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Widersprüchliche Abflussbeiwerte

Auswirkung unterschiedlicher Abflusskennwerte auf die Berechnung der Regenwasserabflussmenge

Flachdach mit Kiesschüttung, Abflussbeiwert C = 0,5 nach DIN 1986-100, m = 0,7 nach DWA-Arbeitsblatt 138. In diesem Fall ist der Spitzen-Abflussbeiwert nach DIN niedriger als der mittlere Abflussbeiwert nach DWA. Rechenbeispiel: Bringt ein Regenschauer 10 000 l auf die Fläche, darf nach DIN von 5000 l als Spitzenabfluss, nach DWA von 7000 l als mittlerem Abfluss in der weiteren Berechnung ausgegangen werden.

Dachbegrünung extensiv, Abflussbeiwert 0,5. Hier verdunsten 50 % des auftreffenden Niederschlages im Durchschnitt. Sowohl der Spitzen-Abflussbeiwert C nach DIN 1986-100 als auch der mittlere Abflussbeiwert m sind übereinstimmend.

Dach teilweise mit extensiver Begrünung, teilweise mit Kiesschüttung. Der grüne Abschnitt darf mit m = 0,5 gerechnet werden, die Kiesfläche je nach verwendeter technischer Regel: Der Spitzen-Abflussbeiwert C nach DIN beträgt 0,5, während der mittlere Abflussbeiwert m bei DWA mit 0,7 angegeben wird.

Ergebnis einer Optimierungs-Simulation, um das bestmögliche Volumen bei der Auswahl von Regenspeichern zu erhalten – im Hinblick auf sowohl Trinkwassersubstitution als auch Regenrückhaltung. Bild: fbr, H 101

Einfluss der Regenwassernutzung auf den Abfluss. Die abflussreduzierende Wirkung der Regenwassernutzung setzt die richtige Speichergröße voraus. Bild oben: In diesem Fall ist der Regenspeicher zu klein, um bei einem Starkregenereignis die Abflussspitze „einzufangen“. Bild unten: In diesem Fall ist der Regenspeicher hinreichend groß. Dabei sind jedoch wirtschaftliche Aspekte zu beachten. Oberhalb einer gewissen Zisternengröße steigen die Kosten für deren Herstellung überproportional zu den eingesparten Gebühren. Bild: fbr, H 101

Regenwasserzisternen in einem Neubaugebiet. Auch wenn der Überlauf an das Kanalsystem angeschlossen ist, wird unter bestimmten Umständen in einigen Kommunen die Niederschlagsgebühr reduziert. Die Retentionswirkung des Regenspeichers wird dabei allerdings nur dann mit einem Abflussbeiwert berücksichtigt, wenn ganzjährig regelmäßig Wasser entnommen wird – z. B. durch Toilettenspülung. Bild: Mall

Klaus W. König.

 

Fachplaner, die mit der Regenentwässerung zu tun haben, stoßen bei der Berechnung der Abflussmenge auf Widersprüche. In den Regelwerken sind unterschiedliche Abflussbeiwerte für dieselbe Flächenart zu finden. Auch die Bewertung der Rückhaltefunktion von Regenspeichern erscheint willkürlich, insbesondere im Vergleich kommunaler Abwassersatzungen. Der vorliegende Beitrag erläutert Auswahlkriterien für Abflussbeiwerte und Zusammenhänge der Berechnung von Abflussmengen.

Im Interesse ihrer Bauherrschaft sollen Fachplaner in der Lage sein, Regenabflüsse bei Haus- und Grundstücksentwässerung so zu berechnen, dass die allgemein anerkannten Regeln der Technik ohne „Sicherheitszuschläge“ erfüllt werden. Sind jedoch mehrere Regelwerke mit unterschiedlichen Berechnungsfaktoren zum Thema vorhanden, gibt es Irritationen. Dies führt nicht selten dazu, mit Blick auf die eigene Haftung diejenigen Werte zu wählen, die zu einer größeren und damit sichereren Anlage führen. In der Folge steigen Investitions- und Betriebskosten unnötig an.

Sind Abflussbeiwerte nachvollziehbar?
Die DIN- und DWA-Regelgeber sind die bedeutendsten zum Thema Regenentwässerung. Zudem spielen die Einrichtungen der FGSV1), FLL2) und fbr3) eine Rolle, wenn es um Verkehrsflächen, Gründächer und Regenspeicher geht. Alle sind sich einig: Für die dezentrale Regenwasserbewirtschaftung ist von Vorteil, wenn Niederschläge vor Ort bleiben, also genutzt, versickert oder verdunstet werden. Ist zusätzlich eine Regenwasserableitung erforderlich oder muss ein Speicher bzw. eine Versickerungs- oder Behandlungsanlage dimensioniert werden, benutzen Planer bei einfachen Bemessungsverfahren den statischen/fixen Abflussbeiwert der zu entwässernden Fläche – unabhängig vom Verlauf des Regenereignisses. Als Rechenfaktor ohne Einheit liegt er bei 0,0 (kein Abfluss) oder 1,0 (100 % Abfluss des auftreffenden Niederschlags) oder dazwischen. Gründächer haben in allen Regelwerken übereinstimmend den Wert 0,3 bei mehr als 10 cm Aufbau und 0,5 bei weniger als 10 cm. Das ist eindeutig und gibt Planungssicherheit. Bei anderen Flächenarten variieren jedoch die Werte je nachdem, welches Regelwerk benutzt wird.
Im Regelwerk der DWA, speziell in DWA-Arbeitsblatt 138, -Arbeitsblatt 117 und -Merkblatt 153 sind für die Bemessung von Versickerungsanlagen „mittlere Abflussbeiwerte“ in Tabellen unter dem Formelzeichen m zu finden. In Kommentaren werden die relativ niederen Werte mit Retention durch Speicherkapazitäten in Versickerungsanlagen begründet – und auf DIN 1986-100 bzw. DIN EN 12056-3 mit ihren „Spitzenabflusswerten“ verwiesen, falls es um die Berechnung von sogenannten Scheitelabflüssen geht. Bei den Werten der Normen DIN EN 12056-3 und DIN 1986-100 fällt im direkten Vergleich allerdings auf, dass nicht alle Werte höher sind, gegenüber den DWA-Regelwerken. So sind z. B. Kiesdächer sowie Rollkiesflächen bei den DIN-Normen sogar mit einem um 20 bis 30 % niedrigeren Abflussbeiwert eingestuft. Auch bei Pflasterflächen mit dichten Fugen und Flächen mit Platten sind Abweichungen festzustellen: Bei DWA-Regelwerksblättern gilt dafür 0,75, bei DIN 1986-100 nur 0,7. Vor diesem Hintergrund sollten die Auswirkungen überprüft werden, denn Planer tragen alleine die Verantwortung für die richtige Auswahl der Rechenwerte.
Versierte Ingenieure werden große Abflüsse mit dynamischen Oberflächenabflussmodellen simulieren. Die hier thematisierten statischen Abflussbeiwerte sind in der Regel nur für Einzelgrundstücke empfehlenswert, bei denen vor allem Planer tätig werden, die nicht auf Siedlungswasserwirtschaft spezialisiert sind. In Bezug auf die Überarbeitung der Regelwerke ist es wünschenswert, dass gerade für diese Anwendergruppe die Auswahlkriterien nicht nur in Kommentaren sondern eindeutig und nachvollziehbar in den Regelwerken vermittelt werden. Sonst können Fehler sowie Schäden und als Folge davon juristische Auseinandersetzungen entstehen. Erwartet wird nicht zuletzt aus diesen Gründen eine Neufassung der DIN 1986-100.

Retentionsleistung der Regenspeicher
„Trinkwasser sparen durch Regenwassernutzung“ hieß das Motto, als in den 1990er-Jahren der Bau von Zisternen durch mehrere Bundesländer bezuschusst wurde. Der über Jahrzehnte angestiegene Trinkwasserbedarf der Haushalte sollte reduziert und damit immer größere Fernwasserversorgungen verhindert werden. Diese Rechnung ging auf. Statt 147 l pro Person und Tag damals liegt der durchschnittliche Wasserbedarf im deutschen Haushalt heute bei 120 l. Der Stand der Technik bei Regenwassernutzung wurde in DIN 1989 (Ausgabe April 2002) dokumentiert.
25 Jahre später wissen wir, dass im Umgang mit Regenwasser Kombinationen von Nutzung, Versickerung, Verdunstung und verzögerter Ableitung angesagt sind. Anlass dazu geben die Auswirkungen von Starkregenereignissen, Trockenheit und aufgeheiztem Stadtklima. Fördermaßnahmen der Bundesländer oder Kommunen für die Regenwassernutzung im Besonderen und für die Regenwasserbewirtschaftung im Allgemeinen wurden weitgehend abgeschafft. Zuschüsse für Regenspeicher gibt es noch im Bundesland Bremen und in einigen Kommunen, wie z. B. Heidelberg, Bad Mergentheim oder Gräfelfing. Als finanzieller Anreiz dient inzwischen die verminderte Niederschlagsgebühr. Die Verminderung gibt es nur, wenn der Niederschlag dezentral bewirtschaftet wird, bzw. der Überlauf des Regenspeichers auf dem eigenen Grundstück versickert. Dass kontinuierliche Regenwassernutzung an sich eine beachtliche Retentionswirkung hat und damit zur Vorsorge bei Starkregen und Trockenheit beiträgt, wurde in den technischen Regeln weitgehend ignoriert – bei der Niederschlagsgebühr ebenso. In den Tabellen der DWA- und DIN-Regelwerke sind keine Abflussbeiwerte für Regenspeicher vorhanden.
Das könnte sich nun ändern. Langzeitsimulationen im Jahr 2010 an der Hafen City Universität Hamburg unter der Leitung von Prof. Dr.-Ing. Wolfgang Dickhaut ergaben je nach Nutzungsart, Regenintensität und Speichergröße hohe Retentionsleis­tungen. Vor Kurzem wurde der Effekt bestätigt durch Simulationsrechnungen von Dr.-Ing. Harald Sommer, Ingenieurgesellschaft Prof. Dr. Sieker mbH. Die Ergebnisse werden in „H 101“, einer technischen Regel der Fachvereinigung Betriebs- und Regenwassernutzung (fbr), voraussichtlich im Frühjahr 2016 veröffentlicht. Dann könnte Realität werden, was von vielen Branchenvertretern längst gefordert wird: Die Retentionsleistung von Regenspeichern zu definieren und wie bei Gründächern zu würdigen, unabhängig von der Art des Überlaufs.
Mit einem Abflussbeiwert von 0,5 für extensive und 0,3 für intensive Bauweise ist die Dachbegrünung seit vielen Jahren in den unterschiedlichen allgemein anerkannten Regeln der Technik präsent und damit der Regenwassernutzung um einige Nasenlängen voraus. Wünschenswert ist daher im Zuge nächster Aktualisierungen von Normen auch einen entsprechenden Wert für Regenspeicher in den Regelwerken zu verankern. Daraufhin sollten Kommunen entsprechend diesen Abflussbeiwerten Abschläge bei der Niederschlagsgebühr machen.

Niederschlagsgebühr
Es gibt schon Städte, die in diesem Sinne mit gutem Beispiel vorangehen, wie z. B. Darmstadt, Stuttgart, Ulm, Mannheim, Baden-Baden und Friedrichshafen. Der Gemeindetag Baden-Württemberg lieferte die Vorlage dazu. Er veröffentlichte im Oktober 2010 Vorschläge zur Bemessung der Niederschlagsgebühr in seiner Mustersatzung. In § 40a nennt er u. a. Maßnahmen, die trotz Überlauf in die Abwasserbeseitigungsanlagen zu einer reduzierten Gebühr führen. Auszug aus dieser Empfehlung: „… Bei Regenwassernutzung, ausschließlich zur Gartenbewässerung, werden die Flächen um 8 m² je m³ Fassungsvolumen reduziert. Bei Regenwassernutzung im Haushalt oder Betrieb werden die Flächen um 15 m² je m³ Fassungsvolumen reduziert. Dies gilt nur für Zisternen, die fest installiert und mit dem Boden verbunden sind …“. Eine Übernahme in weiteren Kommunen ist daher wahrscheinlich.

Autor: Klaus W. König, Überlingen

Bilder, sofern nicht anders angegeben: Klaus W. König

www.klauswkoenig.com

 

Abflussbeiwert

Die Abflusswirksame Fläche AU (Rechenwert „undurchlässige Fläche“) ergibt sich aus der Sammelfläche AE (Rechenwert „Einzugsgebietsfläche“), multipliziert mit dem Abflussbeiwert.
Der Abflussbeiwert einer Sammelfläche ist ein Minderungsfaktor ohne Einheit. Wert und Formelzeichen sind unterschiedlich, je nach technischer Regel. Im Regelwerk der DIN und FLL ist das Formelzeichen C, bei DWA und FGSV . Je höher der Abflussbeiwert, desto mehr Niederschlagswasser fließt von der Fläche ab. Beispiel:  = 0,8 bedeutet 80 % des auftreffenden Niederschlages fließen ab.

 

 

Nachgefragt

IKZ-FACHPLANER: Das technische Regelwerk der DIN oder DWA gilt bundesweit, DIN-EN-Normen gelten europaweit und DIN-ISO-Normen sogar weltweit. Wirkt es in Anbetracht solcher Globalisierung nicht anachronistisch, wenn jede Kommune in Deutschland in ihrer örtlichen Abwassersatzung ganz unabhängig für bestimmte Flächen eigene Abflussbeiwerte festlegt, die wiederum Einfluss auf die Niederschlagswassergebühr bzw. das Niederschlagswasserentgelt haben?
Klaus W. König: In Deutschland sind Aufgaben nach dem föderalen Prinzip auf Bund, Länder und Kommunen verteilt. Abwasserbeseitigung ist hoheitliche Pflicht jeder Kommune. Die Einzelheiten sind in einer örtlichen Entwässerungssatzung zu regeln. Dachorganisationen in den Bundesländern bieten den Städten und Gemeinden Mustersatzungen an. Wo zur Einführung der gesplitteten Abwassergebühr Ingenieurbüros beauftragt wurden, haben diese in vielen Fällen ihre eigene Philosophie zur Regenentwässerung eingebracht und stark voneinander abweichende Abflussbeiwerte für dieselben Flächen angegeben. In der Folge sind nun alle so entstandenen kommunalen Satzungen unterschiedlich. Eine Absprache von Kommunen untereinander mit dem Ziel, trotz Abweichung von der Mustersatzung einheitliche Abflussbeiwerte zu verwenden, ist nicht bekannt.

IKZ-FACHPLANER: Bei großen Grundstücken ist seit einiger Zeit ein Überflutungsnachweis erforderlich. Mit welchen Abflussbeiwerten wird dabei gerechnet?
Klaus W. König: Diese Anforderung – gemäß DIN 1986-100 – gilt für Grundstücke mit mehr als 800 m² abflusswirksame Fläche. Dabei müssen die Planer entscheiden, wie groß das Gefährdungspotenzial ist und dementsprechend einen Bemessungsregen auswählen. Ein Abflussbeiwert darf dabei nicht angesetzt werden, wenn es sich um eine größere als die fünfjährige Regenspende handelt. Es wird davon ausgegangen, dass bei einem derartigen Starkregen­ereignis die Entwässerungseinrichtungen nicht mehr ausreichend aufnahmefähig sind, die Oberflächen keine unterschiedliche Retentionswirkung mehr haben und es folglich zur Überflutung kommt. Damit wäre der Abflussbeiwert überall 1,0. Er kann also weggelassen werden, wenn keine Abflussreduzierung mehr gegeben ist. Wird jedoch gemäß Arbeitsbericht der DWA-Arbeitsgruppe ES-3.1 mit der gesamten Regenreihe gerechnet, dürfen die Abflussbeiwerte der Tab. 9 aus DIN 1986-100 angesetzt werden.

IKZ-FACHPLANER:
Sie fordern in Ihrem Beitrag Abflussbeiwerte für normale Regenzisternen und begründen das mit ähnlichen Gegebenheiten wie bei Gründächern. Worin liegt die Ähnlichkeit?
Klaus W. König: Beide Systeme, Dachbegrünungen und Regenspeicher, habe eine begrenzte Kapazität zur Rückhaltung – bei der Dachbegrünung je nach Substratdicke sowie Drainage- und Verdunstungsleistung, bei Regenspeichern abhängig vom Volumen des Behälters sowie der Entnahmemenge und -häufigkeit. Sind diese Systeme bei mehreren aufeinander folgenden Regenereignissen gesättigt, laufen sie über. Doch im Normalfall sind in beiden Systemen hohe durchschnittliche Rückhaltekapazitäten gegeben. Daher sollten auch für Regenzisternen Abflussbeiwerte gelten.

 


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