vortrag auf: Besserer Komfort, vernachlässigbare Heizkosten, gute Wirtschaftlichkeit und ein wesentlicher Beitrag zum Klimaschutz mit Heizkostenreduzierung gegenüber dem noch gültigen deutschen Standard (EnEV) um den Faktor 5 bis 10, wie an der Passivhaus-Grundschule Riedberg.

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Weltweites Interesse
Diskutiert wurden auf der Tagung auch die Optionen für Passivhäuser in anderen Klimazonen. Kann man im Mittelmeerraum, in den sehr verschiedenen Klimaten der USA, in Osteuropa und in besonders kalten Gegenden (Finnland, Dänemark, Schweden, Arktis, Lettland) Passivhäuser bauen. Wenn ja, wie müssten sie aussehen? Für viele Klimate konnte die Machbarkeit gezeigt werden, mancherorts besteht noch Bedarf an Verbesserung der Komponenten oder an Forschung.

Micheal Lebau (Passive House Institute US) berichtete in der Arbeitsgruppe IV "PH - Examples and Strategies" von der 3. nordamerikanischen Passivhaustagung. In den USA gibt es sehr unterschiedliche Klimazonen von winterkalten Regionen bei den großen Seen, über heiße und trockene Regionen im Südwesten bis zu feucht-heißen Regionen im Südosten des Landes. In jeder Region müssten daher unterschiedliche Lösungen und Details angewandt werden. So müsse die Dampfbremse in manchen Landesteilen nicht auf der Innenseite, sondern auf der Außenseite der thermischen Hülle angeordnet werden. Trotz dieser Herausforderungen wachse das Interesse am Passivhausstandard in den Vereinigten Staaten derzeit rapide. Während bei der Tagung im letzten Jahr noch 150 Fachleute und Unterstützer dabei waren, werden für die vom 16. bis 18. Oktober 2009 in Urbana/Il. stattfindende 4. Nordamerikanische Passivhaustagung schon mehr als dreimal so viele Teilnehmer erwartet.

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Die vom Passivhaus Institut konzipierte Wanderausstellung des Hessischen Ministeriums für Umwelt, Energie, Landwirtschaft und Verbraucherschutz bildete einen Höhepunkt der Leitmesse der Passivhausbranche.

Neues aus F & E
Ein Hallenbad im Passivhaus-Standard - lässt sich das realisieren? Tanja Schulz (PHI) nahm die Herausforderung an. Wegen der hohen Raumtemperaturen und des großen Warmwasserbedarfs zählen Hallenbäder zu den energieintensiven Gebäuden. Die Frage, wie sich der Passivhaus-Standard auf die speziellen Randbedingungen in Hallenbädern übertragen ließ und welche Energieeinsparungen zu erwarten seien, untersuchte sie im Pilotprojekt der Bädergesellschaft Lünen. Das Ergebnis zeigte eine Primärenergieeinsparung zwischen 60 % und 70 % für Heizung, Warmwasserbereitung und Stromanwendungen gegenüber einem Hallenbad nach EnEV. Jürgen Schnieders (PHI) zeigte, wie sich eine Feuchterückgewinnung in der Lüftungsanlage auf die Ener­giebilanz auswirkt. Solange nicht zur Entfeuchtung zusätzlich gelüftet werden muss, kann eine Feuchterückgewinnung den Heizwärmebedarf eines Passivhauses um etwa 1 kWh/(m²a) reduzieren. Franz Freundorfer (PHC) stellte eine neuartige Fensterkonstruktion vor, die geringe Kosten mit schmalen Ansichtsbreiten und einem passivhaustauglichen Wärmeschutz verbinden soll. Iris Behr (IWU) untersuchte das Modell einer Warmmiete bzw. berichtete über die Einführung einer Heizkostenpauschale im Passivhaus, mit der Abrechnungs- und Verwaltungsaufwand gespart werden könnten.

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In einem Passivhaus schließen besondere Fenster und eine Hülle aus hochwirksamen Dämmpaketen in Außenwänden, Dach und Bodenplatte die Wärme schützend ein. Für ständig frische Luft ohne Zugerscheinungen sorgt gleichzeitig eine Lüftungsanlage, in der ein hocheffizienter Wärmetauscher Wärmeverluste weitgehend verhindert. Die Fenster kann und darf man trotzdem öffnen. Bild: proKima

Konzepte für Sanierung
Die Anwendung von Passivhaus-Komponenten in der Modernisierung von Gebäuden bewirkt eine bedeutende Einsparung - dies wurde von Dr. Berthold Kaufmann (PHI) und Søren Peper (PHI) am Beispiel des Modernisierungsprojektes Tevesstraße gezeigt: Mithilfe der Komplettsanierung von 60 Wohnungen der ABG-FH in Frankfurt  aus den 50er-Jahren mit Passivhauskomponenten reduzierte sich der Heizwärmebedarf nach PHPP von 290 kWh/(m²a) um über 90 % auf 17 kWh/(m²a). Die zweijährige messtechnische Begleitung hat diesen Erfolg bewiesen. Das Parallelprojekt der GAG in Ludwigshafen zeigt für die dortige Altbausanierung einen ebensolchen Erfolg. ­Beide Forschungsberichte sind unter
www.passiv.de abrufbar.

Mark Siddall (DEWJO’C Architects) hat gezeigt, wie wichtig eine winddichte Ausführung der Wärmedämmung und eine Abdichtung der Zwischenräume zwischen Reihenhäusern ist. Bei schlechter Ausführung, insbesondere bei umströmten Dämmplatten im mehrschaligen Mauerwerk, kann sich der Wärmeverlust leicht mehr als verdoppeln. Danny Parker (Florida Solar Energy Center) führte ein innovatives, kostengünstiges hybrides Kühl- und Entfeuchtungssystem vor, das - über den in den USA gewöhnlich nicht ausgebauten Spitzboden -  die Kühle des Nachthimmels zur Kühlung bzw. die Hitze des durch die Sonne aufgeheizten Raumes zur Entfeuchtung nutzen kann.

Eine begleitende Fachausstellung stieß auf reges Interesse - rund 4000 Besucher suchten Informationen zu Produkten, neuen Systemen und Verfahren des energieeffizienten Bauens.

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Nächste Termine
Die nächste Tagung findet am 28. und 29. Mai 2010 in Dresden statt. Davor öffnen Passivhausbewohner weltweit ihre Häuser während der 6. Tage des Passivhauses vom 6. bis 8. November 2009. Weitere Informationen über www.ig-passivhaus.de. Ab September 2009 stehen die zu besichtigenden Häuser unter www.passivhausprojekte.de.

Kontakt:
Passivhaus Institut
64283 Darmstadt
Tel. 06151 826990
Fax 06151 8269911
mail@passiv.de
www.passiv.de

 


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