IKZ-HAUSTECHNIK, Ausgabe 04/2005, Seite 14 ff.

BRANCHE AKTUELL

Auf dem Rücken des Handwerks

Unpräzise Ausschreibungen - und wer trägt das Risiko?

Eigentlich sollte mit In-Kraft-Treten der Neuregelungen in den Allgemeinen Technischen Vorschriften (ATV) der VOB Teil C die Kalkulation von Bauleistungen für den Bieter vereinfacht werden. Beispielsweise sollte durch den Wegfall der üblichen Zuschläge auf Rohrleitungspositionen für Befestigungen, Form- u. Verbindungsstücke sowie Verbindungsmaterial eine eindeutige Beschreibung des zu erwartenden Montage- u. Materialaufwands erfolgen. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass die Auflage, Form- und Verbindungsstücke einzeln auszuschreiben, vielfach ignoriert wird. Da eine VOB-konforme Ausschreibung offensichtlich zu teuer ist, lädt man die Verantwortung lieber auf dem Rücken des Bieters (Handwerksbetrieb) ab.

"Es kann einem schon die Zornesröte ins Gesicht treiben, was einem Handwerksbetrieb als Kalkulationsgrundlage zugemutet wird", bringt es Klaus M. aus H.* gegenüber der IKZ-HAUSTECHNIK auf den Punkt. Seinen Erfahrungen nach machen es sich manche öffentlichen Auftraggeber sehr leicht. Der SHK-Handwerker zitiert eine öffentliche Ausschreibung, darin heißt es lediglich: "1 Stck. hydraulisch und regelungstechnische Einbindung des vor beschriebenen 500 kW Niedertemperatur-Heizkessels in die Mehrkessel-Anlage, in komplett fertiger Arbeit unter Zulieferung aller erforderlichen Materialien und Einhaltung aller relevanten technischen Regelwerke. Bitte vor Ort prüfen." Dazu der Unternehmer: "In den Vorbemerkungen wird dann noch darauf aufmerksam gemacht, dass keine Nachforderungen anerkannt werden, da der Bieter alles vor Abgabe des Angebotes vor Ort hätte prüfen können und schon ist der Auftraggeber fein raus."

»Von einem fachkundigen Bieter wird die positive Kenntnis davon verlangt, dass mit einem ausgeschriebenen Rohrleitungssystem auch Zusatzmaterialien und Verbinder geschuldet sind, selbst wenn diese nicht VOB/A-gerecht separat ausgeschrieben wurden.«

Dr. Hans-Michael Dimanski

Kein ungewöhnliches Beispiel. Selbst bei großen Projekten werden von Bauträgern häufig so genannte Funktionalausschreibungen formuliert, die lediglich Mindestanforderungen an die technische Gebäudeausrüstung enthalten. Und dann beginnt der "Kannibalismus" im Markt, in dem sich die SHK-Branche selbst vernichtet, weil derartige Ausschreibungen dazu angetan sind, den Preis zum K.O.-Kriterium zu erheben. Den Zuschlag bekommt allerdings nur einer, meistens der Billigste, die anderen gehen leer aus.

Viele offene Fragen

Vor diesem Hintergrund stellt sich nicht nur die Frage nach der Sinnhaftigkeit unternehmerischen Handelns, sondern auch nach den rechtlichen Möglichkeiten des Angriffs auf solche Ausschreibungen. Wichtige Unternehmerfrage: Habe ich im Falle unkorrekter Ausschreibungen Ansprüche oder wie setze ich eine VOB-konforme Abrechnung durch? Gibt es einen Honorierungsanspruch des implizierten Planungsauftrages, um deren Vergabe sich der Bauherr - in dem oben genannten Beispiel die Kommune - offensichtlich drücken will?

Kosten sparen, Risiken weitergeben: Statt eindeutiger Leistungsbeschreibungen werden in der Praxis immer häufiger nicht-VOB-konforme Ausschreibungen formuliert. Das Risiko soll der Bieter (= Fachbetrieb) tragen.

Klaus M.: "Bei Abgabe meines Angebotes muss ich, um als Bieter bei der Vergabe überhaupt berücksichtigt zu werden, diese schmutzigen Vorbemerkungen unterschreiben, mit deren Unterzeichnung ich die Leistungsbeschreibung anerkenne. Wenn nun dort, wie oben beschrieben, nicht DIN-konforme Leistungsbeschreibungen enthalten sind, wie sieht es hier mit der Rechtmäßigkeit der Ausschreibung und meinen rechtlichen Mitteln dagegen aus?"

Dazu erklärt Rechtsanwalt Dr. Hans-Michael Dimanski: "Die Neuregelungen in den ATV VOB/C DIN 18380 (Form- und Verbindungsstücke) sind eingeführt worden, damit - wie es der § 9 VOB/A vorsieht - die Bieter auf die eindeutig und erschöpfend beschriebenen Leistungen eingehen können, bzw. alle Bewerber die Beschreibung im gleichen Sinne verstehen und ihre Preise sicher und ohne umfangreiche Vorarbeiten berechnen können. Der Bundesgerichtshof nimmt jedoch eine äußerst strikte Linie dahingehend ein, dass er diese Soll-Vorschrift der Auftraggeberseite nur in Ausnahmefällen zum Verhängnis werden lässt. Kurzum: Wer auf unkorrekte LVs anbietet, lebt risikoreich, weil nur unter sehr engen Bedingungen Schadenersatzansprüche durchgesetzt werden können." Warum das so ist, erläutert der Experte: "Die Gerichte wenden bei Unklarheiten im Vertragswerk oder Widersprüchen zwischen Leistungsbeschreibungen und Vertrag Auslegungsregeln an. Da die ATVs den Rechtscharakter von AGBs (Allgemeinen Geschäftsbedingungen) haben, kommen hier die dafür in der Rechtsprechung entwickelten Auslegungsregeln zur Anwendung. Als Teil des Vertrages ist eine Leistungsbeschreibung gemäß der §§ 133, 157 BGB im Zweifelsfall so auszulegen, wie Treu und Glauben es mit Rücksicht auf die Verkehrssitte erfordern."

Konkret heißt das, dass eine Ausschreibung immer hinsichtlich ihres Inhalts auszulegen ist, und zwar so, wie ihn der Empfängerkreis verstehen müsste. Bei Sachverhalten zur ATV 18380 gehören zu diesem Empfängerkreis die Fachbetriebe des SHK-Handwerks mit all ihrem Fachwissen.

Dazu ein Beispiel: Hinsichtlich der Form- und Verbindungsstücke heißt es seitens der Auftraggeber meist, dass diese Teile in die Leistungsposition einzuschließen sind. Wenn auch unkorrekt ausgeschrieben, so hat der Bieter als Fachunternehmen hier doch den klaren Hinweis auf die Notwendigkeit von Form- und Verbindungsstücken. Damit ist die ausgeschriebene Position ohne Auslegungsmöglichkeit inhaltlich zunächst klar und verständlich. Wird auf diese zwar falsch ausgeschriebene, aber inhaltlich erfassbare Position angeboten, ist das Angebot bindend. Kommt dann zwischen den Parteien ein Bauvertrag zustande, muss sich der Bieter an seinem Angebot festhalten lassen. Keinesfalls darf ein Bieter bestehende Zweifel hinsichtlich der technischen Schwierigkeit oder des qualitativen Anspruchs im Sinne der für ihn wirtschaftlichsten Lösung interpretieren und dabei seine Fachkenntnis und Einschätzungsfähigkeit außer Acht lassen. Er darf also kein Angebot abgeben, wohl wissend, dass falsch ausgeschrieben wurde, und nach Vertragsschluss anders abrechnen wollen.

Das Risiko trägt der Handwerker

Dr. Dimanski: "Ein Schadenersatzanspruch des Auftragnehmers ist laut einem BGH-Urteil (BGH NJW-RR 92, 1046) nur dann gegeben, wenn der Auftragnehmer durch unrichtige oder unvollständige Angaben in der Leistungsbeschreibung zu seinem Angebot veranlasst wurde. Dies ist nicht der Fall, wenn der Auftragnehmer erkennen konnte, dass ihm nur eine lückenhafte bzw. unpräzise Leistungsbeschreibung vorgelegt worden ist." Der BGH argumentiert, dass es aufgrund einer Ausschreibung zwischen dem öffentlichen Auftraggeber und den Bietern zu einem Vertrauensverhältnis kommt. Die Verletzung dieses vorvertraglichen Rechtsverhältnisses kann zwar zu Schadenersatzansprüchen führen, aber eben nur dann, wenn der Bieter aus der Leistungsbeschreibung nicht erkennen konnte, worin der tatsächliche Leistungsgegenstand bestehen sollte.

Die Auffassung der Gerichte folgt einer gewissen Logik. Demnach muss einem fachkundigen Betrieb klar sein, dass zu einem Abflussrohr entsprechende Verbindungsstücke gehören. Auf die Frage, wie man im Falle eines Auftrages Forderungen im Sinne der DIN-konformen Abrechnung sichern kann, gibt es also nur die Antwort: Zusätzliche Forderungen sind nicht durchsetzbar, wenn man zuvor auf die falsche Ausschreibung angeboten hat.

Keine Regel ohne Ausnahme

Von der grundsätzlichen Beurteilung der Problematik sind allerdings Ausnahmen möglich. So sind durchaus Fälle denkbar, in welchen die Ausschreibungsunterlagen oder einzelne Positionen irreführend sind und dadurch dem jeweiligen Bieter die Fehler nicht gleich ins Auge springen. Hier können sich auf der Grundlage des § 2 Nr. 5 oder Nr. 6 VOB/B Ansprüche auf eine zusätzliche Vergütung bzw. Vereinbarung eines neuen Preises ergeben.

Ein Beispiel: Werden dem Bieter erst nach Zuschlagserteilung die Ausführungsunterlagen zur Verfügung gestellt und wird er erst hierdurch in die Lage versetzt, das Leistungsverzeichnis und die Ausführungsunterlagen auf Konformität zu prüfen, ist er auch erst zu diesem Zeitpunkt zur Prüfung verpflichtet. Die auftretenden Differenzen sind dann als zusätzliche Leistungen einzustufen und somit vergütungspflichtig, so Dr. Dimanski.

Gefährlich: Angesichts knapper Aufträge schlucken viele Unternehmer selbst juristisch bedenkliche Vorbemerkungen.

Vergütung für Planungen?

Die Frage nach der Honorierung des implizierten Planungsauftrages, um dessen Vergabe an einen Fachplaner und damit die Bezahlung sich der Bauherr offensichtlich drücken will, beschreibt ein weiteres Übel in öffentlichen Ausschreibungen, weiß der Rechtsexperte Dimanski: "Soweit sich für den Bieter ein zusätzliches Planungserfordernis aufgrund einer Anordnung ergibt, ist auch hierfür eine Vereinbarung zur Vergütung oder eine Vergütungsanzeige erforderlich. Eine nicht DIN-konforme Leistungsbeschreibung kann nur mit den im Vergabeverfahren zur Verfügung stehenden Rechtsmitteln überprüft werden."

Bei dem eingangs genannten Beispiel der Kesselanlage wäre also zunächst der Verstoß gegenüber der Vergabestelle zu rügen. Wird dem nicht abgeholfen, kann eine Nachprüfung durch die zuständige Vergabekammer mittels eines Antrags auf Einleitung eines Vergabenachprüfungsverfahrens beantragt werden. Dies könnte dann zur Aufhebung des Verfahrens und einer erneuten Ausschreibung führen.

Es gilt der Grundsatz: Wird rügelos ein Angebot abgegeben, richtet sich die Vergütung des Bieters nach seinem Angebotspreis.

Unwirksame Klauseln in Ausschreibungstexten

Die bereits angesprochenen "schmutzigen" Vorbemerkungen, die mancher Auftraggeber in seine Ausschreibungstexte einbaut, berühren das Problem des Verbots des ungewöhnlichen Wagnisses für den Auftragnehmer nach § 9 Nr. 2 VOB/A. Dem Auftragnehmer darf demnach "kein ungewöhnliches Wagnis aufgebürdet werden für Umstände und Ereignisse, auf die er keinen Einfluss hat und deren Einwirkung auf die Preise und Fristen er nicht im Voraus bestimmen kann."

Vor diesem Hintergrund hat das Landgericht München I. (Landgericht München I. 8 O 1980/95) eine Klausel für unwirksam erklärt, wonach sich der Bieter schon vor Angebotsabgabe durch "Einsicht in die vorhandenen Pläne, Besichtigung des Baugeländes oder des Bauwerkes selbst oder durch andere geeignete Maßnahmen über die Art des beabsichtigten Bauwerks, dessen besondere Verhältnisse..." zu unterrichten hat. "Nach Abschluss des Bauvertrages kann der Auftragnehmer nicht mehr geltend machen, dass er die Verhältnisse nicht oder nicht genügend gekannt hätte." Das Gericht stellte dazu fest, dass diese Klauseln unwirksam seien, weil sie dem Auftragnehmer einen Teil des Auftraggeber-Risikos auferlegen würden. Der Auftraggeber könne sich nicht über Klauseln von der Haftung für vorsätzliche oder grob fahrlässige Planungsfehler freistellen, so die Richter. Ebenfalls für unwirksam sind auch folgende Klauseln von Gerichten erklärt worden:

»Das Pauschalpreisrisiko bei einer unvollständigen Leistungsbeschreibung für eine Heizungsanlage hat der BGH dem Auftragnehmer zugeordnet«

BGH BauR 81, 388

Dr. Dimanski begründet: "Die vorgenannten Klauseln widersprechen dem im Bürgerlichen Gesetzbuch verankerten Prinzip, dass Leistungen und Gegenleistungen berechenbar sein müssen. Ebenso sind Klauseln, die den Umfang der Leitungspflicht des Auftragnehmers nicht hinreichend bestimmen und demzufolge nicht mehr kalkulierbar sind, unwirksam." Beispiele aus der Praxis gibt es genügend. Nachfolgend eine Auswahl:

Auch wenn es im Interesse des Auftragnehmers liegt, sich jeweils über die Baustelle zu informieren und insofern einen Überblick über die Vollständigkeit der Vertragsunterlagen zu erlangen, besteht für ihn keine Rechtspflicht zu einer solchen Information. Vor diesem Rechtshintergrund haben Gerichte auch folgende Klauseln für unwirksam erklärt:

Und was nun?

Bei all diesen Beispielen wird deutlich, dass das Planungsrisiko sowie das Risiko einer unvollständigen oder fehlerhaften Ausschreibung häufig auf den Handwerker abgewälzt werden soll. Angesichts fehlender Aufträge beteiligen sich dennoch viele Unternehmer an diesen Ausschreibungen und schlucken auch die bittere Pille "Vorbemerkungen" - zum eigenen Nachteil. Es kann an dieser Stelle daher nur wiederholt der Rat gegeben werden, die Leistungsbeschreibung stets sorgfältig zu prüfen und bei Zweifeln oder Beanstandungen vom Auftraggeber Aufklärung zu verlangen. Gehandelt werden muss auf jeden Fall im Vorfeld, nachträglich formulierte Honoraransprüche, so zeigt die Rechtsprechung, werden in der Regel nicht akzeptiert.


* Name von der Redaktion geändert.


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