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Niedrigstenergiegebäude: Heute Politik in Brüssel, morgen Realität – auch in Deutschland

Das Vorhaben ist ambitioniert: 2021 müssen alle neu errichteten Gebäude einen gegen null gehenden Energieverbrauch aufweisen und mit Erneuerbaren Energien versorgt werden. Dies gilt für jedes einzelne EU Land und für öffentliche Gebäude bereits ab 2019. Grundlage dafür ist die EU-Gebäuderichtlinie und deren Überarbeitung aus dem Jahre 2010, die durch die Energieeinsparverordnung in deutsches Recht umgesetzt wird. Die Richtlinie, im englischen Original European Performance of Buildings Directive (EPBD) genannt, definiert Anforderungen für „nearly zero energy buildings (NZEB)“. Die deutsche Übersetzung machte daraus offiziell „Niedrigstenergiegebäude“, in der Diskussion tauchen aber auch Begriffe wie Nahezu-Nullenergiegebäude“ oder „Fast-Nullenergiegebäude“ auf.

Bild 1: CO2-Emissionen [kgCO2/m²a], Beispiele Einfamilienhaus.

Bild 2: Anteil Erneuerbarer Energie am Gesamtenergiebedarf [%], Beispiele Einfamilienhaus.

Bild 3: CO2-Emissionen und Kosten von nZEBs: Beispiele für Einfamilienhaus und Bürogebäude.

Tabelle 1: Übersicht über Marktwachstumsfaktoren.

 

Ein Niedrigstenergiegebäude ist laut Gebäuderichtlinie „ein Gebäude, das eine sehr hohe Gesamtenergieeffizienz aufweist. Der fast bei null liegende oder sehr geringe Ener­giebedarf sollte zu einem ganz wesentlichen Teil durch Energie aus Erneuerbaren Quellen – einschließlich Ener­gie aus Erneuerbaren Quellen, die am Standort oder in der Nähe erzeugt wird – gedeckt werden.“ Diese Definition bietet durch ihre Kürze und durch die Verwendung von Begriffen wie „fast bei null“ oder „zu einem wesentlichen Teil“ einen beträchtlichen Interpretationsspielraum. Dieser ist im politischen Entscheidungsprozess durchaus nötig, um einen Konsens innerhalb der 27 europäischen Mitgliedstaaten zu erreichen. Im Grunde legt die gegebene Definition zunächst das Grundkonzept für NZEB fest, welches ausdrücklich sowohl eine sehr hohe Gesamtenergieeffizienz als auch ganz wesentliche Nutzung Erneuerbarer Energien umfasst.
Neben diesem Grundkonzept macht die Gebäuderichtlinie den EU Mitgliedsstaaten auch Vorgaben zur Umsetzung. In individuellen nationalen Plänen ist darzustellen, wie aus dem Grundkonzept, auf praktikablen Grundsätzen beruhende national angepasste und angemessene Definitionen ermittelt werden. Niedrigstenergiegebäude lassen sich nicht über Nacht einführen. Deshalb ist in den Plänen auch darzulegen, wie der Anteil der Niedrigstenergiegebäude bis 2021 gesteigert werden soll.

Herausforderungen für die Umsetzung – Studie für das Buildings Performance Institute Europe
Durch den relativ kurzen Zeithorizont und den großen qualitativen Sprung von heutigen Anforderungen zu NZEB besteht ein dringlicher Bedarf an gemeinsamen Grundsätzen, die für die Umsetzung wirksamer, praktikabler und gut durchdachter NZEB-Definitionen von den Mitgliedsstaaten der EU in Betracht zu ziehen sind.
In einer unter Beratung vom Beratungsunternehmen Ecofys und dem Dänischen Gebäudeforschungsinstitut (SBi) durchgeführten Studie des Buildings Performance Institute Europe (BPIE)1 wurde eine Tiefenanalyse wichtiger Fragestellungen durchgeführt, die mit der Einführung von Niedrigstenergiehäusern gemäß EPBD verbunden sind und mögliche Lösungen erarbeitet. Die Studie betrachtet bestehende Konzepte und Gebäudenormen, analysiert die wichtigsten methodischen Schwierigkeiten sowie deren Bedeutung für die NZEB-Definition und stellt eine Reihe von Grundsätzen zusammen. Die Auswirkung dieser Grundsätze wurde anhand von Referenzgebäuden in verschiedenen Klimazonen Europas untersucht und die technologischen, finanziellen und politischen Auswirkungen bewertet. Zum Abschluss der Studie wird auf weiterführende Schritte verwiesen, die für eine erfolgreiche Umsetzung von Niedrigstenergiehäusern notwendig sind. Insgesamt haben sich die Verantwortlichen der Studie die Aufgabe gestellt, durch praktische Beratung den Weg für die wirksame Umsetzung der Anforderungen der EU-Politik zu bereiten.

Wie können NZEBs genauer definiert werden?
Zu den Zielen der Studie gehörte auch die Schaffung einer analytischen Grundlage für die Entwicklung nachhaltiger, robuster und umsetzbarer länderspezifischer Definitionen, um die erfolgreiche Umsetzung der EU-Richtlinie zu unterstützen. Um NZEBs flächendeckend umzusetzen, müssen eine Reihe von Herausforderungen gelöst werden. Derzeit gibt es in über der Hälfte der Mitgliedsstaaten keine offiziell anerkannte Definition für Niedrig- bzw. Fast-Null­energiehäuser. Verschiedene Mitglieder haben bereits langfristige Strategien und Zielstellungen für Niedrigenergiestandards von Neubauten ausgegeben. Bei den bestehenden Definitionen gibt es in den verschiedenen EU-Staaten zwar gemeinsame Ansätze, aber auch deutliche Unterschiede. Die NZEBs Anforderung der EPBD stellt letztlich keinen konkreten Baustandard dar, sondern um­reißt eine politische Auflage die landesspezifisch mit Leben gefüllt werden muss.
Bei dieser Ausarbeitung verfügen die Mitgliedsstaaten über einen großen Handlungsspielraum. Es besteht jedoch dringend notwendig ein gemeinsames Verständnis der beteiligten Kreise (Politik, Projektentwickler/Investoren sowie Hersteller und Industrie) für ­NZEBs im gesamteuropäischen Kontext zu erarbeiten. Abgeleitet davon, sind Leitlinien für nationale Lösungen bei der Erarbeitung und Umsetzung nachhaltiger und praktikabler NZEB-Definitionen notwendig. An diesem Punkt kann durch die Studie ein wichtiger Beitrag geleistet werden.
Nach Analyse aktueller Fragestellungen rund um NZEBs wurden drei Grundprinzipien für NZEB vorgeschlagen. Für jedes dieser Prinzipien wurden Schlussfolgerungen gezogen und erforderliche Grenzwerte für Ener­giebedarf, Anteil Erneuerbarer Energien und entsprechende CO2-Emissionsstufen während der Nutzungsphase des Gebäudes definiert (siehe Textkasten).

Praktische Umsetzung: Beispielrechnungen
Entsprechend der beschriebenen Prinzipien sollten NZEBs CO2-Emissionen von weniger als 3 kg/m² und Jahr für Heizung, Kühlung (sofern notwendig), Warmwasser und Hilfsenergie aufweisen, was eine grundlegende Verringerung gegenüber derzeitigen Standards bedeuten würde. Derzeit liegen die CO2-Emissionen für eine Doppelhaushälfte im Neubau in Deutschland bei ca. 15-30 kg/(m²a). Innovative Vorhaben wie beispielsweise im Rahmen des Förderprogramms „100 Klimaschutzsiedlungen in NRW“ (Vorgabe ist hier maximal 9 kg CO2/(m² a) liegen schon deutlich darunter2. In der Studie wurden entlang der aufgestellten Prinzipien Umsetzungsvarianten für NZEBs in verschiedenen Ländern Europas zusammengestellt. Die analysierten Beispiele zeigen, dass ein Emissionsziel von maximal 3 kg CO2/(m² a) und ein Anteil von Erneuerbaren Energien zwischen 50 und 90% durch Kombination von bereits heute am Markt etablierten Technologien im Bereich Energieeffizienz und Einsatz Erneuerbarer Energien möglich ist.
Bild 1 zeigt die CO2-Emissionen für verschiedene in der Studie berechnete Beispiele. Alle Varianten wurden standardmäßig mit einer weitreichenden Wärmedämmung und hocheffizienten Fenstern mit 3-Scheibenverglasung und der Nutzung von Solarsystemen zur Erzeugung von Warmwasser angenommen. Es zeigt sich, dass das Limit von 3 kg CO2/(m² a) von verschiedenen Energieversorgungsvarianten eingehalten werden kann, insbesondere bei Verwendung von grünem Strom (bei Wärmepumpen sowie für Hilfs­energie) oder bei Einbindung einer Photovoltaikanlage. Varianten mit rein fossiler Versorgung erreichen das formulierte CO2-Ziel in der Regel nicht.
Ein ähnliches Bild ergibt sich für den Anteil Erneuerbarer Energie (Bild 2). Ein möglicher Mindestwert von z.B. 50% wird bei fossilen Systemen nur durch zusätzliche Erzeugung Erneuerbarer Energien (in diesem Beispiel ca. 2 kWp) erreicht. Bild 3 stellt die Mehrkosten und CO2-Emissionen verschiedener NZEB Varianten dar.
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Niedrigstenergiestandard: Bei Bürogebäuden heute schon wirtschaftlich umsetzbar
Zum jetzigen Zeitpunkt sind die Anforderungen für NZEBs gemäß oben beschriebener Definition für Einfamilienhäuser in der Regel ohne Förderung (noch) nicht direkt wirtschaftlich. Bei Mehrkosten im Bereich von 2-5 Euro/(m² a) – hier zeigt sich die Mehrzahl der Lösungen – würde dies für ein Haus mit 140 m² Wohnfläche demnach 280-700 Euro/Jahr betragen. Bei Bürogebäuden ist, unter anderem durch die in der Regel günstigere Geometrie (höhere Kompaktheit), vielfach schon heute ein Niedrigstenergiestandard wirtschaftlich umsetzbar.
Es ist jedoch nicht unwahrscheinlich, dass mit der Einführung (ab 2021) die NZEBs für den Bauherren/Investor dann direkt wirtschaftlich sein werden. Wichtige Einflussfaktoren sind hier mögliche weitere Energiekostensteigerungen sowie Preissenkungen im Rahmen einer breiten Markteinführung. Ob eine breite Markteinführung auch zu Preissenkungen und nicht (zumindest kurzfristig durch Verknappung des Angebots bei hoher Nachfrage) zu Preissteigerungen führt, wird auch von Aufbau von Produktionskapazitäten und Erfahrungs- und Know-how-Entwicklung bei Architekten und Planern abhängen.
Im Rahmen der Studie wurden für eine Einführung von NZEBS in Europa deutliche Kapazitätszuwächse ermittelt (Tabelle 1). Aus dem benötigten Wachstum heraus ergeben sich exzellente Chancen für Marktakteure, die frühzeitig ihr Angebot und Portfolio auf die kommende Herausforderung einstellen und quasi „NZEB-fit“ sind.
Auch für den Gesamtmarkt für Energieeffizienz und Erneuerbare Energien in der EU ergeben sich durch NZEBs ambitionierte, aber erreichbare Ziele. Die Bauindustrie in der EU erzielte im Jahr 2009 einen Jahresumsatz von etwa einer Billion Euro. Knapp die Hälfte dieses Betrages (470 Mrd.) entfallen dabei auf Neubauten. Gegenwärtig wird das Investitionsvolumen für Wärmepumpen, Pelletheizungen, Lüftungsanlagen mit Wärmerückgewinnung, Fenster mit Dreifachverglasung und Isolierstoffen bei Neubauten für die gesamte EU auf etwa 23 Mrd. Euro geschätzt.

Erhebliche Investitionen notwendig
Um die NZEB-Standards für jedes neu errichtete Gebäude umzusetzen, werden laut der Studie pro Jahr Investitionen in einer geschätzten Höhe von etwa 62 Mrd. Euro benötigt. Dieser Anstieg repräsentiert eine Erhöhung von insgesamt rund 9%. Dies stellt ein erhebliches Wachstum dar, das im Zeitraum bis 2020 mit rund 1% pro Jahr aber durchaus leistbar scheint.
Abschließend bleibt festzuhalten, dass NZEBs zwar weitgehende Maßnahmen im Bereich Energieeffizienz und der Nutzung Erneuerbarer Energien erfordern, eine Festlegung auf konkrete Technologien aber nicht erforderlich scheint und auch seitens der Politik nicht gewünscht ist, um Wettbewerb und Innovation zu fördern, die letztlich auch eine erfolgreiche Umsetzung unterstützen. Hier wird sich also ein freier Wettbewerb um die besten und wirtschaftlichsten Gesamtkonzepte und Teilsysteme entwickeln.
Unterstellt man eine mehrjährige Einführungsphase von NZEBs mit ansteigenden Umsetzungszahlen, bevor ab 2021 alle Neubauten als NZEBs ausgeführt werden müssen, und berücksichtigt man den nötigen Vorlauf für die Erarbeitung und Markteinführung von neuen Systemlösungen, wird klar, dass keine Zeit zu verlieren ist. Insbesondere für Hersteller von Komponenten und Systemen bedeutet dies, dass sie ihre Strategie im Neubaubereich praktisch ab morgen an der Entwicklung hin zu NZEBs ausrichten müssen.

Autoren: Dipl. Ing. Thomas Boermans, Unit Manager Buildings bei Ecofys; Dr. Andreas Hermelink, Managing Consultant bei Ecofys

www.ecofys.com

1) Die BPIE Studie ist online verfügbar unter www.ecofys.com/en/publication/principles-for-nearly-zero-energy-buildings

2) Der Leitfaden 100 Klimaschutzsiedlungen in NRW ist online verfügbar unter www.100-klimaschutzsiedlungen.de

 


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