Werbung

Planung in der Grauzone: Hinweise zu Ungleichheiten der verschiedenen Regelwerke und Kommentare für die Entwässerung flacher Dächer

Im deutschen Rechtsraum gibt es eine Vielzahl von Richtlinien und DIN-Normen, die für die Ausführung von Gewerken maßgeblich sind und im Reklamationsfall auch als Entscheidungskriterien fungieren. Kaum eine Arbeits- und Anwendungssituation, die nicht mit entsprechenden Kommentaren belegt und beschrieben wird, womit sich Regelwerke als erstklassige Leitlinie für mängelfreie, fachgerechte Gewerke profilieren. Aber keine Regel ohne Ausnahme. Nicht immer sind die Regelwerke absolut eindeutig. Diese Interpretationsspielräume eröffnen Grauzonen, in denen Theorie und Praxis nicht absolut deckungsgleich sind.

Der Auslauf auf andere Dachflächen kann zu Problemen führen.

Wasserstau > 100 mm während eines Starkregens.

Das Gussrohr, das eher auf Außentemperaturen reagiert, zeigt schon Schwitzwasserbildung. Das Kunststoffrohr (noch) nicht.

Auch für Schulgebäude könnte ein außergewöhnlicher Schutz gefordert werden.

Prinzipiell muss der Gebäudebetreiber bzw. Bauherr sein persönliches Schutzziel vorgeben, das gilt auch bei Wohngebäuden.

 

Probleme hat bei der Entwässerung von Flachdächern niemand gerne. Dennoch tauchen einige mit gewisser Regelmäßigkeit auf. Bei der Ursachenforschung stößt man meist auf die Grauzonen der unterschiedlichen Regelwerke, die Interpretationsspielräume zulassen. Diese Grauzonen gilt es genauer zu betrachten, um spätere Mängel ausschließen zu können.

Auslauf auf andere Dachflächen
Darf das Regenwasser auf tiefer liegende Dachflächen abgeleitet werden? Eine häufig gestellte Frage. Grundsätzlich „kann in Ausnahmefällen das Regenwasser gemäß der DIN 1986-100 [1] Punkt 6.3.3 über freie Ausläufe auf niedrigere Dachflächen abgeleitet werden….“ Allerdings sieht der Kommentar zur DIN 1986-100 [2] diesen Punkt etwas differenzierter. Nach dem Punkt 5.3.1 (5) und (6) sowie 6.3.3 ist die Ableitung des Regenwassers sowohl von der Haupt- als auch von der Notentwässerung auf andere Dachflächen nicht zulässig. Punkt 5.3.1 (5): „… Das … anfallende Regenwasser … darf nicht auf tiefer liegende Dachflächen abgeleitet werden.“ Punkt 5.3.1 (6): „… Das Regenwasser aus der Not­entwässerung ist frei auf schadlos überflutbare Grundstücksflächen abzuleiten. Es darf … nicht auf andere Dachflächen … abgeleitet werden.“
Die Ableitung des Regenwassers muss schnell und kontrolliert erfolgen. So heißt es gemäß des Kommentars Punkt 6.3.3: „Umwege über andere Dachflächen bergen zusätzliche Gefahren und sind zu vermeiden.“ Die Ableitung auf andere Dachflächen ist gemäß der DIN 1986-100 in Ausnahmefällen möglich, aber gemäß des Kommentars zu dieser Norm zu vermeiden. Somit ergeben sich planerische Freiheiten, wobei die Sicherheit des Gebäudes im Vordergrund stehen sollte.
Eine Kaskadenentwässerung kann u.a. folgende Gefahren bergen: Überflutung der tiefer liegenden Fläche, Eindringen des Regenwassers ins Gebäude über Türen, Rinnen und Attikaanschluss sowie statische Überlastung der tiefer liegenden Fläche. Dennoch, aus Kostengründen und insbesondere bei der Sanierung wird oftmals der Auslauf auf tiefer liegende Dachflächen planerisch vorgesehen und auch ausgeführt.

Stellungnahme: Kaskadenentwässerung vermeiden
Sowohl der Planer als auch der Ausführende sind beim Versagen der „Kaskadenentwässerung“ angreifbar. Auf Grund der nicht einsehbaren baulichen Gegebenheiten und der nicht kalkulierbaren Gefahren vertritt beispielsweise die Sita Bauelemente GmbH als Hersteller von Dachabläufen die Ansicht, dass ein Auslauf auf tiefer liegende Dachflächen grundsätzlich nicht zu beraten und nicht zu planen ist.

Grauzone: Wasseranstau größer als 100 mm
Eine häufig gestellte Frage: Wie hoch darf der maximale Wasseranstau bzw. die maximale Wassersäule sein, mit der ein Flachdach regelkonform entwässert werden kann? Bei der Berechnung von Flachdachentwässerungsanlagen ist ein maximaler Wasseranstau anzunehmen, ggf. wird diese Last auch vom Statiker vorgegeben. Zur Reduzierung der Notentwässerung wird dabei immer häufiger eine Wassersäule größer als 100 mm vom Planer angegeben. Ist das zulässig? Kein uns bekanntes Regelwerk verweist auf eine genaue maximale Höhe der Wassersäule für die Regenentwässerung.
Lediglich die DIN 18195-5 [3] Punkt 6.5 gibt Hinweise darauf, dass „bei planmäßiger Anstaubewässerung der Wasserstand maximal 100mm betragen darf.“ Hierbei handelt es sich um die Bewässerung der Dachbegrünungskulturen und nicht um eine Regenentwässerung. Allerdings könnte diese Aussage zu der Annahme führen, dass generell eine Wassersäule von größer 100 mm nicht überschritten werden darf. Die DIN 18531 [4] sagt lediglich aus, dass die Abdichtung den zu erwartenden Beanspruchungen genügen muss. Die Frage, die sich stellt und die Herstellern oft gestellt wird, lautet: Wird sich ein selten und kurzfris­tig vorkommender Wasseranstau größer 100 mm schädigend auf die Dachabdichtung auswirken?

Stellungnahme: Leistungsfähigkeit der Abdichtung klären
Hilfestellung kann hier die DIN 18195-6 [5] „Abdichtung gegen von außen drückendes Wasser und aufstauendes Sickerwasser, Bemessung und Ausführung“ geben. Die endgültige Beantwortung der Frage sollte aber im Verantwortungsbereich des Herstellers des Abdichtungsmaterials liegen.

Schwitzwasserdämmung: Ja oder Nein?
Benötigen innen liegende Regenentwässerungsleitungen eine Schwitzwasserdämmung? Oder kann man sich diesen Zusatzaufwand sparen? Eindeutig ist diese Fragestellung nicht zu beantworten. Den entsprechenden Regelwerken zufolge ist eine Schwitzwasserdämmung in diesem Bereich grundsätzlich dann umzusetzen, wenn die Temperaturen und die Luftfeuchtigkeit es erfordern. In der DIN EN 12056-3 [6] Punkt 7.6.6 heißt es: „Wo Schwitzwasserbildung Probleme bereiten kann, sind Regenwasserleitungen innerhalb von Gebäuden zu dämmen.“ Auch die DIN 1986-100 Punkt 6.3.2 lässt hier Interpretationsspielraum zu. Sie gibt vor: „Innen liegende Regenwasserleitungen müssen gegen Schwitzwasserbildung gedämmt werden, falls die Temperaturen im Gebäude und die Luftfeuchtigkeit dies erfordern.“
Entscheidend für die Betrachtung dieser Problemstellung ist sowohl die Temperatur an der Rohroberfläche als auch die Raumluftfeuchtigkeit. Wird die Taupunkttemperatur an der Rohroberfläche unterschritten, entsteht Schwitzwasser (Kondensat). Nach dem Kommentar zur DIN 1986-100 „muss bei einer Rohroberflächentemperatur von 5°C ab einer Raumlufttemperatur von 20°C und einer relativen Luftfeuchtigkeit von 30% mit Schwitzwasserbildung gerechnet werden.“ Bedingt durch die Bautechnik ist speziell bei Neubauten in der Anfangszeit eine hohe Feuchtigkeit in den Baukörpern (Beton, Estrich, Putz etc.) vorhanden. Diese Feuchtigkeit wird an die Raumluft abgegeben. Die relativ hohe Feuchtigkeit reduziert sich aber im Laufe der Zeit durch die normale Trocknung, bzw. durch die normale Nutzung des Bauwerks. Dieser Effekt wird speziell in zwangsbelüfteten Gebäuden durch die Konditionierung von relativ trockener Luft verstärkt. So sind diese Gebäude in verhältnismäßig kurzer Zeit so trocken, dass in aller Regel keine Gefährdung durch Schwitzwasserbildung entsteht.

Stellungnahme: Von Fall zu Fall entscheiden
Über die Notwendigkeit einer Schwitzwasserdämmung kann somit nur dann entschieden werden, wenn die drei Parameter Rohroberflächentemperatur, Raumlufttemperatur sowie die relative Luftfeuchtigkeit bekannt sind. Da speziell die Rohroberflächentemperatur stark von der Außentemperatur, die Raumlufttemperatur und die relative Luftfeuchtigkeit von der Nutzung abhängt, muss immer eine Einzelfallbetrachtung herangezogen werden.

Außergewöhnliches Maß an Schutz für ein Gebäude
Auch für Schulgebäude könnte ein außergewöhnlicher Schutz gefordert werden. Der Umfang einer Regen- und Notentwässerungsanlage ist nämlich abhängig von der Definition des Schutzziels. Wird ein außergewöhnliches Maß an Schutz für ein Gebäude gefordert, müssen differenziertere Berechnungsgrundsätze angesetzt werden. Die DIN EN 12056-3 Punkt 4.2.1 fordert, dass statistische Regenspenden zu verwenden sind, sofern diese vorliegen. Sollten sie nicht vorliegen, muss gemäß Punkt 4.2.2 eine „minimale Berechnungsregenspende als Basis…“ angesetzt und mit einem Sicherheitsfaktor multipliziert werden.
Der Sicherheitsfaktor ist abhängig von der Situation. So sind nach Tabelle 2 der DIN EN 12056-3 beispielsweise „innen liegende Dachrinnen in Gebäuden, wo ein außergewöhnliches Maß an Schutz notwendig ist, z.B. Krankenhäuser/Theater, sensible Kommunikationseinrichtungen, Lagerräume für Substanzen, die durch Nässe toxische oder entflammbare Gase abgeben, Gebäude, in denen besondere Kunstwerke aufbewahrt werden“ mit einem Sicherheitsfaktor von 3,0 zu berechnen.

Stellungnahme: Persönliches Schutzziel als Kriterium
In Deutschland liegen statistische Regenspenden vor, die gemäß der DIN 1986-100 zur Berechnung einer Regenentwässerungsanlage angesetzt werden müssen. Dadurch entfällt hier die Berücksichtigung eines Sicherheitsfaktors. Die Notentwässerung sollte jedoch bei Gebäuden mit einem außergewöhnlichen Maß an Schutz „allein den Jahrhundertregen r(5,100) entwässern können“. Vortrefflich lässt sich über die Definition „Außergewöhnliches Maß an Schutz für ein Gebäude“ streiten. Hinweise liefert die Tabelle 2 der DIN EN 12056-3. Prinzipiell muss aber der Gebäudebetreiber bzw. Bauherr sein persönliches Schutzziel vorgeben. Erst dann kann der Planer einer Entwässerungsanlage entsprechend handeln.

Fazit
Arbeiten in Grauzonen von Bestimmungen bergen Schwierigkeiten in sich. Auch wenn finanzielle Zwänge und Gebäudegegebenheiten eine „kreative Auslegung“ der Regelwerke nahelegen, sollte langfristige Schadens- und Reklamationsfreiheit das übergeordnete Ziel sein. Wer bei Entscheidungen in Grenzbereiche kommt, sollte sich zuerst mit den Spezialisten aufseiten der Industrie beraten. Lässt sich kein eindeutiger, rechtssicherer Standpunkt finden, ist ein klares Nein zu einer zweifelhaften Lösung in jedem Fall die bessere Antwort. Unabhängig davon, ob man sich Chancen ausrechnet, aus nervenaufreibenden Rechtsstreitigkeiten als Sieger hervorzugehen, steht langfris­tig gesehen auch der Gesamteindruck des Betriebes auf dem Spiel.

Literatur:
[1]    DIN 1986-100: Bestimmungen in Verbindung mit DIN EN 752 und DIN EN 12056
[2]    Kommentar zur DIN 1986-100, Herausgeber: DIN
[3]    DIN 18195-5: Abdichtungen gegen nichtdrückendes Wasser auf Deckenflächen und in Nassräumen, Bemessung und Ausführung
[4]    DIN 18531: Dachabdichtungen - Abdichtungen für nicht genutzte Dächer
[5]    DIN 18195-6: Abdichtungen gegen von außen drückendes Wasser und aufstauendes Sickerwasser, Bemessung und Ausführung
[6]    DIN EN 12056-3: Dachentwässerung, Planung und Bemessung

Autor: Dipl.-Ing. Rainer Pieper, Technischer Leiter der Sita Bauelemente GmbH

Bilder: Sita

www.sita-bauelemente.de

 


Artikel teilen: