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Lokal erzeugt, ortsnah genutzt

Wärmepumpen im Quartier können über ein kaltes Nahwärmenetz mit Energie beliefert werden. Dadurch ­arbeiten sie sehr effizient

Die Öffentlichkeit und potenzielle Anschlussnehmer sollten bei der Projektierung von kalten Nahwärmenetzen früh informiert und miteinbezogen werden. In Biberach nutzen die Projektbeteiligten unter anderem die Technikzentrale, um das Vorhaben ausführlich zu präsentieren. Bild: Almut Bruschke-Reimer

Grundkonzept des kalten Nahwärmenetzes in Biberach. Erdwärmesonden liefern Wärme, die in jedem Gebäude von Sole/Wasser-Wärmepumpen auf das benötigte Temperaturniveau zum Heizen und zur Warmwasserbereitung gehoben wird. Die Ringleitung dient zugleich als Horizontalkollektor. Bild: Weishaupt

Kalte Nahwärmenetze, wie hier in Biberach an der Riß, kommen mit Übertragungstemperaturen von weniger als 20 °C aus. Eine Dämmung ist nicht nötig. Die Netze lassen sich in Neubaugebieten im Zuge der üblichen Erschließungsmaßnahmen kostensparend mitverlegen. Bild: Baugrund Süd Gesellschaft für Geothermie mbH

In Biberach laufen die Erdwärmesonden im Inneren einer containergroßen Technikzentrale zusammen. Von dort wird die Sole über eine Ringleitung an die einzelnen Grundstücke verteilt. Bild: Baugrund Süd Gesellschaft für Geothermie mbH

Tiefenbohrung für eine Erdwärmesonde durch die Firma Baugrund Süd. In Biberach arbeiteten teilweise zwei Bohranlagen im Parallelbetrieb. 35 Sonden wurden 200 m tief in den Boden getrieben. Bild: Baugrund Süd Gesellschaft für Geothermie mbH

Im Biberacher Neubaugebiet „Hochvogelstraße“ entstehen 45 Häuser, die durch kalte Nahwärme versorgt werden. Oben mittig im Bild das mit Obstbäumen bewachsene Geothermiefeld, davor die Technikzentrale. Bild: Ewa Riss GmbH & Co. KG

Sole/Wasser-Wärmepumpen, wie hier von Weishaupt, können in Verbindung mit kalten Nahwärmenetzen ganze Stadtquartiere mit Wärme versorgen. Bild: Max Weishaupt GmbH

 

Immer mehr Kommunen nehmen die Energiewende selbst in die Hand. Wärmepumpen, die in kalte Nahwärmenetze eingebunden sind, versorgen mittlerweile ganze Stadtquartiere klimaschonend mit Wärme. Ein Konzept, das zum Beispiel die Stadt Biberach an der Riß umsetzt. Entscheidend für eine gute Energiebilanz ist die optimale Planung der Anlage.

Bis zum Jahr 2050 soll der Gebäudebestand in Deutschland nahezu klimaneutral werden. Dieses Ziel hat sich die Bundesregierung gesetzt, um die Verpflichtungen aus dem Klimaschutzübereinkommen von Paris zu erfüllen. Dazu muss der Energieverbrauch der Gebäude gesenkt und gleichzeitig der Ausbau Erneuerbarer Energien vorangetrieben werden. Doch die Wärmewende kommt seit Jahren kaum voran. Derzeit entfallen auf den Gebäudebereich immer noch 30 % der deutschen Treibhausgasemissionen und rund 40 % des deutschen Endenergieverbrauchs. Große Energieeinspar- und CO2-Minderungspotenziale liegen brach.
In Politik und Planung setzt sich deshalb zunehmend die Einsicht durch, dass es nicht ausreicht, sich auf die energetische Optimierung von Einzelgebäuden zu konzentrieren. Eine zusätzliche Strategie ist nötig, die die regenerative Wärmeversorgung ganzer Stadtteile und Quartiere in den Blick nimmt und so Effizienzpotenziale besser nutzt. Die Energiewende kann auf lokaler Ebene von Gemeinden oft erfolgreicher umgesetzt werden als durch unkoordinierte Aktivitäten einzelner Bauherren, die beim Kauf eines neuen Wärmeerzeugers überdies immer noch vielfach auf Gas und Öl setzen. Denn Kommunen verfügen über entscheidende Kompetenzen und Handlungsmöglichkeiten, z. B. bei der Flächennutzungs- und Bauleitplanung oder der Ausweisung von Sanierungsgebieten.

Kaum Wärmeverluste mit kalter Nahwärme
Als wesentlicher Bestandteil von Quartierskonzepten gilt die ortsnahe Nutzung lokal erzeugter Erneuerbarer Energien. Gemeinden und Stadtwerke setzen dabei verstärkt auf Nahwärmenetze. Eine besonders effiziente Lösung sind kalte Nahwärmenetze oder Anergienetze, die mit Übertragungstemperaturen von weniger als 20 °C arbeiten. Sie sind vor allem für Neubaugebiete und energetisch sanierte Stadtquartiere mit geringem Heizwärmebedarf und niedrigen Vorlauftemperaturen interessant.
Wärme wird dabei an einer zentralen Stelle aus dem Grundwasser, Abwasser oder Erdreich gewonnen und über eine Ringleitung an die umliegenden Gebäude verteilt. Dort wird sie dezentral von gebäudeeigenen Wärmepumpen auf die benötigte Heiztemperatur angehoben. Auf diese Weise lassen sich auch Grundstücke versorgen, die keine Möglichkeit für die Erschließung einer eigenen Wärmequelle bieten.
Aufgrund des geringen Temperaturniveaus müssen die in kalten Wärmenetzen eingesetzten Rohrleitungen anders als bei klassischen Nah- und Fernwärmeleitungen nicht aufwendig gegen Wärmeverluste gedämmt werden. Das spart
Kosten und ermöglicht den Wärmetransport über größere Distanzen von bis zu 2 km. Auch der etappenweise Ausbau und Anschluss von Häusern in mehreren Bauabschnitten, wie in Neubaugebieten üblich, ist problemlos machbar. Im Sommer lässt sich das System zusammen mit reversiblen Wärmepumpen zur Kühlung der Gebäude nutzen. Ergänzend könnten die eingesetzten Wärmepumpen künftig Stromüberschüsse abnehmen und damit im Sinne der von der Bundesregierung angestrebten Sektorkopplung als Bindeglied zwischen Strom- und Wärmemarkt dienen.

Kalte Nahwärmesiedlung in ­Biberach-Riß
Inzwischen gibt es in Deutschland eine Reihe von Quartieren und Siedlungen, die über kalte Nahwärme beheizt werden. Ein bundesweit beachtetes Projekt ist die kalte Nahwärmesiedlung „Hochvogelstraße“ im baden-württembergischen Biberach an der Riß. In einem Neubaugebiet am Stadtrand entstehen 25 Einfamilienhäuser, 13 Reihenhäuser und 7 Mehrfamilienhäuser in Niedrigenergiebauweise. 17 Häuser sind mittlerweile realisiert. Bei der Planung spielte der Umwelt- und Klimaschutz eine große Rolle. Die rund 30000 Einwohner zählende Stadt engagiert sich bereits seit 1993 im Klimabündnis europäischer Städte und hatte für die neue Siedlung die Nutzung regenerativer Wärme vorgeschrieben.
Bei Voruntersuchungen schieden zahlreiche Versorgungsvarianten aus. Luft/Wasser-Wärmepumpen waren aufgrund der engen Bebauung und damit einhergehenden Schallproblemen keine Option. Die wirtschaftliche Nutzung von Erdwärme wird im Baugebiet durch eine wasserrechtliche Bohrtiefenbegrenzung von 45 m eingeschränkt. Eine Beheizung mit Holzpellets oder Hackschnitzel, die ein Brennstofflager erfordert, kam aus Platzgründen nicht infrage.
Die Stadt entschied sich daher für eine innovative Lösung. Auf einer ans Baugebiet angrenzenden Obstwiese, für die eine Bohrtiefenbegrenzung von 400 m gilt, ins­tallierte der regionale Versorger Ewa Riss 35 Erdwärmesonden in 200 m Tiefe. In den Rohren zirkuliert Sole, die sich erwärmt und mit einer anfänglichen Temperatur von 14 °C von einer Technikzentrale an ein kaltes Nahwärmenetz übergeben wird, das rund 2400 m lang ist. Das in rund 1,20 m Tiefe verlegte Rohrnetz dient dabei gleichzeitig als Horizontalkollektor. Es nimmt Wärme aus dem umgebenden Erdreich auf und kann so das Baugebiet bei geringer Wärmenachfrage bis zu einer Vorlauftemperatur von 5 °C versorgen. Das Sondenfeld schaltet sich erst dann zu, wenn die Vorlauftemperatur weiter absinkt.
Vom Wärmenetz führen Netzanschlussleitungen zu den einzelnen Grundstücken. In den Häusern wird das warme Wasser/Glykol-Gemisch über eine Anschlusseinheit im Heizraum an eine Sole/Wasser-Wärmepumpe übergeben. Sie erhöht das Temperaturniveau zum Betrieb von Flächenheizungen und zur Trinkwassererwärmung. Die abgekühlte Sole wird anschließend in den Netzrücklauf eingespeist. Auch aktive oder passive Kühlung mit der Wärmepumpe ist möglich. Die aufgenommene Wärme gelangt zurück ins Erdreich und begünstigt damit zugleich dessen Regeneration.
Wird für den Betrieb der Wärmepumpen regenerativ erzeugter Strom genutzt, wie vom Versorger vorgesehen und auch als Tarif angeboten, ist der Ausstoß von CO2 nahezu null. Nicht nur das Klima, auch die Bauherren profitieren: Durch den Anschluss an das kalte Nahwärmenetz erfüllen sie automatisch die Vorgaben der Energieeinsparverordnung (EnEV) und des Erneuerbare-Energien-Wärmegesetzes (EEWärmeG), das für Neubauten die Nutzung Regenerativer Energien vorschreibt.

Gute Planung verspricht Win-Win-Situation
Wärmepumpen in kalten Wärmenetzen können effizienter arbeiten und höhere Jahresarbeitszahlen (JAZ) erreichen, als wenn jedes angeschlossene Gebäude eine Wärmepumpe mit eigener Wärmequelle betreibt. Voraussetzung ist eine sorgfältige Planung und Installation. Das zeigen Untersuchungen des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme (ISE). Nur dann ergibt sich im späteren Betrieb für alle Beteiligten – von der Kommune, über den Ener­gieversorger bis hin zu den Anschlussnutzern – eine Win-Win-Situation. Bereits in einem frühen Projektstadium sollten deshalb erfahrene Fachplaner eingebunden werden.
Für Roland Reiter, Inhaber des gleichnamigen TGA-Fachplanungsbüros in Weingarten, das die gesamte Nahwärmeanlage in Biberach geplant und ausgeschrieben hat, brachte die Konzeption des kalten Nahwärmenetzes in Biberach typische Herausforderungen mit sich. „Man plant zu einem Zeitpunkt, an dem man noch nicht genau weiß, wie die künftigen Anschlussnehmer aussehen“, sagt Reiter. In diesem Fall käme es darauf an, Erfahrungswerte richtig anzusetzen. „Zu knapp sollte man nicht vorgehen“, so Reiter. So wurden zum Beispiel von der Stadtverwaltung Biberach bereits eingeplante Grundstücke für Einfamilienhäuser hinterher in Parzellen für Reihenhäuser umgewidmet. Dies erhöhte zwar im Nachhinein den Wärmebedarf, wurde durch ausreichend eingeplanten Spielraum aber nicht zum Problem.
Wesentlich für die richtige Dimensionierung der Erdwärmesonden und des Wärmenetzes ist die Kenntnis der maximal erforderlichen Wärmeleistung des Versorgungsgebiets. Da nicht alle Nutzer gleichzeitig ihre individuelle Maximalleis­tung abrufen, verringert sich die tatsächlich erforderliche maximale Gesamtleis­tung im Vergleich zur rein rechnerischen Addition der benötigten Einzelleistungen. Auch die Höhe der Nennleistung der einzelnen Anschlussnehmer und der Gebäudetyp spielen dabei eine Rolle. In der Praxis kommt es auf die richtige Wahl des geeigneten Gleichzeitigkeitsfaktors an. So hat es sich beispielsweise gezeigt, dass der Gesamtleistungsbedarf in einer Neubausiedlung bereits ab 20 Nutzern auf rund 80 % reduziert werden kann.

Viel Informationsbedarf bei ­Bauherren
Fingerspitzengefühl war in Biberach auch im Umgang mit den Anschlussnehmern gefragt. Da der Versorger Ewa Riss rund 1 Mio. Euro in die Nahwärmeversorgung investiert hat, entschied sich die Stadt für einen Anschluss- und Benutzungszwang. Außer den Sole/Wasser-Wärmepumpen sind keine anderen Wärmeversorger erlaubt. Die Wärmelieferungsverträge laufen wahlweise 10 oder 15 Jahre. Bauherren müssen neben dem Anschaffungspreis der Wärmepumpe auch die Stromkosten für den Wärmepumpenbetrieb, den Grund- und Verbrauchspreis für die Nutzung der Sole, Kosten für den Hausanschluss sowie einen anteiligen Baukostenzuschuss für die Errichtung des Erdsondenfelds und der Leitungen bezahlen. Alle Beträge zusammen können sich nach Angaben der Bauherren je nach Gebäude auf 3400-3800 Euro pro Jahr summieren. Dem gegenüber steht eine einmalige Wärmepumpenförderung von mindestens 4500 Euro aus dem Marktanreizprogramm.
Mehrere Bauherren, die bereits einen Zuschlag für einen Bauplatz erhalten hatten, kritisierten das Nahwärmekonzept als zu teuer im Vergleich zu anderen Versorgungslösungen, die sich im Baugebiet indes nicht umsetzen lassen. Bei einem Grundstückseigentümer ist mittlerweile ein Rechtsverfahren gegen den Anschluss- und Benutzungszwang vor Gericht anhängig. „Die Anschlussnehmer stehen dieser, für sie ungewohnten Technologie, anfänglich sehr skeptisch gegenüber“, sagt Reiter. Es gibt viel Erläuterungsbedarf. Probleme macht insbesondere der Kostenvergleich der kalten Nahwärme mit alternativen Heizlösungen. So betrachten die Anschlussnehmer oft nur die reinen Brennstoff- bzw. Stromkosten einer Wärmeversorgung in Eigenregie und vernachlässigen die Abschreibung der Anlagentechnik. „Ein Wärmelieferant macht immer eine Vollkostenrechnung. Dies führt zu meist erheblichen Differenzen bei den Energiekosten, die dem Anschlussnehmer ausführlich erklärt werden müssen“, so die Erfahrung von Reiter.
Um Missverständnisse und Konflikte zu vermeiden, sollten bei kalten Nahwärmeprojekten Nutzer und Öffentlichkeit deshalb so früh wie möglich informiert und miteinbezogen werden. Ansätze bietet die VDI-Richtlinie 7000. Sie zeigt, wie eine frühzeitige Einbindung der Öffentlichkeit gelingen kann und welche konkreten Schritte in den einzelnen Projektphasen zu beachten sind.

Weitere Entwicklungsmöglichkeiten
Ansätze für eine bessere Akzeptanz von kalten Nahwärmenetzen bei Anschlussnehmern, indem man die Kosten drückt, sieht Roland Reiter mehrere. So können Gemeinden die Kosten der Erschließung der kalten Nahwärme von vorneherein auf den Grundstückspreis aufschlagen. Der Betrag liegt je nach Größe der Grundstücke bei knapp 20 Euro pro Quadratmeter. Der umstrittene Anschlusszwang und eine Kostenumlage zur Finanzierung der Arbeiten sind dann nicht mehr nötig.
Beim Biberacher Wärmenetz verteuern außerdem die Stromkosten für die Förderpumpe in Höhe von jährlich rund 4000 Euro das Projekt. Sie werden anteilig der Wärmeabnahme an die Anschlussnehmer umgelegt. „Deshalb haben wir das System bei neuen Projekten hydraulisch so ausgelegt, dass auf Förderpumpen verzichtet werden kann“, sagt Reiter. Für Biberach wäre das möglicherweise eine nachträgliche Option.

Schlussbemerkung
Wie das Biberacher Netz unter dem Strich abschneidet, wird sich erst in einiger Zeit zeigen: Durch ein wissenschaftliches Monitoring, das das Institut für Gebäude- und Energiesysteme der Hochschule Biberach durchführt, lassen sich Rückschlüsse auf das Regelverhalten der Anlage und das thermische Verhalten der Erdsonden ziehen.

Autorin: Almut Bruschke-Reimer, freie Energiejournalistin

 


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