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45 Berufsjahre: Ist die abschlagsfreie Rente mit 63 gerecht?

Holger Schwannecke, Generalsekretär Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH)

 

 

Das neue Rentenpaket hat in den letzten Monaten alle parlamentarischen Hürden genommen und ist am 1. Juli in Kraft getreten. Wer als "langjährig Beschäftigter" gilt, kann abschlagsfrei mit 63 Jahren in Rente gehen. Langjährig beschäftigt ist jemand, der 45 Jahre lang in die Rentenkasse eingezahlt hat. Bestimmte Ersatzzeiten sind dabei anrechenbar, etwa Wehr- oder Zivildienst, Zeiten der Arbeitslosigkeit und Zeiten, in denen ein Selbstständiger Beiträge in eine Rentenkasse eingezahlt hat. Weitere wichtige Voraussetzung ist, der Versicherte ist vor 1953 geboren. Wer zwischen 1953 und 1964 geboren ist, muss länger arbeiten. Pro Geburtsjahr sind es zwei Monate. Für Versicherte, die nach 1964 geboren sind, gilt das Renteneintrittsalter 67. Erfüllt er bestimmte Kriterien, kann auch er abschlagsfrei Altersruhegeld beziehen - frühestens aber mit 65. Wie viele Personen nun ohne Verlustabzüge die Rente mit 63 beziehne können, darüber gibt es unterschiedliche Schätzungen. Die einen Quellen gehen von 200 000 aus, andere sprechen von 350 000 Personen. Genaue vorhersehbare Zahlen wird es angesichts dieser Bandbreite wohl nicht geben. Gut eine Woche nach Verabschiedung des Gesetzes sollen bereits 50 000 Anträge bei den Rentenversicherungsträgern eingegangen sein. Verschiedene Kreise diskutierten schon lange vor der Verabschiedung über das Für und Wider des Gesetzes. Nun ist die Rentenregel durch und die IKZ-HAUSTECHNIK möchte an dieser Stelle diejenigen zu Wort kommen lassen, die es direkt betrifft: Die Arbeitgeber- und die Arbeitnehmerseite.

Pro

Hans-Jürgen Urban, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall

Ab 1. Juli 2014 haben besonders langjährig Versicherte die Möglichkeit, vorzeitig ohne Abschläge in Rente zu gehen - wenn sie 45 Jahre Beiträge gezahlt haben. Zeiten der Arbeitslosigkeit zählen unter bestimmten Umständen mit. Und: anders als ursprünglich von der Bundesregierung geplant, zählen auch freiwillig gezahlte Beiträge zur Rentenversicherung mit, wenn innerhalb der 45 Beitragsjahre mindestens 18 Jahre Pflichtbeiträge geleistet wurden. Eine Regelungen, die für selbstständige Handwerker von Interesse sein dürfte. Mit der besseren Absicherung bei Erwerbsminderung und der zusätzlichen Anerkennung von Erziehungsleistung ("Mütter-Rente") hat der Gesetzgeber ein Rentenpaket geschnürt, das erstmals seit mehreren Jahrzehnten des Sozialabbaus wieder Sozialaufbau in der Rentenversicherung vorsieht. Das ist gut so - eine bessere Versorgung im Alter ist dringend geboten!
So bringt die Rente für besonders langjährig Versicherte wieder etwas mehr Leistungsgerechtigkeit in das Rentenrecht. Denn langjährige Beitragszahler zahlen viel und erhalten vergleichsweise wenig. Werden Altersrenten im Durchschnitt 21 Jahre lang bezogen, so erhalten langjährig Versicherte ihre Leistungen nur etwa 15 Jahre. Eine Gerechtigkeitslücke, die meist unterschlagen und durch einen vorzeitigen Renteneintritt verringert wird. Das nützt den Betroffenen und stärkt zugleich die gesellschaftliche Akzeptanz der gesetzlichen Rentenversicherung.
Zudem weisen etwa typische Erwerbsverläufe von Handwerkern neben einem frühen Einstieg ins Berufsleben auch einen frühen Erwerbsaustritt auf. Körperlich verschleißende Arbeit fordert nicht nur beim sprichwörtlichen Dachdecker ihren Tribut: Für Maler und Lackierer ist durchschnittlich mit knapp 63 Jahren Schluss, in Elektroberufen mit rund 6o und beim Hoch- und Tiefbau mit weniger als 58. Auf die Betroffenen warten dann Krankheit, Arbeitslosigkeit und am Ende gekürzte Renten. Mit der Rente 63 gibt es nun für mehr Beschäftigte die Chance, dass am Ende des Erwerbslebens die Brücke in die Rente besser trägt und ihnen Abschläge und Mini-Renten erspart bleiben.
Doch es ist nicht alles Gold was glänzt. Kritiker des Rentenpaketes, die darauf verweisen, dass mit dem Rentenpaket zwar einiges besser wird, aber Antworten auf zentrale Fragen der Alterssicherung noch ausstehen, tun dies zu Recht. Weitere Maßnahmen müssen folgen: Auskömmliche Renten und einen wirksamen Schutz vor Altersarmut wird es nur geben, wenn das Rentenniveau stabilisiert und die Renten wieder an die Lohnentwicklung gekoppelt werden - und die Rente mit 67 bleibt der falsche Weg!
Unberechtigt sind allerdings die Horrorszenarien derjenigen, die mit der Rente mit 63 Frühverrentungswellen heraufbeschwören und einen Rückschlag bei der Fachkräftesicherung beklagen. Denn nicht die abschlagsfreie Rente nach 45 Versicherungsjahren wird in Zukunft darüber entscheiden, ob auch ältere Fachkräfte kürzer oder länger erwerbstätig sein werden. Wie gesehen liegt der Erwerbsaustritt vieler Berufe weit vor der Rente. Entscheidend ist die Qualität der Arbeitsbedingungen. Nicht gekürzte Renten und eine unrealistisch hohe Regelaltersgrenze, sondern altersgerechte Arbeitsplätze und gute Löhne sind Schlüssel zur Sicherung des Fachkräftebedarfs - gerade auch im Handwerk!

Contra

Holger Schwannecke, Generalsekretär Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH)

Im Rentenpaket der Bundesregierung sind höchst unterschiedliche Regelungen verpackt. Die Verbesserungen bei der Erwerbsminderungsrente sind richtig. Doch die Mütterrente ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, mit der die Beitragszahler nicht belastet werden dürfen! Und die Rente mit 63 ohne Abschläge nur für Angehörige der Jahrgänge 1950 bis 1963 ist falsch und verantwortungslos.
Eine Rentenversicherung belohnt nicht die subjektive Lebensleistung, sie muss sich an Versicherungsmathematik halten. "Nicht geschenkt, sondern verdient", wie es in der Werbung des Ministeriums heißt, ist daher ein hohler Werbespruch. Die neuen Frührentner sind doch bereits privilegiert gegenüber allen anderen Rentnern - sie haben im Schnitt den Anspruch auf doppelt so hohe Rentenzahlungen verglichen mit der Durchschnittsrente, und sie dürfen auch nach bisher geltendem Rentenrecht vorzeitig mit 65 ohne Abschläge in Rente gehen.
Die Bundesregierung nennt die Rente ohne Abschläge mit 63 gerecht. Alle anderen - Rentenversicherung, Wissenschaft, Wirtschaft, Medien - sehen nur Ungerechtigkeiten. Wer zahlt die Privilegien einer im Verhältnis kleinen Gruppe von Neurentnern? Alle! Arbeitnehmer und Arbeitgeber über höhere Beiträge; Rentner, weil ihre Rentenerhöhungen geringer ausfallen werden; und vor allem die junge Generation. Sie muss höhere Beiträge entrichten, wird deutlich später in Rente gehen können und bekommt auch deutlich niedrigere Renten. Auch nach 45 Jahren Maloche. Also: Von wegen gerecht!
Viel schlimmer aber ist die "Rolle rückwärts" in der Rentenpolitik angesichts der dramatischen Entwicklung der Demografie. Die privilegierten Jahrgänge sind die besonders geburtenstarken Jahrgänge in Deutschland. Sie gehen jetzt in großer Zahl vorzeitig in Rente - das belastet die Sozialkassen über Jahrzehnte! Die Tatsache, dass in Deutschland der Anteil der jungen Menschen im Erwerbsalter und damit der Beitragszahler immer weiter schrumpft, verschärft das Problem.
Von wegen: "Wir können uns das leisten." Die Rücklagen der Rentenversicherung gehören allen Beitragszahlern und dürfen nicht für Geschenke für einen kleinen Personenkreis verfrühstückt werden.
Die Betriebe haben sich seit dem Beschluss für "Arbeit bis 67" intensiv mit der Fachkräftesicherung befasst. Im Handwerk wollen wir die Mitarbeiter länger beschäftigen und qualifizieren sie. Wir brauchen sie als Fachkräfte mit Erfahrung. Wir haben ihnen erklärt, dass dies aufgrund der demografischen Entwicklung notwendig ist - zur Finanzierung des Rentensystems, zur Fachkräftesicherung. Ich glaube, das war alles korrekt - und die Rückkehr zur Frühverrentung ist eine Riesendummheit.
Unseren Mitarbeitern und den Betrieben wäre daher eher mit einem flexibel zu handhabenden Teilrentenmodell geholfen. Eine praktikable und flexible Teilrente kann gerade auch den Menschen helfen, die vor der Rente nicht mehr in Vollzeit arbeiten können oder wollen. Damit wird den Menschen auch erleichtert, bis zur Rente in Erwerbstätigkeit zu bleiben. Das gilt auch insbesondere für körperlich besonders belastende Berufe, wie es im Handwerk einige gibt. Die Bundesregierung hat versprochen, bis zum Herbst Vorschläge zur Verbesserung bei der Teilrente vorzulegen. Es wird Zeit!

 


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