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Funktionsstörung im Schaltgetriebe

Rollensprünge sind nach Ausbau des Wasserzählers im Prüflabor nicht mit der gebotenen Zuverlässigkeit feststellbar, sagt ein Sachverständiger – ein Nachweis ist deshalb fast unmöglich

Georg Hofmann, hier bei der Begutachtung eines Zählers.

Defekte Bauteile des Rollenzählwerkes. Bei der Zahlenrolle und dem Schalttrieb links fehlen Mitnehmer. Zähler mit derartigen ­Fehlern bestehen die Befundprüfung nicht. Doch diese transparenten Fehler sind eher die Ausnahmen.

Regelmäßig dokumentiert Wolfgang Heinowski aus Brüggen die Verbrauchswerte in seinen Wohnungen. Der exorbitante Verbrauchssprung fiel deshalb sofort auf.

 

Die IKZ-Redaktion hat in den vergangenen Wochen zahlreiche Anfragen zu Rollensprüngen durch defekte Messeinsätze bei Wasserzählern bekommen. Über dieses Phänomen hatten wir erstmalig 2015 berichtet. Seit dem, so scheint es, mehren sich die Fälle unerklärlich hoher Verbrauchswerte. Fatal daran: Ergebnisse von Befundprüfungen zeigen oft keinerlei Beanstandungen und führen zur Behauptung, dass der Wasserzähler einwandfrei misst. Der Sachverständige Dipl.-Ing. Georg Hofmann aus Leipzig befasst sich seit vielen Jahren mit der Thematik. Wir sprachen mit ihm über die Ursachen der Funktionsstörung, die finanziellen Folgen für den Verbraucher und die schwierige Beweislage.

IKZ-HAUSTECHNIK: Von Rollensprüngen durch defekte Messeinsätze bei Wasserzählern weiß die Fachwelt seit einigen Jahren schon. Bislang wurden die Probleme als Einzelfälle abgetan. Sind es tatsächlich Einzelfälle?
Georg Hofmann: Einzelfälle haben immer das Merkmal eines außergewöhnlichen Vorganges, was hier nicht zutreffend ist. Inzwischen sind zunehmend Fälle von Rollensprüngen bekannt geworden, die zwar unterschiedliche Begleitumstände haben, aber immer die Vermutung technisch identischer Problematik aufweisen. Es gab auch schon zahlreiche Berichte in den verschiedensten Medien. Verglichen mit der Gesamtzahl der rund 13 Mio. installierten Hauswasserzähler gelten Rollensprünge als äußerst selten und werden vermutlich deswegen vielfach verharmlost. Allerdings muss festgehalten werden, dass Rollensprünge kleiner Dekaden-Rollen insbesondere bei großen Verbräuchen kaum auffallen. Die Dunkelziffer dürfte nach meiner Einschätzung deshalb höher liegen als die Gesamtzahl der bisher bekannten Fälle.

IKZ-HAUSTECHNIK: Was genau passiert eigentlich bei einem Rollensprung?
Georg Hofmann: Ein Rollensprung ist eine Funktionsstörung im Schaltgetriebe des Rollenzählwerkes. Dabei wird eine beliebige Zahlenrolle durch Reibungskräfte der Drehachse, die mit der ersten sich am schnellsten drehenden Zahlenrolle fest verbunden ist, unzulässigerweise mitgedreht, wenn ihre bestimmungsgemäße Blockierung gestört ist. Diese Blockierung kann z. B. durch Federwirkungen von eingeschlossenen Luftblasen bei Druckschwankungen im Wassernetz in Verbindung mit übermäßigem Axialspiel der Zahlenrollen extrem kurzzeitig aufgehoben werden. Das ist bei einer späteren Prüfung im Labor nur in wenigen Ausnahmefällen nachweisbar.

IKZ-HAUSTECHNIK:
Bei welcher Art von Zählern tritt die Problematik auf? Sind nur bestimmte Hersteller betroffen?
Georg Hofmann: Die Problematik ist bisher nur bei den sogenannten Nassläufern bekannt. Das sind Ein- oder Mehrstrahl-Flügelradzähler, bei denen das Zählwerk mit Wasser gefüllt ist und in dem auch Luftblasen eingeschlossen sein können. Das ist bei Neuinstallationen immer der Fall. Es sind mehr oder weniger alle Anbieter von Wasserzählern betroffen. Das liegt unter anderem daran, dass die für den Rollensprung ursächlichen Messeinsätze vielfach von den Herstellern zugekauft werden.

IKZ-HAUSTECHNIK:
Dem Bekunden nach sollen sich Rollensprünge bzw. ein Defekt der Messeinrichtung durch eine eichamtliche Befundprüfung nachweisen lassen. Wie ist Ihre Erfahrung?
Georg Hofmann: Die Befundprüfung besteht im Wesentlichen aus einer mess- und einer zähltechnischen Prüfung. Die messtechnische Prüfung wird nie bestritten. Die zähltechnische Prüfung ist beim vermuteten Rollensprung immer das Problem. Meine Erfahrungen haben gezeigt, dass Rollensprünge nach Ausbau des Wasserzählers im Prüflabor nicht mit der gebotenen Zuverlässigkeit feststellbar oder auszuschließen sind, weil meist keine entsprechenden Spuren vorhanden sind. Die Prüfung der inneren Beschaffenheit des Zählers ist eine rein visuelle Prüfung. Dabei können zwar Beschädigungen unter der Voraussetzung festgestellt werden, dass das Rollenzählwerk in seine Einzelteile zerlegt wird. Davor soll eine Funktionskontrolle durchgeführt werden. Diese erfolgt unter Laborbedingungen, d. h. trocken. Dabei sind Umgebungseinflüsse beim Messbetrieb im Prüflabor nicht reproduzierbar und Laborergebnisse sind daher nicht uneingeschränkt übertragbar bzw. aussagefähig. Ich empfehle deshalb den Betroffenen, dass vor Ort, vor dem Ausbau des Zählers, eine Plausibilitätsprüfung verlangt bzw. vorgenommen wird.

IKZ-HAUSTECHNIK: Das bedeutet also, selbst wenn sich ein über viele Jahre stabiler Wasserverbrauch plötzlich verzigfacht hat und ein Rohrbruch ausscheidet, ist das nach dem Selbstverständnis der Wasserversorger noch kein Indiz, dass mit dem Zähler etwas nicht stimmt?
Georg Hofmann: In der Tat. Fast alle Wasserversorger verlassen sich im Schadensfall ausschließlich auf die Befundprüfung und sind von der im Prüflabor festgestellten Funktionsfähigkeit des geeichten Zählers überzeugt. Dann heißt es: Der geeichte Wasserzähler hat richtig gemessen. Die Begleitumstände vor Ort finden keinerlei Berücksichtigung oder werden sogar bestritten.

IKZ-HAUSTECHNIK: Wie sieht das der Gesetzgeber oder anders gefragt: Wie entscheiden die Gerichte bei diesen zugegebenermaßen nicht einfachen Streitfällen?
Georg Hofmann: Es hat sich gezeigt, dass Richter in Rechtsstreitigkeiten von der Beweiskraft der Befundprüfung überzeugt sind oder von Anwälten der Wasserversorger davon überzeugt werden. Oft legen Wasserversorger ihren Gunsten entsprechende Gerichtsurteile vor und der Verbraucher ist fast immer chancenlos. Die Anhörung kompetenter Sachverständiger wäre in solchen Streitigkeiten eigentlich zwingend erforderlich. Mir sind aktuell zwei Streitfälle bekannt, wo die Amtsgerichte zugunsten des Verbrauchers entschieden haben. Die Wasserversorger sind aber sofort in Berufung gegangen, die Verfahren derzeit noch anhängig.

IKZ-HAUSTECHNIK:
Ist denn die Anhörung von Sachverständigen nicht üblich im Rahmen solch komplexer Streitfälle?
Georg Hofmann: In der Regel NEIN. Der Sachverständige müsste nämlich, wenn er erfolgreich arbeiten wollte, die als unangreifbar geltende Beweiskraft der Richtigkeit der Befundprüfung untergraben. Damit wäre zwangsläufig eine Beweislast­umkehr verbunden, was bisher vergeblich gefordert wurde, nach meiner Überzeugung auch zwingend erforderlich wäre, bisher aber noch nicht gelang. In 10 mir bekannten Gerichtsverfahren wurde bisher zweimal ein Sachverständiger angehört. In einem Fall erfolglos für den Verbraucher wegen vom WVU vorgetragener Sachverhalte Vor-Ort. Im anderen Fall wurde das Sachverständigen-Gutachten vom WVU vorab als unergiebig bezeichnet. Der aktuell vom Landgericht vorgeschlagene Vergleich wurde jedoch jetzt vom WVU akzeptiert, nachdem er in ers­ter Instanz noch abgelehnt worden war.

IKZ-HAUSTECHNIK:
Zur Verdeutlichung, welche Schadenssummen stehen hier im Raum?
Georg Hofmann: In den mir bekannten Fällen geht es fast immer um mehrere Tausend Euro. Am spektakulärsten ist wohl ein Fall, der sogar auf Bild-Online veröffentlicht und im ZDF gezeigt wurde. Die Geschichte ist schon einige Jahre her: Statt 230 m³ Wasser pro Jahr sollte eine Immobilienfirma fast das 60-Fache verbraucht haben: gut 15 000 m³. Zu der hohen Wasserrechnung von über 34 000 Euro kamen rund 40 000 Euro für die Kanalnutzung. Die Stadtwerke ließen den Wasserzähler ausbauen und prüfen. Ohne Befund. Nach dem Ausbau des umstrittenen Zählers wurde ein neuer Wasserzähler eingebaut. Der Verbrauch ging daraufhin wieder auf Normalmaß zurück. Den Prozess, ohne Anhörung eines Sachverständigen, hat der Wasserversorger gewonnen.

IKZ-HAUSTECHNIK: Sind Rollensprünge eine Frage der Qualität?
Georg Hofmann: Das ist eine schwierig zu beantwortende Frage. Ich will es mal vorsichtig formulieren: Die Qualität der Herstellung und die Sorgsamkeit bei der Kontrolle haben vermutlich einen großen Einfluss auf die gebotene Zuverlässigkeit. Es wurde beispielsweise bekannt, dass in einem Fall Wasserzähler der Größe Qn 2,5 zum Netto-Preis von 1,85 Euro (im Austausch) und 7,50 Euro (Neu), in den geschäftlichen Verkehr gelangten. Da stellt sich zwangsläufig die Frage, wie das möglich sein kann und ob vielleicht minderwertige Bauteile eingesetzt wurden.
Manchmal sind aber auch ganze Chargen betroffen. In den Jahren 2010 und 2011 wurden beispielsweise bei einem Hersteller von Messeinsätzen, die von mehreren Anbietern verwendet werden, Fabrikationsprobleme bekannt. Der Hersteller hat daraufhin angeblich alle Kunden informiert. In Arnsberg, dem Sitz Ihrer Redaktion, wurden nach Reklamationen von Verbrauchern daraufhin 350 Wasserzähler vorsorglich ausgetauscht. Ob aber tatsächlich bei allen Kunden ein solcher vorsorglicher Austausch vorgenommen wurde, das entzieht sich meiner Kenntnis.

IKZ-HAUSTECHNIK: Wie lautet Ihre Empfehlung zur Vermeidung dieser Problematik?
Georg Hofmann: Einen Einfluss auf die Funktionsfähigkeit der Zähler hat weder der Installateur, noch der Endkunde. Vorbeugen ist deshalb kaum möglich. Wenn aber ein Verbraucher unliebsame Überraschungen vermeiden möchte, dann sollte er mindestens einmal im Monat den Wasserzähler ablesen oder besser ein Foto vom Ziffernblatt machen. Damit ein Rollensprung im Fall der Fälle als Ursache für einen unrealistisch hohen Wasserverbrauch überhaupt in Betracht gezogen wird. Natürlich – und das darf an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben – gibt es immer auch andere mögliche Ursachen für einen exorbitanten Mehrverbrauch. An ers­ter Stelle zu nennen sind Undichtigkeiten und Rohrbrüche. Aber auch undichte Armaturen oder Schläuche, beispielsweise in leerstehenden Wohnungen oder Kellern, kommen in Betracht. Das lässt sich aber nachträglich feststellen oder ausschließen, wenn der Wille dazu vorhanden ist.

Bilder: Hofmann

Beweiskraft einer Befundprüfung – ein Fall aus der Praxis
Bei der Feststellung eines nicht erklärbaren hohen Trinkwasser-Mehrverbrauchs in einem Wohnobjekt lässt das betroffene Wasserversorgungsunternehmen (WVU) in der Regel den Wasserzähler ausbauen und einer Befundprüfung zuführen. Die Gegebenheiten vor Ort werden nicht erfasst. In fast allen Fällen besteht der Wasserzähler diese Prüfung und im Prüfschein wird dem Messgerät ein einwandfreier Zustand bescheinigt. Das WVU bewertet eine bestandene Befundprüfung als einen unumstößlichen Beweis dafür, dass der angezeigte Wasserverbrauch als Liefermenge dem Verbraucher in Rechnung zu stellen ist, auch wenn alle örtlichen Gegebenheiten nach menschlichem Ermessen dagegen sprechen. So erging es aktuell auch dem Einfamilienhausbesitzer Wolfgang Heinowski aus Brüggen.
Im September 2017 meldete er einen am 30. Juni 2017 festgestellten nicht erklärbaren Trinkwasser-Mehrverbrauch von 1000 m³ in 26 Tagen. Die genaue Angabe von 26 Tagen ist damit zu erklären, dass er seit 23 Jahren an jedem Monatsletzten die Zählerstände von Strom- und Wasserzähler abliest und in seinem PC abspeichert. Die von ihm für das gesamte Jahr 2017 nachträglich mitgeteilten Verbrauchswerte sind sorgsam protokolliert. Der hundertfache Wert im Juni 2017 gegenüber den bisherigen monatlichen Durchschnittswerten ist technisch erst einmal nicht zu erklären.
Doch der Fall geht noch weiter. Wie Heinowski berichtet, seien im Mai 2017 Arbeiten an der Hausanschlussleitung vorgenommen worden. Dabei sei ein Teilstück erneuert worden. Beim Verfüllen der Baugrube traten heftige Erschütterungen auf und beim Ablesen des Zählerstandes Ende Juni hätten die Zahlenrollen gezittert. Für den Sachverständigen Georg Hofmann weist das auf Luftblasen im Zählwerk hin. Seine These ist, dass bei den Arbeiten an der Hausanschlussleitung in die Installation eingedrungene Luft in Verbindung mit anschließenden Erschütterungen zum mutmaßlichen temporären Versagen des Wasserzählers führten.
Der auf Veranlassung des WVU ausgestellte Prüfschein einer staatlich anerkannten Prüfstelle beschei­nigt dem Wasserzähler einen einwandfreien technischen Zustand. Ein Rollensprung im Zählwerk, so heißt es in dem Schreiben vom WVU, wird ausgeschlossen.
Herr Heinowski wurde aufgefordert einzugestehen, dass er das angezeigte Volumen verbraucht hätte.
Glücklicherweise folgte er den Empfehlungen des Sachverständigen und kontaktierte die Eichbehörde, den zuständigen Landesbetrieb Mess- und Eichwesen NRW (LBME) in Düsseldorf. Am 11. Januar wurde im Beisein des Geschäftsführers des WVU und Herrn Heinowski der Wasserzähler bzw. dessen Einzelteile bei LBME einer Nachkontrolle unterzogen. Dabei wurde festgestellt, dass der Wasserzähler einen Messeinsatz enthält, der aus einer Charge des Jahres 2010 stammt, bei der Fabrikationsfehler auftraten und demnach als Ausschussprodukt bezeichnet werden darf. Der Hersteller, der seine Messeinsätze an mehrere Produzenten von Wasserzählern liefert, musste dem Vernehmen nach seine Produktion umstellen und alle Kunden informieren. Auch alle staatlich anerkannten Prüfstellen für Wasserzähler wurden angeblich über die Problematik informiert. Für Heinowski hatte der Prüfschein damit keine Beweiskraft.
Inzwischen hat das WVU reagiert. In der aktuell vorgelegten Rechnung wird der Mehrverbrauch von 1000 m³ nicht mehr berücksichtigt.

 

 

 

Der DVGW und seine Sicht auf die Dinge
Nach Wahrnehmung des DVGW hat sich die Berichtslage über nicht plausible Zählwerksfortschritte deutlich beruhigt. Auf Anfrage der Redaktion hieß es: „Die Möglichkeiten für nicht plausible Zählwerksfortschritte werden bei der inneren Beschaffenheitsprüfung, die im Rahmen der Befundprüfung durchgeführt werden muss, sicher erkannt, wenn z. B. abgebrochene Teile gefunden werden. Dann gilt die Befundprüfung insgesamt als nicht bestanden.“
Gründe, die zu unerklärlich hohen Verbrauchswerten führen können, seien z. B. undichte Sicherheitsventile, undichte Spülkasten- und Schwimmerdichtungen oder undichte erdverlegte Gartenleitungen.
Auf die Frage, ob der DVGW Handlungs- oder Forschungsbedarf sieht und die Befundprüfung generell nicht infrage gestellt wird, antwortete ein Unternehmenssprecher eher allgemein: „Die von Ihnen angeführten, nicht weiter spezifizierten Fälle sind uns nicht bekannt. Daher können wir diese auch nicht fundiert kommentieren.“

 


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