Der „Stromlückenfüller“
Power-to-Gas Technologie für eine erfolgreiche Energiewende
Zu einer gelungenen Energiewende braucht es nicht nur große Mengen Wind- und Sonnenstrom, sondern auch ein flexibles Gesamtkonzept. Aus Ökostrom erzeugter Wasserstoff kann dazu einen wichtigen Beitrag leisten. Bestes Beispiel, Schleswig-Holstein. Allein der Wind, der über das flache Land weht, hat das Zeug dazu, die Menschen im Norden mit mehr Strom zu versorgen, als sie verbrauchen können. Die Strommenge, die 2014 aus Erneuerbaren Energiequellen erzeugt wurde, reicht aus, um den Bedarf des Bundeslandes zu decken. In zehn Jahren soll es – über das Jahr gerechnet – sogar dreimal so viel sein. Doch was fängt man mit so viel Strom überhaupt an?
Ein populärer Ansatz ist der Ausbau der Stromnetze, um die Energie in den Süden Deutschlands zu transportieren. Doch wer allein auf den Netzausbau setzt, verliert wichtige Aspekte der Energiewende aus dem Blick – z. B. das eine gelungene Energiewende mehr sein muss als eine Stromwende. Immerhin verbraucht Deutschland nur etwa ein Fünftel seiner Energie in Form von Strom. Die Hälfte wird dagegen in Form von Wärme benötigt, ein knappes Drittel in Form von Kraftstoffen.
Außerdem bleibt die Frage offen, wie man Stromerzeugung und Verbrauch zeitlich zusammenbringt. „Was wir brauchen, ist ein komplett neuer Markt für Strom“, fasst GP Joule Geschäftsführer und Firmengründer Heinrich Gärtner die Herausforderung zusammen. An einer Lösung für diese Aufgabe arbeitet die H-Tec Systems.
Das Lübecker Tochterunternehmen von GP Joule stellt sogenannte Elektrolyse-Stacks her. In diesen wird mithilfe von Ökostrom gewöhnliches Wasser in seine Bestandteile zerlegt – Wasserstoff und Sauerstoff. „Das Charmante am Wasserstoff ist, dass man so unglaublich viel daraus machen kann“, sagt Gärtner.
Gespeicherter Wasserstoff
Das Projekt „Stromlückenfüller“ in Reußenköge zeigt, wie man Wind- und Sonnenstrom auch speichern kann. Von außen sähe der Stromlückenfüller aus wie ein gewöhnlicher Baucontainer, stünde nicht ein Gastank daneben und eine Infotafel davor. Im Tank wird der im Containerinneren erzeugte Wasserstoff gesammelt. Die Infotafeln erläutern, was hier auf dem Firmengelände von GP Joule in Reußenköge geschieht.
Das Prinzip ist einfach, die Technik ausgeklügelt. Überschüssiger Strom aus Erneuerbaren Energien wird in Wasserstoff umgewandelt und zwischengespeichert. In der „Stromlücke“, wenn Wind- und Sonnenstrom nicht ausreichend vorhanden sind, wird der Wasserstoff im BHKW der Biogasanlage rückverstromt und ins Stromnetz eingespeist.
Herzstück des Stromlückenfüllers sind die PEM-Elektrolyse-Stacks, also „Stapel“ von flachen, quadratischen Zellen, in denen der eigentliche Prozess abläuft: Mithilfe von Wasserstoff wird
durch die Membrane des Stacks Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff zerlegt.
Bisher kann der Stromlückenfüller eine elektrische Eingangsleistung von 20 kW verwerten. Zu dieser sollen nicht nur weitere Elektrolysestacks des bisherigen Typs gehören, sondern auch Stacks aus der nächsten Generation, deren aktive Zellflächen 15-mal größer sind als die bisherigen. Mit ihnen lassen sich Elektrolyseure im MW-Maßstab umsetzen, wie sie für die Energiewende mittelfristig benötigt werden. „In der zweiten Ausbaustufe werden wir ein Betriebskonzept entwickeln, mit dem der Elektrolyseur gezielt Strom aus dem Netz aufnehmen kann, wenn das nötig ist“, erklärt Projektleiter Matthias Volk. Das heißt z. B. dann, wenn Wind und Sonne gerade mehr Energie liefern, als das Netz abtransportieren kann.
In Reußenköge wird der erzeugte Wasserstoff gemeinsam mit Biogas im Biogas-BHKW zur Stromerzeugung genutzt. Die Wärme, die bei der Elektrolyse als Nebenprodukt entsteht, fließt in die bestehende Wärmeinfrastruktur ein und beheizt den Biogasfermenter sowie die Firmengebäude auf dem Gelände. Würde der Elektrolyseur das ganze Jahr rund um die Uhr arbeiten, könnte man mit der Abwärme 200 moderne Stadtwohnungen versorgen. Je nach Bedarf kann man mit dem energiereichen Gas Strom gewinnen, die Industrienachfrage decken, Wohnungen heizen oder Autos antreiben.
Die ersten Elektrolyseure sind bereits im Einsatz. Als Nächstes gilt es, die Kosten für die innovative Technologie ähnlich schnell senken zu können wie einst die für PV-Module. In den vergangenen zwei Jahren hat H-Tec Systems dabei große Fortschritte gemacht. Im Jahr 2013 kostete es noch etwa 20 Cent, eine Kilowattstunde Wasserstoff-Energie aus Strom zu gewinnen – den Strompreis nicht mit eingerechnet.
Kalkulierbare Kostendegression
Ende 2015, als die zweite Ausbaustufe des Stromlückenfüllers auf dem Gelände von GP Joule in Reußenköge in Betrieb ging, lagen die Kosten schon unter zehn Cent. Wie schnell die Preise in Zukunft purzeln werden, hängt davon ab, wie schnell der Markt in Schwung kommt. „Wir rechnen damit, dass wir Wasserstoff für etwa zwei Cent pro Kilowattstunde produzieren können, wenn wir ein Marktvolumen von einem Gigawatt erreicht haben“, sagt Gärtner.
In Deutschland könnten bald umweltbewusste private Haushalte ein Einsatzgebiet für den grünen Wasserstoff werden. Ein Plus für Wasserstoff im Vergleich zu Batterie-Speichern ist, dass sowohl bei der Elektrolyse als auch bei der Stromgewinnung in der Brennstoffzelle Wärme entsteht, die für die Heizung des Gebäudes genutzt werden kann. So gehen Strom- und Wärmewende Hand in Hand. Kommerzielle Stromspeicher, wie der Stromlückenfüller von GP Joule, werden wirtschaftlich interessant, wenn die Umwandlungskosten bei etwa vier Cent pro Kilowattstunde Wasserstoff liegen. Das könnte bis 2020 klappen, glaubt Gärtner. „Sehr wahrscheinlich wird die Rückverstromung aber nur eine Übergangslösung sein“, ergänzt er. Denn mit Fortschreiten der Energiewende wird immer öfter genügend Ökostrom vorhanden sein, um den Strombedarf auf direktem Weg zu decken.
Das liegt nicht nur am stetigen Ausbau von Wind- und Sonnenkraftwerken. Parallel werden die Verbraucher sich immer besser auf das Stromangebot einstellen. Auch die Stromerzeugung aus
Biogas wird flexibler werden. Anstatt rund um die Uhr Strom ins Netz zu schicken, werden Biogas- Kraftwerke gezielt dann Strom produzieren, wenn er gebraucht wird. So wird es immer weniger „Lücken“ geben, die der Stromlückenfüller zu füllen hätte. Auf Dauer wird daher wohl die Umwandlung in Erdgas die wichtigste Anwendung für den Wasserstoff aus Ökostrom sein. „Das Verfahren ist einfach und ermöglicht es, eine bestehende Infrastruktur zu nutzen“, sagt Gärtner. Erdgas kann man über vorhandene Leitungen transportieren, in Kraftwerken und Heizungen verbrennen oder nach einer kleinen Umrüstung in normalen Benzin-Motoren als Treibstoff nutzen.
Steckbrief Wasserstoff
Wasserstoff ist das leichteste Element mit dem Symbol H und der Ordnungszahl 1 im Periodensystem. Er ist ein farb- und geruchloses Gas und das häufigste chemische Element im Universum. Als Bestandteil des Wassers ist Wasserstoff in beinahe allen organischen Verbindungen und daher in fast allen lebenden Organismen enthalten. Seine häufigste Erscheinungsform ist der molekulare Wasserstoff, der mit H2 abgekürzt wird.
Wasserstoff ist 14,4-mal leichter als Luft und besitzt bei Raumtemperatur das höchste Diffusionsvermögen, die höchste Wärmeleitfähigkeit und die höchste Effusionsgeschwindigkeit aller Gase. Jährlich werden weltweit mehr als 600 Mrd. Kubikmeter Wasserstoff (rd. 30 Mio. t) in Industrie und Technik verwendet. Bei der Verbrennung von Wasserstoff entsteht vor allem Wasser, dafür kein Ruß und kein Kohlenstoffdioxid.
Herausforderungen
Wer heute mit einer Power-to-Gas-Anlage Strom speichern will, muss Stromsteuer, EEG-Umlage und Netznutzungsgebühren in voller Höhe bezahlen. Lediglich eine Handvoll Pilotprojekte kommt über Ausnahmeregelungen in den Genuss der Vergünstigungen, die für große Pumpspeicherkraftwerke selbstverständlich sind.