Werbung

Eine stets zuverlässige Energiequelle - 100 Jahre ungenutzt: Wärme aus Abwasser im Pumpwerk Mannheim-Ochsenpferch

Energiepreissteigerung und finanzielle Förderung sowie verschärfte Energieeinsparverordnung werden die Wärme aus Abwasser zunehmend attraktiv machen und für eine schnell steigende Anzahl von Projekten sorgen. Mannheim hat mit dem Pumpwerk Ochsenpferch nun sein erstes Referenzobjekt – ein öffentliches Gebäude nach einem vermutlich ab 2019 geltenden Standard.

Das Montageteam von Uhrig Kanaltechnik

im Einsatz. Überströmte „Therm-Liner“-Fläche 1,272 m²/m. Bild: Uhrig Kanaltechnik

„Therm-Liner Typ A“ für Mindestquerschnitt DN 400 und mindestens 10 l/s Trockenwetterabfluss. Bild: Uhrig Kanaltechnik

 

Die EU-Gebäuderichtlinie von 2010 verpflichtet die Mitgliedsstaaten, ab 2021 nur noch Niedrigstenergiegebäude als Neubauten zuzulassen. Als Niedrigstenergiegebäude definiert die EU „ein Gebäude, das eine sehr hohe […] Gesamtenergieeffizienz aufweist. Der fast bei null liegende oder sehr geringe Energiebedarf sollte zu einem ganz wesentlichen Teil durch Energie aus erneuerbaren Quellen […] gedeckt werden“ [1]. Für öffentliche Gebäude soll dies bereits ab 2019 gelten [2].
Der Kanalanschluss, das letzte große Wärme-Leck in Gebäuden, wird auch durch die bisherige Fassung der Energieeinsparverordnung EnEV 2009 nicht gestopft. Immerhin verschwinden an dieser Stelle ca. 15% der Wärmeenergie eines Hauses älterer Bauart. Bezogen auf zukünftige Niedrigstenergiehäuser sind das vermutlich über 50%.
Schon im Gesetz zur Förderung Erneuerbarer Energien im Wärmebereich (EEWärmeG) wurde Wärme aus Abwasser als förderwürdig eingestuft, jedoch nicht als Erneuerbare Energie (§ 2 Abs.1), sondern als Abwärme (§ 2 Abs. 2). So auch in dem seit 01.05.2011 geltenden novellierten EEWärmeG. Demnach ist die Nutzung von Abwärme eine Ersatzmaßnahme, wenn der Wärmeenergiebedarf zu mindes­tens 50% aus Anlagen zur Nutzung von Abwärme gedeckt wird (§ 7). Dabei muss eine Mindest-JAZ von 4,0 bei Nutzung der Wärmepumpe nur für Heizung und von 3,8 bei Nutzung für Heizung und Warmwasser erreicht werden. Siehe Anlage zum Gesetz, Abschnitt III und IV.

Schnittstelle Tiefbau/Heizung

Tanja Teichert kümmert sich als junge Ingenieurin um Ochsenpferch, Mannheims ältestes, noch im ursprünglichen Betriebszustand erhaltenes Pumpwerk, Baujahr 1908. Sie hat genau 100 Jahre nach dessen Fertigstellung ihr Studium als Bauingenieurin, Schwerpunkt Wasserbau, mit Diplom abgeschlossen. Ihr Arbeitgeber, die Stadtentwässerung Mannheim – eine bisherige Männerdomäne – gab ihr die Verantwortung für die Umrüstung des Pumpwerks in den Jahren 2010/2011.
Besonders interessant für die Berufsanfängerin ist die Abwärmenutzung, da auch routinierte Kollegen in diesem Spezialgebiet kaum Wissensvorsprung haben. Schließlich ist es das erste derartige Objekt in Mannheim und eines von 40 in Deutschland. In Abstimmung mit dem für alle Pumpwerke in Mannheim zuständigen Bereichsleiter Uwe Schönmann und dem Leiter des Eigenbetriebs Stadtentwässerung, Alexander Mauritz, hat Tanja Teichert die Wärmeentnahme aus dem städtischen Mischwasserkanal einschließlich Installation der Wärmepumpe zu einem Auftrag zusammengefasst. „Es ist ungewöhnlich, Tiefbau und Heizungstechnik gemeinsam zu vergeben“, so Teichert. „Doch wir wollten keine Schnittstelle dazwischen wegen der Gewährleistung; auch, damit der Anbieter die aus seiner Sicht bestmögliche Kombination realisieren kann.“

Bivalente Wärme

Wozu braucht ein Pumpwerk Wärme? Die Mitarbeiter der Stadtentwässerung halten sich zur Kontrolle und Wartung täglich einige Zeit im Gebäude auf. Dafür muss eine für Arbeitsstätten erforderliche Raumtemperatur vorhanden sein. Die Wärmebedarfsberechnung (eine Voraussetzung für Zuschüsse des Landes Baden-Württemberg, hier 22000 Euro aus Mitteln des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung) stammt von einem darauf spezialisierten Ingenieurbüro. Der Heizbedarf liegt bei 137,5 kW. Die Heizungstechnik ist bivalent ausgelegt, d.h., die frühere alte Ölheizung bleibt für Spitzenbedarf noch in Reserve einsatzbereit. Nur die Grundlast wird durch die Kanal-Abwärme gedeckt. So konnten die Wärmeübertrager im Kanal und die Wärmepumpe im Gebäude in einer finanziell interessanten Größenordnung realisiert werden. Die Einsparung ist veranschlagt mit 11000 Euro pro Jahr. Das führt zu einer Amortisationszeit von voraussichtlich 7 – 8 Jahren.
Verwertbare Betriebsergebnisse liegen noch nicht vor. Auf sie wird mit großem Interesse gewartet. Mark Biesalski, Geschäftsführer des Auftragnehmers Uhrig Kanaltechnik, dazu: „Wir haben eine Anlage mit langer Lebensdauer und besonders niedrigen Betriebskosten konzipiert.“ Die Voraussetzungen waren gut. Im Abwasserkanal DN 2200 konnten die Wärmeübertrager-Elemente bequem nachträglich eingebaut und zu einer 15 m langen Strecke zusammengesetzt werden. Die Entzugsleistung beträgt 110 kW bei der hier vorhandenen Wassertemperatur von 14 – 17°C und einem Trockenwetterabfluss von 400l/s. Ein geschlossener Leitungskreis aus PE-Rohren mit Straub-Kupplungen verbindet die Thermliner-Wärmeübertrager mit der Wärmepumpe im Gebäude. Die Eintrittstemperatur des Transportmediums Wasser am Thermliner-System im Kanal wurde hier mit 5°C ermittelt, die Austrittstemperatur mit 9°C.

Bezahlbare Wartung

Fouling, das Entstehen von Ablagerung und Biofilm als Sielhaut auf den vom Abwasser überströmten Wärmeübertragern, kann durch die unerwünscht dämmende Wirkung bis zu 40% des Wärmeertrags kosten. Beim Pumpwerk Ochsenpferch hat der Auftragnehmer Uhrig Kanaltechnik diese Wirkung bei der Bemessung der Anlagengröße berücksichtigt. D.h., die zu erwartende Verschmutzung der nachträglich auf der Kanalsohle eingesetzten Edelstahlelemente wurde durch Überdimensionierung kompensiert, sodass keine Wartung für Reinigung nötig ist.

Funktionsweise

Die auf der Kanalsohle befestigten Wärmeübertrager sind durch einen geschlossenen Leitungskreis mit der Wärmepumpe im Gebäude verbunden. Ab DN 400 lässt sich das hier verwendete System Thermliner „Form A“ einbauen. Ideal ist eine Abwassertemperatur von mehr als 10°C. So werden dem Abwasser ca. 2 – 4°C Temperatur entzogen. Hier verdichtet eine Wärmepumpe Fabrikat Ochsner (Heizleis­tung 110,70 kW, Jahreswärmeerzeugung 158,1 MWh/a) die Abwasserwärme anschließend auf die für die Heizung erforderliche Temperatur von 50°C. Die Temperaturdifferenz von 3 – 4 Kelvin im Betrieb ergibt bei diesem Projekt einen COP-Wert von 3,8 und – bezogen auf das Heizsystem mit 2 x 1000 l Pufferspeicher – eine JAZ von 4,6. Unter Berücksichtigung der Vollkosten einschließlich Strom für die Wärmepumpe ist das deutlich preisgünstiger als die bisherige Heizung mit ihrem Ölbedarf von mehreren 1000 l pro Jahr.
Da das Pumpwerk unter Denkmalschutz steht, durften keine die Bausubstanz verändernden Maßnahmen wie Wärmeschutz durchgeführt werden. In Verbindung damit war die Ölheizung aus dem Jahr 1998 nicht gerade klimaschonend. Das jetzt verwirklichte Prinzip „Energie aus Abwasser“ ist Stand der Technik, zumindest seit Erscheinen des Merkblattes DWA-M 114 im Juni 2009 [3]. Es beschreibt Einsatzmöglichkeiten und Grenzen, gibt Informationen für Gemeinden, Stadtentwässerungsbetriebe und Planungsbüros. Enthalten sind auch Musterverträge für Vereinbarungen zwischen Bauherrschaft und Kanalbetreiber.

Klimaschutz und Wertschöpfung

Abwasser ist eine ganzjährig zuverlässige, lokal vorhandene Energiequelle mit einem konstanten Temperaturniveau bei 12 – 20°C. Abwasserkanäle, als emmissionsarme Energiequellen bislang weitgehend ungenutzt, bergen tatsächlich ein ständig an zahlreichen Standorten verfügbares Potenzial. Entsprechende Rahmenbedingungen vorausgesetzt, sind Anlagen zur Abwasserwärmenutzung im Vergleich zu fossilen Heizanlagen schon heute betriebswirtschaftlich wettbewerbsfähig. Bei richtiger Planung und Ausführung entstehen weder für das Entwässerungssystem noch für die Abwasserreinigung Nachteile [3].
Politiker des Bundes und der Länder betonen zurzeit den volkswirtschaftlichen Vorteil der regenerativen Energie. Für die Wärme aus Abwasser gilt sinngemäß dasselbe: Weniger Kapital fließt für Energieimporte aus der Region ab, sichere neue Arbeitsplätze entstehen und zusätzliche Steuereinnahmen stärken die Kommunen. Auch die Sicherheit der heimischen Industrie wird verbessert, denn die deutsche Wirtschaft ist in ihrer Produktion im internationalen Vergleich bisher überdurchschnittlich abhängig von Energieimporten.
Nicht vergessen werden soll der Beitrag der Abwärmenutzung zum Klimaschutz. Das Pumpwerk Ochsenpferch mit seinen kalkulierten 30,4 t CO2-Einsparung pro Jahr war bereits im Projekt-Stadium Teil der Mannheimer Aktion „Klimaschutzkalender“, bei der monatlich ein Vorhaben der Stadt der Öffentlichkeit präsentiert wird.

Literatur:
[1] EU-Gebäuderichtlinie: Richtlinie 2010/31/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Mai 2010 über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden (Neufassung), verkündet am 16. Juni 2010 im Amtsblatt der Europäischen Union, Seite L 153/13 bis 153/35, gilt seit 1. Juli 2010. www.enev-online.de/epbd/2010
[2] Energiekonzept der Bundesregierung: Deutscher Bundestag: Unterrichtung durch die Bundesregierung: Energiekonzept für eine umweltschonende, zuverlässige und bezahlbare Energieversorgung und 10-Punkte-Sofortprogramm – Monitoring und Zwischenbericht der Bundesregierung, Drucksache 17/3049, vom 28. September 2010, www.bundestag.de
[3] DWA-Regelwerk: Merkblatt DWA-M 114. Energie aus Abwasser, Wärme und Lageenergie. (Hrsg.:) DWA, Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e. V. Hennef, Juni 2009.
[4] König, K. W.: Abwasser als Wertstoff. In: Wasserwirtschaft Wassertechnik wwt Heft 5, Seite 25 bis 27. Huss Medien, Berlin, 2012.
[5] Energie aus Abwasser. gwf Praxiswissen, (Hrsg.:) Christine Ziegler, Band III. Oldenbourg Industrieverlag, München, 2011.
[6] Lang, J. et al: Kompendium Abwasserwärmenutzung. Ständig aktualisiertes Nachschlagewerk und Arbeitsinstrument für Wasserwirtschaft, Behörden, Planer, Wohnungswirtschaft und Industrie. Trialog Verlag Berlin, 2012.

Autor: Dipl.-Ing. Klaus W. König, Überlingen am Bodensee, ist selbstständig tätig und hält Vorträge zu ökologischer Haustechnik. Er ist Mitglied der Architektenkammer Baden-Württemberg. Als freier Fachjournalist und Buchautor veröffentlicht er regelmäßig Artikel in Umwelt-, Architektur-, Heizungs- und Sanitärzeitschriften.

KONTAKT: www.klauswkoenig.com


Fachverband und Kompetenzzentrum
„Ging man bisher davon aus, dass 5 - 10% aller Gebäude mit Abwasserwärme beheizt werden können, so weiß man heute, dass dieser Wert aufgrund der neuen technischen Möglichkeiten und der veränderten energiewirtschaftlichen Rahmenbedingungen höher liegt“, informiert Andreas Koschorreck. Er ist Geschäftsführer des Netzwerks e.qua. „Wärmegewinnung aus Abwasser erzielt eine CO2-Reduktion bis 60% und eine Einsparung an Primärenergie bis 40%“.

Weitere Infos zum Thema auch unter:

 


Artikel teilen:
Weitere Tags zu diesem Thema: