Auf den Querschnitt kommt es an
Warum das Entgraten von Kupfer- oder Edelstahlrohren in der Hausinstallation unverzichtbar ist
In der Sanitär- und Heizungsinstallation gehört das Ablängen und Verlegen von Kupfer- und Edelstahlrohren zum Alltag. Ein entscheidender Arbeitsschritt wird dabei allerdings immer wieder vernachlässigt, wenn ein Rohrabschneider zum Einsatz kommt: das fachgerechte Entgraten der Rohrenden. Auf den ersten Blick erscheint das Entgraten als lästige, zeitaufwendige Nebensache – in der Praxis hat dieser Schritt jedoch weitreichende Auswirkungen auf die Funktionsfähigkeit und Lebensdauer der gesamten Installation. Warum das so ist, fasst IKZ-Chefredakteur Markus Sironi hier zusammen.
Das Problem: Unsichtbarer Widerstand
Beim Schneiden von Kupfer- und Edelstahlrohren mit dem Rohrabschneider entsteht am inneren Rand ein sogenannter „Innengrat“ – eine scharfkantige Einengung des Rohrquerschnitts. Wird dieser Grat nicht entfernt, reduziert er den effektiven Strömungsquerschnitt des Rohres. Das führt zum einen zu einem erhöhten Durchflusswiderstand der Rohrleitung und zum anderen zu lokal erhöhter Strömungsgeschwindigkeit (mit der Folge von Erosion an Rohren, oft in Bögen). Nicht zuletzt können sich Schmutzpartikel am Innengrad ablagern.
Wie gravierend die Querschnittsverkleinerung durch einen nicht entfernten Grat ist, zeigen zwei einfache Rechnungen am Beispiel eines Kupferrohres, einmal in der Dimension 15 x 1 mm und einmal in 28 x 1 mm. Wir gehen in der Berechnung von einem gleichmäßig rund verlaufenden Innengrat aus, der den Radius des Rohres um lediglich 0,5 mm verringert – ein konservativer Wert.
Zwei Rechenbeispiele
Beispiel 1: Kupferrohr 15 mm Außendurchmesser (1 mm Wandstärke)
Ohne Grat: Radius = 6,5 mm
Querschnitt A = π × r2 = π × 6,52 ≈ 132,73 mm2
Mit Innengrat: Radius = 6,0 mm Querschnitt A = π × r2 = π × 6,02 ≈ 113,10 mm2
Verlust durch Grat: ca. 19,6 mm2 bzw. 14,8 % weniger Querschnitt.
Beispiel 2: Kupferrohr 28 mm Außendurchmesser (1 mm Wandstärke)
Ohne Grat: Radius = 13,0 mm Querschnitt A = π × r2 = π × 132 ≈ 530,93 mm2
Mit Innengrat: Radius = 12,5 mm Querschnitt A = π × r2 = π × 12,52 ≈ 490,87 mm2
Verlust durch Grat: ca. 40 mm2 bzw. 7,5 % weniger Querschnitt.
Der Vergleich zeigt, dass die Querschnittsverminderung bei kleinen Rohrdurchmessern deutlich ausgeprägter ausfällt. Man könnte also schlussfolgern, dass die Problematik bei größeren Durchmessern garnicht ins Gewicht fällt. Doch weit gefehlt. Schauen wir uns nur die Installation einer Wärmepumpe an. Hier sind generell große Volumenströme erforderlich, damit die Anlage störungsfrei laufen kann. Schon eine Reduzierung des freien Querschnittes von wenigen Prozent kann bei knapper Rohrleitungsdimensionierung ursächlich dafür sein, dass der erforderliche Mindestvolumenstrom für die Wärmepumpe nicht erreicht wird. Gleiches gilt sinngemäß für Steigleitungen in Trinkwasserinstallationen von Mehrfamilienhäusern, die ja aus hygienischen Gründen ohnehin bewusst knapp dimensioniert werden.
Entgraten von Rohrleitungen - Normative und technische Grundlagen
Regelwerk
- DIN EN 806-4: Verlangt gratfreie Rohrenden zur Vermeidung hygienischer und mechanischer Mängel. Der Grat kann Ablagerungen fördern und hygienische Risiken erzeugen.
- DIN 1988-200: Fordert einen freien Strömungsquerschnitt zur Reduktion von Druckverlusten. Ein Innengrat wirkt wie eine dauerhafte Drosselstelle.
- DVGW-Arbeitsblatt W 534: Beschreibt das Entgraten als verbindlichen Verarbeitungsschritt bei der Verarbeitung metallener Rohrsysteme.
- ZVSHK: Schulungsunterlagen und Fachinformationen der Handwerksorganisation betonen das Entgraten als Standardarbeitsschritt und Bestandteil einer fachgerechten Ausführung.
Fachliteratur
- „Sanitärtechnik – Grundlagen, Planung, Ausführung“ (K. Rüdenauer et al.): Beschreibt die hydraulischen Auswirkungen von Querschnittsverengungen, die durch Grate entstehen können. Auch das Risiko lokaler Strömungsturbulenzen und Korrosion wird behandelt.
- „Praxiswissen Kupferinstallation“ (Kupferinstitut Düsseldorf), Fachbroschüre mit Hinweisen zur Verarbeitung: Der Zusammenhang zwischen Grat, Strömungsturbulenz und Erosionskorrosion wird dargestellt.
Bauabnahme kann verweigert werden
Die hydraulischen Nachteile durch nicht entgratete Rohrleitungen sind offensichtlich. Doch es gibt weitere Folgen. Besonders kritisch: Strömungsturbulenzen an der Gratkante können die sogenannte Erosion fördern – eine Korrosionsvariante und eine häufige Ursache für Leckagen in Kupferrohrleitungen. Zudem können Kanten und Engstellen immer auch als Anhaftungspunkt für Schmutzpartikel dienen. Gerade in Trinkwasserleitungen können so ideale Bedingungen für Biofilmbildung und mikrobiologisches Wachstum entstehen.
Öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige für das Installateur- und Heizungsbauerhandwerk sehen die Nachlässigkeit beim Entgraten kritisch und legen insbesondere bei der Baubegleitenden Qualitätsüberwachung (BQÜ) ein besonderes Augenmerk darauf. „Regelmäßig kommt es vor, dass bei Bauvorhaben in besonders sensiblen Bereichen das Entgraten der Rohrleitung z. B. durch Endoskopie oder aufgeschnittene Probestücke kontrolliert wird. Wenn durch die Ausprägung der Grate an den Rohrenden eine mikrobiologische Verkeimung nicht ausgeschlossen werden kann (Grundsatz § 37 IFSG) wird die Installation nicht abgenommen“, berichtet Robert Kutzleb, VDI/DVQST zertifizierter Sachverständiger für Trinkwasser-Hygiene aus Geilenkirchen, und ergänzt: „In solchen Fällen wird mitunter sogar ein kompletter Austausch der betroffenen Leitungen gefordert.“
Praxistipp: Erleichtertes Entgraten
In der Praxis hat sich gezeigt, dass insbesondere das Ablängen von Edelstahl-Rohrleitungen mit einem Rohrabschneider nicht mehr Zeitgemäß ist da durch den Druck des Schneidrads auf das Rohr immer ein Kegelförmiger Grat entsteht. Dieser Kegel entsteht z.B. beim Ablängen mit einer Bandsäge nicht. Robert Kutzleb berichtet, dass er im Rahmen der BQÜ für das Ablängen von Edelstahlleitungen den Einsatz von Bandsägen empfiehlt, was von den Firmen oft mit positivem Feedback umgesetzt werde. Der Einsatz eines Trennschneiders sei im Übrigen keine Alternative. Dazu Robert Kutzleb: „Bei Viega z. B. steht explizit in der Verarbeitungsanleitung für Kupferrohre, dass das Ablängen mit einem Rohrabschneider oder einer feinzahnigen Metallsäge rechtwinklig erfolgen muss (Pkt. 3.4.3). Weiter heißt es: „Benutzen Sie zum Entgraten keine Schleifscheiben oder ähnliches Werkzeug. Die Rohre können dadurch beschädigt werden.“
Fazit: Kleine Maßnahme, große Wirkung
Das fachgerechte Entgraten von Kupfer- und Edelstahlrohren ist also kein kosmetischer Schritt, sondern eine zwingend notwendige Maßnahme für eine dauerhafte, hygienische und betriebssichere Installation. Auch wenn Zeitdruck auf der Baustelle häufig als Argument gegen das Entgraten herhalten muss – die paar Sekunden Mehraufwand zahlen sich durch weniger Reklamationen, höhere Anlagenqualität und zufriedene Kunden nachhaltig aus. Wer Kupfer- oder Edelstahlrohre installiert, ohne zu entgraten, spart an der falschen Stelle – und riskiert nicht nur technische Schäden, sondern auch die Abnahme seiner Arbeit.