Keimzelle einer nachhaltigen Wohnzukunft - Praxisbeispiel eines Projekts, das den Paradigmenwechsel unserer Zeit reflektiert und zum Umdenken ermutigt
Zwei engagierte Baubiologen haben sich entschlossen, ein grenzübergreifendes Projekt zu verwirklichen und sich den heutigen für die Zukunft relevanten Herausforderungen im Kontext eines nachhaltigen Bauens zu stellen.
Dabei wurde neben der dezentralen Nutzung Erneuerbarer Energien, der konsequenten Nutzung ökologischer Baustoffe, einem ausgewogenen Maß von Wärmedämmung und Wärmespeicherung auch auf die gesellschaftlichen Veränderungen (Stichworte: klassische Familienstruktur, standorttreue Berufsausübung, Entwicklungen einer „mobilen Sesshaftigkeit“) berücksichtigt. Das Ergebnis ist eine „Ökowohnbox“, die als zukunftsorientierte Wohneinheit real geplant und gebaut wurde und die im Bereich eines maßvollen, umweltschonenden und gesunden Bauens eine erlebbare Baubiologie im Sinne einer nachhaltigen Baukultur am praktischen Beispiel aufzeigt.
Tanja Schindler, Baubiologin SIB aus der Schweiz, und Heiko Anken, Dipl. Ing. FH und Baubiologe IBN aus Deutschland, haben sich entschlossen, ein deutsch-schweizerisches Gemeinschaftsprojekt auf die Beine zu stellen, das sie nun mit viel Engagement und Eigenleistung sowie mit Sponsoren, die die gleichen ökologischen Ideale und Zielsetzungen verfolgen, in Nänikon/ CH realisiert haben.
Am Anfang standen die Fragen: Wie weit können wir unseren Wohnalltag reduzieren und dabei die Umwelt optimal schonen, ohne das Gefühl zu bekommen, auf Wesentliches oder auf die scheinbar angenehmen Dinge unseres Alltags verzichten zu müssen? Oder: Welche Lösungen lassen sich finden, um den veränderten Familien- und Altersstrukturen unserer Zeit im Sinne einer flexiblen Wohnstruktur, die sich den permanent ändernden Lebensumständen anpasst, gerecht zu werden?
Flexibilität als Grundlage des „modularen“ Wohnens
Das Herzstück des ganzen Projektes ist sozusagen die „Keimzelle“. Eine baubiologische, weitestgehend selbstversorgende und energieeffiziente Wohneinheit, welche alle notwendigen Funktionen für das tägliche Leben von einer bis zu zwei Personen zu befriedigen vermag. Diese zentrale Einheit kann im nächsten Schritt mit anderen Modulen kombiniert und nebeneinander oder übereinander bis zu einer kompakten Siedlungsstruktur aufgestellt werden.
Dabei können Ergänzungsmodule verschiedener Größen und Funktionen „angekoppelt“ werden. Nach dem gleichen Grundprinzip wie die „Keimzelle“ kann also jede Wohneinheit um weitere Schlafräume, Kinder-, Gäste- oder Arbeitszimmer erweitert und den individuellen Bedürfnissen angepasst und ergänzt werden. Mehr noch – die Module sind technisch und formal so konzipiert, dass sie nach Bedarf auf einen Lastwagen gehoben und ohne großen Aufwand an einen anderen Standort verlegt werden können. Das in Nänikon gezeigte „Original“ wurde auf diesem Weg auf dem jetzigen Grundstück platziert.
Ziel soll es also sein, einen mobilen Raum für verschiedene Nutzungsvarianten auf Basis dieser Wohnbox zu entwickeln, die mit minimalsten Kosten eine flexible Aufstellung und Umsetzung innerhalb kürzester Zeit ermöglicht. Die Nutzung soll sowohl ein preisgünstiges Dauerwohnen als auch eine temporäre Zwischennutzung wie z.B. als Feriendomizil zulassen. Durch dieses flexible und vielfältige Konzept schont die Wohnbox sowohl die Umwelt als auch die Landreserven, vermeidet Leerstand von bestehenden, fest verankerten Gebäuden und hohe Aufwendungen für Neubauten. In diesem Sinne versteht sich das Projekt als ein aktiver Beitrag zur Agenda 21 und zur 2000-Watt-Gesellschaft.
Energieeffizienz und Umweltschonung
Flexibilität ist die eine Seite. CO2-neutrales und giftfreies Wohnen sowie Energieeffizienz, Nutzung Erneuerbarer Energien und Umweltschonung ist die andere, die in diesem ehrgeizigen Konzept nach den neuesten Kenntnissen in die Realität umgesetzt wird. Dazu gehört beispielsweise eine Komposttoilette, um der Ressource „Wasser“, der eine immer wichtigere Bedeutung in unserem Leben zukommt, gerecht zu werden. Energie, Wärme und Warmwasser werden weitestgehend dezentral mit Holz und Sonne bereitgestellt, womit ein annähernd CO2-neutraler Betrieb mit realisiert wird. Dabei wird der benötigte Strom aus gebäudeintegrierten PV-Modulen gewonnen und die Wärmeenergie durch einen Stückholzofen mit hohem Anteil an Strahlungswärme genutzt.
Das neue Wohnwohlgefühl
Wohnwohlgefühl entsteht nicht nur durch gute Architektur und Interiordesign, sondern auch durch Materialien, die unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden direkt oder indirekt beeinflussen. Baubiologen wie Tanja Schindler und Heiko Anken sind darauf spezialisiert. Darum werden in der Wohnbox vor allem emissionsfreie Baumaterialien aus nachwachsenden und recyclingfähigen bzw. kompostierbaren Rohstoffen eingesetzt. Die Wohnbox kann auch im Hinblick auf elektrosensible Menschen vollständig abgeschirmt werden. Auch auf MCS-empfindliche Menschen kann besondere Rücksicht genommen werden, indem man auf reizende Chemikalien, Kleber und Geruchsstoffe verzichtet. Der Eingriff in die Natur zum Aufstellen der Module soll auf ein absolutes Minimum beschränkt werden. Nach Abbau lässt sich die Bauparzelle mit geringem Aufwand wieder in den Ursprungszustand zurückversetzen.
„Ökowohnbox“ – ein Projekt mit Vorbildfunktion
Tanja Schindler und Heiko Anken wollen mit ihrem Projekt aufzeigen, dass reduziertes Wohnen nicht bedeutet, auf ein gutes Lebensgefühl zu verzichten, um einen kleineren ökologischen Fußabdruck zu hinterlassen. Vielmehr soll die „Ökowohnbox“ Lösungen für das Wohnen im heutigen Zeitgeist zeigen und umwelterkrankten Menschen die Möglichkeit geben, ein selbstbestimmtes, bezahlbares und standortunabhängiges Wohnen und Leben mit zeitgemäßem Komfort zu ermöglichen.
Für Menschen, denen die Ressourcen unserer Erde wichtig sind, bietet die „Ökowohnbox“ ein Denkanstoß, wie Reduktion mit gleichzeitiger Lebensqualität mehr Zufriedenheit schafft als eine stetige Zunahme des materiellen Luxus, der nicht nur die Lebensqualität nachfolgender Generationen negativ beeinflusst und reduziert.
Die „Ökowohnbox“ ist also ein Objekt zum Anfassen und zum Erleben. Ein Projekt, das heute einen Akzent setzt, der morgen die gesellschaftliche Diskussion für die nächsten Jahre bereichern soll. Die Stadt Uster hat dieses Ziel erkannt und für dieses Projekt eine Parzelle in Nänikon CH/Schweiz unbürokratisch auf die Dauer von drei Jahren zur Verfügung gestellt. Es ist zu hoffen, dass auch in Deutschland u.a. das Baurecht den Wandel der Zeit erkennt und solche innovativen und zukunftsorientierten Lösungen nicht von Amtswegen im Wege steht.
Weiterführende Links: www.baubio.ch, www.baubiologie.de
Autor: Frank Hartmann