Innovationsfähigkeit in Gefahr?
AGSI: Großhandel tritt zunehmend als Konkurrent der Markenindustrie auf. Loyalität auf allen Vertriebsstufen sinkt
Etwa 49 % aller Fachhandwerker bestellen Sanitärarmaturen online und die Bedeutung der Handelsmarken wächst. Das sind zentrale Ergebnisse einer Studie des Instituts für Handelsforschung (IFH), die die Arbeitsgemeinschaft Sanitärarmaturenindustrie (AGSI) in Auftrag gegeben und Ende April in Frankfurt/Main vorgestellt hat. Ob in Folge dieser Entwicklungen der dreistufige Vertriebsweg der Partner aus Handwerk, Industrie und Großhandel noch eine Zukunft hat, bezweifelt AGSI-Vorsitzender Andreas Dornbracht.
Die Industrie produziert und pflegt Marken, der Großhandel bildet die logistische Brücke zwischen Industrie und Handwerk, das Handwerk verkauft die Marken: Dieser Marktmechanismus werde heute „zunehmend aufgeweicht“, sagt Dornbracht. Ein Prozess, der weder aufgehalten noch gestoppt werden könne. Die Interessenvertretung von Sanitärarmaturen plädiert für eine Entpolitisierung der Diskussion. Dornbracht: „Das heißt, dass sich die Verbände oder andere Strukturen – das ist aber meine persönliche Auffassung – in der Kommentierung des Marktverhaltens zurückhalten sollten. Themen wie Boykott oder Abstrafungen gehören nicht mehr in unsere Branche.“ Stattdessen sollte den Herstellern unternehmerische Entscheidungsfreiheit zugestanden werden. „Die müssen wir für uns beanspruchen, um unser eigenes Geschick weiter in der Hand zu behalten“, meint Dornbracht. Würden Freiheitsgrade auf allen Ebenen stärker genutzt, käme folglich mehr Dynamik in die Strukturen des Vertriebsweges. Der AGSI-Vorsitzende dazu: „Bewegungen sind schon jetzt absehbar, werden sich aber noch verstärken. Die Loyalität auf allen Vertriebsstufen ist heute nicht mehr so ausgeprägt wie früher. Und das wird sich meines Erachtens so weiter entwickeln.“
83 % setzen auf Handelsmarken
Als Grundlage für seine Meinung dient Dornbracht die eingangs erwähnte Studie, erarbeitet anhand von zehn Tiefeninterviews und 350 telefonischen Befragungen im Sanitärhandwerk. Die laut AGSI repräsentative und im Februar 2018 abgeschlossene Studie stellt fest, dass 83 % der Fachhandwerker im Sanitärarmaturenbereich auf Handels- und Hausmarken setzen. Das gelte speziell für kleinere Betriebe (89 %), während bei steigender Firmengröße die Relevanz abnehme – auf 75 % bei Unternehmen mit mehr als 20 Mitarbeitern. Für Handelsmarken sprechen laut der Studie das Preis-Leistungs-Verhältnis, dagegen die „mangelnde Qualität“ oder der Kundenwunsch nach Herstellermarken. Insgesamt nennt die AGSI das Thema Handelsmarken als „zentrale Zukunftsherausforderungen“ für Industriemarken. Denn sie würden mit hoher Wahrscheinlichkeit noch mehr Platz einnehmen, da hier Großhandel und Handwerk gleichgewichtige Interessen vertreten. „Ob sie sich damit einen Gefallen tun, erscheint uns mehr als zweifelhaft“, sagt Dornbracht.
Konzeptionen im Wandel
Vor allem das Gesamtangebot an Handelsmarken bereitet der AGSI Sorgen. Grundgedanken, die hinter der Entwicklung von Handelsmarken stehen, hätten sich gewandelt – von damals industriellen Standardartikeln in großhandelsspezifischer Verpackung oder mit entsprechendem Logo hin zu individuell für den Großhandel entwickelten Produkten. Der Großhandel würde demnach immer mehr herstellertypische Funktionen übernehmen, wie Design oder Produktentwicklung. Dornbracht: „Es geht sogar so weit, dass sich Großhandelsmarken insbesondere auch dem Endkunden gegenüber als Herstellermarken positionieren. Damit tritt der Großhandel (…) zunehmend als Konkurrent der etablierten Markenindustrie auf.“ Bei einem höheren Handelsmarkenanteil werde die Vielfalt der Markenartikelanbieter leiden.
Das gefährdet nach Ansicht der AGSI eine der Stärken des professionellen Vertriebsweges: die Innovationsfähigkeit der Markenindustrie, die für Trendforschungen, Digitalisierung oder Smart Home elementar sei. Innovation sei für die Markenhersteller überlebensnotwendig, so Dornbracht. Der AGSI-Vorsitzende fordert Großhandel und Handwerk auf, Markenhersteller auch künftig „in einer engen Partnerschaft zu begleiten“. Schließlich gehe es um die gemeinsamen Endverbraucher. Sie wünschten sich starke Herstellermarken.
Online-Bestellungen nehmen zu
Neben den Handelsmarken beschäftigte sich die IFH-Studie auch mit dem Onlinevertrieb in der Sanitärbranche. Ergebnis: Fast die Hälfte der Installateure bestellen Sanitärarmaturen über das Internet, Tendenz steigend. Beschaffungsquelle ist laut der Studie zu 95 % der Großhandel mit seinen Online-Shops und Online-Bestellsystemen. Gründe: Schnelligkeit, Bequemlichkeit, günstige Preise und Warenverfügbarkeit. Gegen Onlinebuchungen spreche die Komplexität vieler Produkte, die den direkten Kontakt zu Fachberatern im Großhandel erforderlich mache.
Das Handwerk bestellt online und die AGSI findet diese Entwicklung gut. Das bestätigt der Vorsitzende: „Das Handwerk ist auf einem guten Weg, Onlinebeschaffungen zu nutzen, um eigene Prozesse zu optimieren. Das spart Zeit und Geld.“ Dennoch gehe dem Großhandel bei Sanitärarmaturen rund 65 Mio. Euro Online-Umsatz im Jahr verloren. Denn jede 10. Sanitärarmatur werde nicht beim Großhändler, sondern über alternative Wege geordert. Die AGSI geht davon aus, dass sich die Beschaffungsstruktur auch zukünftig auf unterschiedliche Kanäle verteilen wird. Warum? Nicht-klassische Onlineanbieter würden „besonders preisaggressiv auftreten“, so Dornbracht, und stellten somit tendenziell günstigere Quellen dar. Sein Fazit: „Wir müssen die Situation weiter beobachten, inwieweit Onlineplattformen sich tatsächlich auch zu Beschaffungsquellen für das sanitäre Handwerk entwickeln.“ Eine Antwort, wie die Branche auf eine solche Entwicklung reagieren könnte, gab es in Frankfurt allerdings nicht.
Marktdaten zu Sanitärarmaturen
Die deutsche Sanitärarmaturenindustrie produzierte 2017 – nach vorläufiger Schätzung – Sanitärarmaturen für 2,9 Mrd. Euro (Abgabepreis an den Großhandel) und bewegte sich damit nach eigener Aussage in etwa auf Vorjahresniveau. Im Inland stehe beim Umsatz real ein Minus von 2 % zu Buche, berichtet AGSI-Geschäftsführer Wolfgang Burchard.
Laut der Außenhandelsstatistik des Statistischen Bundesamtes wurden 2017 Sanitärarmaturen im Wert von 1,3 Mrd. Euro ins Ausland exportiert. Das waren laut AGSI 1,6 % mehr als im Vorjahr. Die Liste der Top-Exportländer wurde wie im Vorjahr von Frankreich mit 182,1 Mio. Euro (plus 2,8 %) angeführt.
Unterdessen erhöhte sich nach AGSI-Angaben die Einfuhr von Sanitärarmaturen nach Deutschland um 6,4 % auf 727 Mio. Euro. „Darin sind jedoch auch Importe großer deutscher Hersteller enthalten, die z. B. in Süd- und Osteuropa oder in Asien eigene Fertigungsstätten haben“, so Burchard.
Positiv stimmt den AGSI-Geschäftsführer die Umsatzentwicklung im Januar und Februar 2018. Demnach verzeichneten die Sanitärarmaturenhersteller eine Umsatzsteigerung von insgesamt 12 % (Inland + 2 %). Die Bestellungen aus dem europäischen Ausland legten im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 9 % zu.