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Vernetzung von Strom und Wärme

Bayerische Marktgemeinde Dollnstein realisiert „kaltes“ Nahwärmnetz

Die oberbayerische Gemeinde Dollnstein regelt ihre Energieversorgung über ein „kaltes“ Nahwärmenetz und konnte dadurch ihre Energie­kosten bereits im ersten Betriebsjahr um rund 40 % reduzieren.

Wenn in den sonnenärmeren Monaten die über die Solarthermie-Anlage erzeugte Energie nicht ausreicht, dann kommt zusammen mit einer Grundwasser-Wärmepumpe ein gasbefeuertes Blockheizkraftwerk (Bild) mit 250 kW thermischer und 150 kW elektrischer Leistung zum Einsatz.

440-kW-Grundwasser-Wärmepumpe.

Herzstück der Heizzentrale des intelligenten Nahwärmenetzes in Dollnstein sind ein zentraler Schichtspeicher mit 27 000 l sowie ein Niedertemperatur-Speicher mit 15 000 l Fassungsvermögen.

 

Während vielerorts in Deutschland über eine gescheiterte Energie- und Klimawende lamentiert wird, nimmt eine kleine Gemeinde in Oberbayern die Energiewende lieber selbst in die Hand. Seit dem Frühherbst 2014 besitzt die 3000-Seelen-Gemeinde Dollnstein ihr eigenes „kaltes“ Nahwärmenetz. 40 Haushalte sowie öffentliche Gebäude profitieren von diesem Heizsystem. Zielsetzung ist eine zukünftige Reduzierung des Energieaufwands um rund 70 % – bei gleichzeitiger CO2-Einsparung von ebenfalls fast 70 %. Im April 2015 feierte die Gemeinde ein erfolgreiches erstes Betriebsjahr und damit eine Entscheidung von Gemeinderat und Bürgern, die anfangs von manchem eher etwas skeptisch betrachtet wurde.

Ausgangspunkt aller Überlegungen war die in der Gemeinde anstehende Sanierung der Wasserleitungen. Der bauliche Aufwand sollte zugleich mit der notwendigen Erneuerung des Heizsystems in diversen öffentlichen Gebäuden stattfinden. Zudem war ein umweltfreundliches und ressourcenschonendes Konzept gewünscht, das sich gleichermaßen auf die historischen Gebäude im Ortskern als auch auf moderne Einfamilienhäuser anwenden lässt.

„Kaltes“ Nahwärmenetz
Das Lösungskonzept war dann so einfach wie einleuchtend und doch neu: Denn das „kalte“ Nahwärmenetz in Dollnstein sollte nicht wie herkömmliche Netze mit einer konstanten Vorlauftemperatur von 80 °C arbeiten, sondern von Mai bis Mitte Oktober auf einem Niveau von 25 bis 30 °C fahren. Dank dieser extrem niedrigen Vorlauftemperaturen in den mittleren Monaten des Jahres können die oft hohen Ener­gieverluste klassischer Nahwärmenetze vermieden werden. Dafür erwärmen nun rund 100 m² Solarthermie-Kollektoren auf dem Dach der Dollnsteiner Heiz- und Steuerungszentrale des Nahwärmenetzes (mittelfristiger Ausbau auf 200 m² ge­plant) das 10 °C kalte Grundwassers aus dem Uferbereich der Altmühl, bevor es in zwei große Schichtspeicher fließt. Diese Schichtspeicher sind die Herzstücke der Energiezentrale des Nahwärmenetzes: ein zentraler 27 000-l-Schichtspeicher mit einer Temperatur von 80 °C sowie ein 15 000-l-Niedertemperatur-Speicher mit 30 °C. In diesem Temperaturbereich lassen sich selbst im Winter über die Solarthermie noch große Erträge erzielen.
Darüber hinaus sorgt eine Grundwasser-Wärmepumpe mit einer Leistung von 440 kW für die Wärmeversorgung in der kälteren Jahreszeit auf Heizungsniveau. Komplettiert wird die Heizzentrale durch ein Gas-BHKW mit 250 kW thermischer und 150 kW elektrischer Leistung für den Strombetrieb der Grundwasser-Wärmepumpe sowie einen Gas-Spitzenlastkessel mit 300 kW.
Hinzu kommen in der Peripherie für jeden angeschlossenen Haushalt noch jeweils eine „kleine“ Wärmepumpe als Übergabestation zur bedarfsgerechten Erwärmung des Wassers sowie ein Speicher mit mindestens 300 l Fassungsvolumen. Für die „kleinen“ Wärmepumpen stehen die gemeindeeigenen PV-Anlagen zur Verfügung. In dieser technischen Konfiguration erreicht das Dollnsteiner Nahwärmenetz seine höchste Effizienzstufe: Nach Berechnungen der an diesem Projekt involvierten Fachhochschulen wird damit das Netz zwischen dem 1. Mai und dem 15. Oktober mit einer solaren Energieabdeckung von ca. 80 % betrieben.

Regelleittechnik
Um eine Direktversorgung dezentral ohne Anbindung an ein übergeordnetes Netz zu ermöglichen, haben die Dollnsteiner gemeinsam mit den Wasserleitungen auch eine Stromtrasse und eine Kommunikationsleitung verlegt. Somit sind alle Komponenten des Wärmenetzes über diese Datenleitung miteinander verbunden und können sich – aufgrund einer „intelligent vernetzten“ Regelleittechnik – über die jeweilige Wärmebereitstellung und den konkreten Bedarf der Verbraucher stets informieren. Durch diese Vernetzung funktioniert der Strom- und Wärmeaustausch innerhalb der Gemeinde reibungslos.

Versorgung im Winterbetrieb
Effizienz auch im Winter: Da in Dollnstein viele ältere und zum Teil auch his­torische Gebäude an das Nahwärmenetz angeschlossen sind, ist in der kalten Jahreszeit die Mai- bis Oktober-Vorlauftemperatur von 30 °C zumeist nicht mehr ausreichend. Das würde für Neubauten mit Fußbodenheizung noch funktionieren, nicht aber bei der Einbindung von Gebäuden, die noch mit Heizkörpern ausgestattet sind. Aus diesem Grund wird in den Herbst- und Wintermonaten die Vorlauftemperatur auf 70 bis 80 °C erhöht, der Rücklauf liegt bei 40 bis 50 °C. Reicht in den sonnenärmeren Monaten die über die Solarthermie-Anlage erzeugte Energie nicht aus, kommen die bereits erwähnte Grundwasser-Wärmepumpe sowie das Blockheizkraftwerk zum Einsatz. Neben der Wärme erzeugt das BHKW dabei den Strom für die Grundwasserwärmepumpe und – sofern ausreichend – noch für die Wärmepumpen an den Übergabestationen. Um Spitzenlasten zu puffern, ist zusätzlich der Gaskessel eingebunden. Insgesamt müssen bei diesem Konzept nur noch 51 % an Primärenergie eingesetzt werden, um auf eine Wärmeleistung von 100 % zu kommen.

Geschäftsmodell für Bürger und Gemeinde
Dass es gerade in Dollnstein ein so innovatives System gibt, hat zweierlei Gründe. Zum einen hat die Gemeinde ein „Geschäftsmodell“ gefunden, das einzig und allein die Interessen der Bürger und der Gemeinde vertritt. Denn in Dollnstein ist der Netzbetreiber nicht wie sonst üblich ein großer Ener­gieversorger, sondern ein Kommunalunternehmen, das zu 100 % der Gemeinde gehört. Damit betreibt die Gemeinde das 2 km lange Netz mit allen Komponenten sowie den Übergabestationen und steht auch für die Risiken gerade. Das verändert die Grundkonstellation, da dieses Unternehmen ein großes Interesse hat, möglichst wenig
Energie zu verbrauchen. Zum anderen wurde an diesem Standort durch das Unternehmen Ratiotherm eine abgerundete System- und Regelungstechnik umgesetzt: Als Hersteller u.a. für Schichtspeicher lieferte das Unternehmen für das Nahwärmenetz das Gesamtkonzept, die Schichtspeicher vom Typ „Oskar°“, die Übergabestationen mit den eingebauten Wärmepumpen und die gesamte Regelungstechnik.
Insgesamt 1,7 Mio. Euro investierte die Gemeinde Dollnstein. Der wirtschaftliche Betrieb des Netzes ist bereits sichergestellt, da der dafür notwendige Mindestverbrauch von jährlich 1 Mio. kWh durch die hohe Anschlussquote übertroffen wird. Die eingebundenen Haushalte können trotz der Kostenumlegung schon jetzt profitieren, da Anschaffungs- und Reparaturkosten für eine eigene Heizanlage entfallen. Die angeschlossenen Bürger hatten nur eine einmalige Gebühr zu bezahlen, diese war abhängig von der benötigten Heizleistung für das jeweilige Gebäude. In Dollnstein liegt sie im Schnitt zwischen 500 und 800 Euro. Eine Investition, die zeitnah durch die Abnahme der Wärme refinanziert werden kann.
Das Pilot-Projekt des „kalten“ Nahwärmenetzes in Dollnstein hat einige Kommunen bereits zur Nachahmung motiviert. So befinden sich das Gewerbegebiet Bodenmais in Niederbayern sowie die Gemeinde Haßfurt in Unterfranken schon in der konkreten Umsetzung eines „kalten Nahwärmenetzes” nach dem Modell Dollnstein.

Bilder: Ratiotherm Heizung + Solartechnik GmbH, Dollnstein

www.ratiotherm.de

Daten/Fakten zum „kalten“ Nahwärmenetz in Dollnstein

  • Investitionskosten: 1,7 Mio. Euro netto
  • 100 m² Kollektorfläche Solarthermie (Ausbau auf 200 m² geplant)
  • 1800 m Wärmerohre
  • 40 angeschlossene Gebäude (aktuell 20, Endausbau 47)
  • 40 Wärmepumpen als Übergabestationen
    (Stromaufnahme bis 1,5 kW, Heizleistung bis 10 kW)
  • Grundwasser-Wärmepumpe mit 440 kW Leistung im Uferbereich der Altmühl
  • Heizzentrale (20 x 11 m großes Gebäude) mit ganzheitlichem Strom- und Wärmemanagement, gasbefeuertem Blockheizkraftwerk mit 250 kW thermischer und 150 kW ­elektrischer Leistung, 27 000-l-Zentralspeicher, 15 000-l-Niedertemperaturspeicher, Solarthermie, Gaskessel, Steuerungs– und Regelungstechnik

 


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