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Bei Bedarf Autos hoch- und herunterfahren

Elektroautos sind auf dem Weg, ins Stromnetz integriert zu werden

Vehicle-to-Grid (V2G) bezeichnet das Konzept, Elektroautos über ihre Batterien als Regelenergiedienstleister in das Stromnetz einzubinden. Sie können Strom also aus dem Netz beziehen und genauso wieder abgeben. Bild: Nissan

Die Ladestation muss für die Umsetzung intelligent steuerbar sein. Das betrifft ­insbesondere die Reaktionsgeschwindigkeit (30 s für Vollabruf) sowie die Genauigkeit und Stabilität der vorgegebenen Leistungswerte. Bild: Nissan

Die Übertragungsnetzbetreiber sind gesetzlich verpflichtet, zu jedem Zeitpunkt das Gleichgewicht zwischen Stromeinspeisung und -nachfrage zu halten. Dazu bedienen sie sich der Regelenergie. Durch die Zunahme Erneuerbare-Energien-Stroms im Netz ist das Thema noch bedeutsamer geworden. Bild: Uwe Schlick, Pixelio

Bild: The Mobility House

 

Das IT-Unternehmen The Mobility House, der Energieversorger Enervie, der Übertragungsnetzbetreiber Amprion und Autohersteller Nissan haben mit einem Nissan Leaf erstmals ein Elektroauto gemäß allen regulatorischen Anforderungen eines Übertragungsnetzbetreibers (ÜNB) für die Primärregelleistung qualifiziert. Dieses Konzept heißt Vehicle to Grid (V2G).

Derzeit werden zahlreiche höchst unterschiedliche virtuelle Kraftwerke oder Regelenergie-Angebote aufgebaut. Die Digitalisierung ermöglicht, unterschiedlichste, selbst kleine Stromerzeuger und -speicher zu einer großen Regelenergie-Einheit zusammenzufassen. Ein Beispiel ist die Vorgehensweise des Solarstrombatterie-Herstellers Sonnen, der über sein Community-Angebot viele Endverbraucher-Batterien zu einem Redispatch-Netzwerk verbindet, das Regelleistung erbringt, wenn also zu viel Strom im Netz ist, diesen in seinen Batterien zwischenparken kann und umgekehrt diesen bei Bedarf wieder freigibt. Die Batterien sollen also mithelfen, das Stromnetz zu stabilisieren.

Regler sind gefragt
Hintergrund ist, dass die vier Übertragungsnetzbetreiber (ÜBN) in Deutschland (Tennet, 50Hertz Transmission, Amprion und TransnetBW) gesetzlich verpflichtet sind, zu jedem Zeitpunkt ein Gleichgewicht zwischen Stromerzeugung und -verbrauch zu halten. Technisch werden Ungleichgewichte heute über klassische Regelenergiekraftwerke ausgeglichen, die im Bedarfsfall kurzfristig die Stromproduktion hoch- oder herunterfahren können. Um Ungleichgewichte auf dem deutschen Strommarkt sicher ausgleichen zu können, stehen aktuell 5000 bis 6000 MW Regelleistung bereit. Bislang übernehmen beispielsweise flexible Gasturbinenkraftwerke diese Aufgabe. Sie können binnen Minuten ihre Produktion ändern. Die Regelenergie wird von den Netzbetreibern täglich in Auktionen eingekauft.
Mit der Zunahme unsteter Mengen Stroms aus Windenergie und Photovoltaik im Netz gewinnt das Themenfeld Regelenergie an Bedeutung. Es handelt sich dazu um einen derzeit noch sehr lukrativen Markt. Es werden Preise von bis zu 1,50 Euro/kWh gezahlt. Gezahlt wird auch für den Verzicht auf die Produktion von Strom, also wenn man Strom aus dem Netz nimmt (negative Regelenergie).

Vehicle-to-Grid
Um an diesem Markt als Regelenergiedienstleister teilnehmen zu können, muss sich ein Anbieter „präqualifizieren“. Er muss z. B. eine gewisse Größe vorweisen können und seine Fähigkeit, auf Bedarf des ÜBN in der geforderten Schnelligkeit zu reagieren. Außerdem muss er nachweisen, dass seine Anlage(n) zuverlässig ansteuerbar ist/sind, wenn der ÜBN sie abruft.
Vehicle-to-Grid (V2G) bezeichnet nun das Konzept, Elektroautos über ihre Batterien als Regelenergiedienstleister in das Stromnetz einzubinden. Voraussetzung für die Integration ist eine bidirektionale Ladetechnologie. Ein solcher Ladeanschluss kann nicht nur den Strom aus dem Netz ziehen und in der Traktionsbatterie des Fahrzeugs speichern, sondern bei Bedarf auch wieder zurückspeisen.
Als erstes Elektrofahrzeug hat Übertragungsnetzbetreiber Amprion nun dem Nissan Leaf in Kombination mit einer Steuerung von The Mobility House die Eignung für diese Leistung attes­tiert. „Wir sind stolz, dass wir erstmalig in Deutschland ein E-Auto für die Primärregelleis­tung präqualifizieren konnten“, sagt Andreas Walczuch, Leiter Systemdienstleistungen und Energiemarkt bei Amprion. „Diese Innovation zeigt uns, dass Elektrofahrzeuge einen Beitrag zur Systemstabilität leisten können.“

Autor: Dittmar Koop, Journalist für Erneuerbare Energien


„Perspektiven für Vehicle to Grid sind hervorragend“
„Wie müssen V2G-Elektroautos ausgestattet sein? Drei Fragen an Christian ­Müller.“ Christian Müller ist Projektleiter beim Münchener IT-Unternehmen The Mobility House, das die Ansteuerung des Nissan im besagten Projekt entwickelte. The ­Mobility House hat sich auf die Fahnen geschrieben, durch intelligente Lade-, Energie- und Speicherlösungen Fahrzeugbatterien ins Stromnetz zu integrieren.

IKZ-Energy: Was steckt hinter Vehicle-to-Grid, welche Perspektive hat das und wie muss man sich das konkret vorstellen?
Christian Müller: „Vehicle-to-Grid“ (V2G) heisst nichts anderes als: Das Fahrzeug ist mit dem Stromnetz verbunden und kann eben nicht nur Energie vom Netz beziehen, sondern auch Energie ans Netz abgegeben (bidirektionale Anwendung). Dies sagt aber noch nichts über den exakten „Service“, welchen das Fahrzeug gegenüber dem Stromnetz erbringt. Die Primärregeleistung stellt aktuell einerseits die aus kommerzieller Sicht interessanteste Energiemarktanwendung dar. Dies könnte sich aber über die Zeit ändern und ist zudem aus technischer bzw. Präqualifikationshinsicht sehr anspruchsvoll. Die Flexibilität, welche über Fahrzeugspeicher/-batterien zukünftig zur Verfügung stehen werden, ist für die Energiewende zentral. Denn Speicherung von Strom ist heute noch kaum möglich, wodurch sehr viel Strom vernichtet wird, z. B. Stichwort „Redispatch“, wo enorme Kosten jährlich entstehen. Daher sind die Perspektiven für die Erbringung von Energiemarkt-Services durch Elektrofahrzeuge im Sinne von V2G hervorragend. Es müssen jedoch noch die einen oder anderen regulatorischen Hürden überwunden werden, z. B. die Befreiung von Steuern auf den zwischengespeicherten Strom.

IKZ-Energy: Wie müssen E-Autos (batterie)technisch ausgestattet sein, sodass sie als Regeldienstleister infrage kommen? 
Christian Müller: Die Fahrzeuge müssen „bidirektional“ ausgerüstet sein, d. h. sie müssen auch Energie abgeben können, um am Primärregelleistungsmarkt teilnehmen zu können. Die E-Autos in Kombination mit einer Ladestation müssen dann in der Lage sein, die vom Übertragungsnetzbetreiber geforderten Reaktionsgeschwindigkeiten und Genauigkeiten bei der Erbringung zu erfüllen.

IKZ-Energy: Wie kann/muss man sich die Ansteuerung bei einem solchen Auto vorstellen, wie wird das umgesetzt? Außerdem: Gibt es besondere Anforderungen an die Ladestation?
Christian Müller: Wir geben der Ladestation maximale Stromstärken vor und betreiben die Fahrzeuge in einem SoC-(Speicherfüllstand)-Bereich, bei dem wir wissen, wie sie sich unter dieser Vorgabe verhalten. Den SoC bekommen wir entweder über die Ladestation (Chademo-Schnittstelle) oder das Datacenter der Automobilhersteller.
Die Ladestation muss für die Umsetzung intelligent steuerbar sein und für die Primärregelleistung außerdem noch bidirektional. Eine Bidirektionalität ist jedoch nicht zwingend für jeden Energieservice gefordert, erhöht in der Regel jedoch dessen Potenzial. Die Kombination aus Fahrzeug und Ladestation muss die Präqualifikationsbedingungen für Primärregelleistung erfüllen. Das betrifft insbesondere die Reaktionsgeschwindigkeit (30 s für Vollabruf) sowie die Genauigkeit und Stabilität der vorgegebenen Leistungswerte.
Die Fragen stellte Dittmar Koop.

 


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