Nachhaltige Wohnimmobilien schaffen - Betrachtungen zum zukunftsweisenden Planen, Bauen und Nutzen von Gebäuden
Das 21. Jahrhundert steht vor zwei zentralen Herausforderungen: Dem Klimawandel sowie dem steigenden Ressourcenverbrauch, aus dem die Knappheit wesentlicher Stoffe und Energieträger resultiert. Das Bauwesen hat daran einen erheblichen Anteil. So verbrauchen Gebäude in Deutschland rund 50 % aller der Erde entnommenen Rohstoffe, verursachen 60 % der Abfälle und verbrauchen die Hälfte der produzierten Endenergie. Einer ganzheitlichen Betrachtung von Immobilien kommt deshalb bei der Umsetzung der Klima- und Umweltschutzziele eine besondere Bedeutung zu. Sie nimmt im politischen wie auch gesellschaftlichen Raum eine hohe Priorität ein: „Baukultur ist erforderlich, um eine Umwelt zu schaffen, die als lebenswert empfunden wird. Sie dient der Sicherung und Entwicklung der so geschaffenen gesellschaftlichen und ökonomischen Werte.“ [1] Der Wohnungsbau besitzt hier den größten und prägendsten Einfluss auf unsere alltägliche Umgebung.
Nachhaltiges Handeln heißt, ökologische, ökonomische und soziale Belange in Einklang zu bringen (Bild 2). Für ein entsprechendes Gebäudekonzept ist jedes Vorhaben zunächst in seinem städtebaulichen Kontext zu sehen: Welche Chancen bietet die vorhandene Umgebung, wie kann sie sinnvoll ergänzt und genutzt werden?
Schritte zu mehr Nachhaltigkeit
Integrierte Planungsansätze verbinden den Standort so mit einem klimatisch sinnvollen Entwurf. Für das Haus selbst müssen dabei passive und aktive Strategien für Wärme, Kälte, Luft, Licht und Strom zusammenspielen – angepasst an die jeweilige individuelle Bauaufgabe. Passive Strategien minimieren den Energiebedarf des Gebäudes, beispielsweise indem die Wärme innerhalb des Hauses gehalten oder der Strom effizient genutzt wird. Der so reduzierte Energiebedarf sollte anschließend über aktive Maßnahmen wie eine möglichst effiziente und regenerative Wärme- und Stromerzeugung vor Ort gedeckt werden.
Darüber hinaus beeinflusst die Wahl der Baustoffe die ökologischen und bauphysikalischen Qualitäten eines Gebäudes. Ebenso ist auf eine langfristige Nutzbarkeit zu achten, sodass sich in einem Gebäude Umbaumaßnahmen leicht realisieren lassen. In einem modernen Haus müssen Gebäudekonstruktion, Anlagentechnik und Ausstattung optimal aufeinander abgestimmt sein, damit ein adäquater Umgang mit Energie gelingt. Dafür ist ein gutes Zusammenspiel der verschiedenen Gewerke erforderlich, die auf dem aktuellen Stand der Technik arbeiten müssen. Während des Betriebs ist es dann der Nutzer, der die Auswirkungen seines Verhaltens richtig beurteilen können muss. Im Ergebnis entstehen so zukunftsfähige Bauten, die möglichst unabhängig von Energiepreisentwicklungen sind und deren Immobilienwert langfristig erhalten bleibt.
Die Überlegungen zum nachhaltigen Bauen (Bild 3) liefern eine umfassende Sicht auf die Gebäudequalität.
Eine hohe Lebensdauer setzt vorausschauende Planung voraus. Die Gesamtwirtschaftlichkeit sollte dabei auf die Herstellungs-, Betriebs- und Nutzungskosten hin optimiert werden. Dies gilt sowohl für den Neubau als auch die Erhaltung durch Modernisierung oder Sanierung. Hier sind große Einsparpotenziale zu erzielen: Bestandsbauten können bis zu dreimal höhere Kosten für Heizung und Warmwasser als Neubauten verursachen. Nachhaltige Gebäude bedeuten in ihrer Konsequenz Klimaschutz und Betriebskostenersparnis, Arbeitsplätze und Wohnraum für morgen.
Wohnqualität und Grundrissgestaltung
Der Wohnungsbau wird künftig einen wachsenden Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung in Deutschland leisten müssen: Das beginnt bereits mit einer Analyse der vorhandenen Flächenpotenziale, der örtlichen Wohnflächenentwicklung sowie der aktuellen Bevölkerungs- und Haushaltsentwicklung. Um die Auslastung der bestehenden Infrastrukturen sicherzustellen, sollte immer der Quartiersbezug als Ziel formuliert werden. Dies entspricht der konsequenten Anwendung des Prinzips „Innenentwicklung vor Außenentwicklung“. Der schonende Umgang mit Flächen sowie die Nutzung vorhandener Bauflächen und Gebäude sollte – wo immer möglich – Vorrang vor einem Neubau haben. Eine wichtige Rolle spielt die Ausweisung von Frei- und Grünflächen, um einen Klimaausgleich in eng bebauten und kompakten Stadtkörpern zu gewährleisten und damit die Aufenthaltsqualität zu verbessern.
Eine frühzeitige Beteiligung der Öffentlichkeit und Partizipation bei der Entwicklung der Wohnquartiere erhöhen zudem die Akzeptanz in der Bevölkerung. Zur Qualitätssicherung können diese Prozesse durch fachkundige Beiräte unterstützt werden. Durch die demografische Entwicklung und die europäische Rechtslage gewinnt das Thema Barrierefreiheit an Bedeutung. Dies beinhaltet nicht nur ausreichende Bewegungsflächen und eine schwellenlose Erreichbarkeit von Wohnungen und Räumen, sondern auch Möglichkeiten, Rollstühle, Rollatoren oder Kinderwagen gesichert abstellen zu können. Eine daraus resultierende langfristige Wertstabilität steht auch für Nachhaltigkeit.
Neben der äußeren Gestaltung spielten die Einflussmöglichkeiten der Bewohner auf den Grundriss eine zentrale Rolle. Wichtig sind eine gute Organisation der Räume sowie deren flexible Nutzbarkeit. Dies schließt die Potenziale des Gebäudes zur Anpassung an die verschiedenen Erfordernisse ein – je nach Lebensphase der Bewohner und der Immobilie. Die Sicherstellung eines angemessenen Komforts spielt dabei aus Sicht der Bewohnerinnen und Bewohner eine wesentliche Rolle: Viel Sonnenlicht und angenehme Raumtemperaturen sind maßgeblich für den Erfolg moderner Wohngebäude verantwortlich. Eine gute Wärmedämmung der Hülle und eine Bauausführung ohne Wärmebrücken und sonstige Undichtigkeiten schaffen ein im Winter wie Sommer behagliches Raumklima. Die Raumluftqualität wird erheblich durch die richtige Auswahl von Baustoffen und -produkten sowie eine ausreichende Lüftung bestimmt. Auch die Qualität des Schallschutzes hat auf die Behaglichkeit einen essenziellen Einfluss. Darüber hinaus entscheiden der Bezug zum sowie die Gestaltung des Außenraums darüber, ob sich die Bewohner wohlfühlen. Hinsichtlich der Kostenbegrenzung ist eine flächenmäßige Optimierung der Grundrisse relevant, da jeder nicht gebaute Quadratmeter Kosten spart. Architekten sind gefragt, hier qualitätsvolle Lösungen zu entwickeln.
Bewertung der Nachhaltigkeit im Wohnungsbau
Über eine Nachhaltigkeitsbewertung können Entscheidungen und Planungsergebnisse nachvollziehbar dokumentiert werden (Bild 4). Der Begriff „Bauqualität“ umfasst dabei zahlreiche Aspekte – beginnend bei einer adäquaten Zielsetzung, über die Gestaltungs-, Nutzungs- und Technikqualität bis hin zur Unterhaltung des Projekts. Mit dem „System zur Beschreibung und Bewertung der Qualität und Nachhaltigkeit neuer Mehrfamilienhäuser“, betrieben vom Verein zur Förderung der Nachhaltigkeit im Wohnungsbau (NaWoh), steht eine erprobte Bewertungsmethodik zur Verfügung (www.nawoh.de/uploads/pdf/NaWoh_Web.pdf) .
Der Bund formuliert im Leitfaden „Nachhaltiges Bauen“ grundlegende Anforderungen an die Nachhaltigkeit von Gebäuden. Dabei wird besonderer Wert auf die Allgemeingültigkeit der Aussagen und die Übertragbarkeit der Herangehensweise gelegt (www.nachhaltigesbauen.de).
Gebautes Musterbeispiel
Neue Maßstäbe beim energieeffizienten Wohnen im urbanen Kontext setzt das „Aktiv-Stadthaus“, das am 8. Juli 2015 von Bundesministerin Dr. Barbara Hendricks eröffnet wurde. Der Geschossbau schließt mit 74 Wohnungen und zwei Gewerbeeinheiten eine innerstädtische Lücke. Das Gebäude soll durch den Einsatz modernster Technik mehr Energie erzeugen, als seine Nutzer verbrauchen.
Für Strom sorgen rund 330 PV-Module an der Fassade und etwa 1000 Hocheffizienzmodule auf dem Dach. Dieser Strom kann in einer Batterie im Haus gespeichert werden. Ein neu entwickeltes Display informiert jeden Mieter des Hauses jederzeit über seinen eigenen Energieverbrauch plus die aktuelle Stromerzeugung. Auch eine Carsharing-Station mit Stellplätzen und Ladestation für Elektro-Autos und -Pedelecs befindet sich im Haus. Wärme wird über den Abwasserkanal zurückgewonnen. Sämtliche Wohnungen sind barrierefrei zugänglich und verfügen über eine hochwertige Ausstattung einschließlich energieoptimierter Geräte.
Lanfristige Qualität + Wirtschaftlichkeit
Die erfolgreiche Bewältigung der Energie- und Ressourcenwende erfordert eine ganzheitliche Strategie in unterschiedlichen Handlungsfeldern. Diese lassen sich mit drei Begriffen beschreiben. „Effizienz“ hat zum Ziel, mit möglichst geringem Ressourceneinsatz möglichst viel zu erreichen. Die „Suffizienz“ will den Überverbrauch von Ressourcen und Energie begrenzen sowie Genügsamkeit und Verhältnismäßigkeit im gesellschaftlichen Umfeld erzielen. Die „Konsistenz“ beschreibt wiederum den Übergang hin zu naturverträglichen Technologien. Das gilt z. B. für die Nutzung erneuerbarer Ressourcen beim Bauen sowie den erneuerbaren Energieeinsatz im Betrieb. Auch das Denken und Handeln in geschlossenen Stoffkreisläufen ist Teil einer Konsistenzstrategie.
Nur das Zusammenspiel aller drei Felder eröffnet nachhaltige Lösungen, für die die Weichen bereits in einer frühen Planungsphase gestellt werden (Bilder 6 und 7). Dabei ist zu beachten, dass zwar die Steigerung der Energieeffizienz und das Nutzen erneuerbarer Energieträger den Energie- und Ressourcenverbrauch sowie die CO2-Emissionen pro Quadratmeter Wohnfläche senken. Gleichzeitig wächst aber bislang die Wohnfläche pro Person. Somit ist der absolute Energiebedarf trotz enormer Effizienzsteigerungen nahezu unverändert hoch (Reboundeffekt). Deshalb werden sich die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts nur mit einem adäquaten Umgang mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen und damit mit dem nachhaltigen Bauen und einem entsprechenden Immobilienbetrieb meistern lassen: Bei (Wohn-)Gebäuden zählt, den gesamten Lebenszyklus im Auge zu behalten. Ein entsprechendes Konzept vereint die Gegebenheiten vor Ort mit den Wünschen des Bauherren, einer wirtschaftlichen Umsetzung und einer langfristigen Nutzbarkeit.
Autoren:
Dipl.-Ing. Andreas Rietz, Architekt BDB, Leiter Referat II 5 – Nachhaltiges Bauen, Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR), Berlin
Dipl.-Ing. Architektur, Bettina Gehbauer-Schumacher, Smart Skript – Fachkommunikation für Architektur und Energie, Griesheim
Literatur:
[1] Nagel, Reiner; in Baukultur im Klimawandel – Mitigation, Adaption und Transformation; Jahrbuch 2015 – Bauen – Innovativ und grün; Hrsg. Bund Deutscher Baumeister, Architekten und Ingenieure e.V.; Bauverlag BV GmbH; 2015
[2] Leitfaden Nachhaltiges Bauen; Hrsg. BMUB; 2. aktualisierte Ausgabe; Februar 2016
[3] Bericht der Baukostensenkungskommission; Neitzel, Michael; Dangel, Daniel; Gottschalk, Wiebke; u.a.; Hrsg. BMUB; November 2015; Endbericht des Projekts „Wissenschaftliche und technische Begleitung der Baukostensenkungskommission“ im Rahmen des Forschungsprogramms „ZukunftBAU“ des BMUB
[4] Nachhaltiger Wohnungsbau – System zur Beschreibung und Bewertung der Qualität und Nachhaltigkeit neuer Mehrfamilienhäuser; Hrsg.: Verein zur Förderung der Nachhaltigkeit im Wohnungsbau – NaWoh; Ausgabe Dezember 2012
VDI-Fachkonferenz „Bezahlbarer Wohnungsbau“
Am 30. November bis 1. Dezember dreht sich in München alles um Baumethoden und Konzepte zur Bekämpfung der Wohnraumknappheit. Das Themenspektrum der VDI-Fachkonferenz reicht dabei von Bedarfsprognosen über die gesetzlichen Rahmenbedingungen bis zu derzeitigen Maßnahmen. Zukunftsweisende und innovative Technologien zur Realisierung der Ideen komplettieren das Programm.
Nähere Informationen unter: www.vdi-wissensforum.de/wohnungsbau