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Ausgewogenes Raumklima durch gestapelten Wald - Wohnungsbau in Mailand: Baum- und Pflanzenbewuchs am Gebäude unterstützen Klimatisierung

Nach den Erfordernissen der Botanik die Haustechnik auslegen, das wird im Gewächshaus jedes botanischen Gartens gemacht. Die Pflanzen stehen innen, das Gebäude schützt sie. Die Möglichkeiten der Botanik aber vorrangig nutzen und die Haustechnik als Ergänzung betrachten, das wird in einer bislang bei Hochhäusern nicht da gewesenen Konsequenz in Mailand realisiert. Hier stehen die Pflanzen außen und schützen das Gebäude und seine Bewohner im Sommer z.B. vor Wärmestrahlung – selbst im 20. Stockwerk. Es handelt sich um zwei Wohnhäuser mit 80 und 112m Höhe, deren Fassadenbegrünung zusammengenommen einen Hektar Wald abbildet. Die Versorgung des senkrecht gestapelten Waldes (Bosco Verticale) erfolgt mit Betriebswasser.

„Bosco Verticale“ – ein Hektar senkrecht gestapelter Wald verteilt auf zwei Hochhäuserfassaden im Zentrum von Mailand. Bild: Boeri Studio

Die zwei Wohntürme des Projekts Porta Nuova Isola mit 80 und 112m Höhe im Bau Februar 2013. Während die letzten Stockwerke noch konstruiert werden, sind in den unteren Etagen schon zum Teil die Bäume in ihren Pflanztrögen eingesetzt.

Um die geothermische Kapazität des Grundwassers für die Heiztechnik zu nutzen, werden Wärmeübertrager eingesetzt, ...

...die mit insgesamt vier Wärmepumpen in der unterirdischen Technikzentrale verbunden sind.

Pflanztrog als Balkonbrüstung in der 14. Etage während der Bepflanzung im Februar 2013. Büsche und Bodendecker werden noch eingesetzt.

Anschlussvorbereitung für die automatische Bewässerung eines Pflanzentrogs mit Betriebswasser aus aufbereitetem Grundwasser.

 

Kühlaggregate kommen bei diesem ehrgeizigen Projekt im Sommer nur zum Einsatz, falls die Verschattung durch das Laubgehölz und die Verdunstungskühlung durch den gesamten Pflanzenbewuchs an der Fassade nicht ausreicht. Es handelt sich bei der Begrünung um 480 große und mittlere Bäume, 250 kleinere Exemplare, 11000 Bodendecker und 5000 Büsche.

Projektidee

Die Idee des Bosco Verticale stammt von Stefano Boeri. Als Architekt sucht er nach Möglichkeiten, Städtebau ökologisch und nachhaltig zu verwirklichen. Als Professor an Hochschulen in Mailand, Genua und Venedig lehrt er, dass Bauen ein Miteinander von Mensch, Tier und Pflanze sein soll und sein kann. Das Planungsteam Boeri Studio entwickelte in den Jahren 2006 bis 2008 Design und Technik des heute im Bau befindlichen Projekts mit dem Namen Porta Nuova Isola. Es liegt in einem innerstädtischen Quartier nördlich des Mailänder Zentrums. Dort standen bis vor 60 Jahren noch große Industrieanlagen mit Gleisanschluss an den Bahnhof Porta Garibaldi. Nach deren Rückbau wurde eine Linie der Metro durch das Areal geführt, die zusammen mit einem neuen Straßenkonzept die Erschließung optimiert, sowohl in Richtung City als auch zur Peripherie der kulturellen und wirtschaftsstarken Metropole, die Mailand als Hauptstadt der Lombardei schon immer ist.
Mittlerweile befindet sich das 65-Mio.-Euro-Projekt Porta Nuova Isola in der Ausführungsphase, die für den Zeitraum 2008 bis 2013 terminiert ist. Während sich die letzten Stockwerke noch im Rohbau befinden, sind in den unteren Etagen schon die Bäume in ihren Pflanztrögen eingesetzt. Verantwortlich für die Auswahl sind Laura Gatti und Emanuela Borio. Die Expertinnen stellen seit Jahren bereits Untersuchungen an zur Eignung bestimmter Gehölze und Stauden unter den speziellen Voraussetzungen dieses Experimentes. Winddruck und Windsog, Temperatur und Luftfeuchte, Wasser- und Nährstoffversorgung sowie Halt durch Verwurzelung (bei dem in solchen Balkontrögen üblichen leichten Substrat) sind kritische Größen. Um auf der sicheren Seite zu sein, auch aufgrund der Gebäude-Haftpflichtversicherung, wurden an einer Universität in den USA Windkanalversuche mit Originalbauteilen durchgeführt. Schließlich sind die Bäume später bis zu 9 m hoch, die Substrathöhe in den Pflanztrögen beträgt aber nur 1 m. Eine weitere Maßnahme der Vorsorge war, die Bäume in einer speziellen Baumschule zu ziehen, sodass sie von Anfang an unter den besonderen Konditionen aufwachsen, denen sie nach der Verpflanzung an die Fassade ausgesetzt sind.
Der Inhalt der Pflanztröge geht mit dem Kauf der Eigentumswohnungen nicht in die Obhut und Verantwortung der Bewohner über. Er ist ein Teil des „Klimasystems Fassade“ und wird deshalb nach einem Wartungsvertrag von Pflanzenfachleuten betreut. Diese kommen mehrmals im Jahr im Korb von oben eingeschwebt, wie Fens­terputzer, mithilfe eines an der Dachkante entlang fahrenden Krans.

Betriebswasserkonzept und Geothermie

Alle Pflanztröge sind an eine automatische Bewässerung angeschlossen. Diese sollte ursprünglich aus aufbereitetem Grauwasser der Wohnungen gespeist werden. Nun wird das Betriebswassersystem mit Grundwasser versorgt. Im Zuge der Baugrunduntersuchung hat sich ergeben, dass in ca. 20 m Tiefe Grundwasser ansteht, das früher von den Fabriken an diesem Standort genutzt wurde. Seit das Industriezeitalter hier vor einigen Jahrzehnten zu Ende ging, stellt man einerseits eine Verschlechterung der Qualität dieses oberen Grundwasserleiters fest, andererseits einen kontinuierlichen Anstieg des Wasserspiegels. Das veranlasst die Stadtverwaltung, bei Baumaßnahmen die Nutzung und Aufbereitung des Grundwassers mit Nachdruck zu empfehlen.
Auf dem Gelände von Porta Nuova Isola wurden mehrere Brunnen gebohrt. Das Wasser wird aufbereitet, ein Teilstrom in das Betriebswassernetz gepumpt, mit dem die Pflanztröge an den Fassaden der Wohntürme versorgt werden. Ein anderer Teil wird durch Wärmeübertrager geleitet, um die geothermische Kapazität des Grundwassers auch für die Heiztechnik zu nutzen. Da ganzjährig Kapazität zur Verfügung steht, wird die gewonneneWärme für die ebenfalls ganzjährig benötigte Warmwasserbereitung verwendet. Dafür kommen in einer unterirdischen Technikzentrale neben den Wärmeübertragern vier Wärmepumpen zum Einsatz. Von der Technikzentrale werden die beiden Wohntürme, aber auch drei weitere niedrigere Häuser auf dem Areal u.a. mit Heiz- und Trinkwasser über ein Ringleitungssystem versorgt. Übergabestationen in den Gebäuden sorgen für eine separate Unterverteilung.
Das überschüssige Grundwasser wird nach dem Wärmeentzug über Sickerschächte in den Untergrund zurückgegeben – im Winter etwas kühler als entnommen, im Sommer ggf. etwas wärmer, da die Klimatechnik der Gebäude ihre Abwärme dem zu versickernden Wasser mitgeben darf. In der Gesamtmenge wird weniger zurückfließen, da die Differenz für die Bewässerung der Fassadenpflanzen benö­tigt wird. Ein Teil des von den Pflanzen verbrauchten Grundwassers verdunstet und unterstützt so zudem die Kühlung der Gebäude.

Klimatisierung und Zertifizierung der Gebäude

Die Verschattung durch die Laubbäume im Sommerhalbjahr und deren Verdunstungskühlung wird bei der Bemessung der Kühlleistung für die Innenräume pauschal in Ansatz gebracht. Daten dazu wollte der Fachingenieur nicht nennen. Man habe jedoch vor, mit den in den ersten Jahren gewonnenen Messdaten die Technik nachträglich zu justieren. Auch zum Wasserverbrauch soll eine Evaluierung erfolgen, entsprechende Zähler seien installiert. Angestrebt ist, das Projekt nach LEED (Leadership in Energy and Environmental Design) zertifizieren zu lassen, zu der eine Auszeichnung in Gold ins Visier des Projektentwicklers genommen wurde. „Zwei Punkte für die Nutzung des Grundwassers zur Bewässerung der Außenanlagen sind bereits garantiert“, erklärt dazu der verantwortliche LEED-Berater Mattia Mariani und ergänzt: „Auch die Wasserspararmaturen in Sanitärräumen und Küchen werden berücksichtigt. Und natürlich gibt es Punkte für das Begrünen des Grundstücks im Sinne von Vermeiden urbaner Erhitzung.“ Wieviel Punkte für einen Hektar Wald vor der Hochhausfassade als Schatten spendendes Element zu vergeben ist, sei in den Zertifizierungslisten allerdings nicht zu finden gewesen. Hier habe man den Vergleich mit Markisen gesucht und improvisiert.


Der Baum als natürliche Klimaanlage

Jede Pflanze, jeder Baum transpiriert und stellt eine natürliche Klimaanlage dar. Aloys Bernatzky, hat 1978 in seinem Buch „Baumchirurgie und Baumpflege“ den Funktionswert einer 100-jährigen frei stehenden Buche bei besten ökologischen Voraussetzungen beschrieben. Dieser 25m hohe Baum mit einer Kronenbreite von 14m, einem Kronenvolumen von 2700m³ und einer innerzellularen Blattfläche von 160000m² nimmt stündlich 2352g CO2 und 960g Wasser auf. Seine Gesamtverdunstung im Jahr beträgt 10m³ Wasser bei einem Wärmeverzehr von insgesamt 8 x 106 kcal. Das entspricht bei 1m³ Wasser 8 x 105 oder 800000 kcal pro Jahr.


Projektdaten Bosco Verticale/Porta Nuova Isola
Lage in Mailand:   
Zwischen Via de Castillia und Via Confalonieri

Gesamtfläche Areal Porta Nuova Isola:   
40000m²
Wohnturm D:   
Höhe 80m, 18 Stockwerke, 40 Appartements
Wohnturm E:   
Höhe 112m, 26 Stockwerke, 73 Appartements
Pflanztrogfläche an den Hochhausfassaden:   
10000m²
Bauzeit: 2008 bis 2013
Kosten:  65 Mio. Euro
Bepflanzung der Gebäude:   
480 große und mittlere Bäume
250 kleinere Bäume
11000 Bodendecker
5000 Büsche


Autor: Klaus W. König, Überlingen

Bilder, soweit nicht anders angegeben: König

 


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