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Akuter Handlungsbedarf

Der Sanierungsbedarf vieler deutscher Schulen ist seit Langem bekannt. Die derzeitige Pandemie führt die bestehenden Missstände jedoch nochmals klar vor Augen. Gefragt sind rasch umsetzbare Lösungen

„Zur Vermeidung der Übertragung durch Aerosole sind in geschlossenen und dicht besetzten Räumen Abstandsregeln, Hygienemaßnahmen und Masken allein nicht ausreichend“, verweist Dr. Thomas Schräder, Geschäftsführer des Fachverbandes Allgemeine Lufttechnik, auf Untersuchungen des Hermann-Rietschel-Instituts.

Überblick über den Einfl uss der CO2- Konzentration auf das Lernverhalten. Aus der Grafik geht hervor, dass die Aufmerksamkeit und die Konzentrationsfähigkeit zunehmend besser werden, wenn der CO2-Level in der Raumluft niedriger ist. (Fraunhofer IBP)

Entwicklung der Partikelkonzentration einer infizierten Person (1. Reihe, an der Wand sitzend) während einer Unterrichtsstunde. Einfluss Lüftungsgerät im Vergleich zur Fensterlüftung.

Der Luftreiniger „TAC V+“ von Trotec, hier eingesetzt in einer Schule. (Trotec)

 

Viele deutsche Schulen können kein Innenraumklima vorweisen, das den Anforderungen an physiologischer Behaglichkeit und aktueller Energieeffizienz entspricht. Diese Tatsache birgt in Zeiten von COVID-19 eine besondere Brisanz – und sie erfordert dringenden Handlungsbedarf. Andere Länder zeigen, wie’s geht.

Bereits im Jahre 2015 zeigte eine Studie des Fraunhofer-Instituts für Bauphysik (IBP), dass sich in den vergangenen Jahrzehnten die Umgebungsbedingungen in Klassenzimmern zwar grundsätzlich kontinuierlich verbessert haben, in der Praxis jedoch nur selten optimal betriebene Räumlichkeiten in Schulbauten vorzufinden sind. Eine Tatsache, die bis heute in Deutschland und vielen Nachbarländern besteht, wie eine aktuelle Studie der Freien Universität Bozen bestätigt.

So ist Schätzungen zufolge in Deutschland momentan in lediglich 10 % der annähernd 48 000 Schulen eine raumlufttechnische Anlage verbaut. Vielen kommunalen Schulträgern fehlen die finanziellen Mittel für eine energieeffiziente Lüftungsanlage und damit zur Sicherung einer ausreichenden Innenraumluftqualität. Der bundesweite Investitionsrückstand der Schulen ist immens. Laut dem KfW-Kommunalpanel des Deutschen Instituts für Urbanistik (DIfU) von September 2019 liegt er bei rund 42,8 Mrd. Euro. Eine Anpassung der vorherrschenden Bedingungen ist jedoch gerade jetzt dringend erforderlich, um eine mögliche Ansteckungsgefahr mit dem Virus SARS-CoV-2 zu minimieren.

„Zur Vermeidung der Übertragung durch Aerosole sind in geschlossenen und dicht besetzten Räumen Abstandsregeln, Hygienemaßnahmen und Masken allein nicht ausreichend“, verweist Dr. Thomas Schräder, Geschäftsführer des Fachverbandes Allgemeine Lufttechnik, auf Untersuchungen des Hermann-Rietschel-Instituts. „Ohne effektiven Luftaustausch besteht grundsätzlich die Gefahr einer kritischen Ausbreitung von virenbehafteten Aerosolen im Raum. Die Empfehlung der mehrmaligen Stoß- beziehungsweise Querlüftung durch vollständig geöffnete Fenster kann hierbei nur eine kurzfristige Maßnahme darstellen, zumal die Effektivität des Luftaustausches stark von äußeren Witterungsbedingungen abhängt.“ Eine dauerhafte Lösung sieht Schräder im Betrieb moderner Lüftungs- und Klimaanlagen, die das definierte Einbringen von frischer Außenluft und das Abführen belasteter Raumluft gewährleisten.

Risikopotenzial in Klassenzimmern

Welches Risikopotenzial Standard-Klassenzimmer in sich bergen und welchen Stellenwert eine mechanische Lüftung hat, haben Wissenschaft ler der RWTH Aachen anhand einer vereinfachten Modellrechnung und dem Vergleich mit einer Wohnung aufgezeigt. Hierbei ergeben analoge Luft wechselraten in Klassenzimmer und Wohnung, für einen mit 35 Personen vollbesetzten Klassenraum – verglichen mit der Wohnung – ein zwölfmal höheres Infektionsrisiko. Bei Belegung mit nur 18 Personen und einem dreifachen Luft wechsel pro Stunde wäre das relative Infektionsrisiko in beiden Fällen – Klassenraum und Wohnung – gleich hoch. Die Analyse zeigt, dass in Klassenräumen, in Anbetracht der hohen Belegungsdichten und Aufenthaltsdauern, hohe Luft wechselraten erforderlich sind, um ein niedriges Infektionsrisiko zu gewährleisten. Kurzfristig sollte in der Praxis zumindest eine CO2-Ampel als Indikator für die personenbezogene Außenluft menge verwendet werden. Bei allen neuen Schulen und bei Sanierungsmaßnahmen sei der Einbau einer ausreichend bemessenen Lüftungstechnik dringend anzuraten, so die Empfehlung.

Literaturtipp

Die Informationsschrift „Betrieb und Nutzung von lüftungstechnischen Anlagen in Zeiten von COVID-19“ des Arbeitskreises Luftfilter im VDMA gibt einen Überblick über die wichtigsten Aspekte zur Risiko-Minimierung der Ausbreitung von COVID-19 durch richtige Nutzung lüftungstechnischer Anlagen.

Download der Informationsschrift unter https://klt.vdma.org/.

Inhaltlich zum gleichen Ergebnis kommt auch eine Studie der TU-Berlin, die im Auft rag eines Herstellers durchgeführt wurde. Konkret untersucht wurde das Ausbreitungsverhalten von Aerosolen in einem typischen Klassenzimmer, in dem sich neben einer Lehrkraft 24 Schüler aufh alten, von denen eine Person das Corona-Virus in sich trägt. Die Simulation sah dauerhaft gekippte Fenster sowie nach 20 Minuten für fünf Minuten komplett geöffnete Fenster vor. Bei einer wahrscheinlichen Emission von 50 Aerosolpartikeln pro Sekunde – verursacht allein durch Nasenatmung – beim Sprechen sind deutlich höherer Werte anzunehmen – konnten bis zu 900 Partikel pro m3 im Klassenraum festgestellt werden. Sobald alle Fens ter komplett geöffnet wurden, sank die Partikelkonzentration zwar auf teilweise unter 100 Partikel pro m3. Anschließend stiegen die Werte allerdings wieder im selben Muster an. Die Studie erhob zudem Vergleichsdaten für einen mit einem Raumluft technischen (RLT) Gerät ausgestatteten Klassenraum unter gleichen Voraussetzungen, jedoch mit permanent geschlossenen Fenstern. In diesem Szenario wurden über das Lüftungsgerät dem Raum pro Stunde 800 m3 Frischluft zugeführt und verbrauchte Luft kontinuierlich abgeführt. Dabei wurde die komplette Raumluft 4,44-mal pro Stunde ausgetauscht. Dabei zeigte sich, dass durch den Einsatz einer Lüft ungsanlage, mit einem entsprechenden Luft austausch, sowohl das CO2-Niveau als auch die Aerosolbelastung auf ein vernünft iges Maß reduziert werden können.

Bedarfsgerechte Anlagensysteme und Geräte

Raumluft technische Geräte und Anlagen gibt es in den Varianten zentral und dezentral. Während sich zentrale Anlagen insbesondere für Neubauten eignen, bieten dezentrale Anlagen eher die Möglichkeit der Nachrüstung bei Bestandsbauten, werden darüber hinaus aber gleichfalls in Neubauten eingesetzt. Ein positiver Aspekt, den beide Anlagentypen gemeinsam haben, ist die Verwendung von Au ßenluft. Diese wird gefiltert und kontrolliert in die Räume eingebracht und gleichzeitig Abluft aus dem Gebäude geführt. Anders als bei der temporären Fensterlüftung wird somit ein permanenter Luftaustausch gewährleistet. Alle Komponenten und Systeme unterliegen technischen Anforderungen, die in Normen und Regelwerken wie beispielsweise VDMA 24390 „Dezentrale Lüftungsgeräte – Güte- und Prüfrichtlinie“, festgelegt sind.

Es herrscht Handlungsdruck

Eine Option, kurzfristig und wirksam Aerosole aus der Luft herauszufiltern, stellen Umluftreinigungsgeräte mit HEPA-Schwebstofffilter dar. Diese erzeugen eine eher lokal wirkende turbulente Mischlüftung, wobei Anforderungen an Schallschutz, Behaglichkeit und Lüftungseffektivität zu berücksichtigen sind. Allgemeingültige Definitionen und Hinweise zu geeigneter Positionierung oder Installation fehlen jedoch aktuell und sollten daher durch kompetente Unternehmen am Markt schnellstmöglich entwickelt werden. „Adhoc Lösungsansätze dieser Art dürfen nicht über den tatsächlichen Sanierungsbedarf an Sanitär- und Lüftungstechnik in deutschen Schulen hinwegtäuschen“, gibt Prof. Hans-Martin Seipp, Technische Hochschule Mittelhessen, zu bedenken. „Denn langfristig gibt es zu raumlufttechnischen Anlagen keine Alternative, will man effektiv und kontrolliert die Be- und Entlüftung dicht besetzter Räume gewährleisten, um jahreszeiten- und witterungsunabhängig eine angemessene Innenraum-Luftqualität zu erhalten.“

„Es bedarf einer Kombination aus Akutmaßnahmen und ernsthafter Langzeitlösungen“, ergänzt Schräder. „Hierfür wird eine Kraftanstrengung des Bundes und der Länder erforderlich sein – um die finanzschwachen Kommunen massiv zu unterstützen und diese sehr aktuelle Fragestellung nicht auf Jahre in die Zukunft zu verschieben“. An einer zeitnah zu entwickelnden Sanierungsstrategie müssten Bund, Länder, kommunale Schulträger, Hygieneexperten und Industrie gemeinsam arbeiten.

Dass eine solche Kommunikation miteinander gut gelingen kann und positive Ergebnisse bringt, zeigt das Beispiel aus Schweden. Bereits im Jahr 2014 wurden dort intensive Gespräche mit Politikvertretern geführt und ein umfassendes Förderprogramm ermöglicht, welches von 2015 bis 2018 abrufb ar war. Mit gutem Ergebnis. Heute sind annähernd alle schwedischen Schulen mit moderner Lüft ungstechnik ausgestattet.

Luftreiniger als (Übergangs-)Lösung

Raumluft reiniger können die Gefahr einer indirekten Infektion durch Aerosole wirksam reduzieren. Zu diesem Ergebnis kommen zwei Studien von Prof. Dr. Kähler vom Institut für Strömungsmechanik und Aerodynamik der Universität der Bundeswehr in München. Im Hinblick auf die kalte Jahreszeit böten sie eine Lösung für Unternehmen, Gastronomie und insbesondere Schulen, um einen sicheren Betrieb zu gewährleisten. Erforderlich für eine effektive Luft reinigung seien die Verwendung von automatisch dekontaminierenden H14-HEPA-Filtern und ein mindestens sechsfacher stündlicher Luft wechsel, so ein Studienergebnis. Gewährleistet sei so eine wirksame Aerosolverdünnung und -Abscheidung innerhalb kürzester Zeit. Geräte ohne diese Eigenschaft en seien zur Pandemie-Prävention nicht geeignet. Referenz-Produkt beider Studien war der mobile Luft reiniger „TAC V+“ von Trotec.

Link zu den Studien: www.unibw.de/lrt7

Förderprogramme helfen

Auch in Deutschland baut das Bundesumweltministerium die Förderung des Klimaschutzes in Kommunen aktuell weiter aus. Hierzu ist am 1. August 2020 eine neue Fassung der Kommunalrichtlinie (KRL) in Kraft getreten, die auch die Nachrüstung von raumluft technischen Anlagen in Schulen und Kindertagesstätten im Rahmen einer Grundsanierung fördert.

Fahrt aufgenommen hat inzwischen auch das angekündigte Bundesprogramm zur Nachrüstung von umluft betriebenen raumluft technischen Anlagen. Bundeswirtschaft sminister Peter Altmaier hat Ende September den Entwurf einer Förderrichtlinie „Bundesförderung Coronagerechte Um- und Aufrüstung von raumluft technischen Anlagen in öffentlichen Gebäuden und Versammlungsstätten“ vorgelegt. Insgesamt stehen hierfür 500 Mio. Euro bis 2024 zur Verfügung, im Jahr 2021 stehen 200 Mio. zur Verfügung. Die Förderrichtlinie soll schon im Oktober in Kraft treten.

Die Förderung sieht Zuschüsse in Höhe von bis zu 40 % der förderfähigen Ausgaben vor, die bei 100 000 Euro gedeckelt sind. Gefördert werden RLT-Anlagen in Gebäuden und Versammlungsstätten von Ländern und Kommunen sowie von Trägern, die überwiegend öffentlich finanziert werden und nicht wirtschaftlich tätig sind.

 


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