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Komplex heißt nicht kompliziert

Vollprobetest und Wirkprinzipprüfung: Gebäudefunktionen sind nicht selbstverständlich, aber machbar

Moderne Bauten müssen zahlreichen Anforderungen gerecht werden – vor allem im Betrieb. Bild: IKZ-FACHPLANER

Bild 1: Eine vollumfängliche Gebäudefunktionalität ist erst dann erfüllt, wenn die „normale Nutzungsfunktion“ und „bauordnungsrechtliche Sicherheitsfunktion“ gegeben ist. Bild: Jörg Balow

Bild 2: Beispiel für das Zusammenwirken von Teilsystemen im Gebäude innerhalb des Gesamtsystems „Gebäude“. Bild: Jörg Balow

Bild 3: Mögliche Bestandteile eines Vollprobetests (Zeichnung aus VDI 6010 Blatt 3). Bild: VDI

 

Sind im Vorfeld geplante Gebäudefunktionen einfach und ohne Probleme zu erreichen? Was ist erforderlich, um Gebäude zur gewünschten Funktionalität zu bringen? Benötigen wir mehr Kontrolle oder andere Prozesse? Sind komplexe Zusammenhänge unlösbar kompliziert?

Noch immer sind bekannte Großprojekte in Deutschland, die seit Monaten oder Jahren in Betrieb sein sollten, nicht fertig gestellt. In der heutigen Zeit erfordert die Komplexität der technischen Anlagen und der Schnittstellen zwischen den Gewerken in den Gebäuden eine konsequente Projektabwicklung und eine Kontrolle der technischen Funktionen, die die ursprünglichen Grundlagen des Planungsprozesses bis zur Fertigstellung fortführt. Die Dokumentation dieser Kontrolle ist für den Nutzer und Betreiber eine unabdingbare Grundlage für den Gebäudebetrieb und für spätere Änderungen. Komplexität heißt nicht, dass eine Kontrolle bis zu fehlerfreien Funktionen nicht möglich ist.

Herausforderung oder Zusammenspiel?
Ein Gebäude soll für den Nutzer „nicht spürbar“ funktionieren. Der Nutzer möchte das Gebäude „nur“ seiner Bestimmung gemäß nutzen. Das klingt einfach, erfordert jedoch Bauprozesse und Kontrollen, die dieses Ziel im Fokus haben.
Gebäudefunktionen bestehen aus normalen Nutzungsfunktionen und bauordnungsrechtlichen Sicherheitsfunktionen (Bild 1). Beide sind für die behagliche und bestimmungsgemäße (normale Nutzungsfunktionen) sowie die genehmigte Nutzung (bauordnungsrechtliche Sicherheitsfunktionen) eines Gebäudes vollumfänglich einzuhalten.
Zur Gesamtfunktion tragen eine Vielzahl von Gewerken bei. Aus diesem Grund existieren für den normalen Nutzungsfall und den baurechtlichen Sicherheitsfall zahlreiche Schnittstellen zwischen den Gewerken (Bild 2).

Bauordnungsrechtliche Sicherheitsfunktion
Die fehlerfreien Funktionen, die im Sicherheitsfall gewährleistet sein müssen, sind eine zwingende Vorgabe, um ein Gebäude aufgrund der Baugenehmigung der Nutzung zuführen zu dürfen. Bauordnungsrechtliche Sicherheitsfunktionen sind z. B. Szenen nach einem Brandereignis. Diese Szenen und Szenen anderer Gefahrenfälle werden im Rahmen des Vollprobetests als Prüfszenario nach VDI-Richtlinie 6010 Blatt 3 getestet. Die Nichtfunktion eines solchen Prüfszenarios kann im Gefahrenfall Folgen für „Leib und Leben“ nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) § 823 haben. Dort heißt es wörtlich:
„Schadensersatzpflicht
(1) Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.
(2) Die gleiche Verpflichtung trifft denjenigen, welcher gegen ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz verstößt. Ist nach dem Inhalt des Gesetzes ein Verstoß gegen dieses auch ohne Verschulden möglich, so tritt die Ersatzpflicht nur im Falle des Verschuldens ein.“

Bauordnungsrechtliche Sicherheitsfunktionen müssen also fehlerfrei sein. Sie werden im Rahmen der Wirkprinzipprüfung, welche den bauordnungsrechtlichen Teil des Vollprobetests darstellt, gemäß Prüfverordnung der Länder auf ihre Funktion geprüft und die Prüfung dabei dokumentiert.

Normale Nutzungsfunktionen
Neben den bauordnungsrechtlichen Sicherheitsfunktionen sind im Gebäude auch Funktionen vorhanden, die dem Nutzer des Gebäudes wichtig sind: Funktionen im normalen Nutzungsfall. Für Einkaufszentren müssen z. B. für Kassen eine unterbrechungsfreie Stromversorgung und für Glasfassaden der Sonnenschutz funktionstüchtig sein. Wenn einem Nutzer diese Funktionen sehr wichtig sind, sollten diese auch im Zuge eines Tests geprüft werden. Diese Funktionen sind nicht nur ein Wunsch, sondern gehören nach Abstimmung mit dem Bauherrn dann auch zum Inhalt der Planungsleistung des Fachplaners: Sie sind als Beschreibung des Leistungssolls des Bauunternehmers ein Bestandteil im Bauvertrag.

Funktioniert alles von alleine?
Die tägliche Praxis zeigt, dass die Sicherstellung der Funktionen nicht von allein vorhanden ist. Um die bauordnungsrechtlichen Sicherheits- und die normalen Nutzungsfunktionen in einem Gebäude bei der Errichtung zu gewährleis­ten, ist eine stetige und durchgehende Kontrolle der Planungsschritte und der Bauausführung notwendig. Diese Kontrolle muss gewerkeübergreifend stattfinden, da die Funktionen nicht nur durch ein Gewerk realisiert werden. Den Mittelpunkt für das Zusammenspiel der Gewerke zu übergreifenden Funktionen bilden meist für die bauordnungsrechtlichen Sicherheitsfunktionen die Brandmeldeanlage und für die normalen Nutzungsfunktionen die Gebäudeautomation. Auch autarke Anlagen – ob bauordnungsrechtlich erforderliche Anlagen oder Anlagen für die normalen Nutzungsfunktionen – können Teile des geforderten Zusammenspiels (Szenario) sein, indem sie

  • Funktionen vollständig erfüllen,
  • nur eine Meldung eines vorgelagerten Systems bekommen, z. B. Feststellanlagen von Türen, oder
  • eigenständig innerhalb des Gebäudes bauordnungsrechtliche Funktionen wahrnehmen, z. B. Sprinkleranlagen ohne Vorsteuerung.

Vom Wunsch zur Realität
Ohne die ständige periodische Überprüfung, ob die geforderten Zusammenhänge zwischen den Gewerken die gewünschte Funktionalität im Gebäude erreichen, wird das Ziel des Nutzers – eine mangelfreie Gebäudefunktionalität gemäß Bild 1 – nicht erreicht. Diese Funktionsnachweise erfolgen durch die Wirkprinzipprüfung und den Vollprobetest.
Im Projekt ist zu vereinbaren, wer die Rolle des „Kontrolleurs“ für alle Funktionen übernimmt. Für die bauordnungsrechtlichen Sicherheitsfunktionen ist das für die Prüfung nach Erstellung ein im Bundesland anerkannter Prüfsachverständiger. Für die normalen Nutzungsfunktionen und die Gesamtkoordination kann das ein „Integrationsplaner“ sein, der die übergeordnete Gesamtfunktionalität mithilfe des oder der Prüfsachverständigen koordiniert und sicherstellt.
Um den genannten Anforderungen gerecht zu werden, wurde im Blatt 3 der VDI 6010 der Begriff „Vollprobetest“ entwickelt, der die bauordnungsrechtlich geforderte Wirkprinzipprüfung und weitere Prüfungen, z. B. für den Nutzer wichtige Tests („normale Nutzungsfunktionen“), beinhaltet. Der Vollprobetest ist ein über alle Gewerke greifender Funktionsnachweis für sicherheitsrelevante Anlagen oder Anlagen mit hohem Verfügbarkeitsanspruch sowie Anlagen mit benutzerspezifischen Anforderungen. Er kann aus der Wirkprinzipprüfung, der Schwarzschaltung (Netzausfall- und Netzwiederkehr) und zusätzlichen Prüfungen bestehen (Bild 3). Die VDI 6010 Blatt 3 gibt dem Nutzer ein Werkzeug in die Hand, Gebäude standardisiert auf Funktionsfähigkeit zu prüfen.
Nur der vorher beschriebene, durchgehende Kontrollprozess und die Prüfung der Gebäudefunktionen vor der Nutzung sichern die fehlerfreie Funktion des Gebäudes. Die Dokumentation dieser Prüfung ist für den Nutzer und Betreiber eine wesentliche Grundlage, das Gebäude zu nutzen und zu betreiben. Bei Änderungen der Nutzung in Gebäudeteilen können auf Grundlage der vorgenannten Dokumentation alle notwendigen Informationen in die bestehende Dokumentation übernommen werden, sodass wieder eine fehlerfreie und aktuelle Grundlage für die Nutzung und den Betrieb vorhanden ist. Bei relevanten Änderungen ist ein Vollprobetest/eine Wirkprinzipprüfung durchzuführen.

Schlussbemerkung
Eine funktionsbezogene Koordination aller Gewerke – vom Planungsprozess bis zur Errichtung und eine Prüfung der notwendigen und wichtigen Gebäudefunktionen – führen zu einer fehlerfreien Umgebung für den Nutzer. Das Optimieren von einzelnen Anlagen oder Anlagenteilen reicht meist nicht aus, einen Erfolg zu erzielen. Die Abstimmung und Koordination aller Gewerke ist Voraussetzung für ein ohne Fehler funktionierendes Gesamtsystem „Gebäude“. Dies verlangt ein optimales Zusammenspiel und die Koordination aller Beteiligten, angefangen bei der Planung über die Errichtung bis zum Betrieb des Gebäudes. Bei einem modernen Gebäude muss immer der gesamte Lebenszyklus im Fokus stehen.
Erst mithilfe einer koordinierten Funktionskontrolle aller Gebäudefunktionen kann ein Immobilieneigentümer/-nutzer die Vorteile eines ganzheitlich geplanten und funktionsbezogenen Gebäudes ausschöpfen: Wirtschaftlichkeit, Nachhaltigkeit, Komfort, Flexibilität und Sicherheit.

Literatur:
[1] Balow, J.: Gebäude vor ihrer Nutzung testen? TAB 11/2013
[2] Balow, J., Borrmann, D., Ernst, A., Lucka F.: Wirkprinzipprüfungen und Vollprobetest für Gebäude – Kommentar zu VDI 6010 Blatt 3
[3] Balow, J.: Systeme der Gebäudeautomation. cci Dialog 9/2016

Autor:
Jörg Balow, Leiter Elektrotechnik und Gebäudeautomation, Arup Deutschland GmbH, Berlin

 

CEGA – Congress für Experten der TGA

Die 2016 erstmals durchgeführte CEGA versteht sich als forschungs- und industrieübergreifende Plattform für Planer, Ingenieure, Anwender und technische Entscheider der TGA-Branche. Die Energieeinsparverordnung (EnEV) 2020 und das Building Information Modeling (BIM) bilden die Schwerpunkte am 29. und 30. November in Baden-Baden. Darüber hinaus setzen mehr als 50 Vorträge zu Heizung, Lüftung, Trinkwasser, Gebäudeautomation sowie Energiekonzepten neue Impulse. Die CEGA ist eine gemeinsame Initiative des VDI Wissensforums und Recknagel, einer Marke des DIV Deutscher Industrieverlag. Der IKZ-FACHPLANER ist Medienpartner der Veranstaltung. Nähere Informationen unter:
www.cega-kongress.de

 


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