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Wer zahlt die Zeche? - Neue Rechtslage zum Ersatz der Ein- und Ausbaukosten bei der kaufrechtlichen Nacherfüllung

Folgender Sachverhalt führte immer wieder zu streitigen Auseinandersetzungen: Der Dachdecker kauft vom Baustoffhändler Dachziegel und verlegt sie anschließend auf dem Dach seines Auftraggebers. Die Dachziegel erweisen sich als mangelhaft, sodass er von dem Händler nicht nur die Lieferung neuer Dachziegel, sondern auch den Ersatz sämtlicher Umdeckungskosten, also der Kosten für das Abdecken der mangelhaften sowie der Neuverlegung der neuen Dachziegel verlangt.

 

Sind die gelieferten Dachziegel tatsächlich fehlerhaft, ergibt sich für den Dachdecker daraus unstreitig ein Nacherfüllungsanspruch, wobei das Gesetz ein Wahlrecht zwischen Nachbesserung (= Beseitigung des Mangels) und Nachlieferung (= Lieferung einer mangelfreien Sache) vorsieht. Im vorgenannten Beispielsfall hat sich der Dachdecker für die Nachlieferung entschieden.
Fraglich ist jedoch, ob er zusätzlich auch noch den Ersatz der Umdeckungskosten verlangen kann. Diese Problematik wurde höchst kontrovers erörtert.
Das OLG Karlsruhe (Urteil vom 02.09.2004) hatte dem Kläger in einem Fall, in dem es um den Ersatz der Aus- und Einbaukosten von Bodenfliesen ging, einen solchen Anspruch zugesprochen und sich dabei u.?a. auf den sogenannten Dachziegel-Fall des BGH berufen.
Dieses Urteil war jedoch nicht nur in der Literatur heftig kritisiert worden, sondern auch das OLG Köln folgte ihm in einem Urteil aus dem Jahr 2005 ausdrücklich nicht, indem es ausführte, dass der Kläger keinen Anspruch auf Ersatz der Kosten für das Verlegen mangelfreier Fliesen habe, sondern nur die Kosten für die Rücknahme und Entfernung der mangelfreien Fliesen verlangen könne.

Anlass zur Kritik

Das Urteil des OLG Karlsruhe gab Anlass zu Kritik:
Die Nacherfüllung durch Nachlieferung erfolgt entsprechend der gesetzlichen Definition durch „Lieferung einer mangelfreien Sache“ (§ 439 Abs. 1 BGB). Bereits nach diesem Gesetzeswortlaut gehört daher zur Nachlieferung nicht die Verlegung neuer Fliesen oder Dachziegel.
Dies wird bestätigt durch eine andere Norm (§ 439 Abs. 2 BGB), wonach der Verkäufer nur die „zum Zwecke der Nacherfüllung“ erforderlichen Aufwendungen zu tragen hat.
Vor dem Hintergrund, dass Nachlieferung und Nachbesserung als unterschiedliche Arten der Nacherfüllung in einem Ausschließlichkeitsverhältnis zueinander stehen („entweder – oder“) ist dies so zu verstehen, dass der Verkäufer nur die Kosten der jeweils gewählten Nacherfüllungsart zu tragen hat.
Im Falle der Nachlieferung wären dies z.B. die Kosten der „Lieferung einer mangelfreien Sache“, also die Transportkosten, da Erfüllungsort für diese Verpflichtung der aktuelle Belegenheitsort der mangelhaften Sache ist.
Soweit in § 439 Abs. 2 BGB in seiner exemplarischen Aufzählung auch „Arbeitskos­ten“ erwähnt sind, betrifft dies hingegen  allein den Fall der Nacherfüllung durch Nachbesserung, insbesondere in Form der Reparatur. Nur in diesem Fall macht dies Sinn, da mit einer Reparatur regelmäßig Arbeitskosten verbunden sind, die auch durch Ein- und Ausbau der mangelhaften Sache entstehen können, eben weil bei Nachbesserung der Ein- und Ausbau zum Zwecke der Nacherfüllung erfolgt. In dem oben genannten Beispielfall geht es jedoch nur um Nachlieferung.
Soweit sich das OLG Karlsruhe auf den Dachziegel-Fall des BGH berief, verkannte es, dass sich die BGH-Entscheidung auf die alte Rechtslage, also vor Inkrafttreten der sog. Schuldrechtsmodernisierung im Jahre 2002, bezieht.
Der Gesetzgeber gab den im alten Recht äußerst weit gefassten Begriff der „Vertragskosten“ gerade auf und verwies den Ersatz solcher Kosten, also insbesondere der Einbaukosten, in den Bereich der vom Verschulden abhängigen Käuferansprüche, d.h. des Schadensersatzes bzw. des Aufwendungsersatzes.
Dies bestätigte der BGH leztlich auch mit Urteil vom 15.07.2008, indem er ausführte, dass der Verkäufer nur die Lieferung einer mangelhaften Sache schulde, jedoch nicht zum Einbau der ersatzweise gelieferten Kaufsache verpflichtet sei, und zwar auch dann nicht, wenn der Käufer die mangelhafte Sache bereits eingebaut hat. Eine Haftung des Verkäufers einer mangelhaften Kaufsache für die Kos­ten der Neuverlegung der mangelfreien Sache komme nur unter dem Gesichtspunkt des Schadensersatzes statt der Leis­tung in Betracht. Dabei hafte der Verkäufer nicht, wenn er die in der mangelhaften Lieferung liegende Pflichtverletzung nicht zu vertreten habe, etwa weil der nicht offensichtliche Mangel auf einen Fehler des Herstellers zurückzuführen sei.

Verschuldensunabhängige Verpflichtung

Dies hat den EuGH jedoch nicht beeindruckt, da er in einem aufsehenerregenden Urteil vom 16.06.2011 entschieden hat, dass die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie im Rahmen des Nacherfüllungsanspruchs eine verschuldensunabhängige Verpflichtung des Verkäufers vorschreibe, eine vom Verbraucher bereits eingebaute mangelhafte Sache wieder einzubauen oder zumindest die entsprechenden Kos­ten zu tragen.
Dies stellt nicht nur die bisherige BGH-Rechtsprechung auf den Kopf stellt, sondern hat auch erhebliche praktische Konsequenzen, insbesondere wirtschaftliche Konsequenzen für den Handel. Umso bedauerlicher ist der geringe Begründungsaufwand, dessen sich das höchste europäische Gericht bemüht, da nicht ansatzweise auf die eigentlichen rechtliche Probleme eingegangen wird.
Letztlich ist die Entscheidung auch nicht verbraucherfreundlich, da Verbraucherschutz über die Preise vom Verbraucher selbst bezahlt wird. Wenn nunmehr ein Verkäufer von Dachpfannen dieselbe Gewährleistung zu bieten hat wie ein Dachdecker, muss er das in seine Preise einkalkulieren. Da nützt es wenig, wenn er die von ihm zu tragenden Aus- und Einbaukosten auf seinen Lieferanten abwälzen kann, denn auch die dadurch verursachten erheblichen Transaktionskosten werden seine Preiskalkulation beeinflussen und vorher auch schon in die Preiskalkulation des Lieferanten einfließen.

Trotz allem gibt es für den Verkäufer jedoch noch Lichtblicke.
In seinem Urteil vom 21.12.2011 hat der BGH die Auswirkungen des EuGH-Urteils dahingehend  konkretisiert, dass das in § 439 Abs. 3 BGB vorgesehene Verweigerungsgrecht des Verkäufers wegen Unverhältnismäßigkeit der Kosten aufgrund des EuGH-Urteils lediglich dann nicht besteht, wenn nur eine Art der Nacherfüllung (Nachbesserung oder Nachlieferung) möglich ist oder der Verkäufer die andere Art der Nacherfüllung zu Recht verweigert. Dies gilt jedoch nicht in Fällen der sogenannten Relativen Unverhältnismäßigkeit (Nachbesserung statt Ein- und Ausbau), sodass insoweit § 439 Abs. 3 BGB anwendbar bleibt.
Darüber hinaus ist es auch nach dem ­EuGH-Urteil nicht ausgeschlossen, den Kos­tenersatz für die Aus- und Einbaukosten auf einen Betrag zu beschränken, der dem Wert, den das Verbrauchsgut hätte, wenn es vertragsgemäß wäre, und der Bedeutung der Vertragswidrigkeit angemessen ist.
Im Rahmen dieser Angemessenheitsprüfung ist nach Auffassung des BGH entscheidend, ob es sich nur um einen optischen Mangel handelt oder auch die Funktionalität beeinträchtigt ist.
Grenz- oder Richtwerte für die Bestimmung der angemessenen Höhe der Beteiligung des Verkäufers an den Aus- und Einbaukosten in Fällen der Ersatzlieferung hat der BGH allerdings bewusst nicht entwickelt, sondern dies dem Gesetzgeber vorbehalten. Solange dies nicht geschehen ist, bleiben zwar Rechtsunsicherheiten, aufseiten des Verkäufers jedoch auch Argumentationsspielräume.
Festzuhalten bleibt, dass das EuGH-Urteil zwar einerseits zu einer erheblichen Verschlechterung der Verkäuferposition geführt hat, andererseits jedoch noch Ansatzpunkte bestehen bleiben, die sich zugunsten des Verkäufers auswirken können, sodass es sich lohnt, jeden Einzelfall genau zu prüfen, bevor den Forderungen des Käufers vorschnell nachgegeben wird.

Autor: Prof. Dr. Ulrich Dall, Essen, ist seit 1993 als Rechtsanwalt auf wirtschaftsrechtlichem Gebiet tätig. Sein Leistungsspektrum erstreckt sich auf die Beratung (insbesondere Vertragsgestaltung) sowie die bundesweite Prozessführung (einschließlich Schiedsverfahren) in den Bereichen Handels- und Gesellschaftsrecht sowie Wettbewerbsrecht und Arbeitsrecht.
Seine umfangreichen Erfahrungen bringt Prof. Dr. Dall auch in seine Vortrags- und Lehrtätigkeit ein. Im März 2002 wurde er zum Professor ernannt und ist Herausgeber mehrerer Gesetzeskommentare.

 


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