Interview mit Siemens-Chefdesigner Gerhard Nüssler
Design-Chef Gerhard Nüssler über sein erstes Jahr für die Marke Siemens und das Managen von Kreativität.
Siemens ist eine Marke mit großer Tradition im Industriedesign. red dots, iF awards und internationale Designpreise zählen fast schon zum Pflichtprogramm. Wie gehen Sie und Ihr Team mit diesem Erfolgsdruck um?
Gerhard Nüssler: Ja, Erfolgsdruck stimmt, zumal mein Vorgänger, Gerd Wilsdorf, ja sehr viel vorgelegt hat. Das ist wie bei einem Trainerwechsel im Fußball. Das Design entsteht im Team – und da gibt es, außer der Erweiterung des Teams um zwei neue Designer, keine Änderungen in der Aufstellung. Insofern bin ich da ganz entspannt.
Gestalten Sie auf Preise hin?
Gerhard Nüssler: Das geht nicht. Aber wir versuchen immer das maximal Mögliche zu geben.
Was ist für Sie Kreativität?
Gerhard Nüssler: Querdenken. Wir gestalten hier Hausgeräte und das heißt, wir haben es mit Archetypen zu tun. Die Menschen haben ein genaues Bild, wie ein Backofen oder eine Waschmaschine aussehen. Hier etwas anders zu machen und möglicherweise besser, entgegenkommender – das hat etwas mit Kreativität zu tun. Der liftMatic Backofen ist ein sehr schönes Beispiel, bei dem einmal quergedacht wurde: Er steht nicht unter oder neben der Küchenzeile, sondern hängt darüber. Normalerweise öffne ich beim Backofen vorn eine Tür und schiebe ein Blech hinein, beim liftMatic kommt das Blech von oben herunter.
Stößt der Designer da nicht schnell an Grenzen?
Gerhard Nüssler: Ja, durchaus, wobei diese Grenzen ganz unterschiedlich sein können: manchmal technischer Art, manchmal spricht der Preis dagegen und manchmal stellt man bei näherem Nachdenken auch fest, „das ist vielleicht eine Lösung, aber das Problem dafür ist gar nicht da.“ Da muss man auch vorsichtig sein. Kreativität darf nicht überziehen.
Wie viel landet denn im Papierkorb von all dem Quergedachten?
Gerhard Nüssler: Wenn ich an aktuelle Projekte denke – Details einer Gerätetür – da haben wir wahrscheinlich 90 Prozent schon verworfen und wir haben die richtige Idee noch nicht gefunden. Aber das kommt noch, da bin ich sicher.
A propos Idee: Was inspiriert Sie?
Gerhard Nüssler: Inspiration kann aus allem entstehen, beim Wandern in den Bergen, beim Kochen und natürlich aus den stark designgetriebenen Bereichen Multimedia und Automobildesign – oder durch Zufall: Letztens habe ich mit einem Kollegen hier zusammengestanden und über ein bestimmtes Gerätesystem nachgedacht. Wir standen und diskutierten bestimmt eine Stunde. Richtig gute Ideen kamen dabei nicht heraus. Da sagte er: „Weißt du, ich denke die ganze Zeit an eine Auto-Waschstraße“. Es hat keine fünf Minuten gedauert, bis wir uns entschlossen, ein Modell zu bauen – keine Auto-Waschstraße! Aber diese Geschichte, die überhaupt nichts mit dem Problem zu tun hatte, die hat plötzlich ein paar Gedanken frei gesetzt. Das meine ich mit Querdenken, so kommt man auf Ideen die vielleicht eine Lösung werden können. An der Lösung werden wir intensiv weiterarbeiten.
Haben Sie manchmal das Gefühl, dass das Team ausgepowert ist und Sie müssen es von der langen Leitung herunterholen?
Gerhard Nüssler: Nein, das kommt eher nicht vor. Das Schöne ist ja in unserem Job: Keine Aufgabe wiederholt sich. So kommt man auch nicht so leicht in eingefahrene Spuren, aus denen man nicht mehr herausfindet. Und wenn wir hier zum Beispiel strategische Gestaltungsfragen diskutieren – wir haben ja ein Alters-Spektrum, das von 23 bis 60 Jahre reicht – dann treffen allein durch diese Bandbreite sehr viele Positionen aufeinander. Das ist hochspannend und auch da passiert viel Kreativität.
Welche Rolle spielen Sie als Chef für den kreativen Prozess im Team?
Gerhard Nüssler: Meine Aufgabe besteht darin, mit kleinen Gruppen immer wieder in die Projekte reinzugehen und die besten Lösungen zu suchen. Der Chefdesigner ist da so etwas wie der Trainer beim Fußball oder der Dirigent eines Orchesters, und manchmal auch „Spielertrainer“. Jeder spielt an seinem Platz und gibt das Beste für eine perfekte Mannschaftsleistung. Das Ergebnis konnten sie auf der IFA sehen.
Woran erkennen Sie, dass ein Jung-Designer das Potenzial hat, auf Jahre hinaus Höchstleistungen zu bringen?
Gerhard Nüssler: Wir schauen neben dem obligatorischen Industrie-Design-Studium auch nach Zusatzqualifikationen, nach Auslandserfahrung und natürlich auch auf die bisherigen Arbeiten. Aber am wichtigsten ist am Ende das Gespräch. Da merkt man schnell, ob sich jemand mit Hausgeräten identifizieren kann, die nötige Kreativität mitbringt und ob er ins Gesamtteam passt.
Sie selbst stehen jetzt genau ein Jahr an der Spitze der Design-Abteilung der Siemens-Electrogeräte GmbH. Welche Veränderungen wird der Verbraucher draußen im nächsten Jahr davon merken?
Gerhard Nüssler: Das dauert sicher etwas länger als ein Jahr, denn unsere Entwicklungszyklen belaufen sich auf etwa drei bis vier Jahre. Andererseits wird er von der Veränderung an der Spitze möglicherweise gar nicht so viel merken. Denn was ich hier übernommen habe – sowohl das Design, die Designsprache als auch das Team – ist keine Aufgabe, bei der ich revolutionäre Veränderungen vornehmen muss. Ich setze eher auf einen evolutionären Ansatz. Wir werden das Siemens Design aufbauend auf das Bestehende weiterentwickeln, so dass Siemens Hausgeräte weiterhin zeitgemäß und wegweisend in Design und Funktion sind.
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