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Microgrids: Kleines Netz noch ins große eingefügt

Dezentrale Stromversorgungskonzepte gewinnen an Fahrt, sind aber nicht autark

Nullemissionswelt im Herzen Berlins: Auf dem EUREF-Campus liefert ein Micro Smart Grid die Lösung für eine CO2-freie Energieversorgung. Elektrofahrzeuge zapfen hier Ökostrom. Bild: Schneider Electric

Zwischen Wald und Feld: Im Allgäu wird an topologischen Kraftwerken für die regionale ­Selbstversorgung geforscht. Windräder, PV-Module und ein Biomassekraftwerk sind Bestandteil des topologischen Kraftwerks. Bild: Siemens

Das Dorf wird zum Kraftwerk: Wildpoldsried bezieht Strom aus einem Microgrid. Wind und Sonne speisen das eigene Versorgungsnetz. Bild: Siemens

Unter Beobachtung: Ein Konsortium aus Forschern, Entwicklern und Versorgungsunternehmen überwacht im örtlichen Stromnetz Wildpoldsried, wie sich Einspeisung und Verbrauch innerhalb des Microgrids verhalten. Bild: Siemens

Bild: RWTH Aachen, Martin Braun

 

Die Erneuerbaren treiben weltweit die Entwicklung dezentraler Energiekonzepte an. Zum Beispiel über Microgrids. Auch in ­Deutschland gibt es immer mehr davon. Etwa in Wildpoldsried, Landau und Berlin. Wir werfen einen Blick auf sehr unterschiedliche Pilotprojekte.

Erneuerbare Energien und die Digitalisierung sorgen in Deutschland dafür, dass sich die Energielandschaft grundlegend verändert, die Energiequellen vielfältiger werden, die Versorgung dezentraler und flexibler wird. Netzunterstützende Systeme oder solche, die als Sicherheit für einen Stromausfall dienen, bezeichnen Fachleute als Connected Microgrids oder Smart ­Grids. Diese dezentralen Zwergnetze sind ans übergeordnete Hauptstromnetz angeschlossen, können aber teilweise autark als Teilnetz betrieben werden. Die Technik ist etwas aufwendiger: Zusätzlich zu den Erzeugungsanlagen ist ein Gerätepark nötig für Netzzustandsberechnungen, Echtzeitprognosen, für Datenmanagement, die Steuerung und um Energieflüsse zu monitoren.

Beispiel Wildpoldsried
Wo kann das in Deutschland eine sinnvolle Lösung sein? Das bayerische Wildpoldsried wurde vor vier Jahren selbst zum Kraftwerk. Dafür sorgen Windkraft und Solaranlagen in der 2600-Einwohner-Gemeinde, die mehr Strom produziert als sie selbst verbraucht. Ein Konsortium aus Hochschulen, dem IT-Spezialisten ID.KOM, den Allgäuer Überlandwerken und Siemens entwickelte dort ein Smart Microgrid. Das Wildpoldsrieder System ist im Normalfall mit der übergeordneten Spannungsebene verbunden. Im Laufe des Projekts wurden neue Regelungssysteme getestet, massenweise Messdaten erfasst, um die Vorhersagequalität für die Stromversorgung innerhalb des Grids zu verbessern. Als Forschungsprojekt gestartet, läuft das Microgrid heute stabil.

Topologisches Kraftwerk
Das Allgäu scheint vom Grid-Fieber erfasst zu sein. Siemens errichtete einen topologischen Kraftwerksdemonstrator für die Region, an den etwa 100 Ortsnetzstationen angeschlossen sind. Alle ­Microgrids zusammen verhalten sich mithilfe einer Automatisierung am Knotenpunkt zum überlagerten Netz wie ein klassisches Kraftwerk. „Das nennen wir topologisches Kraftwerk“, erklärt Projektleiter Michael Metzger. Topologie meint ein in der Fläche verteiltes Kraftwerk mit steuerbaren Elementen, die Strom erzeugen und speichern. „Unser Demonstrator hat gezeigt: Unser topologisches Kraftwerk kann sich an der Regelung und Steuerung der Netze beteiligen.“ Eine Funktion, die heute Großkraftwerke einnehmen. Ein wichtiges Ergebnis, denn: Die Erneuerbaren verdrängen die konventionelle Erzeugung aus dem Strommarkt. Das heißt im Umkehrschluss, dass sie sich am Stabilhalten des Systems beteiligen müssen. Das topologische Kraftwerk könne das gewährleis­ten. „Und das ist relevant für Deutschland“, meint Metzger.

Idee vom Nachbarschaftsstrom
Ortswechsel. Knapp 300 km nordwestlich von Wildpoldsried liegt Landau. Dort werden Ökostromnutzer derzeit gleichzeitig zu Erzeugern. Das Schlagwort hierfür heißt Nachbarschaftsstrom. Die Idee ist, dass Nachbarn untereinander Photovoltaik-(PV)-Strom kaufen und verkaufen. Auch das ist eine Form von Microgrid.
Das Landauer Wohngebiet Lazarettgarten bietet die Möglichkeit, so etwas im kleinen Maßstab auszuprobieren. Denn es ist ein in sich geschlossenes Arealnetzwerk: Ein öffentliches Netzwerk, in das eine Leitung der Stadtwerke hineingeht und sich drinnen in ein eigenständiges Netzwerk verzweigt. An der Eingangsstelle lässt sich messen, was hinein und was rausgeht.
In ihrer Machbarkeitsstudie statteten Wissenschaftler des Karlsruher Institut für Technologie (KIT) 20 Haushalte mit Smart Metern aus. „So erfassen wir Daten und Informationen, die sowohl dem Verbraucher als auch dem Erzeuger sagen, wie viel er gerade aus dem Netz beziehen oder einspeisen kann“, schildert Christof Weinhardt vom KIT, der die Studie leitet.
Im nächsten Schritt braucht es Vorhersagen: Was kann ich in einer viertel Stunde, in einer Stunde oder morgen einspeisen oder abnehmen. „Wenn man diese Angaben hat, kann man in einem solchen lokalen Markt dynamische Preise ermitteln, je nachdem, wie knapp der Strom jeweils ist“, sagt Weinhardt.
Sein Forscherteam installiert dazu einen digitalen Marktplatz und untersucht, ob eine Blockchain als Technik dafür geeignet ist: „Weil eine Blockchain in der Lage ist, zu koordinieren, ohne einen zentralen Bestimmer“, begründet er. Eine Börse ohne Chef, bei der alle gleichberechtigt sind. Das ist das eine. Das andere ist: „Rechentechnisch kann eine Blockchain einen ziemlich großen Aufwand bedeuten und wir wollen untersuchen, ob und wenn ja, wie das zusammenpasst“, sagt Weinhardt.

Nullemissionswelt in Berlin
Ein weiteres Schaufenster für ­Microgrids in Deutschland bietet der EUREF-Campus in Berlin. Auf dem Areal eines stillgelegten Gasspeichers in Schöneberg arbeiten Wissenschaft und Wirtschaft in einem Pilotprojekt zusammen. Reinhard Müller ist Eigentümer des Geländes. Er ist Architekt und hat dort investiert, um das erste CO2-freie Stadtquartier Europas zu bauen, eine Nullemissionswelt.
Die Berliner erzeugen auf dem Gelände Energie aus Wind, Sonne und Biogas, speichern sie und schieben sie zudem direkt in die Ladesäulen für die Elektrofahrzeuge. Aktuell sind über 40 Ladesäulen für Elektromobile angeschlossen. Projektpartner Schneider Electric verknüpft Erzeuger und Verbraucher über ein digitalisiertes Stromnetz und macht dadurch Energieflüsse im Verteilnetz sichtbar. „Wir wollen zeigen, wie das auch im lltag funktionieren kann“, sagt Kristina Bognar, Leiterin im Smart Grid Team von Schneider Electric.
Auf dem Areal stehen beispielsweise PV-Anlagen mit 102 Kilowatt Peak (kWp) installierter Leistung. Außerdem gibt es sechs 1-kW-Windkraftanlagen. Es sind Vertikaldreher, die alle Windrichtungen und Turbulenzen nutzen, die in einer Stadt entstehen. Eine Bleisäure-Batterie hängt direkt an der PV-Anlage und eine Lithiumionenbatterie im Microgrid unterstützt die Systemstabilität. Wetterprognosen ermöglichen, die Verfügbarkeit von Sonne und Wind vorausschauend abzuschätzen.
Im nächsten Schritt soll das Microgrid auf das gesamte Areal ausgedehnt werden. Auch die thermischen Energieflüsse, Wärme und Kälte also, sollen im Smart-Grid eingebunden werden. In einem weiteren Projekt soll Windstrom aus der Region Nordostdeutschland importiert werden. Wenn dort zu viel Wind weht, soll der Campus als Energiesenke dienen. Der Überschuss-Strom soll mit Power-to-­Heat und Power-to-Cool-Anlagen in Wärme und Kälte umgewandelt werden. Letztendlich sollen die 100 Firmen mit rund 3000 Mitarbeitern auf dem Campus über dieses Microgrid versorgt werden. „Wir werden trotzdem noch Strom aus dem übergeordneten Netz beziehen. Das Ziel ist nicht Autarkie“, merkt Bognar an.

Fazit: Microgrids kommen
Noch sind Microgrids Einzelfälle hierzulande. Fest steht aber: Das Stromnetz der Zukunft wird kleinteiliger, flexibler, ökostromiger, digitaler. Verbraucher werden gleichzeitig zu Erzeugern, „Prosumer“ ist ein Stichwort. Und sicherlich spielen Microgrids darin eine bedeutende Rolle. Die 100-prozentige Eigenversorgung will allerdings keines der genannten Grids erreichen. Es geht darum, die Stromversorgung zu optimieren, siehe Interview.

Autorin: Kathleen Spilok, freie ­Wissenschaftsjournalistin

 

„Microgrid ja, aber ganz Off-Grid ist teuer“
Welche Rolle spielen Microgrids? Drei Fragen an Armin Schnettler. Er leitet das Institut für Hochspannungstechnik an der RWTH Aachen und die Konzernforschung Energie und Elektronik bei Siemens.

IKZ Energy: Sind Microgrids eine Alternative zum Netzausbau?
Armin Schnettler: Wenn wir nur die dezentralen Netze betrachten, ja. Ich kann zum Beispiel mit Batteriespeichern, ­Power-to-Heat, dezentraler Wasserstoffbereitstellung oder Elektroautos ein System zusammenbauen. Wenn ich das einigermaßen managen kann, vermeidet das den Netzausbau. Aber mit sehr hohem Aufwand. Andererseits: Wenn wir in Deutschland über Netzausbau reden, sprechen wir über die großen Stromautobahnen von Nord nach Süd oder von West nach Ost. Das wird durch Microgrids kaum beeinflusst. Wir haben sehr viel Offshore-Wind, den wir brauchen, und dafür benötigen wir Stromtransite über weite Strecken. Insbesondere, wenn wir die Erneuerbaren auf über 90 % steigern wollen.

IKZ Energy: Was können Microgrids leisten?
Armin Schnettler: Wenn man heute über Microgrid oder auch Smart Grid spricht, meint man das Zusammenspiel dezentraler Erzeugungseinheiten mit dem Verbrauch. Man versucht, auf niedrigster Netzebene Energiebereitstellung und Energiebedarf zur Deckung zu bringen. Wenn ich nicht genügend Strom erzeuge, ist immer noch der Netzanschluss vorhanden. Haben Sie den Netzanschluss, werden darüber Frequenz und Spannung vorgegeben. PV-Anlagen und Leis­tungselektronik orientieren sich daran und können dann gut funktionieren. Um einiges schwieriger und teurer wird es, wenn ich mich abkoppele und das System Off-Grid betreibe.

IKZ Energy: Welche Fragen sind offen?
Armin Schnettler: In den jetzigen Forschungsprojekten machen wir uns beispielsweise Gedanken was passiert, wenn wir einen Blackout haben oder eine Großstörung. Kann ich mit vielen kleinen, dezentralen Microgrids sukzessive das große Netz wieder zusammenbauen? Das ist Forschung. Und: Kann ich Energie über Blockchain als Plattform sicher handeln? Trotz all der Forschungsfragen, auf die ich mich freue, gibt es eine Sache, die mir Sorgen macht: Die Cyber-Security. Die müssen wir ­sicherstellen.

Die Fragen stellte Kathleen Spilok

 


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