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Wärmerecycling aus Abwasser

Potenzial der Abwasserwärmenutzung, Technikvarianten, Systemlösungen

Bild: Uhrig

Stuttgart-Bad Cannstadt, Siedlung Seelberg-Wohnen. Zwischen 2009 und 2012 wurden hier 6 Mehrfamilienhäuser mit 111 Eigentumswohnungen erstellt. Der Wärmebedarf wird überwiegend aus Abwasserwärme gedeckt. Bild: EGS-plan

Kombination Gas-BHKW und Elektro-Wärmepumpe, Berechnung der Heizkennzahl für die Siedlung Seelberg-Wohnen. Die Abwärme wird auf einer 76 m langen Strecke aus dem öffentlichen Abwasserkanal entnommen und einer Wärmepumpe zugeführt. Bild: EGS-plan

Kosten der unterschiedlichen Wärmeerzeugung je kWh in der Siedlung Seelberg-Wohnen. In Blau vier Alternativen mit Zahlen aus der Planungsphase. Rechts die ausgeführte Version in Rot vor, in Grün nach Betriebsoptimierung durch Veränderung der Sollwerte im Herbst 2012. Anteil Wärmepumpe an der Wärmeerzeugung vorher 46 %, nachher 55 %. Bild: EGS-plan

Berlin-Prenzlauer Berg, Arnimplatz. Passivhaus als mehrgeschossiger Wohnungsbau mit 41 Mietwohn- und 4 Gewerbeeinheiten. Hier wurde eine Grauwasserrecyclinganlage mit vorgeschalteter Wärmerückgewinnung ausgeführt. Bilder: König

Anlagenschema der Grauwasserrecyclinganlage mit vorgeschalteter Wärmerückgewinnung des Projekts Berlin-Prenzlauer Berg, Arnimplatz. Bild: Nolde & Partner

Kanalnetzbewirtschaftung: Der Kanal als Wärmenetz mit Wehrtürmen zur Abwasserstromsteuerung. Überschüssige Energie aus gewerblichen Prozessen wird über Wärmetauscher in das Kanalnetz eingeleitet, transportiert und stromabwärts wieder zum Heizen von Gebäuden entnommen. Bild: Uhrig Kanaltechnik

 

Mit moderner Wärmeübertrager- und Wärmepumpentechnik kann dem Abwasser Wärme entnommen und nutzbar gemacht werden. Da Abwasser im Sommer wie im Winter relativ konstante Temperaturen aufweist, ist es für den Betrieb einer Wärmepumpe gut geeignet. Siedlungen mit zentraler Wärmeversorgung, Mehrfamilienhäuser und kommunale Gebäude bieten ideale Voraussetzungen, die so gewonnene Abwärme effizient zu verwenden.

Über den regenerativen, subventionierten Strommarkt wird fast täglich in den Medien berichtet. Der Wärmemarkt in Deutschland spielt bei den Diskussionen zur Energiewende dagegen eine untergeordnete Rolle, zu Unrecht. Doch es gibt auch positive Entwicklungen, wie z. B. bei der Wärmerückgewinnung aus Abwasser: Diese Energiequelle – im Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz (EEWärmeG) des Bundes nur als Ersatzmaßnahme eingestuft – wird derzeit von der Politik, den Planern, Energieversorgern und Energienutzern als ökologische und ökonomische Energiequelle entdeckt. So hat Baden-Württemberg in seinem integrierten Energie- und Klimaschutzkonzept (IEKK) die Energiequelle Abwasser fest verankert. Auch die Möglichkeit, nicht nutzbare industrielle Abwärme über das Kanalnetz verwendbar zu machen, ist erwähnt.
Wärmeübertrager, Voraussetzung um diese Energie zu heben, können für den Bürger unsichtbar im Kanalnetz installiert werden. Anwohner werden durch den Betrieb dieser Technik nicht gestört, das Stadtbild wird nicht verändert und die Natur nicht beeinträchtigt [1].

Verbund Abwasserwärmenutzung
Im Auftrag des Umweltbundesamtes ermittelt inzwischen die Themenallianz Abwasserwärmenutzung (AWN) das Marktpotenzial durch einen eigenen Arbeitskreis, der dazu eine Studie erstellt. Zur AWN gehören das Institut für Energiewirtschaft und Rationelle Energieanwendung (IER) der Universität Stuttgart, Vertreter von Entwässerungsbetrieben sowie spezialisierte Ingenieurbüros mit jahrzehntelanger Erfahrung. Die Studie könnte bisherige Vermutungen der Themenallianz AWN bestätigen, nach denen sich rund 6 % aller Gebäude in Deutschland mit Abwasserwärme beheizen lassen. Die generierbare Wärmemenge entspricht laut deren Annahme ca. 35 bis 40 TWh/a [2]. Unberücksichtigt sind dabei Einsatzmöglichkeiten im Zusammenhang mit Kläranlagen.

Technikvarianten
Kanalwärme ist Abwärme. Diese mit Priorität zu nutzen, scheint plausibel. Schließlich ist sie wie Solar- und Erdwärme ohnehin vorhanden. Abwärme muss nicht erzeugt, sondern nur nutzbar gemacht werden. Entscheidend für die bestmögliche Effizienz ist die Auswahl der Systemkomponenten. Grundsätzlich muss die zurückgewonnene Wärme ohne große Verluste in die Haustechnik eingespeist werden. Bisher gebaute Anlagen unterscheiden sich u. a. danach, wie nahe an der Wärmequelle die Rückführung stattfindet:

  • Wärmeübertrager in die Duschwanne integriert. Im Gegenstrom wird das Trinkwasser auf dem Weg zur Brause damit erwärmt.
  • Wärmeübertrager in die Technikzentrale/Grauwasseranlage integriert. Wasser und Wärme aus Dusche, Badewanne und Handwaschbecken werden im selben Gebäude wieder verwendet.
  • Wärmeübertrager in die Technikzentrale/Abwasserleitung integriert. Wärme aus dem häuslichen Abwasser wird im selben Gebäude wieder verwendet.
  • Wärmeübertrager im öffentlichen Abwasserkanal versorgt die Wärmepumpe eines Gebäudes bzw. einer speziellen Siedlung.
  • Wärmeübertrager und Wärmepumpe befinden sich im Gebäude, durch das ein Bypass des öffentlichen Abwasserkanals geführt wird.

Systemlösungen in Stuttgart, Berlin und Frankfurt
Seit 2010 bezieht die neu erstellte Siedlung „Seelberg-Wohnen“ in Stuttgart-Bad Cannstadt Wärme aus dem öffentlichen Abwasserkanal. Sechs Mehrfamilienhäuser mit 111 Eigentumswohnungen und
10 500 m² Gesamtwohnfläche sparen hier ca. 50 % Primärenergie bzw. CO2-Emissionen [3]. Die Ergebnisse sind in einer von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) geförderten Studie dokumentiert.
Im Berliner Bezirk Prenzlauer Berg ist seit Ende März 2012 die Grauwasser-Recyclinganlage mit vorgeschalteter Wärmerückgewinnung für ein Passivhaus mit 41 Mietwohn- und 4 Gewerbeeinheiten fertiggestellt [4]. Nach Auswertung der ersten Betriebsergebnisse steht für Erwin Nolde, dem Planer der Anlage, fest: „Das Projekt zeigt, dass es möglich ist, mit einem elektrischen Gesamtenergieaufwand von max. 2 kWh aus 1 m³ Grauwasser hochwertiges Betriebswasser herzustellen, in das Netz einzuspeisen und dem Grauwasser vorab sogar noch 10 – 15 kWh thermische Energie zu entziehen.“ Diese wird zur Vorerwärmung des kalten Trinkwassers genutzt, bevor es im Speicher auf ca. 60 °C erwärmt wird. Seit der Inbetriebnahme wird die Anlage von Nolde & Partner betreut. Die Entwicklung des Wärmerückgewinnungsmoduls und das Monitoring wurden von der DBU bezuschusst.
Im Frankfurter Stadtteil Bockenheim entsteht in der Salvador-Allende-Straße seit Sommer 2014 ein Passivhaus als Neubau mit 66 Wohnungen und einer Kindertagesstätte. Umgesetzt und erprobt wird hier die Wärmerückgewinnung aus dem Abwasser des Hauses als Maßnahme der energetischen Optimierung. Aufbereitetes Grauwasser für die Toilettenspülung ist ein weiteres Thema. Es kommt in der Hälfte des Gebäudes zum Einsatz. Dieses Vorhaben wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert [5]. Es ist Teil des Forschungsvorhabens „netWORKS 3“, mit dem Kommunen und Wasserwirtschaft bei der Organisation von Prozessen zur Umsetzung neuartiger Systemlösungen unterstützt werden sollen. Wasser- und Wärmerecycling gehört dazu.

Abwasserkanal als Wärmeleitung
Nicht nutzbare Abwärme aus Kraftwerken und Industriebetrieben wird bisher arglos an unsere Umwelt abgegeben. Damit werden auf umweltschädigende Art Atmosphäre sowie Gewässer aufgeheizt. Hierbei handelt es sich um ein gigantisches Abwärmepotenzial, das ohne allzu großen Aufwand nutzbar gemacht werden kann. Die Idee: Überschüssige Energie aus Kraftwerken und Industrie wird gezielt an den Abwasserstrom abgegeben, über das vorhandene Kanalnetz transportiert und stromabwärts wieder zum Heizen von Gebäuden entnommen. Mit modernen Wehren zur Kanalnetzbewirtschaftung wird dieses Abwasser und der darin enthaltene Energiefluss bedarfsorientiert gesteuert und gelenkt.
Kanalnetzbewirtschaftung heißt die neue Disziplin in der Abwasserbranche. Der punktuelle Wärmeentzug oder die sys­tematische Nutzung als Abwärmestrom wird seit 2013 u. a. beim jährlich stattfindenden, von der Technischen Akademie Hannover veranstalteten Branchentreff in Geisingen an der Donau diskutiert [6]. Mögliche Folgen für den Kanalbetrieb und die Kanalisation sowie deren Vermeidung hatte Prof. Dr.-Ing. Karsten Körkemeyer von der TU Kaiserslautern im Blick, als er beim 2. Deutschen Kanalnetzbewirtschaftungstag am 1. Oktober 2014 in seinem Vortrag „Wärmerückgewinnung im Einklang mit der Netzbewirtschaftung“ auf die möglichen Auswirkungen erhöhter Temperaturen in Hybridnetzen zu sprechen kam.

Abwärme nutzen, Klima schützen
Nach Körkemeyers Auffassung wäre eine dauerhafte Erhöhung der Temperatur bei häuslichem Abwasser auf 22 °C unschädlich. Seiner Meinung nach ließen sich bei höherem Wärmepotenzial im Kanal wegen der höheren Vorlauftemperaturen Wärmepumpen effektiver betreiben. Er plädierte dafür, die bauliche Sanierung von Kanälen mit dem Einbau von Wärmetauschern zu kombinieren und dadurch finanzielle Mittel besonders effizient zu verwenden. Dann wäre der volkswirtschaftliche Nutzen dieser Art von Ener­giegewinnung enorm.
Körkemeyer verwies auf den 2011 veröffentlichten Arbeitsbericht „Nahwärmenetz Kanal“ von Ulrich Fahl, Institut für Energiewirtschaft und Rationelle Energieanwendung (IER) der Universität Stutt­gart. Diese Studie zeigt den Zusammenhang von Kläranlagen, geeigneten Abwasserkanälen, Industriegebieten und Gebieten mit hohem Wärmebedarf. Das Ergebnis offenbart, dass theoretisch mit der in unseren Kanälen vorhandenen Abwasserwärme bereits heute 8,9 % des deutschen Energiebedarfs für Raumwärme und Warmwasser gedeckt werden könnten. Zugleich würden damit rund 6 % der CO2-Emissionen privater Haushalte vermieden.
Durch die zusätzliche Einspeisung von Abwärme ließe sich laut Studie bei 35 °C Abwassertemperatur das Potenzial für die Wärmeversorgung aus Abwasser um den Faktor 3 auf 28 % steigern. Es sei genügend Abwärme aus Kraftwerken und Industrieprozessen vorhanden, um das hierfür nötige Wärmepotenzial im Abwasser zu erzeugen. Und bei der CO2-Einsparung handle es sich dann um 20,7 t, gleichbedeutend mit 19,5 % der Emissionen privater deutscher Haushalte. Die Studie schließt mit dem Hinweis, „durch Abwärmenutzung bleiben Wertschöpfung und Arbeitsplätze im eigenen Land“. Wahrscheinlich bleiben sie sogar in der eigenen Kommune.

Literatur/Quellen:
[1]    www.uhrig-bau.eu/therm_liner/
[2]    www.abwasserwaermenutzung.com/
[3]    www.ikz.de/nc/heizung/news/article/50-we­niger-primaerenergie-mit-kanalwaer­me­nutzung-0052469.html
[4]    www.nolde-partner.de/node/32
[5]    www.bmbf.nawam-inis.de/de/inis-pro­jekte/
[6]    www.netzbewirtschaftung.de/
[7]    DWA-Regelwerk. Merkblatt DWA-M 114. Ener­gie aus Abwasser, Wärme und Lageenergie. Herausgeber DWA, Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e. V., Hennef, Juni 2009
[8]    Energie aus Abwasser. Fachbuch aus der Reihe „gwf Praxiswissen“. Herausgeber Christine Ziegler, Band III, Oldenbourg Industrieverlag, München, 2011
[9]    Guigas, M.: Wärmeversorgung mit Wärme­pumpe und Abwasserkanal-Wärmetauscher. DBU-Abschlussbericht zum Bauvorhaben Ter­rot-Areal in Stuttgart-Bad Cannstadt, EGS-plan, Stuttgart, 2013
[10]    König, K. W.: Wasser und Wärme. Wärme­rückgewinnung aus Grauwasser. In: Grau­wassernutzung - ökologisch notwendig, öko­nomisch sinnvoll, Verlag iWater Wasser­technik, Troisdorf, 2013
[11]    Lang, J. et al: Info-Kompendium Abwasser­wärmenutzung. Nachschlagewerk für Neueinstei­ger und erfahrene Fachkräfte, entstan­den unter der Schirmherrschaft des staatlich geförderten Netzwerks e.qua. Ein Arbeitsins­trument für Wasserwirtschaft, Behörden, Planer, Wohnungswirtschaft und Industrie. Trialog Ver­lag Berlin, 2012

Autor: Dipl.-Ing. Klaus W. König, Überlingen

10 % der Energiekosten werden einfach heruntergespült

40 bis 50 l warmes Wasser verbraucht ein Deutscher im Durchschnitt pro Tag. Den größten Anteil daran haben Dusche und Bad sowie das Waschen. Und das ist teuer: Im Schnitt werden rund 10 bis 12 % der Energiekosten durch die Nutzung von warmem Wasser verursacht. Noch tiefer in die Tasche greifen müssen Verbraucher mit einer elektrischen Warmwassererzeugung. Sie geben mehr als das Doppelte für ihren Warmwasserverbrauch aus. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes betrifft das immerhin jeden vierten Haushalt.

Quelle: Polarstern GmbH 2014

 


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