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Die Energiewende ist zu einem weltweiten Phänomen geworden - IKZ-ENERGY-Interview mit BSW-Solar-Präsident Joachim Goldbeck

Der weltweite PV-Markt boomt, der einstige Vorreiter Deutschland läuft hinterher. Bereits zum dritten Mal in Folge droht die Bundesregierung, selbst die niedrigen Ausbauziele zu verfehlen. Nach Angaben der Bundesnetzagentur wurden 2015 von den angestrebten 2500 MW nur 1400 MW realisiert. Die Prognosen für dieses Jahr sind nicht rosiger. Welche Belastungen und Bremsen der PV-Branche das Leben schwer machen und was die Branche dem entgegenzusetzen hat, darüber sprachen wir im Vorfeld der Intersolar Europe mit BSW-Präsident Joachim Goldbeck.

BSW-Solar Präsident Joachim Goldbeck.

 

IKZ-ENERGY: Herr Goldbeck, seit November 2014 sind Sie Präsident des BSW-Solar. Wie ist Ihr Fazit nach den ersten knapp 16 Monaten?  
Joachim Goldbeck: Das BSW Solar Team hat viel gearbeitet und viel erreicht. Der Verband vertritt drei Teilbranchen: Photovoltaik, Solarthermie und Speicher. Durch ein vom BSW angeregtes Förderprogramm, das gerade auch erst vor wenigen Wochen um drei Jahre verlängert wurde, ist der Batteriemarkt in Deutschland stark gestiegen und die Kosten zeigen bereits die erwünschte Abwärtsrichtung. Durch Verbesserungen im Förderrahmen für Solarthermie konnte der Markt in den letzten Monaten wieder belebt werden. Bei der Photovoltaik möchte ich den nationalen Markt und die internationalen Aktivitäten separat betrachten.  International konnte insbesondere durch den vom BSW initiierten Berliner Energiewendedialog das internationale Netzwerk auch für deutsche Unternehmen sehr erfolgreich weiter ausgebaut werden. Auf dem deutschen Markt selber erfährt die Branche schwierige Zeiten, und wir haben noch kein befriedigendes Marktumfeld erzeugen können.  Hier kämpft der BSW an vielen Fronten auch durchaus erfolgreich gegen weitere Einschnitte. Angesichts der großen Herausforderung hat somit der BSW Solar in Summe viele Erfolge erzielt.

IKZ-ENERGY: Weltweit boomt der Solarmarkt. In Deutschland hingegen, einem Wegbereiter dieser Technologie, dümpelt der Markt seit einigen Jahren vor sich hin. Ein Zustand, an den wir uns gewöhnen müssen?  
Joachim Goldbeck: Wenn Deutschland seine Klimaschutzziele und den eben erst unterzeichneten Klimavertrag von Paris ernst nimmt, wird dieser Zustand schon bald vorüber sein müssen. Im Ausland schütteln Experten angesichts der aktuellen deutschen Energiepolitik völlig zu Recht den Kopf. Deutschland hat maßgeblich zur Lernkurve der Photovoltaik beigetragen, auch finanziell. Und jetzt, da die Photovoltaik noch preiswerter geworden ist, als von den größten Optimisten vorausgesagt, werden die Früchte vor allem von anderen geerntet. Das ist wirklich nicht nachvollziehbar. Wenn wir uns international als Energiewendeweltmeister gerieren, hierzulande jedoch immer kleinere Schritte machen, setzen wir nicht nur unsere Glaubwürdigkeit, sondern auch zunehmend unsere technologische Spitzenposition aufs Spiel.

IKZ-ENERGY: Was sind Ihre Hauptkritikpunkte, was sollte sich aus Ihrer Sicht schnellstmöglich ändern?
Joachim Goldbeck: Der Ausbau der Erneuerbaren Energien sollte sich an den Erfordernissen des Klimaschutzes und an den Beschlüssen von Paris orientieren, also weder gebremst noch gedeckelt, sondern vernünftig geplant und gefördert werden. Ansonsten ist die in letzter Zeit oft bemühte Dekarbonisierung nicht annähernd zu erreichen. Der Königsweg wäre die weltweite Erhebung einer CO2-Abgabe. Da das ein sehr dickes Brett ist und wohl noch einige Jahre benötigt, sollten wir kurzfristig umsetzungsfähige Schritte einleiten.
Es ist wichtig, gesetzliche Hürden wie die Belastung des solaren Eigen- und Nahverbrauchs abzubauen, anstatt neue Barrieren zu schaffen. Die enge Flächenkulisse der Ausschreibung von Freiflächenanlagen muss unbedingt gelockert werden, gleichzeitig muss deutlich mehr Leistung ausgeschrieben werden. Die mehrfach überzeichneten ersten Ausschreibungsrunden zeigen, dass auf Freiflächen deutlich mehr Solarparks gebaut werden könnten – und das zu äußerst niedrigen Preisen.
Realitätsfern erscheint mir der Vorschlag, die Förderung von PV-Dachanlagen per Ausschreibung zu ermitteln. Wer heutzutage eine PV-Anlage auf sein Dach bauen lässt, möchte sich mit eigenem Solarstrom versorgen und dadurch seine Energiekosten senken. Die finanziellen und planerischen Risiken einer Ausschreibung sowie der bürokratische Aufwand würden die meisten Investoren jedoch frühzeitig abschrecken. Der Markt käme weitgehend zum Erliegen.
Um die Energiewende sozialer zu gestalten, sollten Haushalte in Mietshäusern für den Solarstrom vom eigenen Hausdach nicht mehr die volle EEG-Umlage zahlen müssen. Gerecht wäre es außerdem, bei der Kostenbetrachtung fossiler Energieträger endlich auch die externen Kosten zu berücksichtigen und einzupreisen.

IKZ-ENERGY: Generell scheint die Energiewende ins Stocken geraten zu sein. Ist der Hype um die Erneuerbaren Energien vorbei?
Joachim Goldbeck: Nein, weltweit stehen wir erst am Beginn eines gewaltigen Wachstumsschubes. Wir haben diese Dynamik im März auch beim vom BSW-Solar initiierten und mitorganisierten, internationalen Energiewendedialog (www.energiewende2016.com) im Auswärtigen Amt wieder gespürt. Bremsmanöver in einigen Ländern sind weniger Resultat unterschiedlicher Einschätzungen über das ob der Energiewende. Meist geht es darum, wer profitiert. Bei der Demokratisierung der Energiewende und bei der rasanten, technologischen Entwicklung gibt es nicht nur Gewinner. Gerade große Energieversorgungsunternehmen haben die Entwicklung lange verschlafen, da ist Deutschland kein Einzelfall. Klar ist aber auch: Wer die Energiewende entschleunigt, riskiert, im rasanten technologischen Wettbewerb auf der Strecke zu bleiben.

IKZ-ENERGY: Es wird viel von neuen erfolgreichen Geschäftsmodellen in der Solarbranche geredet. Wie könnten diese aussehen?
Joachim Goldbeck: Im Mittelpunkt der neuen Geschäftsmodelle steht die Eigen- oder Nahversorgung mit Solarstrom. Je nach Besitzverhältnissen, Strombedarf und Anlagengröße kommen ganz unterschiedliche Stromliefer- oder Dach- bzw. Anlagenpacht-Modelle zur Anwendung. Gemeinsam mit Anwälten und anderen Fachleuten hat der BSW-Solar zum Beispiel praxisnahe Leitfäden erarbeitet, auch für internationale und gerade erst entstehende Märkte. Viele Mitglieder zeigen mit ihren neuen Geschäftsmodellen, was heute möglich ist.

IKZ-ENERGY: An welchen Stellen sehen Sie Nachhol- bzw. Informationsbedarf, um die von Ihnen umrissenen Maßnahmen voranzutreiben?
Joachim Goldbeck: Die Preise von PV-Anlagen werden oft noch viel zu hoch geschätzt, die Photovoltaik wurde lange Zeit schlecht gemacht. Doch sie lohnt sich, Solarstrom ist günstig. Und das, obwohl eigenerzeugter und eigenverbrauchter Strom gar nicht mehr gefördert wird – im Gegenteil, es werden Förderabgaben an den Energieversorger gezahlt.  Das muss sich unbedingt noch weiter herumsprechen, da sehe ich uns als Verband und unsere Mitgliedsunternehmen genauso in der Pflicht wie die Politik. Gerade entstehen da neue Allianzen, z.B. mit den Industrie- und Handelskammern oder den Stadtwerken, um Selbstversorgungs- und Mieterstromkonzepte zu realisieren.

IKZ-ENERGY: Große Hoffnungen weckt das Speicherprogramm. Aber genau genommen, rechnen sich PV-Speichersysteme nicht nur, wenn man von jährlichen Strompreiserhöhungen ausgeht?
Joachim Goldbeck: Das Interesse der Bevölkerung ist riesig. Mithilfe eines eigenen Solarspeichers kann der selbst erzeugte Solarstrom jetzt rund um die Uhr genutzt werden. Diese Unabhängigkeit fasziniert die Menschen. In kürzester Zeit wurden in Deutschland 35000 stationäre Solarstromspeicher verkauft. Damit haben sie die Zahl der neuzugelassenen Elektro-Autos bereits überflügelt. Gleichzeitig befinden sich die Speicherkosten in einem rasanten Sinkflug. Wer nicht so lange warten möchte, wird durch staatliche KfW-Zuschüsse belohnt, die zugleich Qualitätsstandards setzen und dafür sorgen, dass die Speicher den Netzausbau verringern. Alle Prognosen gehen davon aus, dass sich Speicher im Markt durchsetzen werden.

IKZ-ENERGY: Die Intersolar Europe 2016 steht vor der Tür. Welche Bedeutung hat die Messe heute noch, insbesondere vor dem Hintergrund des nach wie vor schwächelnden Binnenmarktes und der stärkeren internationalen Messekonkurrenz?
Joachim Goldbeck: Die Intersolar Europe ist nach wie vor die weltweit führende Fachmesse für die Solarwirtschaft und ihre Partner. Dieses Jahr werden rund 40000 Fachbesucher aus 165 Ländern in München erwartet. Die Ausstellungsfläche ist bereits komplett ausgebucht. Eines der Highlights wird das Thema Smart Renewable Energy sein, das auch bei der gleichzeitig stattfindenden ees Europe, Europas größter Fachmesse für Batterien und Energiespeichersysteme, umfangreich vertreten sein wird. Die Intersolar und ees Europe werden weit über Deutschland hinaus wahrgenommen, sowohl die Aussteller als auch die Besucher kommen aus den unterschiedlichsten Weltregionen. Als Exklusivpartner der Messe beteiligt sich der BSW-Solar auch in diesem Jahr mit einem umfangreichen international ausgerichteten Messeprogramm.

IKZ-ENERGY: Was denken Sie, wie wird sich der Solarmarkt zukünftig entwickeln?
Joachim Goldbeck: Die Energiewende ist zu einem weltweiten Phänomen geworden. Inzwischen wird sogar das Wort international benutzt. Nicht nur in Deutschland sind die beiden tragenden Säulen der Energiewende Wind- und Solar. Für mich hat sich das bei dem erwähnten Energiewende-Dialog im Auswärtigen Amt noch einmal deutlich gezeigt. Aber auch in Deutschland muss der Solarmarkt bald wieder Fahrt aufnehmen, ansonsten wird die Bundesregierung ihre Klimaschutz-Versprechen und Ausbau-Ziele nicht halten können. Weltweit sieht es aber gut aus: Der PV-Markt boomt, für dieses Jahr rechnen wir erneut mit einem Rekordzubau von mehr als 60 Gigawatt. Die Weltenergieversorgung bricht gerade um. Vor wenigen Wochen gab es eine technologieoffene Stromausschreibung in Mexiko. Dabei haben für 74% Photovoltaik und für 26% Wind den Zuschlag erhalten. Kein Gas, keine Kohle, kein Öl, kein Uran.  
Wir beobachten auf diesem Zukunftstechnologiefeld einen Wettbewerb nicht nur zwischen Unternehmen, sondern auch zwischen Ländern, die diese Technologieunternehmen bei sich ansiedeln wollen. Eine weitsichtige wirtschaftspolitische Strategie sollte deutschen und europäischen Unternehmen den Rückenwind geben, um Innovationen voranzutreiben und am weltweit boomenden Markt erfolgreich teilzunehmen. Gespräche mit der Politik wurden diesbezüglich aufgenommen und mögliche Maßnahmen werden diskutiert.
Solartechnik aus Deutschland genießt weiter einen exzellenten Ruf.  Dies muss nicht nur erhalten, sondern wirtschaftlich erfolgreich ausgebaut werden.

IKZ-ENERGY: Herr Goldbeck, vielen Dank für das Gespräch. 

 


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