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Mit einem Rad im Gerichtssaal - Aktuelle Urteile aus dem Straßenverkehr: Die Schuldfrage erschließt sich erst aus dem Einzelfall

Richtiges Verhalten im Straßenverkehr ist nicht immer einfach. Doch Verkehrsverstöße können Unfälle verursachen. Blechschäden sind dann noch das geringere Übel. Außerdem kann ein Missachten der Verkehrsregeln zu Punkten in Flensburg führen. Gut beraten ist also, wer die Regeln genau kennt. IKZ-HAUSTECHNIK-Autorin Angela Kanders hat aktuelle Urteile im Verkehrsrecht sowie wichtige Informationen zum Thema Straßenverkehr zusammengestellt.

Eine alltägliche Szene aus dem Straßenverkehr. Die Schuldfrage klären heute vielfach die Gerichte. Bild: erysipel/pixelio.de

Wenn die Autobahn frei ist, fährt mancher Autofahrer und manche Autofahrerin schneller als die empfohlene Richtgeschwindigkeit von 130 km/h. Dies führt bei einem Unfall nicht zwangsläufig zu einem Mitverschulden, befand das Oberlandesgericht Jena. Bild: project-photos – Reinhard Eisele

Das Schild weist zwar auf Straßenschäden hin, bedeutet aber nicht, dass Bund, Land, Kreis oder Gemeinde die Haftungsfrage bei Schäden am Fahrzeug ausklammern können. Bild: Thorben Wengert/pixelio.de

 

Handynutzung am Steuer

Dass ein Handy während der Fahrt nicht benutzt werden darf, dürfte sich mittlerweile herumgesprochen haben. Dies bezieht sich nicht allein auf das Telefonieren. Auch als Diktiergerät darf es nicht verwendet werden, selbst nicht, um kurz auf die Uhr zu schauen. Mehrere Gerichte haben bereits entsprechend entschieden, z.B. das Oberlandesgericht Jena und das Oberlandesgericht Hamm.
Doch es gibt Feinheiten. Eine verbotene Nutzung des Mobiltelefons liegt gemäß dem Oberlandesgericht Hamm nicht vor, wenn das Fahrzeug vor einer Rotlicht zeigenden Ampel steht und der Motor ausgeschaltet ist. Das Gericht widersprach in einem Fall damit dem Amtsgericht Iserlohn. Der Beklagte hatte das Telefongespräch erst begonnen, als der Motor abgestellt war und wieder beendet, bevor die Ampel auf Grün umschaltete. In einem anderen Urteil entschied dasselbe Gericht, dass es erlaubt sei, das Telefon während der Autofahrt woanders hinzulegen (Oberlandesgericht Hamm, 2 Ss OWi 606/07).

Navi-Bedienung während der Fahrt

Auch für das Navi gilt: Erst halten, dann tippen. Zwar ist die Bedienung von Navigationsgeräten während der Fahrt nicht verboten. Doch bei einem Unfall kann dieses Verhalten als grob fahrlässig eingestuft werden und sogar zum Verlust des Versicherungsschutzes führen. Diese Erfahrung musste ein Nutzer eines Mietwagens machen, der mit dem Wagen einen Unfall verursachte, als er das eingebaute Navigationsgerät bediente. Die Mietwagenfirma war der Ansicht, der Mann müsse alle Kosten über die Selbstbeteiligung hinaus voll tragen. Dies sah der Mann anders und so traf man sich vor dem Landgericht Potsdam. Das Gericht gab der Autovermietung Recht und bewertete das Verhalten des Fahrers als grob fahrlässig, weil er die Fahrbahn nicht im Blick hatte und aus diesem Grund einen Unfall verursachte (Landgericht Potsdam, AZ. 6 O 32/09).

Haftungsfolgen bei Nichtanschnallen

Kommt es infolge eines Unfalls zu Verletzungen, die durch Anlegen des Sicherheitsgurtes hätten vermieden werden können, ist bei Bemessung des Schadensersatzes und Schmerzensgeldes ein Mitverschulden des Geschädigten zu berücksichtigen. Allerdings nur, wenn zum Zeitpunkt des Aufpralls die Anschnallpflicht tatsächlich noch besteht. Der Bundesgerichtshof entschied nämlich Ende Februar dieses Jahres zugunsten einer Fahrerin, die nicht angeschnallt war. Sie war auf der Autobahn mit ihrem Wagen auf der linken Spur liegengeblieben. Sie schnallte sich ab, um die Unfallstelle zu sichern, als ein nachfolgendes Auto auf ihr Fahrzeug auffuhr. Dabei erlitt sie schwere Verletzungen. Da die Anschnallpflicht bereits erloschen war, konnte ihr eine Mitschuld nicht zur Last gelegt werden (Bundesgerichtshof, Az. VI ZR 10/11).

Auffahrunfälle und Schuldfrage

Auch dies dürfte sich herumgesprochen haben: Wer auffährt, hat Schuld. Doch ist das wirklich immer so? Die Faustregel gilt nicht in jedem Fall.
Meist hat zwar der Auffahrende den Sicherheitsabstand nicht eingehalten, ist zu schnell gefahren oder war schlicht unaufmerksam. Daher gilt der sogenannte Anscheinsbeweis: Es spricht Vieles dafür, dass der Auffahrende Schuld hat. Trotzdem gibt es eine Reihe von Ausnahmen, weshalb grundsätzlich der Einzelfall betrachtet werden muss. Eine Richtlinie bietet der Grundsatz, dass Schuld hat, wer vorsätzlich oder fahrlässig gegen die Verkehrsregeln verstößt. Die Beweislast liegt allerdings beim Auffahrenden. Das Mithaften des Vorausfahrenden ist umso größer, je unwahrscheinlicher ein plötzlich starkes Abbremsen ist. Ein Autofahrer, der beispielsweise unerwartet heftig bremst, weil ein kleines Tier über die Straße läuft, trifft möglicherweise eine Teilschuld. Denn im Gegensatz zu Großwild oder Kühen besteht bei einer Kollision keine Gefahr für die Insassen.
In einem Fall vor dem Landgericht Mönchengladbach setzte sich ein Autofahrer vor einen Schleicher und bremste aus Wut über die langsame Fahrweise abrupt vor ihm ab. Der Schleicher fuhr auf und das Gericht gab ihm Recht: Die Gefahrensituation sei durch das bremsende Fahrzeug herbeigeführt worden.
Das Landesgericht München entschied ebenfalls zugunsten des Auffahrenden. Ein vorausfahrendes Fahrzeug hatte an einer grünen Ampel im Kreuzungsbereich infolge eines Fahrfehlers ohne verkehrsbedingten Grund stark gebremst (Landgericht München I, Az.19 S 7938/05).
In einem vor dem Landgericht Coburg verhandelten Fall hatte eine Porsche­fahrerin behauptet, nicht sie sei vor einer Kreuzung auf den vor ihr stehenden Mercedes aufgefahren, sondern dessen Fahrer habe sein Fahrzeug zurückgesetzt und so den Unfall verursacht. Da keinerlei Zeugen den Unfall beobachtet hatten und der Schadenshergang schließlich nicht aufgeklärt werden konnte, kam das Gericht zu dem Ergebnis, dass beide Unfallbeteiligte jeweils zur Hälfte für den Schaden haften (Oberlandesgericht Hamm, Az. 6 U 205/09).

Volle Haftung für Wartepflichtige

Bei einer Missachtung der Vorfahrt an einer Einmündung, an der die Regel „rechts vor links“ gilt, haftet derjenige in der Regel allein, der warten muss – sollte keine Pflichtverletzung des Vorfahrtsberechtigten vorliegen oder nachgewiesen werden können. Es gilt der sogenannte Vertrauensgrundsatz. Denn der Vorfahrtsberechtigte darf darauf vertrauen, dass ein sich von links näherndes Fahrzeug warten wird. Auch wenn der Vorfahrtsberechtigte unmittelbar vor dem Unfall nicht nach links schaut, verletzt er seine Pflicht nicht. So entschied das Oberlandesgericht Karlsruhe in einem Urteil Mitte Januar 2012. Denn genau aufgrund dieser Regel sei die in diesem Fall vorfahrtsberechtigte Fahrerin gezwungen gewesen, nach rechts zu schauen, um ihrerseits die Vorfahrtsregel zu beachten (Oberlandesgericht Karlsruhe, Az. 9 U 169/10).

Schäden durch Schlaglöcher

Trotz Kfz- und Benzinsteuer mangelt es an Investitionen in den Straßenbau. Schlaglöcher in Straßen sind nicht selten, Radkappen, Aluräder oder Auspuffteile können infolgedessen auf der Strecke bleiben. Traurige Wahrheit ist dabei: Kommt es wegen Straßenmängeln zu Schäden an Fahrzeugen, bleiben Fahrzeughalter meist auf ihren Kosten sitzen.
Obwohl je nach Art der Straße Bund, Land, Kreis oder Gemeinde für den Zustand der Fahrbahn verantwortlich sind, werden sie nur selten zur Kasse gebeten. Zwar besitzen sie eine sogenannte Verkehrsversicherungspflicht. Sie besagt, dass die Verkehrswege in Ordnung gehalten werden müssen. Doch diese Sorgfaltspflicht ist nach geltender Rechtsprechung bereits erfüllt, wenn Verkehrsschilder aufgestellt werden, die auf Schlaglöcher hinweisen oder ein Tempolimit vorsehen (Landgericht Trier, Az. 11 O 134/02).
Solche Warnschilder dürfen keine Dauerlösung sein, besonders dann nicht, wenn die Schlaglöcher 20 cm tief sind (so beispielsweise das Oberlandesgericht Celle, Az. 8U 199/06). Außerdem müssen bei Straßen mit hoher Verkehrsbedeutung wie Autobahnen Schlaglöcher umgehend zumindest provisorisch repariert werden. Zudem obliegt der öffentlichen Hand eine Kontrollpflicht, die besagt, dass Straßen regelmäßig auf Schäden zu untersuchen sind (Landgericht Dresden, Az. 16 O 1091/00).
Zu berücksichtigen ist auch: Unabhängig von der Verkehrsbedeutung der Straße muss jeder Verkehrsteilnehmer mit Schlaglöchern von geringer Tiefe, etwa einige Zentimeter, rechnen (Oberlandesgericht Braunschweig, Az. 3 U 47/02).
Wer Schäden geltend machen möchte, steht in der Beweislast. Daher raten Anwälte dazu, die Unfallstelle nach Möglichkeit zu fotografieren und den Unfallhergang zu dokumentieren. Auf Übertreibungen sollte verzichtet werden. Wer bei einem Schlagloch gleich von Krater spricht, dem könne vorgeworfen werden, dass er das Offensichtliche übersehen habe.

Überschreiten der Richtgeschwindigkeit

Eine Smart-Fahrerin fuhr zusammen mit mehreren anderen Fahrzeugen über die Einfädelspur in die Autobahn ein und wechselte gleich auf die Überholspur. Dort fuhr von hinten ein anderer Pkw mit einer Geschwindigkeit von etwa 160 km/h auf. Dessen Fahrer war vorher auf die Überholspur gewechselt, um den anderen Verkehrsteilnehmern das Einfahren in die Autobahn zu ermöglichen.
Die Fahrerin des Kleinwagens vertrat die Auffassung, den auffahrenden Pkw-Fahrer treffe ein Mitverschulden, da der Unfall bei Einhalten der Richtgeschwindigkeit von 130 km/h vermeidbar gewesen wäre. Das Oberlandesgericht Jena stufte den Wechsel auf die Überholspur mit relativ geringer Geschwindigkeit unter Missachtung des nachfolgenden Verkehrs als grob verkehrswidriges Verhalten ein. Das Überschreiten der Richtgeschwindigkeit stelle für sich noch kein Verschulden dar, wenn die Autobahn verkehrsarm und gut einsehbar sei und keine schlechte Witterung herrsche (Oberlandesgericht Jena, Az. 5 U 707/08).

Fahrtenbuchauflage wegen mangelnder Mitwirkung

Will oder kann ein Fahrzeughalter nicht zur Aufklärung beitragen, wer zum Zeitpunkt eines Verkehrsverstoßes sein Fahrzeug gelenkt hat, so kann ihm die Verkehrsbehörde auferlegen, ein Fahrtenbuch zu führen. In der Regel führt ein mit einem Punkt bestrafter Verstoß zu sechs Monaten Fahrtenbuchauflage, drei Punkte zu zwölf und bei Unfallflucht können es sogar bis zu drei Jahre sein. Dies ist keine Strafmaßnahme, sondern soll lediglich sicherstellen, dass die Ahndung künftiger Verkehrsverstöße nicht erneut an der mangelnden Mitwirkung des Halters bei der Feststellung des Fahrers scheitert.
Darum rangeln sich zahlreiche Verwaltungsgerichtsurteile mit einer regelmäßigen Strenge für den Halter hinsichtlich der Anforderungen an seine Mitwirkungspflicht. Das gilt sogar, wenn er sein Fahrzeug an eine Person verleiht, die er zwar kennt, aber deren Name und Anschrift ihm nicht bekannt ist. Auch ist die Ermittlungsbehörde nicht verpflichtet, den möglichen Fahrer über eine vom Halter mitgeteilte Telefonnummer im Ausland zu ermitteln (Verwaltungsgericht Braunschweig, Az 6 B 40/12).


Flensburger Punkte werden neu gezählt

Die Verkehrssünderdatei in Flensburg wird reformiert. Verkehrsverstöße sollen nach einem neuen Punkteschlüssel geahndet werden. Die neue Zählung ordnet Verkehrsdelikte nicht mehr in sieben, sondern nur noch in drei Kategorien ein. Der Führerschein ist nicht erst bei 18 Punkten, sondern bereits bei 8 Punkten weg.
Drei Punkte soll es für Straftaten wie unerlaubtes Entfernen vom Unfallort, Fahren im Vollrausch und unterlassene Hilfeleistung geben. Punkte werden künftig jeweils separat verjähren, aber auch länger gespeichert bleiben. Die bisherige Möglichkeit, Punkte durch den Besuch von Seminaren abzubauen, wird nicht mehr möglich sein. Dafür sollen Verstöße, die keinen direkten Einfluss auf die Verkehrssicherheit haben, nicht mehr erfasst werden. Dazu zählt beispielsweise das Fahren in der Umweltzone.
Das Verkehrszentralregister, wie es jetzt noch heißt, wird in Fahreignungsregister umbenannt. So soll jedem klar werden, worum es geht: nämlich um die Eignung im Straßenverkehr.
Das Verkehrszentralregister in Flensburg gibt es seit 1958, das Punktesystem wurde 1974 eingeführt. Momentan sind rund 9 Mio. Autofahrer wegen Verstößen erfasst. Ihre Punkte sollen gemäß den neuen Regeln umgerechnet werden, wenn das neue Punktesystem in Kraft tritt. Dies wird voraussichtlich bis zur Bundestagswahl 2013 geschehen.


Autorin: Angela Kanders, freie Journalistin

 


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