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„80 Prozent Autarkie mit Photovoltaik möglich“ - IKZ-ENERGY Interview mit BayWa-Geschäftsführer Günter Haug über das Plus-Energie-Solarhaus

Einst machten sich PV-Pioniere strafbar, wenn sie sich über eigenen Solarstrom von der öffentlichen Stromversorgung abnabeln wollten. Doch die Zeiten haben sich gewandelt. Heute zeigt das Münchener Erneuerbare Energien Unternehmen BayWa r.e. mit seinem Plus-Energie-Solarhaus, dass eine fast vollständige Selbstversorgung über eine PV-Anlage auf dem Dach gelingen kann und bietet dieses Modell ganz legal zum Kauf am Markt an. Wir sprachen mit BayWa r.e.-Geschäftsführer Günter Haug über das Konzept und die Ergebnisse des ersten Projekthauses, das 2015 in Tübingen gebaut wurde

BayWa r.e.-Geschäftsführer Günter Haug. Bild: BayWa

Das Konzept wird derzeit auf ein Siedlungsprojekt in Friedberg-Hügelshart übertragen. Seit diesem Frühjahr entsteht dort eine Effizienzhaus Plus-Siedlung, bestehend aus neun Einfamilienhäusern und vier Doppelhaushälften. Bild: Asset GmbH

Ein Modellhaus des Plus-Energie-Solarhauses wurde von der BayWa r.e. im Februar 2015 in Tübingen gebaut. Die Wohnfläche beträgt 200 m². Herzstück der Energieversorgung ist die große PV-Anlage (knapp 30 kWp). Bild: BayWa

Heizenergie und Warmwasser wird mit einer Luft-Wasser-Wärmepumpe erzeugt. Den notwendigen Betriebsstrom erhält sie zu zwei Drittel vom hauseigenen Solargenerator. Bild: BayWa

Die Häuser in der Siedlung Friedberg-Hügelshart sollen sich zu 70?% selbst mit Energie versorgen können. Die Kollektoren sind deutlich kleiner als beim Projekt in Tübingen. Die Gebäude haben alle Nord-Süd-Dächer, sodass nur das Süddach für eine PV-Anlage genutzt werden kann. Bild: Asset GmbH

 

IKZ-ENERGY: Herr Haug, was war das Ziel des Projekts Plus-Energie-Solarhaus in Tübingen?
Günter Haug: Bei der Konzeption des Plus-Energie-Solarhauses trieb uns die Frage an, wie unabhängig eine solare Hausenergieversorgung sein kann.

IKZ-ENERGY: Und, wie lautet das Ergebnis?
Günter Haug: Im ersten Jahr wurde für das Haus ein Autarkiegrad von durchschnittlich 80?% erreicht. Das Besondere an diesem Projekt ist, dass wir ausschließlich auf Produkte gesetzt haben, die sich bereits beim Kunden bewährt haben. Damit beweisen wir: Mit Photovoltaik kann die Energiewende bereits heute in den eigenen vier Wänden gelingen.

IKZ-ENERGY: Wie viel Quadratmeter Wohnfläche und wie viele Bewohner hat das Tübinger Plus-Energie-Solarhaus?
Günter Haug: Die Wohnfläche beträgt knapp 230 m². Das Haus wird von vier Erwachsenen und einem Kind bewohnt. Das Konzept funktioniert überall.

IKZ-ENERGY: Das Gebäude zeigt sehr viel Glasfläche – ist die passive Wärmegewinnung in diesem Umfang eine notwendige Voraussetzung zum Funktionieren dieses Systems?
Günter Haug:
Die Glasfläche hat Einfluss auf den Heizwärmebedarf, ist jedoch nicht konzeptentscheidend. Daher kann das Konzept mit jedem Ein- bis Zwei-Familienhaus umgesetzt werden. Je größer die PV-Anlage und die Batterie und je geringer der Strom- und Wärmeverbrauch sind (KfW-Standard, Nutzungsverhalten, etc.), umso höher ist die Autarkiequote.

IKZ-ENERGY: Wann muss noch Netzstrom bezogen werden?
Günter Haug: Grundsätzlich ist festzuhalten, dass die PV-Energie von März bis Oktober ausreicht, um das Haus nahezu vollständig zu versorgen. Im Winter reicht die PV-Energie jedoch nicht aus, um den gesamten Bedarf (Strom, Warmwasser und Heizung) zu decken. Sonnige Tage im Winter oder sehr milde Tage im Winter bei wenig Sonne können durch das PV-System abgedeckt werden. Aber an kalten und dunklen Tagen ist bisher noch Netzstrom nötig.

IKZ-ENERGY: Müssen sich die Verbraucher entsprechend einstellen bzw. dem System entgegen kommen, z.B. mit Timern an Geschirrspüler oder Waschmaschine, sodass diese zur Mittagszeit starten?
Günter Haug: Wir haben das Plus-Energie-Solarhaus bisher komplett ohne zusätzliche Verbrauchersteuerung betrieben. Daher müssen sich die Verbraucher nicht einschränken.

IKZ-ENERGY: Konnte die Wärmepumpe ausschließlich mit dem selbst erzeugten Solarstrom betrieben werden?
Günter Haug: Nein, die Wärmepumpe konnte nicht komplett mit dem selbsterzeugten Solarstrom betrieben werden. Aus unseren Test-Aufzeichnungen des separaten Wärmepumpenverbrauchs von September 2015 bis März 2016 hatte die Wärmepumpe einen Verbrauch von 3216 kWh. Davon stammen 2157 kWh direkt aus der PV-Anlage oder der Batterie. Damit wurden 67?% selbst gedeckt und 33?% oder 1059 kWh aus dem Netz bezogen.

IKZ-ENERGY: Wie funktioniert das Zusammenspiel der unterschiedlichen Managementsysteme im Gesamtsystem? Wer ist Master, wer Slave?
Günter Haug: In unserem System gibt es nur einen Energiemanager: der „SMA Sunny Home Manager“. Er kommuniziert direkt mit dem Wärmepumpenmanager von Stiebel Eltron. Der Wärmepumpenmanager meldet den Bedarf an den „Sunny Home Manager“ und dieser plant dann den Betrieb der Wärmepumpe nach der Ertragsprognose ein. Werden jedoch bestimmte Mindestwerte (Raumtemperatur, Temperatur im thermischen Speicher) unterschritten, dann schaltet sich die Wärmepumpe selbsttätig ein.

IKZ-ENERGY: Es ist ein sehr komplexes System. Wie sicher ist die stabile Lieferung der Energie für jeden Anwendungsfall just in time, und wie oft musste das System gewartet werden?
Günter Haug: Die Wartungszyklen sind die gleichen wie bei anderen Standard-PV- und Wärmepumpen-Anlagen. Das System ist mittlerweile – auch durch unser Plus-Energie-Solarhaus – so ausgereift, dass wir es unseren Kunden weiterempfehlen und weitergeben können.

IKZ-ENERGY: Was kostet ein solches Selbstversorgungs-System komplett nach Marktpreisen und wie hoch sind die Installationskosten?
Günter Haug: Aktuell können wir noch keine Angaben zu den Kosten und der Wirtschaftlichkeit machen. Dies wird gerade im Rahmen einer Masterarbeit untersucht – auch im Hinblick auf aktuell gesunkene Komponentenpreise. Der Schwerpunkt bei der Planung des Plus-Energie-Solarhauses wurde jedoch nicht auf die Wirtschaftlichkeit gelegt, sondern auf eine Umgebung, in der zukünftig weitere Maßnahmen zur Erhöhung der Autarkie getestet werden können. Wir haben das Konzept aber wirtschaftlich angepasst in der Effizienzhaussiedlung Hügelshart in die Serie überführt (Projektdaten s. Steckbrief Modellsiedlung, Anm. d. Red.).

IKZ-ENERGY: Was sind dort die wirtschaftlichen Anpassungen?
Günter Haug: Die PV-Anlagen sind im Siedlungsprojekt Friedberg-Hügelshart kleiner geplant als der Generator in Tübingen. Die Gebäude haben alle Nord-Süd-Dächer, sodass nur das Süddach für eine PV-Anlage genutzt werden kann. Die Häuser liegen aufgrund des sich bietenden Mehrwerts etwas über den in der Region üblichen Neubaupreisen. Der Mehrwert ist die Energie-Autarkie von über 70%.

IKZ-ENERGY: Noch sind solche Solarstrom-Autarkiekonzepte teuer. Welche Entwicklung bzgl. der Kosten solcher Systeme erwarten Sie in den nächsten Jahren?
Günter Haug: Wir untersuchen derzeit, ob solche Solarstrom-Autarkiekonzepte wirklich deutlich teurer sind oder nur unmerklich. Durch die weiter sinkenden Kosten für PV-Komponenten insbesondere bei Speichern werden Häuser mit hohem Eigenverbrauch und hoher Autarkie wirtschaftlich immer interessanter.

IKZ-ENERGY: Seit einigen Jahren wird auch die Grundsatzdiskussion geführt, ob die Photovoltaik die Solarthermie als Lieferant von Solarenergie für die Gebäudewärmeversorgung ablösen wird. Jetzt stellt BayWa r.e. ein Konzept vor, dass auf Basis von Solarstrom funktioniert. Wie sehen Sie das Verhältnis von Autarkiekonzepten auf Basis von PV zu solchen auf Basis von Solarthermie, z.?B. in Form von SolarAktivhäusern? Wer hat die bessere Zukunft?
Günter Haug: Grundsätzlich lässt sich ein solches System auch mittels Solarthermie und PV aufbauen. Der überwiegende Schwerpunkt unserer Expertise bei BayWa r.e. liegt jedoch in der PV. Daher war es naheliegend, das Plus-Energie-Solarhaus rein mit PV zu konzeptionieren. Einen Vorteil hat jedoch die PV: Sie kann flexibel zur Deckung des Stromverbrauchs oder (über die Wärmepumpe) zur Wärmeerzeugung eingesetzt werden.

IKZ-ENERGY: Wie viele Plus-Energie-Solarhäuser wollen Sie in den nächsten 5 Jahren gebaut haben?
Günter Haug: Aufgrund der sehr hohen und positiven Resonanz auf unser Plus-Energie-Solarhaus und der Effizienzhaussiedlung Hügelshart haben wir aktuell mehrere konkrete Anfragen für ähnliche Projekte vorliegen. In Kombination mit unseren Kollegen von der BayWa Baustoffe können wir Bauträgern und Architekten nicht nur das Energiekonzept liefern, sondern auch die richtigen Materialien für eine energiesparende und gesunde Gebäudehülle. Wir gehen davon aus, dass wir in den nächsten fünf Jahren mehrere Hundert Gebäude dieser Art ausrüsten können.

IKZ-ENERGY: Herr Haug, wir bedanken uns für das Gespräch.

Das Interview führte IKZ-ENERGY-Autor Dittmar Koop.


Worum es geht
Die Entwicklung des Solarmarkts in Deutschland geht im Einfamilienhausbereich seit einigen Jahren weg von der klassischen Einspeisung von Strom ins öffentliche Netz hin zur Eigenversorgung. Neu- und auch Altanlagenbesitzer werden zu Prosumern. Für sie lohnt es sich mehr und mehr, den selbst erzeugten Strom (Produzent) auch selbst zu konsumieren (Konsument).


Gebäudesteckbriefe Tübinger Modellhaus und Modellsiedlung Hügelshart

  • Ein Modellhaus des Plus-Energie-Solarhauses wurde von der BayWa r.e. im Februar 2015 in Tübingen gebaut. Die PV-Anlage des Tübinger Modellhauses wurde sehr groß dimensioniert. Sie besteht aus 124 Modulen (62 SolarFabrik-Module „PremiumXM mono black“ (210 Wp) und 62 LG-Module „MonoX LG270S1K-B3“ (270 Wp)). Die Gesamtleistung beträgt 29,76 kWp.
  • Im Mess-Zeitraum vom 1. März 2015 bis zum 29. Februar 2016 erzeugte die Anlage 28?680 kWh Strom (Für den Standort Tübingen wird ein Solarertrag von 956 kWh/kWp und Jahr angegeben). Vom Gesamtertrag wurden 4950 kWh Strom direkt verbraucht und 3680 kWh zunächst in dem hauseigenen Solarspeicher geladen und später verbraucht (effektiv nutzbare Speicherkapazität der Batterie: 16 kWh). Mit dem Strom wurde jeglicher Energiebedarf des Gebäudes gedeckt (Strom, Warmwasser, Heizung).
  • Für die Wärmeversorgung wurde eine Luft/Wasser-Wärmepumpe (Stiebel Eltron Inverter-Luft/Wasser-Wärmepumpe, „WPL 25A“) installiert und diese mit einem Pufferspeicher kombiniert. Der Speicher besitzt ein Fassungsvermögen von 1500 l (Stiebel Eltron, Pufferspeicher „SBS 1501“).
  • Das Konzert im Zusammenspiel der einzelnen Bestandteile zu einem Gesamtsystem dirigiert nur ein Energiemanager: der „Sunny Home Manager“ von SMA. Er kommuniziert über das ISG (= InternetServiceGateway) mit dem Wärmepumpenmanager von Stiebel Eltron.
  • BayWa r.e. überträgt seit Frühjahr 2016 das Tübinger Konzept auf ein Siedlungsprojekt in Friedberg-Hügelshart. Dort entsteht eine Effizienzhaus Plus-Siedlung, bestehend aus neun Einfamilienhäusern und vier Doppelhaushälften.
  • Die Einfamilienhäuser in Hügelshart erhalten 44 Module (11,80 kWp) und die Doppelhaushälften „nur“ 28 Module (7,56 kWp) aufgrund von Vorschriften zum Brandschutz.
  • Bei den Einfamilienhäusern wird mit einem jährlichen Stromertrag von ca. 13170 kWh gerechnet, bei den Doppelhaushälften sollen es ca. 8340 kWh sein. Dem steht ein prognostizierter Strombedarf von 6650 kWh pro Jahr in den Einfamilienhäusern (EFH) gegenüber.
  • Für die Doppelhaushälften (DHH) wird der Verbrauch auf 6050 kWh taxiert. In den Werten ist der Haushaltsstrom mit 3200 kWh (EFH) und 3100 kWh (DHH) bereits enthalten. Auch in Hügelshart wird der PV-Strom entweder direkt verbraucht oder zunächst in der Solarbatterie zwischengespeichert.

 

 


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