Häusliche Abwässer sicher ableiten
Neuer Entwurf der DIN 1986-100 „Entwässerungsanlagen für Gebäude und Grundstücke“ erschienen - Fachwelt zur Stellungnahme aufgerufen
Die DIN 1986-100 hat sich fast ein Jahrhundert lang als Norm für die sichere und hygienische Ableitung von Ab- und Regenwasser in Gebäuden und auf Grundstücken bewährt. Sie gilt in Verbindung mit den europäischen Normen DIN EN 12056 und DIN EN 752. Im Mai dieses Jahres wurde nun ein neuer Entwurf der DIN 1986-100 (Ausgabe 6-2025) veröffentlicht. Die Änderungen sollen im nachfolgenden Text unter Nennung der betreffenden Kapitel dargestellt werden.
Bodenabläufe mit reduzierter Sperrwasserhöhe (Kapitel 5.7.2.3)
Geruchsverschlüsse werden überall dort eingesetzt, wo im Gebäude gegen Gerüche verschlossen werden muss. Die hierfür notwendige Sperrwasserhöhe im Geruchverschluss muss für Schmutzwasserabläufe mindestens 50 mm und für Regenwasserabläufe mindestens 100 mm betragen.1)
Abweichend davon können,
- Bodenabläufe mit Geruchverschluss mit einer Sperrwasserhöhe von weniger als 50 mm
- Bodenabläufe mit mechanischem Geruchsverschluss
- Bodenabläufe mit Geruchverschluss mit einer Kombination aus mechanischem Geruchverschluss und Sperrwasser
entsprechend DIN EN 1253-6, DIN EN 1253-7, DIN EN 1253-8 und den darin angegebenen Einbaubedingungen eingesetzt werden.2)
Weniger Sperrwasser bedeutet, dass Kanalgase schneller durch verdunstetes Wasser ins Gebäude eindringen können. Zudem verringert sich dadurch der Widerstand gegen im Leitungssystem entstehenden Unterdruck.
Nach DIN EN 1253-63) dürfen Bodenabläufe mit reduzierter Sperrwasserhöhe nur für häusliches Abwasser innerhalb von Gebäuden eingesetzt werden. Dabei ist ein Einbau nur unter den folgenden drei Bedingungen erlaubt:
- Aus Platzgründen kann kein Bodenablauf mit einer Sperrwasserhöhe von 50 mm untergebracht werden
- Das Gebäude weist neben dem Erdgeschoss nicht mehr als drei Stockwerke auf
Mindestens zwei häusliche Entwässerungsgegenstände sind zusätzlich zum Bodenablauf installiert, wobei jedoch nur ein WC am gleichen Abzweig vor handen ist (Verbindungsrohr), oder es ist eine sekundäre Belüftung bzw. Abzweigbelüftung installiert (siehe EN 12056-2:2000, 4.3.2 oder 4.3.4)4)
Notentwässerung (Kapitel 5.9)
Mit dem neuen Entwurf der DIN 1986-100 besteht die Möglichkeit, dass bei einer Grenzbebauung die Notentwässerung auf öffentliche Flächen oder Nachbargrundstücke abgleitet werden kann. Bedingungen hierfür sind, dass sich keine Gefahren ergeben können und die zuständige Behörde bzw. der Eigentümer zugestimmt hat. Eine Bebauung der Nachbargrundstücke ist in diesem Bereich dann nicht mehr zulässig.5)
Fallleitungsverziehungen (Kapitel 6.2.2)
Mit dem aktuellen Entwurf der DIN 1986-100 wurde das Kapitel „Schmutzwasserfallleitungen“ grundlegend überarbeitet und Festlegungen zu Fallleitungsverziehungen wurden ergänzt. Danach sind Schmutzwasserfallleitungen ohne Nennweitenänderung möglichst geradlinig durch die Geschosse bis über Dach zu führen.
Problemstellung: Durch die Veränderung (bogenförmiger Abzweig/Gefälle der liegenden Leitung im Verzug mit J ≤ 1 cm/m) kann es bei einer nennweitengleichen Ausführung einer Fallleitungsverziehung zu einer Überlastung bis hin zum Zuschlagen des Querschnitts der liegenden Leitung im Verzug kommen (Bild 1).
Zur Vermeidung von daraus resultierenden (unzulässigen) Druckschwankungen in der Fallleitung, müssen Fallleitungsverzüge nach „Prandtl-Cole brook“ bemessen werden (Kap. 14.1.5). Bei geringer Belastung der Fallleitung stellt sich in der Verziehung ggfs. noch die gleiche Nennweite ein. Wird der Abfluss größer, wird die Nennweite in der Umlenkung größer bemessen als die zuführende Fallleitungsnennweite. In diesem Fall kann der benötigte Luftvolumenstrom für die aufgeweiteten Rohrstrecken nicht von der zuführenden kleiner dimensionierten Fallleitung erbracht werden!
Soll dies vermieden werden, muss - bei vorgegebenem Füllungsgrad h/di = 0,5 - das Gefälle der liegenden Leitung im Verzug solange vergrößert werden, bis der Abfluss aus der Fallleitung von der liegenden Leitung aufgenommen werden kann.
Eine Lösung ist Aufweitung der Fallleitung vor und nach dem Verzug6). Ab einer Fallleitungslänge › 10 m und einem Fallleitungsverzug ≥ 2 m sind die Fallleitungsverziehungen entsprechend den nachfolgenden zwei Optionen zu konstruieren / zu bemessen:
a) Einbau einer Umgehungsleitung über die gesamte Fallleitungsverziehung nach Bild 13 (E DIN 1986-100) mit Berücksichtigung der anschlussfreien Zonen und unter Beibehaltung der Bemessungsregeln für Fallleitungen nach 14.1.4 Tabelle 8.
b) Anschlüsse in der Fallleitungsverziehung unter Beachtung der anschlussfreien Zonen nach Bild 11 (E DIN 1986- 100) und Bemessung der horizontalen Fallleitungsverziehung nach den Bemessungsregeln für Sammelleitungen nach 14.1.5. Wenn die Bemessung der Fallleitungsverziehung nach 14.1.5 eine größere Nennweite als die Bemessung nach 14.1.4 ergibt, so ist die gesamte Fallleitung einschließlich der Lüft ungsleitung in der größeren Nennweite auszuführen. Bei höheren Belastungen können Fallleitungen dadurch eine DN größer werden.
Auslauf auf andere Dachflächen (Kapitel 6.3.3)
Die Ableitung von Niederschlagswasser auf tieferliegende Dachflächen ist zu 6) E DIN 1986-100: 2025-06 – Kapitel 6.2.2.3 & 6.2.2.4 vermeiden. In Ausnahmefällen kann das Niederschlagswasser über freie Ausläufe auf niedrigere Dachflächen abgleitet werden. Zu nennen sind hier z. B. Dachflächen von Aufzugsüberfahrten, Technikzentralen, Gaupen, Krüppelwalmen und Retentionsanforderungen der unteren Dachfläche.
Rückstauebene (Kapitel 13.2)
Im aktuellen Entwurf wird die Rückstauebene konkreter definiert, um so eine korrekte Anwendung u.a. auch für Hang- und Gefällelagen zu gewährleisten. Als Rückstauebene gilt die höchste Ebene, bis zu der Abwasser in einer Entwässerungsanlage steigen kann. Sie entspricht der Höhe des Entspannungspunktes der öffentlichen Abwasseranlage zuzüglich der Höhe des dort wirksamem Überstaus: „Rückstauebene = Höhe Entspannungspunkt + Überstauhöhe.“
In Bild 3 sind die kennzeichnenden Größen für den Rückstaufall dargestellt. Der Entspannungspunkt ist die Stelle, an dem das Abwasser aus dem öffentlichen Kanalsystem austritt (entgegen der Fließrichtung betrachtet, nächst gelegener Schacht oder Straßenablauf im öffentlichen Raum). Die Überstauhöhe ist die Höhe, die das öffentliche Kanalnetz bei Überlastung maximal anstaut.7)
Rückstauschleife (Kapitel 13.4.1.2)
Bei Vollfüllung der Sammelleitung im Überlastfall besteht die Gefahr von Überflutung im Gebäude durch den Saughebereffekt. Um dieses zu verhindern werden im neuen Kapitel 13.4.1.2 konstruktive Anforderungen an die Druckleitung einer Abwasserhebeanlage definiert. Die folgenden Punkte sind ergänzend zu DIN EN 12056-4 zu beachten:
- Ausführung der Sohle der Druckleitung mindestens 0,1 m über der Rückstauebene (Bild 4)
- Aufweitung der Rückstauschleife und Überleitung in eine Freispiegelentwässerung (Bild 5)
Durch eine Aufweitung nach der in Fließrichtung ersten Umlenkung oberhalb der Rückstaubene soll eine Vollfüllung der nachgeschalten Rohrleitung verhindert werden. Der Entwurf beschreibt verschiedene Varianten für die Aufweitung einer Rückstauschleife. Diese sind in Bild 5 dargestellt.
Regenwasseranlagen (Kapitel 14.2)
Das Kapitel „Regenwasseranlagen“ wurde grundlegend überarbeitet. Dieses enthält nun Regelungen für Grundstücke größer 200 ha und überarbeitete Festlegungen zum Berechnungsregen und Abflussbeiwerten. So sind bei Grundstücken mit einer Fläche von mehr als 200 ha die Bemessung des Leitungsnetzes und der Nachweis der Überflutung nach dem DWA-Arbeitsblatt A 118 durchzuführen. Das Arbeitsblatt ist im Januar 2024 neu erschienen und ersetzt das DWA-Arbeitsblatt A 118 vom März 2006.8)
Berechnungsregen (Kapitel 14.2.2)
Der Entwurf der DIN 1986-100 verweist auf den aktuellen Wetterdatensatz KOSTRA-DWD des Deutschen Wetterdienstes mit aktuelleren und hochauflösenden Werten für die Niederschlagsmengen in Deutschland. Der Datensatz ist ab 1. 1. 2023 gültig und ersetzt den Datensatz KOSTRA-DWD-2010R, der bisher zur Ermittlung der Berechnungsregenspenden Anwendung fand. Den Erhalt und die Anwendung des neuen Wetterdatensatzes sind im Anhang A beschrieben. Die KOSTRA-Daten können für jeden Ortspunkt entnommen werden. Die bisherige Tabelle A.1 (Regenspenden in Deutschland) entfällt damit.
Retentionsentwässerung (Kapitel 14.4)
Die Nationale Wasserstrategie des Bundes forciert das Ziel von wassersensiblen Städten, die Veränderungen des natürlichen Wasserhaushalts durch Siedlungsaktivitäten in mengenmäßiger und stofflicher Hinsicht gering halten.9) In diesem Kontext soll der Regenwasserabfluss reduziert werden, in dem Niederschlagswasser zurückgehalten und gespeichert wird. Durch die erhöhte Verdunstungsleistung wird das Wasser dem natürlichen Kreislauf zugeführt und die Flächen gekühlt (Verdunstungskühlung). Für die Umsetzung eignen sich insbesondere Retentionsdächer. Mit dem Entwurf der DIN 1986-100 wurde ein Berechnungsverfahren für die Retentionsentwässerung eingeführt.
In Bild 6 ist eine Prinzipskizze eines Retentionsdaches dargestellt.
Überflutungs- und Überlastungsnachweise (Kapitel 14.10)
Die Überarbeitung der DIN 1986-100 erforderte eine Ergänzung im Rahmen des Überflutungsnachweises. „Mit dem Überflutungsnachweis werden die Auswirkungen definierter Starkregenereignisse auf die Grundstücksentwässerung betrachtet. Hierbei wird die Differenz zwischen der bei Starkregen der Grundstücksentwässerung zufließenden und der abfließenden Wassermenge berechnet. Das so ermittelte Volumen ist grundsätzlich oberirdisch auf dem Grundstück zurückzuhalten.“10)
Werden mehrere Grundstücke über einen gemeinsamen Anschlusskanal entwässert, so ist bei einer abflusswirksamen Gesamtflä-10) E DIN 1986-100: 2025-06 – Kapitel 14.10.3 che der Grundstücke von › 800 m2 für jedes Grundstück separat ein Überflutungs- und Überlastungsnachweis zu führen.11)
Mit dem Entwurf der DIN 1986-100 wird ein überarbeitetes Berechnungsverfahren für die Ermittlung des Überflutungsvolumens eingeführt.12) Die Tabelle A.2 der DIN 1986-100 entfällt.
Informativer Anhang
Der informative Anhang wurde um die Themen Dichtheitsprüfung von Schmutz- und Regenwasserleitungen (Anhang D), Verwendbarkeit von Bauprodukten (Anhang E) und die zeichnerische Darstellung nach Abschnitt 4 (Anhang F) ergänzt.
Einspruchsfrist
Die Fachwelt ist eingeladen sich mit konstruktiver Kritik an der neuen DIN 1986-100 zu beteiligen. Die Einspruchsfrist endet am 2. Juli 2025.
Autoren: Prof. Dr.-Ing. Carsten Bäcker, Lehr- und Forschungsgebiet: Sanitärtechnik, FH Münster – Fachbereich Energie · Gebäude · Umwelt
Stefan Cloppenburg M.Eng., Wissenschaftlicher Mitarbeiter / Projektingenieur, FH Münster – Fachbereich Energie · Gebäude · Umwelt
Erik Heldt, DIN Deutsches Institut für Normung e. V., DIN-Normenausschuss Wasserwesen (NAW), Senior Projektmanager & Projektkoordinator NAW
1) E DIN 1986-100: 2025-06 – Kapitel 5.7.1
2) E DIN 1986-100: 2025-06 – Kapitel 5.7.2.3
3) DIN EN 1253-6: 2023-06 „Bodenabläufe mit Geruchsverschluss mit einer Sperrwasserhöhe von weniger als 50 mm“
4) E DIN 1986-100: 2025-06 – Kapitel 5.7.2.3
5) E DIN 1986-100: 2025-06 – Kapitel 5.9
6) E DIN 1986-100: 2025-06 – Kapitel 6.2.2.3 & 6.2.2.4
7) E DIN 1986-100: 2025-06 – Kapitel 13.2
8) E DIN 1986-100: 2025-06 – Kapitel 14.2.1
9) Nationale Wasserstrategie (2023). Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz
10) E DIN 1986-100: 2025-06 – Kapitel 14.10.3
11) E DIN 1986-100: 2025-06 – Kapitel 14.10.1
12) E DIN 1986-100: 2025-06 – Kapitel 14.10.4