Neues VdTÜV-Merkblatt zum Anfahrschutz
Im August 2010 ist das neue VdTÜV-Merkblatt 965 Teil 1: „Anfahrschutz oberirdischer Lagerbehälter an Tankstellen sowie Füllanlagen zum Befüllen von Landfahrzeugen mit Druckgasen zur Abgabe an Dritte, Teil 1“ erschienen.
„Oberirdische Tanks müssen gegen das Anfahren durch Fahrzeuge und gegen sonstige Beschädigungen von außen geschützt sein“, so die Kernaussage der Technischen Regel für brennbare Flüssigkeiten „Tankstellen“ (TRbF 40) sowie der Technischen Regel zu Druckbehältern „Aufstellung von Druckbehältern zum Lagern von Gasen“ (TRB 610). Das VdTÜV-Merkblatt 513 für Flüssiggastankstellen legt ergänzend dazu fest, dass der Anfahrschutz im Rahmen der gutachterlichen Äußerung zu bewerten ist. Konkrete Bewertungskriterien für diesen Anfahrschutz werden mit dem ergänzenden neuen VdTÜV-Merkblatt 965 erstmals beschrieben und sollen nun einheitlich angewandt werden.
Im Vorfeld zu diesem neuen Merkblatt wurde zum Jahreswechsel 2009/2010 beim VdTÜV ein interdisziplinär besetzter Arbeitskreis ins Leben gerufen. Vertreter der betroffenen Branchen aus Mineralölwirtschaft, Flüssiggas- und Erdgaswirtschaft sowie Fachleute auf dem Gebiet der passiven Verkehrssicherung, Vertreter zugelassener Überwachungsstellen und fachliche Ansprechpartner für den technischen Arbeitsschutz der Bundesländer erarbeiteten gemeinsam das VdTÜV-Merkblatt 965.
Grund für die vielfältige Ausgestaltung des bisherigen Anfahrschutzes an oberirdischen Lagerbehältern auf Tankstellen war das Fehlen objektiver Bewertungskriterien. Ausgehend von den Aufstellbereichen der Lagerbehälter ergeben sich die unterschiedlichen Bestimmungsgrößen Masse, Geschwindigkeit und Fahrtrichtung der dort verkehrenden Fahrzeuge. Der Arbeitskreis hat für diese Größen – basierend auf realistischen Annahmen – entsprechende Vorgaben definiert. Die zugelassenen Überlassungsstellen können jetzt in ihren gutachterlichen Äußerungen diese Vorgaben nutzen und miteinander verknüpfen.
In dem VdTÜV-Merkblatt 965 ist eine Matrix zur Ermittlung der Auslegungsgrundlagen für den Anfahrschutz aufgeführt, die die unterschiedlichen Kombinationsmöglichkeiten der Bestimmungsgrößen enthält. Diese Matrix ist der Kern des Merkblattes. Zuvor musste die Frage geklärt werden, ob es standardisierte Systeme der passiven Verkehrssicherung gibt, die einen entsprechenden Schutz der Lagebehälter sicherstellen können. Aufgrund der Anzahl unterschiedlicher Aufstellmöglichkeiten von Lagerbehältern und der sich daraus ergebenden Rahmenbedingungen zeigte sich recht bald, dass hier ein abgestuftes Anforderungsniveau neu definiert werden muss. Dies scheint auf den ersten Blick sehr kompliziert zu sein, doch bei detaillierter Betrachtung des strukturellen Aufbaus kann die Dimensionierung des Anfahrschutzes klar ermittelt werden.
Um das erforderliche Energieaufnahmevermögen des Anfahrschutzes bei Anlagenplanung oder Begutachtung zu ermitteln, sind drei Arbeitsschritte notwendig:
1. Die Betrachtung des Aufstellungsbereiches der oberirdischen Lagerbehälter auf Tankstellen.
2. Die maximal zu berücksichtigende Aufprallgeschwindigkeit auf den Anfahrschutz, die sich – entsprechend der vorgegebenen Geschwindigkeitskategorien – aus der Aufstellsituation aus Schritt 1 ergibt.
3. Die Berücksichtigung der Masse des Fahrzeugtyps, der die entsprechenden Verkehrsflächen des Aufstellungsbereiches befahren kann.
Dabei sind sowohl die Geometrie der Verkehrsführung als auch die Breite der Verkehrswege auf den Tankstellen entscheidende, zu berücksichtigende Faktoren. Zusätzliche Maßnahmen am Behälter können dabei zu einer Anpassung der Dimensionierungsvorgaben für den Anfahrschutz bei Sicherstellung des gleichen Schutzes gegen Produktaustritt führen.
Neben den sehr restriktiven Anforderungen sind verschiedene Sicherheitsreserven in den Matrixvorgaben enthalten. So wird zum Beispiel für einen Pkw grundsätzlich das zulässige Gesamtgewicht von bis zu 3,5 t und für Lkw sogar das maximal zulässige Gesamtgewicht von 40 t angesetzt. Zudem wird ein Anprall als elastischer Stoß angenommen, sodass die Umwandlung der kinetischen Energie in Verformungsenergie des aufprallenden Fahrzeugs zusätzliche Sicherheit bietet.
Ungewöhnlich für ein VdTÜV-Merkblatt ist die Aufnahme von Erläuterungen zu den unterschiedlichen Bestimmungsgrößen unmittelbar in den Text des Merkblattes. Die Ermittlungsgrundlagen werden auf diese Weise mit größtmöglicher Transparenz dargelegt. Die Dimensionierung des Anfahrschutzes ist somit von der Planung über die Begutachtung bis hin zur Erlaubniserteilung nachvollziehbar. Für die Sicherheit von oberirdischen Lagerbehältern an Tankstellen wurde dadurch ein Quantensprung erreicht. Auch der einheitliche Vollzug in den Ländern kann auf diese Weise gewährleistet werden.
Der Autor, Dr. Klaus-Ruthard Frisch, ist Technischer Direktor im Deutschen Verband Flüssiggas e.V., Berlin.