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Dicke Luft in Schulen und Kindergärten

"Die energetische Sanierung unserer Schulgebäude ist wichtig – doch ebenso wichtig ist eine gesunde Raumluft für unsere Schüler, denn ‚dicke Luft’ ist in Schulgebäuden und Kindergärten schon seit einiger Zeit ein massives Problem", sagt Dr. Gerhard Führer, öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für Schadstoffe in Innenräumen. Dies bestätigt der "Leitfaden für die Innenraumlufthygiene in Schulgebäuden", der im Jahr 2000 erstmals und im Jahr 2008 in überarbeiteter Form vom Umweltbundesamt herausgegeben wurde. IKZ-ENERGY-Redakteur Frank Hartmann sprach mit dem Sachverständigen.

 

IKZ-ENERGY: Herr Dr. Führer, welche Kriterien bilden die Raumluftqualität und wie lauten die konkreten Anforderungen in Schulen und Kindertagesstätten?
Dr. Führer: Die Innenraumluftqualität sollte möglichst einer unbelasteten Außenluft entsprechen. Um dies zumindest näherungsweise zu erreichen, sind verschiedenste Dinge zu beachten, wie z.B. ein optimiertes Reinigungs- und Lüftungsverhalten. Ungeklärt ist typischerweise das Vorkommen von verstecktem, nicht sichtbarem Schimmelpilzwachstum und von möglichen Schadstoffen aus Baumaterialien. Konkret besteht die Anforderung, dass keine Schimmelpilzbelastungen in Schulen und Kindertagesstätten vorliegen dürfen, Formaldehyd deutlich unter dem Richtwert der Weltgesundheitsorganisation von 50 ppb und die Gesamtsumme an flüchtigen organischen Verbindungen (VOC) möglichst unterhalb eines Zielwertbereiches von 200-300 µg/m³ in der Raumluft liegen sollten. Dass keine Holzschutzmittel, PCB, PAK, Flammschutzmittel, Pyrethroide
oder andere schwerflüchtige organische Verbindungen vorkommen sollten, versteht sich von selbst.

IKZ-ENERGY: Welche Belastungen (abgesehen von der CO2-Konzentration) sehen Sie als maßgeblich und besonders schwerwiegend an?
Dr. Führer: Experten schätzen, dass jede zweite Wohnung einen sichtbaren oder versteckten Schimmelschaden aufweist und bis heute ca. 8000 chemische Verbindungen in Innenräumen nachgewiesen wurden. Die häufigsten Schadfaktoren in Gebäuden/Innenräumen und deren Relevanz für die Raumnutzer sind demzufolge und aufgrund unserer Erfahrung Schimmelpilze und Bakterien, gefolgt von chemischen Verbindungen in erhöhter Konzentration. Aber Vorsicht mit Verallgemeinerungen. Erstens: Es muss die individuelle Situa-tion von Gebäude zu Gebäude berücksichtigt werden. Zweitens: Es finden sich in der Regel verschiedene Schadfaktoren nebeneinander.

IKZ-ENERGY: Wie schätzen Sie die aktuelle Situation bezüglich der Raumluftqualität in Schulen und Kindertagesstätten ein?
Dr. Führer: Unser Institut hat in den letzten Jahren viele Bildungseinrichtungen und Kindergärten chemisch-analytisch und mikrobiologisch untersucht. Es ist zum Teil erschreckend, welchen Innenraum-Bedingungen unsere Jugend ausgesetzt ist. Folgen der über die Atemluft aufgenommenen Schadstoffe können bei Kleinkindern, Schülern, Erziehern und Lehrkräften gleichermaßen vor allem Kopfschmerzen, Müdigkeit und mangelnde Konzentrationsfähigkeit sein. Doch auch erhöhte Infektneigung, Atemwegserkrankungen und allergische Symptome können hervorgerufen werden. Dabei ist gerade eine gesunde Raumluft die Basis für motiviertes Lehren und Lernen.

IKZ-ENERGY: Gibt es ein verbindliches Prioritätenheft oder einen Handlungsleitfaden insbesondere bezüglich des Konjunkturpaketes II?
Dr. Führer: Verbindliche Vorgaben gibt es keine. Interessant ist in diesem Zusammenhang der Leitfaden für Innenraumhygiene vom Umweltbundesamt aus dem Jahr 2008: Er soll u.a. helfen, Fehler bei der Sanierung von Schulgebäuden – aus raumlufthygienischer Sicht – zu vermeiden.

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IKZ-ENERGY: Welche Möglichkeiten sehen Sie, Schadstoffbelastungen von Innenräumen im Detail auf die Spur zu kommen? Wie sollte hier besonders in der Vorbereitung von Sanierungsmaßnahmen agiert werden?

Dr. Führer: Im Detail bedeutet dies das Erfassen der jeweiligen Situation vor Ort, das Begehen der Räumlichkeiten und Befragen der Raumnutzer zu den Vor-Ort-Verhältnissen. Alle Verdachtsmomente werden präzise erfasst und dokumentiert, eine geeignete Analysenstrategie wird erstellt. Chemisch-analytische, physikalisch-messtechnische und/oder mikrobiologische Untersuchungen kommen zum Einsatz. Diese sind abgestimmt auf die Fragestellung und die Situation vor Ort. Für die systematische und standardisierte Vorgehensweise wurden mittlerweile patentierte Verfahren entwickelt. Bei der Bewertung der Laborergebnisse werden die neuesten naturwissenschaftlichen und medizinischen Erkenntnisse berücksichtigt. Art und Umfang der gegebenenfalls nötigen Sanierungen werden eingegrenzt. Mittels Kontrollmessungen wird der Sanierungserfolg überprüft. Dass dieser vorausschauende Ansatz Fehlzeiten von Schülern und Lehrkräften verhindert, keine Folgekosten verursacht und damit letztendlich zu einer Kostenersparnis führt, belegen zahlreiche Praxisbeispiele.

IKZ-ENERGY: In der heutigen Zeit steht die Energieeffizienz (nicht zuletzt auch wegen der massiven Versäumnisse der Vergangenheit) im zentralen Fokus der Betrachtung. Welchen Zusammenhang sehen Sie zwischen Raumluftqualität und energetischer Sanierung?

Dr. Führer: Im Mittelpunkt energetischer Sanierungsmaßnahmen steht in der Regel eine luftdichte und hoch wärmegedämmte Gebäudehülle. Die Kehrseite dieser "Abdichtung" ist eine Anreicherung von chemischen und biologischen Schadstoffen in der Raumluft, die zu einer erhöhten gesundheitlichen Belastung der Raumnutzer führen.

Erste Anzeichen von Schimmelbelastungen unter Bodenbelägen sind meist schon im Bereich der Sockelleisten zu erkennen.


Schimmelbefall unterhalb von Bodenbelägen verlangt vollständigen Rückbau und eine detaillierte Diagnose der Entstehung.

IKZ-ENERGY: Können Sie erkennen, dass das Thema Raumluftqualität sich im Bewusstsein der Entscheider und Verantwortlichen breit macht?
Dr. Führer: Noch immer heißt es, dass eine mikrobiologische und chemische Bestandsaufnahme eines Gebäudes vor einer energetischen Sanierung "nur" Geld kostet und man sich das nicht leisten kann. Spätestens wenn nach vollendeter energetischer Sanierung erste Maßnahmen zur "stofflichen" Sanierung nötig werden, wird das eigentliche Dilemma der unterlassenen Bestandsaufnahme erkennbar: Kostenexplosion und verunsicherte bis renitente Raumnutzer sind die Folgen. Zitat eines Sachaufwandträgers: "Wenn ich das alles vorher gewusst hätte, wäre ein Neubau deutlich kostengünstiger und nervenschonender gewesen." Zusätzlich werden in der Zukunft verstärkt haftungsrechtliche Gesichtspunkte für Planer und Berater auftreten, wenn nicht konsequent innenraumhygienische Aspekte berücksichtigt werden.

IKZ-ENERGY: Wo sehen Sie konkreten und zielführenden Handlungsbedarf?
Dr. Führer: Erstens: Aufklärung darüber, das speziell nichtsichtbare Gefährdungspotenziale erkannt werden müssen und
die gesamte Thematik von Schadfaktoren in Innenräumen zukünftig einen anderen Stellenwert bekommt als das bis heute
der Fall ist. Dazu gehört auch, die Innenraumproblematik in der Lehre zu verankern.
Zweitens: Vor einer energetischen Sanierung müssen grundsätzlich die Räumlichkeiten sachkundig auf Schadstoffe überprüft werden. Nur so kann eine einwandfreie Raumluftqualität gewährleistet, erneute Sanierungen ausgeschlossen oder einer unkalkulierbaren Explosion der Sanierungskosten vorgebeugt werden. Mit einer chemisch-analytischen und mikrobiologischen Bestandsaufnahme des Gebäudes lässt sich zudem Art und Umfang der gegebenenfalls nötigen stofflichen Sanierung eingrenzen.

IKZ-ENERGY: Allein aufgrund der Lage von Schulen und der unmittelbaren Einflüsse von Umweltbelastungen (z.B. Verkehr, Lärm, usw.) ist eine Fensterlüftung kaum möglich. Sehen Sie Alternativen zu Lüftungsanlagen mit Wärmerückgewinnung in Schulen und Kindertagesstätten?
Dr. Führer: Ich bin als Innenraumhygieniger und Analytiker zunächst kein Freund von derartigen Anlagen, da bei nicht sachgerechter Auslegung und Wartung sehr schnell eine "Schimmelschleuder" entstehen kann. Aufgrund der dichten Bauweise und eines in der Regel unzureichenden "händischen" Lüftens sind derartige Anlagen wohl unvermeidlich. Dabei muss von der Planung über den Einbau bis zu regelmäßigen Wartungsintervallen der Anlage immer die gesundheitliche Vorsorge an vorderster Stelle stehen.
Der innenraumhygienische Nutzen von Lüftungsanlagen darf aber nicht überschätzt werden: Leichtflüchtige organische Verbindungen wie Lösemittel werden durch Lüftungsanlagen vermindert. Vorliegende schwerer flüchtige Komponenten wie Flammschutzmittel, Pyrethroide und PAK verbleiben jedoch weiterhin in den Räumen und belasten die Raumnutzer. Eine Schimmelpilzbelastung in Innenräumen muss aktiv entfernt oder sachgerecht von der Raumluft abgetrennt werden. Lüftungsanlagen können hier nur die Ursache für nutzungsbedingte Feuchtigkeit als Grundlage für Schimmelpilzwachstum beseitigen.

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IKZ-ENERGY: Welchen Einfluss nehmen Baumaterialien, z.B. Innenputze oder Fußbodenbeläge, auf die Raumluftqualität?
Dr. Führer: Wesentlich ist die Auswahl von Bauprodukten unter dem innenraumhygienischen Aspekt: Geruchsneutral und emissionsarm sind wesentliche Faktoren. Farbe, einfaches Verlegen, Gestehungskosten – dies sind vernachlässigbare Größen, wenn ein Innenraumproblem oder eine gebäudebedingte Erkrankung auftritt. Mineralische Kalkputze sind typischerweise unproble-matisch und beugen aufgrund ihres hohen pH-Wertes einer Schimmelbildung vor.
Bei Verbundmaterialien oder organischem Material im Fußbodenbereich kommt es auf die Produktion, Lagerung und Verarbeitung an: Es gibt viele Möglichkeiten für den Einsatz chemischer Verbindungen zur technischen Produktverbesserung, die innenraumhygienisch unerwünscht sind und die Raumluft belasten. Unabhängig davon ist bei Bodenbelagsarbeiten das Emissionspotential von Klebern, Spachtelmassen und Oberflächenbehandlungen zu berücksichtigen.

IKZ-ENERGY: Herr Dr. Führer, vielen Dank für das Gespräch.

Bilder: Dr. Führer

Experte in Sachen Schadstoffe in Innenräumen

Dr. rer. nat. Gerhard Führer ist öffentlich bestellter und vereidigter (ö.b.u.v.) Sachverständiger für Schadstoffe in Innenräumen am Institut peridomus, in Himmelstadt bei Würzburg. Nach dem Studium der Fächer Biologie und Chemie war er in der angewandten Umweltforschung bei der Gesellschaft für Umwelt und Gesundheit (GSF) in München tätig.
Dr. Führer ist u.a. Mitglied im Präsidium der Deutschen Gesellschaft für Umwelt- und Humantoxikologie (DGUHT e.V.), Vorstand des FORUM für gesundes Wohnen und Arbeiten e.V. und Leiter des Arbeitskreises Schimmelpilze im Landesverband Bayern der ö.b.u.v. Sachverständigen. In diesen interdisziplinären Netzwerken sind Architekten, Mediziner und Innenraumanalytiker organisiert, die sich bei ihrer täglichen Arbeit um eine
Verbesserung der Innenraumqualität bemühen. Neben vielfältigen Fachpublikationen und Lehraufträgen zur Schadstoffproblematik u.a. an der Donau-Universität in Krems/ Österreich organisiert er Fachtagungen und Weiterbildungsveranstaltungen zum Thema

Schadstoffe in Innenräumen. Er ist Herausgeber der Loseblattsammlung "Schimmelbildung in Gebäuden" und hat mehrere europaweit patentierte Verfahren zum Erkennen und Beseitigen von Schadfaktoren in Innenräumen entwickelt.

 


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