HOAI vor Gericht
Auswirkungen eines EuGH-Urteils auf die Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI)
Der Europäische Gerichtshof – kurz EuGH – hat am 4. Juli 2019 (Rs. C-377/17) ein Urteil in Bezug auf die Verbindlichkeit zu den HOAI-Mindest- und Höchstsätzen gefällt. Demnach verstoßen die Mindest- und Höchstsätze gegen europarechtliche Normen. Die Entscheidung des EuGH hat in der Praxis zu tiefgreifenden Verunsicherungen hinsichtlich der Anwendbarkeit der HOAI geführt. Im Kernpunkt haben sich so zwei gegensätzliche Standpunkte zu den Fragen entwickelt, ob die Entscheidung des EuGH auch für deutsche Zivilgerichte verbindlich ist und inwiefern die Regelungen des § 7 HOAI 2013 zur Einhaltung von Honorar-Mindest- und Höchstsätzen noch angewandt werden darf.
Verlässliche Regelungen und verbindliche Absprachen in puncto der Honorar-Mindest- und Höchstsätze sind auf Basis der HOAI zur Makulatur geworden. Die nunmehr gegebene Unsicherheit betrifft gleichermaßen die Auftragnehmer- als auch die Auftraggeberseite und ist beiderseits mit nicht unerheblichen wirtschaftlichen Risiken behaftet. Hintergrund ist, dass durch das EuGH-Urteil vom 4. Juli 2019 je nach Interessenlage zwei gegensätzliche Standpunkte im Rahmen von laufenden und zukünftigen Gerichtsprozessen vertretbar sind.
Was besagt die Entscheidung des EuGH?
Der EuGH hat in seiner Entscheidung festgestellt, dass die Bundesrepublik Deutschland gegen ihre Verpflichtungen aus der Dienstleistungsrichtlinie (RL 2006/1123/EG) verstoßen hat. Der Verstoß liegt in der Beibehaltung verbindlicher Honorare für die Planungsleistungen von Architekten und Ingenieuren. Dies widerspricht dem Gleichberechtigungsgrundsatz in Bezug auf anderen Dienstleistern zu diesen Berufsgruppen, die nicht den Regelungen der HOAI unterliegen und somit nicht einschränkend definiert sind.
Wer ist Partei des Verfahrens und somit Adressat der Entscheidung?
Das Feststellungsurteil im Hinblick auf den Verstoß deutscher Regelungen im Verhältnis zu europarechtlich vorrangigen Normen (hier die Dienstleistungsrichtlinie) ist an die Bundesrepublik Deutschland adressiert. Aus diesem Feststellungsurteil folgt die Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland, eine Novellierung der HOAI vorzunehmen. Anmerkung: Die Europarechtswidrigkeit bezieht sich nicht auf die gesamte HOAI, sondern lediglich auf die Frage der Feststellung der Verbindlichkeit der Mindest- und Höchstsätze.
Reaktion der Bundesrepublik
Am 22. Juli 2019 hat das Bundesministerium des Inneren einen Hinweis erlassen, um zeitnah ein unionsrechtskonformes Handeln der Verwaltung sicherzustellen. Danach sind bestehende Verträge der öffentlichen Hand mit Architekten und Ingenieuren grundsätzlich weiterhin als wirksam anzusehen. Da Mindest- und Höchsthonorarsätze allerdings nach der Entscheidung des EuGH nicht mehr verbindlich vorgegeben werden dürfen, be-steht grundsätzlich, auch bei eventuellen Abweichungen, kein Anspruch mehr auf Anpassung an diese Honorarsätze. Gleiches soll für das Verlangen nach einer Anpassung des Honorars an die Mindestsätze der HOAI im Rahmen von Stufenverträgen für den Abruf einer weiteren Leistungsstufe gelten.
Die Konsequenzen hinsichtlich des Anwendungsbereiches der HOAI werden unmittelbar bei der Vergabe von Planungsleistungen im Anwendungsbereich der HOAI seit dem 4. Juli 2019 ersichtlich. Dementsprechend ist ein Ausschluss von Angeboten nicht mehr mit der Argumentation der Über- oder Unterschreitung der entsprechenden Gebührensätze der HOAI möglich.
Das Verbot, die EU-rechtswidrigen Vorschriften der HOAI bei der Vergabe von Architekten- und Ingenieurleistungen als Zuschlagskriterium anzuwenden, ist für öffentliche Auftraggeber unmittelbar zu beachten (vgl. VK Bund, Beschluss vom 30. August 2019 – VK 2-60/19).
Reaktion der Gerichte in laufenden Verfahren?
Die größte Verunsicherung hat das EuGH-Urteil im Zusammenhang mit laufenden gerichtlichen Verfahren bedingt. Die bisherige Rechtslage war einfach, da die HOAI als zwingendes Preisrecht verstanden wurde. Bei einem Verstoß gegen die Bestimmungen der preisrechtlichen Vorgaben der HOAI, beispielsweise bei der Vereinbarung eines Planungshonorars unterhalb der Mindestsätze der HOAI, konnte der Fachplaner – auch noch zu einem späteren Zeitpunkt – das Honorar auf Grundlage der Mindestsätze der HOAI mit Erfolg begehren (vgl. z. B. OLG München, Beschluss vom 22. August 2017 – 27 U 134/17 Bau).
Nach dem EuGH-Urteil haben sich allerdings in der Rechtsprechung sowie in der einschlägigen Fachliteratur zwei gegensätzliche Standpunkte zu der Frage entwickelt, ob die Entscheidung des EuGH im Vertragsverletzungsverfahren auch für deutsche Zivilgerichte verbindlich ist und inwiefern die Regelung des § 7 HOAI 2013 noch angewandt werden darf.
Contra EuGH-Entscheidung
Die neueren Entscheidungen des Oberlandesgerichts Hamm (Urteil vom 23. Juli 2019 – 21 U 24/18) und des Kammergerichts (Beschluss vom 19. August 2019 – 21 U 20/19) führen zu einer Anwendung des Mindestpreisgebots der HOAI nach Maßgabe der §§ 7 Abs. 3 und 5 HOAI 2013. Die Vertreter dieser Rechtsmeinung begründen dies damit, dass das Urteil des EuGH nur den Mitgliedstaat bindet, da lediglich derselbe Adressat des entsprechenden Urteils ist. Der betroffene Staat hat alsdann nach eigenem Ermessen die geeigneten Maßnahmen zu ergrei-fen, um die unionsrechtswidrige Situation zu beenden. Dementsprechend entfalte das Feststellungsurteil des EuGH für den einzelnen Bürger keine unmittelbare rechtliche Wirkung. Auch führe die Feststellung der Europarechtswidrigkeit der Mindestsätze der HOAI im Vertragsverletzungsverfahren nicht dazu, dass zum Zeitpunkt des Verstoßes die HOAI zu beachten war. Eine Rückwirkung existiere in diesem Zusammenhang nicht.
Pro EuGH-Entscheidung
Die Vertreter des gegenteiligen Rechtsstandpunktes, beispielsweise das Oberlandesgericht Celle (Urteil vom 17. Juli 2019 – 14 U 188/18) und Oberlandesgericht Düsseldorf (Urteil vom 17. September 2019 – 23 U 155/18) und nunmehr auch OLG Düsseldorf (Urteil vom 28. Januar 2020 – I-21 U 21/19) besteht eine rechtliche Verpflichtung staatlicher Gerichte, nach Feststellung der Europarechtswidrigkeiten bestimmter Normen der HOAI, diese nicht mehr anzuwenden. Die Verpflichtung des Staates zur sofortigen Beendigung des Vertragsverstoßes führe dazu, dass sämtliche staatlichen Behörden und Organe hierauf hinwirken müssen. Demnach habe die Entscheidung des EuGH zur Konsequenz, dass Honorarvereinbarungen nicht deshalb unwirksam sind, weil sie die Mindestsätze der HOAI unterschreiten oder deren Höchstsätze überschreiten. Dementsprechend kann bei einer Unterschreitung der HOAI-Mindestsätze keine Nachforderung im Rahmen der Schlussrechnung auf Basis der Mindestsätze rechtlich zulässig gefordert werden.
Höchstrichterliche Entscheidung/Rechtssicherheit
Derzeit ist eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm im Rahmen eines Revisionsverfahrens bei dem Bundesgerichtshof eingelegt (Az. VII ZR 174/19). Diese Entscheidung wird dann aller Voraussicht nach zur Rechtssicherheit beitragen, unabhängig davon, ob und ggf. mit welchen Einschränkungen der einen oder anderen Rechtsmeinung zu folgen sein wird. Verhandlungstermin ist für den 14. Mai 2020 angesetzt.
Nachgefragt
IKZ-FACHPLANER: Das EuGH-Urteil zur HOAI vom 4. Juli 2019 wird derzeit hierzulande von Gerichten verschieden gewertet bzw. unterschiedlich zur Rechtsprechung angewendet. Kann eine regelwerkskonforme Vertragsgestaltung in Bezug auf ein Mindesthonorar noch sicher erzielt werden?
Helene-Monika Filiz: Das war und ist auch nach dem EuGH-Urteil jederzeit möglich. Betroffen sind in zivilrechtlicher Sicht in Bezug auf das Honorar von Fachplanern lediglich die Fallkonstellationen, in denen die Beteiligten ursprünglich eine Vereinbarung getroffen haben, die den Mindestsatz unterschreitet.
Wenn dann – sozusagen im Nachhinein – sich der Planer/Architekt im Rahmen von zivilrechtlichen Auseinandersetzungen auf eine Unterschreitung des Mindestsatzes beruft, also sich sozusagen mit seinem eigenen Verhalten in Widerspruch stellt, und der Auffassung ist, ihm stehe trotz einer anderweitigen – geringeren Vereinbarung – ein höheres Honorar zu, stellt sich die genannte Problematik. Auch das Gegenteilige kann der Fall sein, wenn beispielsweise der Auftraggeber – trotz entgegenstehender anderweitiger Vereinbarung – im Nachhinein meint, er habe zu viel gezahlt.
Mit anderen Worten, die Rechtslage ist differenziert zu beurteilen:
- Diejenigen, die schon immer den Mindestsatz der HOAI beachtet haben, werden keine zivilrechtlichen Probleme haben.
- Für anhängige Prozesse gilt derzeit, dass die Rechtsprechung uneinheitlich ist. Es ist allerdings zu erwarten, dass das nicht vertragskonforme Verhalten der Parteien nunmehr auch durch die deutschen Gerichte sanktioniert wird. Konsequenz ist, dass ein höheres Honorar als vereinbart – auch unter Zugrundelegung der HOAI – nicht gefordert werden kann.
IKZ-FACHPLANER: Gibt es noch Ausnahmen zur verpflichtenden Einhaltung eines Mindest-Honorarsatzes?
Helene-Monika Filiz: Die HOAI ist durch das EuGH-Urteil nicht aufgehoben worden und gilt – derzeit – weiter. Der Gesetzgeber, also die Bundesrepublik Deutschland, ist aufgefordert worden, eine vertragskonforme Regelung zu treffen. Es ist daher abzuwarten, in welcher Art und Weise der deutsche Gesetzgeber eine Neuregelung der HOAI vornimmt. Dies ist derzeit noch völlig ergebnisoffen. Das bedeutet somit, dass auch die bestehenden Ausnahmen der HOAI nach Maßgabe des § 7 Abs. 3 HOAI möglich sind.
IKZ-FACHPLANER: Welche Empfehlungen können Sie Architekten und Fachplanern zur Auftragsgestaltung geben?
Helene-Monika Filiz: Grundsätzlich sollten folgende Maßnahmen beachtet werden:
- Konkrete schriftliche Vereinbarungen bezüglich Leistung, Gegenleistung und Zeitraum der Leistungserbringung treffen.
- Kein Verstoß gegen zwingende Vorschriften (z. B. Unterschreitung von Mindestgebühren).
- Vorherigen Rechtsrat erfahrener und spezialisierter Anwälte einholen. So lassen sich i. d. R. spätere gerichtliche Auseinandersetzungen vermeiden und letztlich hohe Kosten ersparen.