Gasnetzbetreiber drücken bei der L-/H-Gas-Umstellung aufs Tempo
Marktraumumstellung: Versorger sind bei der Umrüstung auf Fachhandwerker angewiesen
Seit Mai 2015 ist in Nord- und Westdeutschland eines der größten Infrastrukturprojekte der deutschen Erdgasversorgung im Gange: die Umstellung von L- auf H-Gas. Die Umrüstung der Brenner, Kessel, BHKW, Backöfen und anderer Wärmeerzeuger hat jetzt auch das Rheinland erfasst. Von Düsseldorf über Köln bis Koblenz laufen in bestimmten Netzbezirken die Vorarbeiten. Für das Handwerk könnte das Mitmachen attraktiver werden.
Die Fördermengen von L-Gas („Low calorific gas“) aus deutschen und niederländischen Quellen sinken – das Gas fließt vorwiegend noch nach Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt sowie nach Bremen. Der größte Teil Deutschlands wird bereits seit Jahrzehnten mit H-Gas („High calorific gas“) aus Norwegen, Russland und Großbritannien versorgt. Die sogenannte Marktraumumstellung betrifft etwa 30 % aller in Deutschland mit Erdgas betriebenen Endgeräte. Einen aktuellen Zeitplan, wann welche Region und Gemeinde berücksichtigt wird, kann im Internet (www.fnb-gas.de) eingesehen werden.
Umstellung durch geschulte Fachkräfte
Wer wickelt die Umstellung ab? Die Verantwortung liegt bei den örtlichen Netzbetreibern. Durchgeführt wird sie von Dienstleistern aus der Mess- und Regeltechnik. Hochkonjunktur soll die Umrüstung zwischen 2022 bis 2025 haben, wenn pro Jahr bis zu 600 000 Wärmeerzeuger überholt werden sollen. 1000 speziell geschulte Fachkräfte sollen laut dem Deutschen Verein des Gas- und Wasserfaches (DVGW) und der Bundesnetzagentur Komponenten an Brennwertthermen, Kesseln, BHKWs und (gewerblichen) Backöfen überprüfen und wechseln. Ob die Personalkalkulation erreicht werden kann, ist zum jetzigen Zeitpunkt offen, denn es fehlen noch mindestens 500 Monteure. Das SHK-Handwerk hält sich mit Zusagen zurück. Der Grund: Ein Betrieb müsste Mitarbeiter für die Marktraumumstellung abstellen, um dann mit von der Bundesnetzagentur vorgegebenen Materialpreisen zu kalkulieren. Angesichts der guten Auftragslage sehen Handwerksfirmen dazu keine Notwendigkeit. Netzbetreiber und Versorger sind aber auf Fachkräfte angewiesen und werben umso mehr für die zu vergebenden Arbeiten.
Bestandsaufnahme notwendig
Für die Anpassung der Gasgeräte ist deren Bestandsaufnahme in den jeweiligen Umstellbezirken notwendig. Sie wird zumeist ein Jahr vor dem Umstellzeitpunkt durchgeführt. Dabei erfolgt eine Funktionsüberprüfung inklusive Abgasmessung für jedes Gasgerät, um etwaige Mängel im Vorfeld der Gasgeräteanpassung zu erfassen. Das Ergebnis der Bestandsaufnahme – Typ und Anzahl – wird den Herstellern mitgeteilt. Die Industrie muss z. B. wissen, wie viele Düsen oder sonstiges Zubehör für welche Geräte produziert und vorrätig sein müssen. Als die Gasumstellung zum Thema wurde, verpflichtete sich die Industrie auf Intervention der Bundesnetzagentur dazu, die für die Umstellung benötigten Komponenten 30 Jahre lang nachzuliefern.Was noch fehlt, ist ein professionelles Reklamationsmanagement, auf das sich die Betriebe stützen können. Denn sollte z. B. bei einem 26 Jahre alten Durchlauferhitzer das H-Gas-Düsenrohr installiert sein, kurze Zeit später aber der betagte Wärmeübertrager durchbrennen, könnte der Betreiber glauben, das liege am Düsenrohrwechsel. Muss es erfahrungsgemäß aber nicht. Herbert Kuschel, bei Vaillant mit der Umrüstung betraut, sagt: „Sollten Hersteller schon seit Jahren nicht mehr existieren, dann müssen die Geräte einfach raus. Wir finden es nicht gut, dass einige Netzbetreiber, die sich mit dem Endkunden nicht anlegen wollen, für Uraltgeräte von nicht mehr auf dem Markt aktiven, aber auch von nach wie vor aktiven Firmen, Umbausätze von Drittherstellern verwenden. Das ist nicht zulässig. Denn damit erlischt die Bauartzulassung.“ Das habe für etablierte Anbieter, „deren 35-jährige Antiquität mit einer Improvisation pseudo-fit gemacht wird, ernsthafte Konsequenzen“. Die Unternehmen seien zwar schon lange aus der Gewährleistung, ihnen obliege aber eine Produktbeobachtungspflicht.
Verweis auf das Honda-Urteil
Was unter der Produktbeobachtungspflicht zu verstehen ist, erläutert Herbert Kuschel: „Wenn wir wissen, dass ein Gerät von uns – gleichgültig, wie alt es ist – verändert wird und damit nicht mehr der Bauartzulassung entspricht, sind wir aufgefordert, das der Bundesnetzagentur zu melden. Der DVGW ist da anderer Meinung als wir und der BDH. Den Punkt müssen wir deshalb noch mit dem DVGW klären. Unsere Juristen halten das aber für nicht zulässig und verweisen auf das Honda-Urteil.“Zum Hintergrund: Vor Jahren hatte Honda nicht vor einem Austausch der Lenkerverkleidung eines ihrer Motorräder gegen ein serielles Fremdprodukt gewarnt, das sich für hohe Geschwindigkeiten nicht eignete. Ein Fahrer stürzte und kam ums Leben. Der Gutachter führte den Unfall auf den Umbau zurück. Daraufhin verklagten die Angehörigen den Importeur und Honda. Die Japaner verloren in letzter Instanz vor dem Bundesgerichtshof (BGH Az.: VI ZR 65/86) nur deshalb nicht den Prozess, weil zum Zeitpunkt der Auslieferung des Motorrads das Fremdprodukt noch gar nicht auf dem Markt war, folglich keine Warnung hätte ausgesprochen werden können. Der Bundesgerichtshof hält in seiner Begründung zum Urteil aber ausdrücklich fest: Die Pflicht zur Produktbeobachtung „besteht für Anbieter, um rechtzeitig Gefahren, die aus der Kombinierung ihres Produkts mit Produkten anderer Hersteller entstehen können, aufzudecken und ihnen entgegen zu steuern. Der pharmazeutische Unternehmer, der Arzneimittel in den Verkehr bringt, ist sogar gesetzlich verpflichtet, in der Packungsbeilage … auf Wechselwirkungen mit anderen Mitteln hinzuweisen.“ Hersteller anderer Produkte könnten vor diesem Hintergrund genauso wenig von der Produktbeobachtung freigestellt werden. „Das gilt auch für Kraftfahrzeughersteller“, so der BGH. Und damit gilt es auch für Hersteller von Wärmeerzeugern, ist sich die Heizungsindustrie sicher.
Zertifizierungs-Möglichkeiten
Zur Bestandsaufnahme: Die Marktraumumstellung unterteilt sich in drei Aufgabenbereiche – Erfassung des umzurüstenden Bestands, Umstellung sowie stichprobenartige Qualitätssicherung. Der DVGW bietet dazu Kurse an und zertifiziert Teilnehmer entsprechend. Die DVGW-Arbeitsblätter G 676-B1 und G 680 erläutern die formalen, personellen und sachlichen Anforderungen an die Fachunternehmen. Darüber hinaus auch an die Planungsbüros, die Ingenieurdienstleistungen erbringen, wie z. B. Ablauforganisation, Netzgebietseinteilung und Projektmanagement. Die Abrechnung – Pauschale oder nach Aufwand – hängt vom Vertrag mit dem Auftraggeber (Netzgesellschaft) ab. Die Zertifizierung berechtigt zur Teilnahme an der je nach Umfang des Netzes auch europaweiten Ausschreibung der Netzgesellschaften. Ein Branchenbündnis – „Effizienzinitiative Erdgasumstellung“, gegründet von der Arbeitsgemeinschaft Erdgasumstellung (ARGE EGU) und der Brancheninitiative Zukunft – begleitet die H-Gas-Umrüstung. Es setzt sich unter Einbeziehung aller Marktteilnehmer dafür ein, die H-Gas-Belieferung mit einer Heizungsmodernisierung zu verknüpfen. „Für die Erreichung dieses Ziels sind alle Marktteilnehmer gefragt“, sagt John Werner, Leiter der Abteilung Unternehmensentwicklung & Strategie bei „Zukunft Erdgas“. Er ergänzt: „Wir benötigen eine abgestimmte Kommunikation mit einheitlichen Botschaften aller Akteure: Fernleitungs- und Verteilnetzbetreiber, Vorversorger, die Vertriebe der Stadtwerke und Regionalversorger sowie die Marktpartner aus der Heizgeräteindustrie und dem SHK-Fachhandwerk.“
Gesetzliche Vorgaben
Die Netzbetreiber müssen die Verbraucher nach Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) auf die H-Gas-Lieferung „in zwei Jahren“ – so die gesetzliche Vorgabe – aufmerksam machen. Sie verwalten folglich die Adressen, stehen zuerst in Kontakt mit L-Gas-Beziehern und können in ihren Anschreiben den Blick des Kunden auf die Konditionen der Gasversorgungsunternehmen lenken. Dagegen gestattet das EnGW der Netzgesellschaft Düsseldorf mbH z. B. nicht, für einen Vertrag mit dem verschwisterten Gaslieferanten Stadtwerke Düsseldorf GmbH zu werben und den L-Gas-Bezieher zu animieren, den Abschluss mit seinem jetzigen Versorger zu kündigen. Der Netzbetreiber als regionaler Monopolist muss demnach neutral bleiben, in seine Fernleitungsrohre jeden Gasvertreiber lassen und sich ausschließlich auf den Erdgastransport konzentrieren. Handel und Transport dürfen nicht in derselben Hand liegen (EU-Entflechtung).Der allgemeine Hinweis der Netzgesellschaft auf die Angebote der Mitglieder der „Effizienzinitiative Erdgasumstellung“ wahrt dagegen die Neutralität. Die Gastransporteure können über diesen Bypass eine Heizungsmodernisierung und somit lukrative Aufträge für das Handwerk generieren. Die Kampagne drückt Modernisierungswilligen Bares in die Hand: Die Heizungsgerätehersteller geben oftmals einen Bonus von 200 Euro. Den stockt der örtliche Gasversorger teils bis auf 400 oder 500 Euro bei einem Wechsel zu ihm als Lieferanten auf. Plus 100 Euro Prämie der Bundesnetzagentur, sofern es sich bei der Neuinstallation um ein adaptives Modell handelt, das die Erdgasqualität selbst erkennt, sodass kein Umrüster mehr zwecks Düsenwechsel ins Haus muss. Die Bezuschussung kann im Idealfall also bis zu 800 Euro betragen.
Kritik an Kollision
Was durchaus auf Kritik stößt: Das bundesweite Heizungsmodernisierungsprogramm „Raustauschwochen“ von „Zukunft Erdgas“ kollidiert mit der Maßnahme des Fachverbands SHK NRW mit dem Namen „Kesseltausch-NRW“. Beide Aktionen greifen auf die 200 Euro der Hersteller zu, bei beiden muss es eine neue Brennwerttherme sein, in NRW wickelt aber der Handwerker das komplette Geschäft ab. Da der Fachverband NRW die Idee hatte, ist der Zuschuss an die Installation durch einen Innungsfachbetrieb gebunden, was bei einem Organisationsgrad von 92 % aber keine Einschränkung bedeutet. Die Industrie ist von der Zweigleisigkeit wenig begeistert. Auf der einen Seite befürwortet sie den Vertrieb über den traditionellen Partner. Auf der anderen Seite argwöhnt sie, dass angesichts der guten Auftragslage ihre Absatzinteressen nur halbherzig durch die Betriebe wahrgenommen werden.Zum Erfolg beider Kampagnen lässt sich wenig sagen. Zwischen Rhein und Weser beteiligten sich am Kesseltausch 2018 – der genauso wie die „Raustauschwochen“ lediglich in den Monaten außerhalb der Heizsaison stattfindet – laut Auswertung des Fachverbands rund 15 % der Mitgliedsunternehmen, also etwas mehr als 1000 der mehr als 6000 Betriebe. Sie meldeten die Neuinstallation von knapp 4000 Wärmeerzeugern. Eine Aussage darüber, wie viele davon auf den zeitlich begrenzten Zuschuss zurückzuführen sind, lässt die Abfrage nicht zu.
Kein Mischgas
Abschließend noch wichtige Punkte im Überblick:
- Nach der Umrüstung kann es noch ein Jahr bis zur Belieferung mit H-Gas dauern. Während dieser Spanne sinkt die Geräteleistung um etwa 15 % (Unterschied spezifischer Wärmeinhalt L-Gas gegenüber H-Gas). Bei der Umstellung kommt es zu keinem Mischgas. Das H-Gas schiebt das L-Gas wie ein Pfropfen aus den Leitungen heraus.
- Die Heizkosten werden sich durch den Gaswechsel kaum verändern.
- Die Fachmonteure passen im Rahmen der Gasumstellung lediglich das Gasgerät an. Eine Wartung und andere Lohnarbeiten dürfen nicht angeboten werden. Die sind und bleiben Aufgabe der Betriebe.
- Für Unternehmen und Fahrer von Erdgasfahrzeugen besteht in der Regel kein Handlungsbedarf. Der Motor des Fahrzeugs passt sich automatisch an und reguliert das Verbrennungsverhältnis. Erdgasfahrer können weiterhin, wie gewohnt, an der Tankstelle Erdgas tanken. BHKW-Anlagen rüsten die Hersteller selbst um.
Autor: Bernd Genath, Journalist
Erdgas-Marktraumumstellung
- Was? Die Marktraumumstellung ist ein wesentlicher Baustein im Netzentwicklungsplan der Bundesnetzagentur und meint die schrittweise Umstellung des Erdgasnetzes von L- auf H-Gas.
- Warum? Die Fördermengen vonL-Gas aus deutschen und niederländischen Quellen sinken, wodurch die Umstellung auf H-Gas notwendig wird. Da L- und H-Gas eine unterschiedliche Energiedichte aufweisen, ist es notwendig, die Gasgeräte auf die entsprechende Gas-Art anzupassen.
- Wo? Die Umstellung betrifft alle Gebiete, in denen zurzeit L-Gas verbraucht wird, vorwiegend Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen.
- Wer? Die Verantwortung für die Umstellung liegt bei den örtlichen Netzbetreibern. Sie müssen alle Gasgeräte ihrer Privat- und Geschäftskunden rechtzeitig anpassen.
- Wann? Die Umstellungszeiten werden von den Fernnetzbetreibern im Netzentwicklungsplan festgelegt. Zwischen 2020 und 2030 sind bis zu 600 000 Geräte pro Jahr anzupassen – insgesamt etwa 7 Mio.
- Wie? Die Umstellung nehmen zertifizierte Fachunternehmen vor. Die Kosten tragen zunächst die Netzbetreiber, welche diese jährlich zu einem Stichtag weitergeben können (die sogenannte Kostenwälzung § 19a, Abs. 1 EnWG).