Netzentgelte intransparent – Taschen voll
Deutsche Stromkunden zahlen möglicherweise mehrere Hundert Mio. Euro jährlich zuviel
Die anteiligen Kosten für eine kWh Strom liegen zu über 70 % bei Steuern, Abgaben, EEG-Umlage – und den Netzentgelten. Die Denkfabrik Agora Energiewende stellt in einer Kurzstudie fest, dass es bei den Netzentgelten keine Transparenz gibt. Ein Dickicht aus Politik und Wirtschaft. Geschätzt werden pro Jahr 300 Mio. – 1 Mrd. Euro von den Verbrauchern zu viel gezahlt.
Stromkunden zahlen wohl mehrere 100 Mio. Euro jährlich Netzentgelt zu viel. Das ist das Ergebnis einer Analyse von Agora Energiewende. „Die Stromverbraucher in Deutschland müssen für Bau und Betrieb der Stromnetze wohl mehrere 100 Mio. Euro im Jahr mehr zahlen als gesetzlich nötig. Dafür mehren sich die Indizien“, resümieren die Analysten. Die Experten mahnen den Gesetzgeber zur Klarstellung des geltenden Rechts.
Verfilzt?
Das Problem: Die Agora-Aussagen lassen sich nicht erhärten, weil weder Netzbetreiber noch staatliche Regulierungsbehörden die entsprechenden Daten und Regulierungsbescheide vollständig veröffentlichen – und das laut Agora entgegen gesetzlicher Vorschriften. Klagen vor Zivilgerichten würden an der mangelnden Beweisbarkeit scheitern, weil die Netzbetreiber aus Geheimhaltungsinteressen ihre Kosten nicht veröffentlichen.
Undurchsichtigkeiten und Intransparenzen
Werde vor Verwaltungsgerichten geklagt, erklärten die Gerichte bis selbst zum Bundesverfassungsgericht hin sich nicht für zuständig für die Durchsetzung der Transparenzvorschriften des Energiewirtschaftsgesetzes. Obwohl der Stromnetzbetrieb vollständig der öffentlichen Regulierung unterliege, so Agora, hätten damit weder Stromverbraucher, Stromlieferanten noch Gutachter und die lokale Politik eine Handhabe, die Entscheidungen der Behörden (Bundesnetzagentur und die Regulierungsbehörden der Länder) zu überprüfen und auf diesem Wege gegen überhöhte Netzentgelte vorzugehen.
Kuhhandel?
Vor allem zwei Indizien für Regulierungsentscheidungen, die unnötig hohe Netznutzungsentgelte nach sich ziehen, haben die Autoren der Studie identifiziert. Zum einen kritisieren sie gerichtliche Vergleiche zwischen Regulierungsbehörden und Stromnetzbetreibern. Hierbei verzichten die Unternehmen auf Rechtsmittel im Gegenzug dafür, dass die Regulierungsbehörde die von den Netzbetreibern veranschlagten Kosten im Rahmen der Genehmigungsverfahren nicht kürzen. Diese Praxis widerspreche aber dem Energiewirtschaftsgesetz, das keinen Raum für ein Entgegenkommen der Regulierer gegenüber den Netzbetreibern sehe, heißt es in der Analyse. Agora beziffert den möglichen Schaden für die Stromkunden auf 360 - 900 Mio. Euro jährlich.
Fragwürdigkeiten
Zum anderen bemängelt Agora, dass die Bundesnetzagentur die zulässige Eigenkapitalverzinsung – diese ist grundlegend für den Gewinn der Netzbetreiber – in der Regulierungsperiode von 2014 bis 2019 zu hoch bemessen habe. Infolgedessen würden die Netzentgelte jährlich um 145 Mio. Euro zu hoch ausfallen. Genauer ließe sich der Schaden für die Verbraucher nicht beziffern, da die Regulierungsbehörden ihre Entscheidungen zu den Stromnetzentgelten allenfalls unvollständig und zu einem Großteil geschwärzt veröffentlichen würden. Auch diese Praxis widerspreche den Transparenzvorgaben des Energiewirtschaftsgesetzes, so Agora.
Leben in der Bananenrepublik
Vor Verwaltungs-, Zivil- und auch dem Bundesverfassungsgericht wären laut Agora jedoch bisher die meisten Klagen auf mehr Transparenz und auf Überprüfung der Regulierungsentscheidungen zugunsten von Stromverbrauchern und -vertrieben gescheitert. Netzbetreiber hätten umgekehrt bereits erfolgreich gegen Netzentgeltgenehmigungen der Regulierungsbehörde geklagt und hätten somit höhere Netzentgelte durchsetzen können. „Diese Praxis verletzt das Recht auf prozessuale Waffengleichheit und auf effektiven Rechtsschutz und sie verstößt gegen das Willkürverbot“, moniert die Analyse.
Politik am Zug
„Der Skandal ist, dass wir von diesen Regulierungsdefiziten zwar wissen, Verbraucher und Stromvertriebe dagegen aber rechtlich nicht vorgehen können“, sagt Patrick Graichen, Direktor bei Agora Energiewende. „Damit die Netzkosten nicht aus dem Ruder laufen, ist jetzt die Politik am Zuge. Wir brauchen prozessuale Waffengleichheit und endlich vollständige Transparenz. Netzkosten sind eine öffentliche Angelegenheit und gehören komplett veröffentlicht, wie dies auch andere EU-Nachbarländer tun“, so Graichen.
Die Analyse „Stromnetzentgelte: Eine Blackbox die nicht geöffnet werden kann?“ steht unter www.agora-energiewende.de zum kostenlosen Download zur Verfügung. Sie enthält zahlreiche Verweise auf einschlägige Gerichtsurteile und Rechtsnormen.
Autor: Dittmar Koop, Fachjournalist