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Forschungsprojekt GREEN

Optimierte Energieversorgung mithilfe eines digitalen Zwillings

Bild 1: Stündlich aufgelöster Energiebedarf des untersuchten Unternehmens über ein Jahr.

Tabelle 1: Angenommene technoökonomische und -ökologische Parameter.

Tabelle 2: Ergebnisse der Systemmodellierung.

Bild 2: Grafische Darstellung der Flächennutzung in den Szenarien A und B.

 

Die Klima- und Energiekrise rücken das Bewusstsein einer nachhaltigen, selbstbestimmten und wettbewerbsfähigen Energieversorgung in den Fokus der Wirtschaft. Mit dem Ziel, ganzheitliche Lösungsstrategien für eine beschleunigte und maßgeschneiderte regionale Energiewende zu entwickeln, setzt hier das Forschungsprojekt GREEN der Technischen Hochschule Brandenburg an. So wurde im Jahr 2022 in Zusammenarbeit mit einem mittelständischen Produktionsunternehmen eine neue Energiestruktur erarbeitet, welche sich durch einen effizienten, CO2-armen, versorgungssicheren und wirtschaftlichen Ansatz auszeichnet.

Die Industrie ist mit einem Anteil von 44 % (2021) am Gesamtstrombedarf der größte Bedarfsträger elektrischer Energie in Deutschland [1]. Um die Klimaziele des Pariser Abkommens zu erreichen, ist ein Energiebezug aus erneuerbaren Quellen notwendig. Die aufgrund der politischen Weltlage steigenden Energiekosten erhöhen die Dringlichkeit auch aus wirtschaftlicher Sicht. So ermöglicht die Deckung des Energiebedarfs aus eigenen Quellen Preis- und Versorgungssicherheit. Hinsichtlich Investitions-, jährlichen Betriebs- und Wartungskosten, kann jedoch die Installation einer überdimensionierten Anlage unwirtschaftlich werden. Um eine optimale Lösungsstrategie zu entwickeln, wird im Forschungsprojekt GREEN mit einer eigens entwickelten Software „FINE-concepts“ gearbeitet, welche auf einem mathematischen Optimierungsalgorithmus basiert. Dieser hat das Ziel, die jährlichen Gesamtkosten unter Berücksichtigung des individuellen Energiebedarfs zu minimieren. Neben elektrischen Energieströmen wie in diesem Projekt, können auch andere Energie- und Stoffströme berücksichtigt werden.

„FINEconcepts“

Um das Energiesystem bilanzieren zu können, sind Informationen zu einzelnen Systemkomponenten und grenzen erforderlich. Dies beinhaltet die Betrachtung vorhandener Energiequellen sowie senken. Diese Informationen ermöglichen es, das Energiesystem virtuell in der Software zu modellieren und einen digitalen Zwilling zu erstellen.

Die mathematische Optimierung, mit dem Ziel der Minimierung der jährlichen Gesamtkosten (TAC, engl.: total annual costs) für das Energiesystem, berücksichtigt den Einfluss aller anfallenden Kosten in einem festgelegten Zeitraum. Die Berechnung beinhaltet Investitionskosten, Annuitäten, Betriebs- und Wartungskostenfaktoren, welche individuell angepasst werden. Weiter werden die Kosten einbezogen, welche durch den Netzstromeinkauf entstehen. Transparenz wird durch eine detaillierte Aufschlüsselung der Ergebnisse erreicht.

Ein Vorteil bei der Verwendung von „FINEconcepts“ stellt die zeitlich diskrete Auflösung der Energieflüsse dar. Für die Analyse des Energiesystems wird der stündlich aufgeschlüsselte Verbrauch des Unternehmens (Lasten) über ein Jahr mit einem ebenfalls stündlich aufgelöstem Energieertrag aus einer Quelle verglichen. Dies ermöglicht, die Senke mit den zu dem Zeitpunkt zur Verfügung stehenden Quellen zu decken und dabei stets eine kostenoptimierte Lösung zu berechnen. Um das Jahr aus energetischer Sicht innerhalb der Software korrekt modellieren zu können, ist die standortspezifische Untersuchung nach möglichen erneuerbaren Energieerträgen von großer Bedeutung.

Datenrecherche und -aufarbeitung

Präzise Vorhersagen für fluktuierende Energieerträge aus Wind und Sonne setzen standortgenaue und zeitdiskrete Recherchen voraus. Stündlich aufgelöste Wetterdaten bietet das Informationssystem PVGIS (Photovoltaik Geographical Information System), welches vom Joint Research Center der Europäischen Kommission entwickelt und kostenfrei zur Verfügung gestellt wird. PVGIS ermöglicht den Zugriff auf Windgeschwindigkeiten und Solarstrahlungssummen, welche direkt in „FINEconcepts“ übertragen werden können.

Neben den Energiequellen ist ebenso die Analyse der Lasten von Bedeutung. So wurde für das hier untersuchte Unternehmen der stündlich aufgelöste Energiebedarf vom Energieversorger bereitgestellt. Während der Energieverbrauch von Privathaushalten vor allem von den Jahreszeiten abhängig ist, hängt der Energiebedarf der Industrie von der Produktion und Konjunktur ab. So ergibt sich für das betrachtete Unternehmen ein gleichmäßiger, von den Produktionszeiten abhängiger Verlauf des Energiebedarfs über ein Jahr (Bild 1). Ferner ist die Bilanzierung der Kosten aus dem Netzbezug für die Abbildung des Ausgangszustands notwendig.

Neben der Senkung der Kosten, steht auch die Reduktion der CO2-Emissionen im Fokus. Da der deutsche Strommix mit 366 g CO2e/kWh [2] behaftet ist, ergeben sich infolge des Strombezugs 251 t CO2e/Jahr. Für die korrekte Ermittlung aller CO2-Emissionen sind ebenso die spezifischen Emissionsfaktoren aus regenerativen Quellen zu berücksichtigen. Diese entstammen aus dem gesamten Lebenszyklus, einschließlich Ressourcengewinnung, Herstellung sowie Rückbau und Recycling. So liegt der Emissionsfaktor für Photovoltaikanlagen bei 56 g CO2e/kWh und für Windkraftanlagen (1,83 MW) bei 18 g CO2e/kWh [3].

Energiesystemmodellierung und Ergebnisse

Standortspezifische Gegebenheiten beeinflussen im Wesentlichen die Form des möglichen Energieerzeugers. So beschränken sich hier mögliche Energieerzeuger auf Kleinwindkraft- und Photovoltaikanlagen (PV). Des Weiteren besteht die Option eines Energiespeichers. Verfügbare Flächen und Gegebenheiten werden gemeinsam mit den Akteuren identifiziert. In diesem Beispiel stehen neben einer Freifläche, mit der Vorgabe zur Südausrichtung, die Dachflächen der Produktionshallen zur Verfügung. Die vorhandenen Dachausrichtungen (Nordost/Südwest) und die Vorgabe, auf Dächern keine Aufständerung der PV-Module vorzunehmen, führt in diesem Projekt zu einer Festlegung von zwei Freiheitsgraden. Liegt hier keine Beschränkung vor, kann mithilfe eines automatisierten Prozessablaufs eine weitere Optimierung nach Modulausrichtung und Neigungswinkel erfolgen. Diese Designoptimierung berücksichtigt, dass eine ertragsoptimale Ausrichtung nicht immer mit der kosten- und eigendeckungsbezogenen optimalen Ausrichtung übereinstimmt. So bewirkt eine Ausrichtung nach Ost und West einen breiten und flachen Energieertrag über einen Tag, während eine reine Südausrichtung zu einem schmalen und hohen Ertrag führt. Da in diesem Projekt von den Akteuren keine vergütete Einspeisung gewünscht wurde, würde eine zu hohe Überdeckung des Energieverbrauchs zu einem wirtschaftlichen Verlust führen.

Nach Feststellung individueller technoökonomischer und ökologischer Parameter (Tabelle 1) erfolgt gemeinsam mit den Akteuren die Ausarbeitung verschiedener Szenarien. Darunter befindet sich der alleinige Aufbau von PV-Anlagen auf den Dachflächen (Szenario A) und die Möglichkeit, zusätzlich freies Bauland für PV- und Kleinwindkraftanlagen zu nutzen (Szenario B).

Bei der Auswertung der Ergebnisse wird die Arbeit des Optimierers und das Alleinstellungsmerkmal von „FINE-concepts“ deutlich. Der Software steht mehr Fläche für die Installation der Anlagen zur Verfügung, als zur wirtschaftlichen Deckung des Energiebedarfs benötigt wird (Abbildung 2). Es werden die Dächer bevorzugt, welche eine Nordost-Ausrichtung besitzen. Dies resultiert aus dem hinterlegten Lastprofil des Unternehmes, welches in den Vormittagsstunden höher ist. Die Ergebnisse in Tabelle 2 zeigen, dass mithilfe der Installation einer PV-Anlage sowohl Kosten als auch CO2-Emissionen im Vergleich zum Ausgangszustand gesenkt werden können. Die jährlichen Gesamtkosten beider Szenarien unterscheiden sich nur geringfügig (2 %), wobei jedoch die Eigendeckungsrate in Szenario A höher liegt als in Szenario B. Weiter erhöhen sich bei einer reinen Südausrichtung (Szenario B) die CO2Emissionen, was auf einen höheren Netzstrombezug zurückzuführen ist, welcher für die Deckung des Energiebedarfs in den Morgen- und Abendstunden benötigt wird. Die Installation von Kleinwindkraftanlagen wird aufgrund zu hoher Investitions, Betriebs- und Wartungskosten nicht vorgesehen. Ebenso wird der Einsatz eines Energiespeichers durch den Optimierer als nicht wirtschaftlich erachtet.

Fazit

Anhand der hier dargestellten Ergebnisse konnte aufgezeigt werden, dass die Verwendung eines digitalen Zwillings den Akteuren die Chance bietet, unterschiedliche Technologien hinsichtlich ihres ökologischen und ökonomischen Nutzens agil zu vergleichen. Zudem kann eine zeitdiskrete Betrachtung von Bedarfs- und Ertragsprofilen Möglichkeiten identifizieren, das gewünschte Ziel der Maßnahme zu erreichen, ohne dabei die Anlagenkapazität zu maximieren. Das durch die Simulation des Energiesystems erlangte Wissen kann schlussendlich zur Entscheidungsfindung hinsichtlich unterschiedlicher Annahmen und Zielstellungen beitragen.

Autoren: Katja Müller, Klaus Markgraf, Pascal Kunze, Prof. Dr.-Ing. Robert Flassig

Bilder: Technische Hochschule Brandenburg

www.th-brandenburg.de

Literatur:

[1] Statista.de. Stromverbrauch nach 
 Verbrauchergruppe in Deutschland 2021 
 [online].
[2] Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkon-
 trolle; Informationsblatt CO2-Faktoren; 2022 
[3] Umweltbundesamt (Hrsg.) (11/2021): 
 Emissionsbilanz erneuerbarer Energieträger 
 [online].

 


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