Behinderungen durch Corona – und was nun?
Ein Webinar der IKZ-ACADEMY am 27. Mai zeigt auf, wer welche Risiken trägt und wie etwaige Ansprüche geltend gemacht werden können. Fragen können live gestellt werden.
Ungeachtet der zahlreichen Beschränkungen im öffentlichen Leben aufgrund der Corona-Pandemie sollen Bauprojekte möglichst weiterlaufen. Laut Bundesinnenministerium (BMI) sollen Baumaßnahmen erst eingestellt werden, wenn behördliche Maßnahmen dazu zwingen oder ein sinnvoller Weiterbetrieb nicht möglich ist.
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) Dies ist leichter gesagt als getan: Lieferketten funktionieren nicht mehr ungestört, Baubesprechungen sind nicht mehr unter persönlicher Anwesenheit möglich, Teile der Bauherrenvertretung oder des Planungsteams gehören möglicherweise zur Risikogruppe. Wen trifft das Risiko und wer kommt für Mehrkosten auf? Ein Webinar klärt auf.
Behinderungstatbestand im Sinne des § 6 Abs. 1 VOB/B
In § 6 VOB/B wird der Umgang mit Behinderungen geregelt; dem Grunde nach ist die Reglung auch über das Kooperationsprinzip am Bau (§ 242 BGB) auf BGB-Verträge für ausführende Firmen oder Planer übertragbar. Nach § 6 Abs. 1 VOB/B soll der Auft ragnehmer (AN) dem Auftraggeber (AG) unverzüglich schrift lich anzeigen, wenn er sich in der ordnungsgemäßen Ausführung der Leistung behindert sieht. Die Behinderungsanzeige gründet auf dem Kooperationsprinzip am Bau und dient der Warnung und dem Schutz des AG vor unberechtigten Behinderungsansprüchen; sie soll ihn in die Lage versetzen, Behinderungen abzustellen (BGH, Urteil vom 21. 10. 1999 – VII ZR 185/98). Als mögliche Ansprüche stehen im Raum:
Ausführungsfristverlängerung (§ 6 Abs. 2 Ziff. 1a, VOB/B),
Ersatz von behinderungsbedingten Mehrkosten (§ 6 Abs. 6, VOB/B),
Nachtragsvergütungsanspruch wegen rechtmäßiger Anordnung des AG (§ 2 Abs. 5, VOB/B),
Schadenersatz nach § 6 Abs. 6 VOB/B bei Anordnungen des AG mit zeitlichen Auswirkungen und
Entschädigung nach § 642 BGB, § 6 Abs. 6 S. 2 VOB/B bei Verzögerungen durch Vorunternehmer.
Diese Ansprüche entstehen aber nur, wenn die Behinderung dem Risikobereich des AG zuzuordnen ist, er also gleichermaßen die Behinderung zu vertreten hat. Ein Beispiel dafür ist eine unzureichende Koordination und damit einhergehend eine verzögerte Entscheidungsfindung.
Anders als die Mehrvergütungsansprüche steht der Anspruch auf Verlängerung der Ausführungsfristen dem AN auch zu, wenn „höhere Gewalt“ vorliegt (§ 6 Abs. 2 Nr. 1 lit. c) VOB/B).
Der Begriff „höhere Gewalt“
„Höhere Gewalt“ ist ein Rechtsbegriff, der im Gesetz (BGB) nicht definiert ist. Nach der Rechtsprechung ist darunter ein „unvorhersehbares, von außen einwirkendes Ereignis, das auch durch äußerste, nach der Sachlage zu erwartende Sorgfalt wirtschaftlich vertretbar nicht abgewendet werden kann“ zu verstehen.
Die Voraussetzungen für die Annahme höherer Gewalt sind streng. „Der bloße Hinweis auf die Corona-Pandemie und eine rein vorsorgliche Arbeitseinstellung erfüllt den Tatbestand der höheren Gewalt aber nicht“, stellt das BMI klar. In jedem Fall liegt aber einer Behinderung vor, wenn der AG z. B. Corona bedingt seine Koordinierungspflichten nicht mehr wahrnimmt.
Sind die Auswirkungen der Corona-Krise ursächlich für eine Störung im Bauablauf, so muss der AN in der Behinderungsanzeige alle Tatsachen darlegen, aus denen sich für den Auftraggeber mit hinreichender Klarheit die Gründe der Behinderung ergeben. Er muss also z. B. konkret darlegen, dass
wegen Grenzschließungen/-kontrollen die Lieferkette unterbrochen/verzögert ist;
wegen behördlicher Anordnungen die Zulieferer nicht voll produzieren können;
wegen der nach § 3 BaustellenVO erforderlichen Vorsichtsmaßnahmen Mehraufwand und dadurch Verzögerungen in konkret zu bezeichnenden Arbeitsgängen entstehen;
wegen der Vorsichtsmaßnahmen die Baustellenkoordination durch den AG eingeschränkt ist.
Die Folgen
Ist eine Behinderung durch höhere Gewalt anzunehmen, so führt diese nur zu einem Anspruch auf Anpassung der Ausführungsfristen. Die Dauer der Unterbrechung zzgl. einem angemessenen Zuschlag zur Wiederaufnahme der Arbeiten ist nach § 6 Abs. 4 VOB/B auf die vertraglich bestimmten Ausführungsfristen aufzuschlagen. Bzgl. der Mehrkosten kommt es jedoch darauf an, in wessen Risikobereich die Mehrkosten entstanden sind. Da für höhere Gewalt niemand verantwortlich ist, hat dem Grunde nach jeder seine eigenen Kosten zu tragen. Für die Lieferkette ist grundsätzlich der AN verantwortlich, ebenso wie für die ausreichende Besetzung der Baustelle (vgl. § 4 Abs. 2 VOB/B). Für die Koordination der Gewerke, behördliche Erlaubnisse sowie Entscheidungen mit Kostenfolgen ist dagegen der Auftraggeber verantwortlich (vgl. § 4 Abs. 1 VOB/B).
Da für höhere Gewalt niemand verantwortlich ist, hat dem Grunde nach jeder seine eigenen Kosten zu tragen.
Sonderfall: Ordnet eine Behörde den Stopp einer konkreten Baustelle aus Gründen an, die der AN nicht zu vertreten hat (also nicht wegen Verletzung der erforderlichen Gesundheitsschutzmaßnahmen, vgl. § 3 BaustellenVO), so spricht einiges dafür, dass diese Anordnung dem AG zuzurechnen ist und er die Mehrkosten wegen Baustopps zu tragen hat (Kemper NZBau 2018, 129).
Fazit
Es wird sich wohl nicht vermeiden lassen, dass der AN zur Sicherung von Ansprüchen erheblichen Schriftverkehr produzieren muss. Bzgl. der Ausführungsfristen wird andererseits ein Entgegenkommen zumindest öffentlicher Auftraggeber mit zunehmender Dauer gegenüber den Beschränkungen für die Wirtschaft zu erwarten sein; zumindest Fördermittelgeber zeigen sich bzgl. der Fristerstreckung für den Baubeginn großzügig. Wegen der finanziellen Kompensation der Mehrkosten bleibt der AN vorwiegend auf die Hilfsprogramme der Finanzministerien beschränkt. Zur Sicherung der Solvenz der AN sollten die Möglichkeiten von Vorauszahlungen und Abschlagszahlungen einerseits sowie gemeinsames Aufmaß und Zustandsfeststellungen andererseits ausgeschöpft werden.
Autor: Fachanwalt Dr. Till Kemper M.A.
Webinartipp: Corona-Krise stört den Bauablauf – was ist zu tun?
Wie können und müssen Auftragnehmer gegenüber Auftraggebern reagieren, wenn die Auftragsdurchführung eingeschränkt oder sogar abgebrochen wird? Wie werden Behinderungs- und Mehrkostenanzeigen formuliert und welche Sorgfaltspflichten gelten für den inner- und außerbetrieblichen Umgang mit den Mitarbeitern?
Diese und weitere Fragen beantwortet ein Webinar der IKZ-ACADEMY in Kooperation mit dem Baurechtsspezialisten Dr. Till Kemper. Die einstündige Veranstaltung findet statt am 27. Mai um 14 Uhr. Die Kosten betragen 49,- Euro, zzgl. MwSt. IKZ-Select-Premium-Mitglieder können kostenfrei teilnehmen.
Infos und Anmeldung unter: bit.ly/IKZ-Academy