Innovatives Schalten mit dynamischen Gesten
Hand-/Fingergesten statt Bedienelemente
Gerade in öffentlichen und halböffentlichen Bereichen können Mikroorganismen aufgrund der Menschenmassen leichter übertragen werden. Daher sind Sensoriken, beispielsweise zum Aktivieren von Waschtischarmaturen oder zum Öffnen der Türen, weit verbreitet. Aber auch für körperlich beeinträchtigte Menschen sind solche Schaltungen für das weitestgehend selbstständige Leben eine Hilfestellung. Peter P. Elsen, Elektroingenieur aus Trier, ging nun noch einen Schritt weiter und hat eine Gestensteuerung entwickelt. Mit ihr lassen sich durch verschiedene Positionen der Finger unterschiedliche Funktionen mit nur einem Sensor berührungslos ansteuern.
Eine wachsende Anzahl und Funktionsvielfalt elektrischer Betriebsmittel führen zu einer erschwerten Identifizierung und Handhabung der Schaltelemente. Zuordnung, Schaltsicherheit und Hygiene werden beeinträchtigt – gerade in öffentlichen und halböffentlichen Einrichtungen. Eine komfortable, innovative Alternative ist die Einleitung komplexer Schaltfunktionen/Schaltfolgen durch wenige, einfache und berührungslos über einen Sensor geführte Hand-/Fingergesten. Das dachte sich Peter P. Elsen, Elektroingenieur aus Trier, und entwickelte eine Lösung, mit der die Einleitung von Schaltvorgängen, auch bei eingeschränktem Bewegungs-/Sehvermögen, dem Nutzer eröffnet wird. Seine Entwicklung lässt sich in die gesamte Gebäudesteuerung einbinden.
Die Steuerung im Überblick
Handgesten werden mit kompakter Hand (Bild 1 und 3), Fingergesten mit gespreizter Hand (ein bis vier Finger, Bild 2) über einen Sensor geführt. Eine kumulative Signalverarbeitung realisiert bis zu acht Schaltfunktionen. Die Anzahl an Handgesten bzw. gespreizter Finger korrelieren mit der Priorität bzw. räumlichen Platzierung der Betriebsmittel. Die Bewegungsrichtung ist gleichgültig. Handgesten, wie beispielsweise ein Wischer, erfordern keine „Punktgenauigkeit“. Sie lassen sich auch mit schwerem Handschutz oder rudimentär, per Unterarm, ausführen und schaffen Potenzial für mehr Barrierefreiheit. Zur einfachen Einleitung eines Schaltvorganges ist die Anzahl an Bewegungen, mit kompakter Hand, auf maximal zwei begrenzt (Wischer und Doppelwischer). Bei weiterem Funktionsbedarf ist ein Stopp (1 Sek.) im aktiven Sensorbereich erforderlich. Mit dem Gestenvorrat werden bis zu fünf Schaltfunktionen realisiert. Die Schaltfunktion mit der „Priorität 1“, sowie kollektiv „AUS“, erfordern dabei lediglich einen „Wischer“.
Eine größere Anzahl an Schaltfunktionen/Schaltfolgen (bis zu acht), wird zur raschen Einleitung mit Fingergesten ausgeführt. Hierzu genügen maximal zwei Bewegungen gespreizter Finger über den Sensor. Sie lassen sich (auch) kaum wahrnehmbar vornehmen. Das per Geste ausgelöste Digitalmuster wird seriell an einen Logikbaustein übertragen. LED-Visualisierungen stehen ebenfalls zur Verfügung.
Benötigte Hardware
Zur Erkennung von Gesten werden Standard-Sensortaster mit kapazitiver Sensorik („Flächensensoren“) und solche mit Infrarot Sensorik eingesetzt. Handgesten lassen sich mithilfe von Flächensensoren sowie Infrarotsensoren detektieren. Flächensensoren erkennen Handgesten durch dünne, opake Bauteile (Glas, Gipskarton, Holz) hindurch. Sie können deshalb auch diskret (verdeckt) angeordnet werden, z. B. außenseitig an einer Duschkabine. Eine attraktive Option ist der Einsatz einer Dekor–Version.
Fingergesten erfordern dagegen den Einsatz von Infrarot-Sensoren. Der berührungslos detektierte Schaltabstand eines Sensors liegt bei max. 20 cm. Minisensoren mit IR-Sensorik besitzen einen Durchmesser von lediglich 5 mm und benötigen nur einen geringen Platzbedarf. Ein per Geste ausgelöstes Digitalmuster wird von einer an einen Logikbaustein übertragenen Schaltlogik interpretiert. Der Standard-Sensor mutiert zum Multifunktionssensor und ersetzt bis zu acht herkömmliche Bedienelemente. Der programmierbare Baustein verfügt über 4 TE und 4 potenzialfreie Relaisausgänge (230 V). Ein Erweiterungsbaustein erhöht die Anzahl der Relaisausgänge auf 8.
Praxisnahe Einsatzgebiete
Die Einsatzgebiete der berührungslosen Gestentechnologie sind vielfältig, z. B. im Lifestyle-/Clean-/
Sanitär-/Pflege-/Labor- sowie Sicherheitsbereich. Sie schafft Potenzial für völlig neuartige, kreative Problemlösungen. Einige der folgenden Beispiele erfüllen den Status der Exklusivität.
- Multifunktions-Steuerung einer vollhygienischen Kalt-/Warm-/Heißwasseranlage (z. B. Waschtisch-/Duscharmatur, Bild 3). Abrufbare Funktionen: „kalt“; „warm“; „heiß“; „Fließzeitverlängerung“; „Wasserstopp“; „Fließzeitbegrenzung“. Die Realisierung einer Funktion erfordert max. zwei Handbewegungen. Ein kurzer „Wischer“ schaltet die Standard-Funktion (z. B. warm) ein oder führt zum „Wasserstopp“.
- Exklusiv-Steuerung einer vollhygienischen WC-Spülung für zwei unterschiedliche Wassermengen mit den Funktionen: „große Menge“; „kleine Menge“; „Wasserstopp“; „Sperre“.
- Diskrete, exklusive Signal-/Alarmauslösung mit völlig unauffälliger Fingergeste (1 x gespreizte „Hand hochgeführt“). Drei über den nicht wahrnehmbaren Sensor geführte, gespreizte Finger müssen detektiert werden. OPTION: Differenzierte Signalgebung (z. B. „Gefahr“ oder „Alarm“). Andere Gesten werden ignoriert.
- Komfort-Steuerung zweier, autark und kollektiv schaltbarer Rollläden-Antriebe (Bild 4), mit den Funktionen: „aufwärts“; „abwärts“; „Sonnen-/Sichtschutzposition“; „Sofortstopp“. Zur Betriebssicherheit sind beide Antriebe laufzeitüberwacht. Die Auslösung einer Grundfunktion erfordert lediglich eine kurze Handbewegung (Handwischer) über den Sensor. Für Einzelrollladen oder Markise geeignet.
- Schnell-Dimmung von bis zu 4 (8) Leuchten mit definierten Feststufen (z. B. 100 %; 60 %; 40 %; 10 %). Die Dimm-Stufen korrelieren mit der detektierten Fingeranzahl. Ein kurzer Wischer führt zu „Sofort Aus“.
- Komfortschalten elektrischer Betriebsmittel mit bis zu 4 Leistungsstufen (z. B. Lüfter oder elektrisches Kochfeld). Die autark schaltbaren Stufen korrelieren mit der detektierten Fingeranzahl. Ein kurzer Handwischer führt zu der Standard-Stufe oder zu „Sofort Aus“.
Johanes Helfen von der UniCredit Bank AG kann sich noch ein weiteres Einsatzgebiet vorstellen und war deshalb bei einer Computersimulation in Elsens Büro anwesend: „Die Gestensteuerung kann im Notfall wie einem Banküberfall eine einfache und schnelle Lösung bieten, Alarm auszulösen. Dies vor allem, da der Alarm vom Täter völlig unbemerkt durch die spezielle Handbewegung ausgelöst wird. Diese kann z. B. durch ‚Hände-hoch‘ eine völlig normale Reaktion des Mitarbeiters auf den Überfall sein und damit unauffälliger wie das Auslösen eines Alarmknopfes.“
Fazit
Das Konzept der kontakt- und berührungslosen Gestensteuerung soll laut Elsen neuartige, kreative Ansätze zur raschen Einleitung von Schaltvorgängen/Schaltfolgen eröffnen. Es erfülle die Ansprüche an exklusiven Schaltkomfort und könne durch minimale Baugröße und geringer Anzahl an Bedienelementen kostengünstig und platzsparend eingesetzt werden. Unübersichtliche Schalter-/Taster-Häufungen werden vermieden, Zuordnungen vereinfacht, Schaltphasen verkürzt und die Schaltsicherheit erhöht. Hierzu gehören elektrische Betriebsmittel und haustechnische Anlagen mit einer komplexen Funktionsvielfalt.
Nachgefragt
IKZ-FACHPLANER: Herr Elsen, wie sind Sie auf die Idee gekommen, eine solche Sensorik zu entwickeln?
Peter P. Elsen: Primär durch die Nachricht, dass in Cleanrooms zur Sicherstellung der Hygiene die Zapfung von Kalt-/Warm-/Heißwasser mit einem bekleideten Ellenbogen erfolgt. Weiter wurde ich informiert, dass bereits bei zwei eingesetzten, nahe beieinander montierten Sensoren, Interferenzen auftreten. Zudem klagen viele ältere aber auch behinderte Personen über Probleme mit zu vielen Schaltern.
IKZ-FACHPLANER: Einen Schalter zu drücken, hat sich bereits seit Jahrzehnten eingebrannt. Auch ein Touch-Display oder einen elektronischen Sensor kennen die meisten Nutzer. Der Einsatz ist in der Regel selbsterklärend. Sind im Gegensatz dazu verschiedene Fingergesten nicht zu kompliziert und damit hinderlich?
Peter P. Elsen: Viele Grundfunktionen erfordern lediglich einen rudimentär vorgenommenen Wischer bzw. Doppelwischer. Fingergesten werden nach Prioritäten bzw. der Platzierung der Betriebsmittel zugeordnet, z. B. ein Finger = Priorität 1 usw. Einfacher geht es kaum.
IKZ-FACHPLANER: Wurden mit der Gestensteuerung schon Feldversuche durchgeführt oder handelt es sich hierbei gänzlich um einen Prototyp?
Peter P. Elsen: Es handelt sich um eine Demo-Anlage in einem Showroom in Luxemburg bei der Firma Coplaning, der auch besichtigt werden kann. Dort werden vier angeschlossene Betriebsmittel mittels Fingergesten gesteuert. Hierbei handelt es sich um Beleuchtungskörper sowie Rollladen- und Jalousien-Antriebe.
IKZ-FACHPLANER: Welche Rückmeldungen haben Sie bislang von den Nutzern erhalten? Konnten sie sich schnell mit den Gesten anfreunden oder gab es anfangs Probleme bei der Umsetzung?
Peter P. Elsen: Bisher sind mir keine negativen Rückmeldungen oder Probleme bekannt. Häufig höre ich Bemerkungen wie: sehr Bequem, clevere Idee oder interessante Entwicklung, warum erst jetzt. Jüngere Leute bezeichneten die Gestensteuerung auch schon als Event. Dennoch kann ich jetzt schon Erfahrungen sammeln. Auffallend bei der Steuerung ist beispielsweise, dass die Fingergesten häufig kumulativ vorgenommen werden. Statt vier gespreizten Fingern, werden 2 x 2 Finger, Zeige- und Mittelfinger, rückhändig rauf und runter, über den Sensor geführt. Ein umfassenderes Feedback werde ich allerdings erst geben können, wenn sich die Anlagen einmal einige Zeit im Alltag bewährt haben.
IKZ-FACHPLANER: Wo liegt der nächste Schritt? Sind Sie bereits auf Partnersuche oder haben sich schon Hersteller, speziell aus dem SHK-Sektor, gemeldet?
Peter P. Elsen: Leider hat die Firma Coplaning den SHK-Sektor nicht auf der Agenda. Wegen der übervollen Auftragsbücher habe ich bisher auch noch keine kompetente SHK-Fachfirma oder TGA-Planungsunternehmen in der hiesigen Region finden können. Vielleicht wird der Eine oder Andere über dieses Interview aufmerksam, sodass bald intelligente, kreative Problemlösungen zur Einleitung von Schaltvorgängen Realität werden. Der übernächste Schritt ist der Einsatz eines 3D-Lasers mit Objekt/Finger-Erkennung. Dabei wird eine gespreizte Hand, also die Fingergeste, lediglich „vor den Sensor gehalten“.
IKZ-FACHPLANER: Im Artikel heißt es, die Nutzung sei auch für WC-Spülungen und Waschtisch- bzw. Dusch- und Badearmaturen einsetzbar. Sind bereits Hersteller auf Sie aufmerksam geworden oder wollen Sie die Technologie ohne Unterstützung direkt an den Mann bringen?
Peter P. Elsen: Nein, die Gestentechnologie ist noch zu jung und unbekannt. Sie wird nicht werbewirksam inszeniert. Finanzielle Interessen werden daher zurzeit nicht verfolgt. Dennoch habe ich nichts dagegen, wenn sich Unternehmen mit mir in Verbindung setzen. Ich sehe großes Potenzial in der Technologie und freue mich über jeden, der ähnlich denkt oder sich einfach nur über die Möglichkeiten informieren will.
IKZ-FACHPLANER: Eine letzte Frage noch. Wo können sich Interessierte mehr Informationen über die Gestensteuerung holen? Gibt es eine Homepage oder Infobroschüren?
Peter P. Elsen: Eine Website oder etwas Ähnliches gibt es nicht. Dafür ist die Technik noch zu jung. Interessierte können sich aber gerne bei mir persönlich unter peter-Elsen@web.de melden. Für die aufgeführten Anwendungsbeispiele stehen in meinem Büro auch Computer-Simulationen und Schalt-Logiken zur Verfügung. Wer sich die Demo-Anlage im Hause Coplaning einmal anschauen möchte, kann sich direkt an Carl Werner über carl.werner@coplaning.lu wenden.